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BERLINER DIALOG 28, 2005  Sekten

BEITRÄGE 

Sekten, "Sekten" und die Kirchen
Kirchliche Positionen zu Sekten und anderen Religionsgemeinschaften *
von Thomas Gandow

1. Umstrittener Sektenbegriff
Umgangssprachlich wird heute im Deutschen alles mögliche als "Sekte" bezeichnet; es muß nur irgendwie bizarr sein und irgendeine, auch entfernte Verbindung zu Ideologie oder Religion haben. Die Aufnahme dieses umgangssprachlichen Sektenbegriffs hat selbst bis in kirchliche Stellungnahmen hinein für Unklarheiten und Mißverständnisse gesorgt. Dabei gehen Umgangssprache, Medienvereinfachung und soziologischer und staatskirchenrechtlicher Sektenbegriff mit dem konfessionskundlichen bzw. theologischen Sektenbegriff eine sonderbare Mixtur ein. Hinzu kommt ein Übersetzungsproblem. Teilweise begegnet "Sekte" als Übersetzung des amerikanischen "cult"1. Tatsächlich werden aber auch in den USA gerade "sect" und "cult" in der Religionssoziologie durchaus unterschieden.2 

1.1 Soziologische Sektenbegriffe
Kirchen- und Religionssoziologie haben, ausgehend vom christlichen Modell des Gegenübers von Kirche und Sekte die unterschiedlichsten Klassifikationen, Typologien und Modelle zur Beschreibung und Unterscheidung unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften entworfen. Bekannt und wirkungsvoll wurden zunächst die Beschreibungen von Max Weber und Ernst Troeltsch, die ihre Typologien aus der Beschreibung des Gegensatzes zwischen Kirche und Sekte gewannen.3
Ein anderer Ansatz in der Religionssoziologie bestimmt "Sekten" nicht aus dem Unterschied zwischen Kirche und Sekte, sondern aus ihrer jeweiligen Spannung zur Gesellschaft.
Danach wäre eine Kirche eine religiöse Gruppe, die die Umgebung, in der sie existiert, im Wesentlichen als Lebensraum akzeptiert, eine Sekte aber wäre in dieser Sicht eine religiöse Gruppe, die die kulturelle, historische und soziale Umgebung, in der sie lebt, ablehnt.4 
Von daher werden heute viele neue religiöse Gruppen, die noch nicht etabliert sind oder die unterschiedliche Probleme und Konflikte aufwerfen, in den Medien und im allgemeinen Sprachgebrauch als "Sekten" bezeichnet.5 
In ihrem Vorschlag zu einer Klassifizierung religiöser Organisationen unterscheiden Stark und Bainbridge 1985 zwischen "church", "sect", "cult" und "movement". Dabei soll eine "church" (nicht unbedingt eine christliche Kirche) eine etablierte religiöse Organisation sein, die in relativer Übereinstimmung mit ihrer sozialen Umwelt stehe; "sect" soll eine von einer "church" oder anderen "sect" abgespaltene Gruppe sein, "cults" seien in der jeweils gegebenen Umgebung neue religiöse Gruppen und "religious movements" seien organisierte Gruppen, die religiöse Institutionen werden wollen.
Sekten seien abweichende religiöse Bewegungen, die innerhalb der selben religiösen Tradition und Umgebung verblieben, Cults seien abweichende religiöse Bewegungen in einer fremden religiösen Umgebung.6 

1.2 Sekte als ekklesiologischer Begriff

   "Meidet fremdes Gewächs,
    das Sekte ist"
    - Bischof Ignatius an die Trallianer
   "unkrautgleiche Sekten
   der Christenheit" 8
  
   - Wachtturm, 1960


Griechisch_0

Sekte bezeichnet ein Verhältnis, ja eine Beziehung zwischen dem, der den Begriff benutzt und der bezeichneten Gruppe. Deshalb kann der Begriff durchaus wechselseitig benutzt werden.
Das deutsche Lehnwort "Sekte" 9 aus dem Partizip secta des lateinischen Wortes "sequi" = jemandem folgen hat ursprünglich die Bedeutung von Gefolgschaft, Partei, Schulrichtung innerhalb einer bestimmten Religion. Secta ist selbst Übersetzung des gleichbedeutenden griechischenGriechisch_3(hairesis), so in der Vulgata.
In der Apostelgeschichte des Neuen Testaments wird zunächst ganz wertungsfrei
der Begriff derGriechisch_3im Sinne von Religionspartei auf die Sadduzäer (5,17) und auf die Pharisaäer (15,5) angewandt; auch auf ...

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* Vortrag gehalten am 29.11.2003 bei der Tagung "Freikirchen und Sekten in Europa" vom 27.11.- 29.11.2003 im Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg im Rahmen des Projekts "MPG 2000 + Forschungsperspektiven".
- Für den Druck vom Verf. durchgesehen.

1   z.B. wird Margaret Thaler Singers "Cults in Our Midst: The Hidden Menace in Our Everyday Lives" (1995) deutsch 1997 nicht nur im Titel, sondern durchgängig auch im Text zu "Sekten - Wie Menschen ihre Freiheit verlieren und wiedergewinnen können".
2   z.B. von Stark und Bainbridge 1985, siehe 1.1.
3   Weber sah die Sekte als "voluntaristischen Verband ausschließlich religiös-ethisch Qualifizierter, in den man freiwillig eintritt, wenn man freiwillig kraft religiöser Bewährung Aufnahme findet", gegenüber der Kirche als der "religiöse Heilsgüter” verwaltenden "Gnadenanstalt" mit "obligatorischer Zugehörigkeit" (M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen, 3 Bde., I 1947, 211).
Troeltsch kam zu dem Ergebnis: "Die Sekte ist die freie Vereinigung strenger und bewußter Christen, die als wahrhaft wiedergeborene zusammentreten, von der Welt sich scheiden, auf kleine Kreise beschränkt bleiben, statt der Gnade das Gesetz betonen und in ihrem Kreise mit größerem oder geringerem Radikalismus die christliche Lebensordnung der Liebe aufrichten, alles zur Anbahnung und in der Erwartung des kommenden Gottesreiches" (Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen [1912] 1977, 967).
4   Benton Johnson: On church and sect; American Sociological Review, 1963, 28 (4): 542Benton Johnson, Church and Sect Revisited, in: Journal for the Scientific Study of Religion, 10, 1971, S.124-137)
5   Angesichts dieser "schleichenden begrifflichen Verschiebung" gibt Zinser zu bedenken: "Die Klassifizierung aller neuen religiösen Angebote als Sekten verallgemeinert den Sektenbegriff. Der Begriff Sekte war ein Gegenbegriff zur Kirche, die aktuelle Verwendung macht aus ihm unter der Hand einen Gegenbegriff zur Religion". Hartmut Zinser: Der Markt der Religionen, 1997, S.144
6   Rodney Stark und William S. Bainbridge
7   Ignatius an die Trallianer, 5.1, vor 109
8   "Aber die Schrift zeigt, daß ihre Kleider unrein waren, weil sie so lange mit abtrünnigen Christen verbunden gewesen waren. (Sach.3:3,4) Sie pflegten noch viele Gewohnheiten und hatten noch viele Charaktermerkmale und Glaubensansichten, die dem ähnlich waren, was in den unkrautgleichen Sekten der Christenheit zu finden war." Wachtturm, 15.September 1960, S.563
9   "Sekte: Die Bezeichnung kleinerer, meist von einer größeren christlichen Kirche abgespaltener religiöser Gemeinschaften (mhd. Secte) beruht auf einer gelehrten Entlehnung aus lat.-mlat. Secta 'befolgter Grundsatz, Richtlinie; Partei; philosophische Lehre; Sekte'. Das lat. Substantiv gehört vermutlich zu lat. Sequi (secutum) 'folgen' (vgl. konsequent), wohl auf Grund eines alten Partizips *sectum 'befolgt'. - Dazu das Substantiv Sektierer ‚Anhänger einer Sekte' (Anfang des 16.Jh.s, unmittelbar abgeleitet von einem älteren Verb 'sektieren' 'eine Sekte bilden')." (Duden "Etymologie" Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, 2. Aufl. Mannheim 1989)

... die Christen (24, 5.14; 28,22), die offensichtlich so von anderen bezeichnet wurden.
Sekte
ist also ein Beziehungsbegriff, die Untergruppe einer Religion bezeichnend. Er gibt zugleich auch - ausgehend vom eigenen Selbstverständnis - Auskunft über die Art der Relation. So betrachtet, verliert das klassifizierende Wort "Sekte" den Beigeschmack einer inhaltslosen Beschimpfung. Und es wird verständlich, warum Jehovas Zeugen ihrerseits die großen Kirchen gelegentlich als "die Sekten der Christenheit" bezeichnen.10 
Wenn kirchlicherseits eine religiöse Gruppe als christliche Sekte bezeichnet wird, so drückt sich darin - freilich kritisch und ablehnend - eben auch Nähe und so etwas wie "Verwandtschaft" aus.
Eine Sekte, eine Häresie, ist nicht Heidentum bzw. andere Religion, und auch nicht Glaubensabfall (Apostasie), sondern aus kirchlicher Sicht falsche Lehre (Irrlehre) und (daher) auch falsche Gemeinschaft.
Denn schon in der christlichen Urgemeinde, die der eine Leib Christi sein will, werden Spaltungen und Parteien wenigstens als Problemanzeige gesehen:
"Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt, sind Spaltungen (gr. 'schisma') unter euch, und zum Teil glaube ich's. Denn es müssen ja Spaltungen (gr. 'hairesis') unter euch sein, damit die Rechtschaffenen unter euch offenbar werden". 1. Kor. 11,18-19.
Später im NT ist auch von "verderblichen Sekten" die Rede. (2. Petr. 2.1).

Sekten gehören also von Anfang an zur christlichen Religion, sind ein anderer Typ des Christentums (Troeltsch)11, der dem "katholischen" (=allgemeinen), dem Kirchentyp, geleitet durch Bischöfe und Kirchenordnungen, der sich durchgesetzt hat, gegenüber steht. Entscheidend aber ist die von ihnen vertretene andere Lehre, die sie von der Kirche trennt.

1.3 Sekte als staatskirchenrechtlicher Begriff
Zu Beginn der Reformation hatte Luther selbst darauf hingewiesen, daß Ketzerei keine Angelegenheit der weltlichen Obrigkeit, sondern ein "geistlich Ding" sei, eine geistliche Herausforderung, die geistige und geistliche Auseinandersetzung fordere12 .
Dennoch wird in der Reformationszeit "Sekte" schließlich in Deutschland von einem geistlichen, vom ekklesiologischen Selbstverständnis her zu interpretierenden Begriff, zu einem staatskirchenrechtlichen Begriff, nämlich zur Bezeichnung derjenigen christlichen Religionsgemeinschaften, die ohne reichsrechtliche Anerkennung neben den damals anerkannten Religionen bzw. (wie wir heute sagen würden:) Konfessionen stehen.

Im Reich dürfen nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und dem Westfälischen Frieden von 1648 nach dem Prinzip der religiösen Einheit in der Region nur die anerkannten [1648: drei] Konfessionen solche Gebiete bilden bzw. halten. Religiöse Koexistenz, oder wie wir heute sagen würden, konfessioneller Pluralismus oder (damals:) auch nur Parität im selben Territorium ist eben noch kaum denkbar und praktikabel (Ausnahme: einige freie Reichsstädte). Im Gegenteil: Als Lösung muß es zur territorialen Entflechtung der religiösen Konfliktlagen kommen. Das bedeutet konfessionelle Parität auf der Reichsebene, aber weiterhin konfessionelle Einheit in den Territorien. Das zur Herstellung religiöser Homogenität in den Territorien hierzu erforderliche ius emigrandi gewinnt aber zusätzliche religionspolitische und religionsgeschichtliche Bedeutung, weil auch die Angehörigen der nicht reichsrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften davon Gebrauch machen können.13 

Aber wohin? Durch Wanderungsbewegungen im Reich kommt es zunächst zum Teil zu religiöser Homogenisierung einzelner Territorien. Vor allem durch Auswanderung kommt es zur religiösen Ausfaltung der im Reich vorhandenen multikonfessionellen Wirklichkeit außerhalb des Reichsgebietes, einerseits nach Nordamerika, andererseits nach Osten, also in das damalige Russische Reich und in die nicht zum Reich gehörenden Gebiete Österreich-Ungarns. In Österreich gab es sogar Zwangsumsiedlungen nach Siebenbürgen, wo die Protestanten immerhin Religionsfreiheit genossen.
Damit wurden religiöse Konfliktlagen durch räumliche Distanz entschärft, aber z.T. auch nur verlagert und verschoben.

Die politischen Entwicklungen des 18. und mehr noch die wirtschaftlichen Entwicklungen 19. Jahrhunderts mit den folgenden Wanderungsbewegungen heben die geographische Segregation der Religionen in Europa zunehmend auf und machen andere Konzepte für das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religion erforderlich. "Alle Bewohner des Reichs genie- ...

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10   z.B.: "Wir erkennen, daß mit Babylon der Großen die gesamte falsche Religion gemeint ist. Sie ist 'die Mutter der Huren', denn all die verschiedenen falschen Religionen auf der Erde, einschließlich der vielen Sekten der Christenheit, sind wie ihre Töchter, indem sie sie in ihrer geistigen Hurerei nachahmen." Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft (Hg.) 1988. Die Offenbarung - Ihr großartiger Höhepunkt ist nahe!, S.244.
"Die Religionsgemeinschaften der sogenannten christlichen Welt, der Christenheit, haben heute die meisten Mitglieder. Die Christenheit macht, grob gerechnet, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung aus, denn diese wird heute auf 3.420,000.000 geschätzt, und davon bekennen sich 977,383.000 zum Christentum. Da Jehovas christliche Zeugen sie von der Christenheit streng getrennt halten, behaupten die Geistlichen der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, sie seien keine Christen. Es ärgert diese Geistlichen, daß die verhältnismäßig kleine Gruppe der christlichen Zeugen Jehovas hauptsächlich aus den Sekten der Christenheit, nicht aus der heidnischen Welt, hervorgegangen ist. Daher ist seit Jahrzehnten eine Auseinandersetzung im Gange, bei der es um die Fragen geht: Wer sind die wahren, von Gott ordinierten Christen? Wer predigt das richtige Königreich Gottes, Jehovas Zeugen oder die Angehörigen der Sekten der Christenheit? Nach welcher Regel können diese Fragen entschieden werden? Nach der Regel, die Jesus Christus festlegte, als er vor falschen, heuchlerischen Christen warnte mit den Worten: "Ihr werdet also diese Menschen wirklich an ihren Früchten erkennen. Matth.7.20"
Wachtturm 1. März 1970, S.136ff.
11   So schon E. Troeltsch: "Der Ausdruck Sekte bedeutet nicht ein Werturteil über Verkümmerungen des Kirchlichen, sondern einen selbständigen soziologischen Typus der christlichen Idee." in Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Aalen 1961 (Neudruck) S.371
12   "So sprichst du abermal: Ja, weltlich Gewalt zwingt nicht zu glauben, sondern wehret nur äußerlich, daß man die Leute mit falscher Lehre nicht verführe; wie könnt man sonst den Ketzern wehren? Antwort: Das sollen die Bischöfe tun, denen ist solch Amt befohlen, und nicht den Fürsten. Denn Ketzerei kann man nimmermehr mit Gewalt wehren, es gehört ein andrer Griff dazu, und ist hie ein anderer Streit und Handel denn mit dem Schwert. Gottes Wort soll hie streiten; wenns das nicht ausricht, so wirds wohl unausgericht bleiben von weltlicher Gewalt, ob sie gleich die Welt mit Blut füllt. Ketzerei ist ein geistlich Ding, die kann man mit keinem Eisen hauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken." Martin Luther, Von weltlicher Obrigkeit, [1523], GiQ III, 135)
13   Ich verzichte auf eine ausführliche Erörterung auch der verschiedenen Toleranzakte; ebenso kann hier auch nicht über die schwankende Tolerierung der Juden gehandelt werden. ...

... ßen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit" heißt es in Artikel 135 der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Seit dem besteht auch in ganz Deutschland keine Staatskirche mehr. Während noch das preußische Landrecht von 1794 in Titel 11 die Religionsgesellschaften einteilte in unerlaubte (§§ 14-15), privilegierte (§§ 17-19) und geduldete (§§ 20-26) haben seit der WRV alle Religionsgemeinschaften, egal ob Kirchen, Freikirchen oder Sekten, in Deutschland als "Religionsgesellschaften" prinzipiell rechtlich die gleichen Möglichkeiten.14 
Die Rechtsstellung aller Religionsgemeinschaften in Deutschland ist auch bei unterschiedlicher Inanspruchnahme der gegebenen Möglichkeiten in Deutschland gefestigt.15 
Die Einheit der Religion hat sich von außen nach innen verlagert, vom Reich in die Region, von der Region schließlich zunächst in das forum internum, in das Glauben und Meinen des einzelnen Bürgers16 ; schließlich kommt im Grundgesetz auch ausdrücklich die Freiheit für das öffentliche Bekennen des einzelnen Bürgershinzu.
Dies findet seinen besonderen Ausdruck in der Art, wie die verfassungsmäßige Sicherung der religiösen Freiheit als individueller Glaubens- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit mit Art.4 GG vorgenommen wird.
Zwar wurden fast alle Religion und Kirchen betreffenden Artikel der Weimarer Reichsverfassung durch einen Überleitungsartikel in das Grundgesetz übernommen, aber gerade der den "DRITTEN ABSCHNITT" der Verfassung "Religion und Religionsgesellschaften" einleitende Artikel 135:
"(1) Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt" wird zu einem selbständigen Art. 4 des Grundgesetzes, der die Freiheit des Bekenntnisses ausdrücklich erwähnt.17 
Ergebnis ist, daß die Religion, die von einer Reichssache zu einer Regionalangelegenheit geworden war, erst zu einer Privatsache und dann schließlich zu einem Menschenrecht wird.
Positiv gesagt: Religionsfreiheit wird von einer Reichssache, die regionale Freiheit für nur drei Religionen kennt, zu einem Menschenrecht für jeden einzelnen. Glaubens- und Gewissensfreiheit, auch wenn sie einzeln oder mit anderen zusammen wahrgenommen werden kann, wird im Grundgesetz "im striktesten Sinn als Individualrecht verstanden und behandelt".18 
Aus all dem folgt, daß staatskirchenrechtliche Kriterien zur Unterscheidung von Kirchen, Freikirchen und Sekten staatlicherseits heute nicht mehr zu anzuwenden sind.19  ...

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14   Die unterschiedlichen Rechtsformen reichen bei Kirchen, Freikirchen und Sekten heute gleichermaßen von einer nichteingetragenen Personenvereinigung über den eingetragenen Verein bis zur Körperschaft des öffentlichen Rechts.
 15   Zur rechtlichen Stellung von Sekten und anderen Religionsgemeinschaften im Vergleich mit den Kirchen die folgenden Hinweise:
Alle Religionsgemeinschaften, darunter eingeschlossen sowohl Kirchen wie die von den Kirchen als "Sekten" eingestuften Gemeinschaften können sich in Deutschland mit sieben Mitgliedern (Mindestanzahl) als eingetragene Vereine ("e.V.") registrieren lassen. Zusätzlich haben sich viele Religionsgemeinschaften selbst oder ihre Fördervereine sich vom jeweils zuständigen "Finanzamt für Körperschaften” die "Gemeinnützigkeit" anerkennen lassen - ein zunächst rein formaler Akt, der die Übereinstimmung der Satzungsformulierungen mit den entsprechenden steuerlichen Bestimmungen feststellt.
Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften können - anders als andere Vereine - auf Antrag gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 der Weimarer Verfassung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen, wenn sie nach ihrer Verfassung und der Zahl der Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Jedoch ist eine solche Statusanhebung nicht konstitutiv für die freie Religionsausübung: Nach Art.141 WRV in Verbindung mit Art.140 GG werden weitgehende Wirkungsmöglichkeiten allen Religionsgesellschaften eröffnet, unabhängig davon, ob sie sich als Vereine (WRV 137,4) konstituiert haben oder (nach WRV 137,5) Körperschaften des öffentlichen Rechts sind oder wurden: "Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Einrichtungen besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist." (WRV 141)
Die Verleihung der Körperschaftsrechte ist wirksam für das jeweilige Bundesland. Religiöse Organisationen werden damit von staatlicher Seite den großen Kirchen rechtlich gleichgestellt. Tatsächlich wurde bereits einigen christlichen Sekten in den einzelnen Bundesländern von den jeweiligen Landesparlamenten oder Landesregierungen die Rechte von Körperschaften öffentlichen Rechts zuerkannt. Damit wurden diesen "neukorporierten" Religionsgemeinschaften die gleichen Rechte wie den "altkorporierten" Körperschaften des öffentlichen Rechts, also vor allem den alten Kirchen, zuerkannt (Beispiel: Neuapostolische Kirche in ganz Deutschland bereits seit Anfang der zwanziger Jahre)
So sind auch die christlichen Sekten dann ggF. z.B. als Träger der freien Jugendhilfe nach §75 Abs.3 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, SGB VIII, anerkannt.
Die Gesetze reden zwar da und dort auch von "Kirchen", womit die christlichen Kirchen gemeint sind; in den einschlägigen, durch den Überleitungsartikel 140 GG gültigen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung (WRV), den Artikeln 136,137,138,139 und 141) ist aber nach der Feststellung in WRV 137,1 "Es besteht keine Staatskirche" durchgängig von "Religionsgesellschaften" die Rede.
16    Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 gewährt bereits umfassende Glaubens- und Gewissensfreiheit im forum internum, (Teil II, Titel 11, §§1ff.) und schützt sogar schon die negative Bekenntnisfreiheit (a.a.O. §5).
Hausgottesdienste sind unbeschränkt (a.a.O. §§7ff.).
17    Grundgesetz Artikel 4 Fassung vom 1.1.1964
  (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
  (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
  (3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
18   Wolfgang Ullmann, Politische und theologische Häresie im Pluralismus der Religionen in Berliner Dialog 2/97 S.28ff
http://www.religio.de/dialog/297/297s28.html
19   Deshalb ist es nur richtig, wenn z.B. empfohlen wird, daß staatliche Stellen in Deutschland in ihren Verlautbarungen und ihrem Verwaltungshandeln "in Aufklärungsbroschüren, Urteilen oder Gesetzestexten" die Bezeichnung "Sekte" vermeiden. (vgl. Empfehlung 6.2.12 im Abschlußbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" des Deutschen Bundestages, Bonn 1998.
Über das Ziel hinaus schießt die Enquete-Kommission mit ihren Empfehlungen aber, wenn sie zugleich in der Art einer Sprachregelung es für "wünschenswert" hält, wenn "im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auf die weitere Verwendung des Begriffes 'Sekte' verzichtet würde". Denn es ist, gerade im Zeitalter der Trennung von Staat und Kirche, nicht zulässig, daß staatliche Stellen und Organe den Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre ekklesiologischen und theologischen Begriffe vorgeben.
Bei Fertigstellung des Manuskripts für den Druck stieß ich auf einen aktuellen Beitrag, in dem sich Jürgen Habermas gegen "Sprachverbote" gegenüber religiösen Begrifflichkeiten wendet: "Zwar gehört es zum gemeinsam geteilten Verständnis der demokratischen Verfassung, daß alle Gesetze, alle gerichtlichen Entscheidungen, alle Verordnungen und Maßnahmen in einer öffentlich, also allen Bürgern gleichermaßen zugänglichen Sprache formuliert werden und im Übrigen einer säkularen Rechtfertigung fähig sein müssen. Aber im informellen Meinungsstreit der politischen Öffentlichkeit befinden sich Bürger und zivilgesellschaftlich Organisationen noch diesseits der Schwelle einer institutionellen Inanspruchnahme der staatlichen Sanktionsgewalt. Hier darf die Meinungs- und Willensbildung nicht durch Sprachverbote kanalisiert und von möglichen Ressourcen der Sinnstiftung abgeschnitten werden." Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion in: Cicero, Oktober 2005, S.32

2. Kirchen und die Sekten heute
In den evangelischen (Landes-) Kirchen in Deutschland gibt es kein einheitliches Lehramt, keine Sprachregelung und daher auch keinen einheitlichen Sektenbegriff.
Klar ist aber auf jeden Fall ersteinmal: Auch kirchlicherseits kann der obsolete staatskirchenrechliche Sektenbegriff nicht verwendet werden.

Aber auch die vielfältigen soziologischen Klassifikationen und Typologien und ihre Kriterien zur Unterscheidung unterschiedlicher religiöser Gemeinschaften20  eignen sich nicht als Kriterien kirchlicher Stellungnahmen und Haltungen zu Häresien, also zu Sekten und auch nicht zu anderen religiösen Gruppen, obwohl es immer wieder Versuche dazu gibt, z.B. auch kirchlicherseits in Anpassung an religionssoziologische oder umgangssprachliche Begriffe, die unterschiedlichsten religiöse Gruppen, die noch nicht etabliert sind und die unterschiedliche Probleme und Konflikte aufwerfen, unter der Überschrift "Was ist eine Sekte" zu verhandeln und mit z.B. "sozialwissenschaftlichen 'Sektenmerkmalen' " 21 zu beschreiben.
Ein solcher Katalog kommt der in der öffentlichen Diskussion verbreiteten Position "Deeds, not Creeds"-Haltung entgegen, also der Meinung, man solle sich nicht mit Glaubens- und Lehrfragen, sondern nur mit der Praxis kritisch auseinandersetzen.
Auch in der Religionswissenschaft begegnet mitunter eine Position, die meint, als vorrangige Ursache von Spannungen und, so muß gefolgert werden, als Ursache christlicher Sektenbildung herausgefunden zu haben, "das religiöse Bewußtsein will nicht Glaubenssätze, die ... rasch unverständlich und äußerlich werden können, sondern ein den Geboten entsprechendes Leben"22 .
Hier gerät der verwandte soziologische Sektenbegriff nur zu leicht zu einem gesellschaftspolitischen und ethischen Begriff, was gelegentlich ausdrückliche Absicht ist.23 Die Gefahr dieses Ansatzes besteht darin, daß so Häretiker zu Dissidenten gemacht werden - und umgekehrt.24 

2.1 Was christliche Sekten von Kirchen unterscheidet
Ethische, moralische und politische Kriterien sind aber für den kirchlichen Sekten- und Häresiebegriff nicht brauchbar, denn "Lehre und Leben sind zu unterscheiden ...; aber von der Lehre handeln, das heißt der Gans an den Kragen gegriffen ..." 25 wie Luther in der Auseinandersetzung mit der Papstkirche formulierte.
Nur ein inhaltlicher, theologischer, nämlich ekklesiologischer Sektenbegriff, der dem eigenen Kirchenbegriff gegenübergesetzt werden kann, kann von den Kirchen heute vertreten und gehalten werden. Wolfgang Ullmann hat in seinem Beitrag zur Unterscheidung von politischer und theologischer Häresie im Pluralismus der Religionen die Kirchen dazu aufgefordert, einen theologischen Häresiebegriff wiederzugewinnen.26 
Aus Sicht der Kirchen und ihrer Bekenntnisse muß es gerade die Einheit, ihre Katholizität bzw. Ökumenizität und die Apostolizität einer Kirche sein, die den Unterschied zur Sekte ausmacht.
Dabei geht natürlich der Streit erst los, wie Einheit und Apostolizität gegenüber den Häresien, den Sekten, festgestellt werden. Ignatius, selbst von 69/70 bis 107/8 Bischof von Antiochien gewesen, sieht als Mittel gegen die Häresie ausdrücklich die Einheit mit Christus, die Einheit mit dem Bischof (als Repräsentanten und Garanten der Einheit der Kirche) und das Verbleiben in den "Anordnungen der Apostel".
Die Instanz, die Häresien beurteilen kann und die lehrmäßige Einheit der Kirche herstellt und darstellt, sieht die röm.-kath. Kirche heute nicht einfach im Bischofsamt, sondern im (päpstlichen) Lehramt des Bischofs von Rom.
Demgegenüber vertritt der Teil der Kirche, der die Reformation durchgeführt hat, als Beschreibung der Kirche wie Luther das "ubi Christus, ibi ecclesia". Die Kirche als Ganze hat Häresie festzustellen.27 Die Lehre der Kirche kann nach lutherischer Sicht durch an der Heiligen. Schrift gewonnene Bekenntnisse für den kirchlichen Raum verbindlich gemacht und festgestellt werden.
Es versteht sich, daß es zu solchen grundsätzlichen Entscheidungen der Kirche, die dann auch weitgehend rezipiert werden, nur in zugespitzten Situationen kommen mag. Als Beispiel könnte die Barmer Theologische Erklärung von 1934 mit ihren Verwerfungen angeführt werden.
In Verhältnisbestimmung zur festgestellten und formulierten Lehre der Kirche kann über die Häresie anhand von geistlichen und sachlichen Kriterien geurteilt werden.
Ein solches Urteil hat keine staatlichen, sondern kirchenrechtliche Konsequenzen.28 

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20 Hartmut Zinser: Der Markt der Religionen, München 1997, S.120ff. (Habermaszitat)
21 Hansjörg Hemminger. Was ist eine Sekte? Stuttgart/Mainz 1995; ders.: Was ist eine Sekte? http://www.gemeindedienst.de/weltanschauung/texte/wasistsekte.htm ,
der dort auch als "sozialwissenschaftliche 'Sektenmerkmalen' anführt:
* Monopolanspruch auf die Wahrheit gegenüber anderen Gemeinschaften der gleichen Tradition
* Monopolanspruch auf Rettung, Erlösung oder Heil
* Größenideen, irreale Machbarkeitsvorstellungen und überwertige Ideen
* Schwarz-Weißstruktur des Denkens
* starre Geschlossenheit nach außen hin, ungewöhnliche Gruppenkohäsion
* Unterschied zwischen "innerer Wahrheit" und Außendarstellung (doppelte Wahrheit)
* totalitäre Innenstruktur der Gruppe mit "steiler" Hierarchie
* starker Zugriff der Führung auf die Gestaltung des Alltags bei den Anhängern
* Personenkult um die Zentralgestalt der Gruppe
* innere Überwachungs- oder Spitzelsysteme, geheimdienstähnliche Methoden
* starkes Elite- und Sendungsbewußtsein der Gruppe, Selbstidealisierung und Dämonisierung anderer
* finanzielle, berufliche und familiäre Abhängigkeit der Anhänger von der Gruppe bzw. der Führung".
Hierzu vergleiche aber den Einwand von Zinser, zitiert in Anm.5
22 Zinser, a.a.O. S.138
23   So verstehe ich jedenfalls das entsprechende Plädoyer von Marc van Wijnkoop Lüthi: Die Sekte… die anderen? Beobachtungen und Vorschläge zu einem strittigen Begriff, Luzern 1996.
24   Bereits im Mittelalter kam es zu einer solchen gesellschaftspolitischen Ausweitung des Häresiebegriffs, als das 4. Laterankonzil von 1215, im Kanon 3 seiner Beschlüsse festlegte: "... daß, wer ebendort Wissen über Häretiker erlangt hat oder über irgendwelche Leute, die geheime Versammlungen begehen oder vom gemeinsamen Leben der Gläubigen den Lebensgewohnheiten und den Sitten nach abweichen (dissidentes), ...der möge sie dem Bischof anzeigen". Häresie wird schon hier rein "politisch und soziologisch, als Abweichlertum definiert (...), ohne jede inhaltliche theologische Begründung: Häretiker ist schlechthin der, der mit der herrschenden Religion nicht übereinstimmt", stellt Ullmann fest, der verständlicherweise zwischen Häretikern und Dissidenten unterscheiden möchte.
25
  "Lehre und Leben sind zu unterscheiden. Das Leben ist böse bei uns wie bei den Papisten; darum streiten und verdammen wir jene nicht um des Lebens willen. ...Andere haben nur gegen das Leben geeifert; aber von der Lehre handeln, das heißt der Gans an den Kragen gegriffen..." (Luther, TR1,624 (1533)
26 Wolfgang Ullmann: Politische und theologische Häresie im Pluralismus der Religionen.
In: Berliner Dialog 2-1997 S.28   http://www.religio.de/dialog/297/297s28.html
27   "Das kann unter Umständen schon durch eine einzelne Gemeinde geschehen, muß aber auf jeden Fall der Gemeinschaft der Gemeinden, d.h. der Synode zur Prüfung und Rezeption vorgelegt werden." Wolfgang Ullmann: Politische und theologische Häresie im Pluralismus der Religionen Berliner Dialog 2-1997 S.28.

Heute könnten die Merkmale einer christlichen Sekte aus kirchlicher evangelischer Sicht etwa so beschrieben werden:
Als christliche Sekten bezeichnen wir diejenigen christlichen Glaubensgemeinschaften, die
*  gegen die Kirchen der "altkirchlichen Bekenntnisse" (Apostolisches Glaubensbekenntnis, Nizänum und Athanasianum) Werbung und Mission betreiben auf Grund von für sie maßgeblichen,
 *  außerbiblischen Wahrheits- und Offenbarungsquellen.
 *  Dabei stellen sie die Behauptung auf, sie hätten damit ein besseres oder vollständigeres Wissen über die Person, die Botschaft oder den Weg Jesu von Nazareth als wir es in Neuem Testament und altkirchlichen Bekenntnissen finden können.
 *  Nicht selten ergibt sich aus diesem Anspruch dann auch eine Veränderung und Verminderung der Rolle Jesu Christi mit der Folge, daß andere Heilswege oder Heilsvermittler anstelle oder neben Jesus Christus als heilsnotwendig gelehrt werden. Eine solche Heilsnotwendigkeit kann die Mitgliedschaft in der jeweiligen Gemeinschaft sein, aber auch die Anerkennung der Ämter, Handlungen und Sonderlehren der Sekte.
 *  Auch wird die Geschichte der Christenheit und die Zusammenarbeit mit Kirchen und ökumenischen Organisationen von vielen Sekten abgelehnt, weil und soweit dort die von der jeweiligen Sekte gefundenen "Wahrheiten" nicht vorhanden sind.
 *  Ein besonderes Merkmal mancher christlicher Sekten ist es, daß sie selbst keine eigenen diakonischen oder sozialen Einrichtungen unterhalten. Der Grund dafür liegt darin, daß für sie die Werbung und Warnung der Mitmenschen durch die Verkündigung der eigenen Sonderlehren wichtiger ist als jedes helfenden Tun.

2.2  Sektendefinition der ACK
Die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen in Deutschland (ACK), ein Zusammenschluß von Kirchen und Freikirchen in Deutschland tritt dafür ein, nur solche Gemeinschaften als Sekten zu bezeichnen, die
"a) die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments als wesentlich ergänzungsbedürftig ansehen und deshalb den biblischen Büchern weitere gleichwertige Offenbarungsquellen und daraus sich ergebende Sonderlehren an die Seite stellen, oder aber Teile der Bibel dadurch in den Hintergrund treten lassen, dass ganz bestimmte Aussagen in der Heiligen Schrift zum Schlüssel des Verständnisses der gesamten Bibel erklärt werden;
b) verkünden, das ewige Heil werde nicht allein im Glauben an Jesus Christus empfangen, und die darum anderen Heilswegen oder Heilsvermittlern anstelle oder neben Jesus Christus das Wort reden;
c) das Heil ausschließlich von der Mitgliedschaft in der eigenen Gemeinschaft abhängig machen und deshalb um Übertritt werben und eine Gemeinschaft der Kirchen darum ablehnen, weil sie auf einer strikten Trennung von anderen christlichen Gemeinschaften bestehen"29 

2.3 Eine Stellungnahme aus der luth. Kirche zu Sekten
Unter den zahlreichen Positionen und Stellungnahmen aus dem kirchlichen Raum zum Thema und Begriff Sekten, die z.T. die unterschiedlichsten außerkirchlichen, oft soziologischen Kriterien zur Geltung bringen wollen, weil sie ihre eigene Beratungsarbeit u.a. als "religiöse Verbraucherberatung" verstehen und akzeptabel machen wollen, ragt das "Handbuch religiöse Gemeinschaften"30 , herausgegeben von der Kirchenleitung der VELKD, hervor.
Hierbei handelt es sich um eine kirchenamtliche Veröffentlichung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), deren Stellungnahmen zwar keinen kirchenrechtlichen Charakter haben, die jedoch als Hilfen zur Anwendung der jeweiligen landeskirchlichen Bestimmungen dienen, und die als inoffizielle, aber öffentliche Richtlinien weit über den Raum der VELKD hinaus beachtet werden. Entstanden ist dies Handbuch seit 1952 zunächst aus dem Bemühen, in der nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Situation der religiösen Umschichtungen und Neuorientierungen durch Kriegs- und Vertreibungsfolgen eine kirchliche "Handreichung" zur Frage kirchlicher Zugehörigkeit zu haben.

2.3.1 Wiederkehr des Verdrängten
Religiöse Konflikte in Europa waren Jahrhunderte vorher durch Segregation gelöst worden. Die religiösen Konfliktlagen wurden damit durch räumliche Distanz entschärft und verlagert. Mitte des 20. Jahrhunderts, nach dem verlorenen Weltkrieg und den folgenden ethnischen Vertreibungen und Bevölkerungstransfers, erfolgt die Wiederkehr des Verdrängten - in eine religionspolitisch völlig andere Lage. Eine Integration durch regionale Scheidung oder als Integration nach konfessionellen Gruppen war nicht mehr sinnvoll und möglich. Es war zu zahlreichen individuellen Eintritten in die Evangelisch-Lutherische Kirche und auch zu Übertritten aus anderen Glaubensgemeinschaften gekommen.

Für die Kirchen im Restdeutschland ergab sich darum die Frage der Integration vertriebener Evangelischer verschiedenster Konfession aus den verlorenen preußischen Provinzen und aus ganz Osteuropa auch in bisher konfessionell noch weitgehend einheitlichen Regionen. Zu klären war u.a. die Frage, ob die betreffenden Personen gültig getauft waren, als Voraussetzung, sie ohne weiteres als Kirchenmitglied aufzunehmen.31 Daraus ergaben sich weitere Fragen wie die, ob man Mitglieder bestimmter Gemeinschaften zur Patenschaft zulassen könne oder nicht, ob man ersatzweise Glieder einer solchen Gemeinschaft trauen oder beerdigen dürfe oder nicht, ob man ihnen kirchliche Räume zur Verfügung stellen könne usw. (vgl. Handbuch, S.9ff.)

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28  "Häresie ist nicht nur ein theologischer, sondern auch ein kirchenrechtlicher Begriff.
Selbst in Bethges Bonhoefferbiografie zittert noch etwas von dem Unwillen, ja dem Entsetzen nach, das Bonhoeffer auslöste, als er in seinem Aufsatz 'Zur Frage nach der Kirchengemeinschaft' 1936 diese einfache Wahrheit wieder einmal aussprach. Wies er damit doch darauf hin, daß alles Kirchenrecht seinem Wesen nach nicht Institutionenrecht, sondern Sakramentsrecht ist. Darum hat das kirchenrechtliche Häresieurteil seine doppelte Basis in Taufe und Herrenmahl. In der Taufe vollzieht der Täufling zusammen mit dem Taufenden und der Gemeinde die Absage an alles, was Götzendienst, Aberglaube und insofern eine Verleugnung des Ersten Gebotes ist. Analog das Herrenmahl. An ihm teilnehmen kann nur, wer getauft ist und darum jene Absage an allen Götzendienst einschließlich der Vergehen gegen den Nächsten vollzogen hat, und darum durch nichts mehr vom Vollzug der Gottes- und Nächstenliebe abgehalten wird." Ullmann, a.a.O.
29   Die christlichen Kirchen und die Sekten. Eine Information der Oekumenischen Zentrale Frankfurt/Main, Juni 1998, 8.
30
   Handbuch Religiöse Gemeinschaften, herausgegeben von Horst Reller, Hans Krech und Matthias Kleiminger im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD, 5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Gütersloher  Verlagshaus, Gütersloh 2000
31   Bendrath: siehe nächste Seite

2.3.2  Das Handbuch Religiöse Gemeinschaften
Aus der Erhebung der nötigen Informationen entstand letztlich ein Standardwerk der Darstellung religiöser Gruppen. Entstehung und Geschichte, Grundriß der Lehre oder Weltanschauung, Arbeitsweise und Organisation, kultische Veranstaltungen und Handlungen sowie Quellen und Literatur werden ausführlich, dargestellt, z.T. auch dokumentiert.
Andererseits enthält das Buch, von der Darstellung getrennt, zu jeder Gemeinschaft eine Stellungnahme aus ev.-luth. Sicht sowie Vorschläge für das praktische Verhalten der Kirche gegenüber der jeweiligen Gemeinschaft oder Bewegung im Ganzen wie gegenüber einzelnen Mitgliedern.
Die Veröffentlichung stellt heute neben Freikirchen und christlichen Sekten eine Fülle anderer Religionsgemeinschaften dar und nimmt aus kirchlicher Sicht zu ihnen Stellung, ohne die vorhandenen gesellschaftlichen oder auch politischen Positionen zu verschweigen.
Freikirchen werden im "Handbuch Religiöse Gemeinschaften" beschrieben als:
"Kirchen und Gemeinschaften, die aus dem Bemühen um die Erneuerung urchristlichen Gemeindelebens entstanden sind und zu denen ökumenische Beziehungen bestehen oder möglich sind"
Christliche Sekten werden beschrieben als
"Gemeinschaften, die mit christlichen Überlieferungen wesentliche außerbiblische Wahrheits- und Offenbarungsquellen verbinden und in der Regel ökumenische Beziehungen ablehnen".
Zwischen beiden kennt das Handbuch auch noch Sondergemeinschaften.
Als solche gelten
"Gemeinschaften, die teilweise Beziehungen zu den Kirchen haben, aber Sonderlehren vertreten, die in einigen Fällen auch sektiererische Züge tragen, bei einigen dieser Gemeinschaften sind die Mitglieder zugleich Glieder der Landeskirche".
Zu den Beurteilungskriterien und den Gliederungskategorien hieß es schon im Vorwort der ersten Auflage 1966:
"'Rücksicht auf die Freikirchen, mit denen die deutschen evangelischen Landeskirchen heute stärker denn je in mannigfacher Weise zusammenarbeiten, hat dazu veranlasst, Gruppen zu bilden (Freikirchen, Innerkirchliche Gemeinschaften, Sekten, Weltanschauungsgemeinschaften) und so von vornherein dem vorzubeugen, daß die Freikirchen sich verletzt fühlen. Dazu muß freilich gesagt werden, daß uns ein Richteramt auch über die Sekten nicht übertragen ist. Die Absicht der Verunglimpfung besteht bei den Ausführungen über die Sekten nicht. (...) Im abwertenden Sinne wollen wir den Sektennamen [S.11] überhaupt nicht verwenden.'"
"Das bedeutet bis heute: Für die Zuordnung einer Gemeinschaft zu einer Gruppe ist die in der Gliederung vorangestellte Definition der Gruppe maßgeblich. Sie ist nicht von einer neutralen Position aus formuliert, sondern beruht auf einem bestimmten Glaubensbekenntnis und kennzeichnet das Verhältnis zu den einzelnen Gemeinschaften aus lutherischer Sicht. Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, wie diese sich konkret zu den Kirchgemeinden vor Ort verhält oder zu anderen Kirchen, mit denen die evangelischen Kirchen in ökumenischer Gemeinschaft eng verbunden sind.
Dabei ist durchaus deutlich, daß die Eingruppierung keine eindeutigen Grenzen ziehen kann. Da die Kirchen in der Ökumene die Rechtmäßigkeit der Taufe anerkennen, wenn sie mit Wasser und auf den Namen des dreieinigen Gottes erfolgt ist, muß dieser Grundsatz z.B. bei Sekten ebenfalls gelten. Daher wird die Taufe bestimmter Sekten von der lutherischen Kirche anerkannt. [Heutiger Stand: Vgl. Anm.32  ­ TG] Andererseits bestehen Probleme im Hinblick auf die Kirchen und Gemeinschaften, die die Kindertaufe nicht anerkennen und nur die Taufe von Erwachsenen praktizieren, die ihr Bekenntnis selbst und in eigener Verantwortung sprechen. Sie wiederholen ggf. eine Taufe. D.h., im Umgang mit den einzelnen Gemeinschaften darf nicht nur auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe [sc.: gemeint ist Kategorie oder Kapitel des Handbuches - TG] geachtet werden. Weitere Fragen sind zu berücksichtigen. Schließlich erweist es sich als 'unvermeidlich, neben theologischen Gründen auch seelsorgerliche und psychologische Gründe ins Spiel zu bringen. Anders ausgedrückt: es muss sowohl nach der regula fidei als auch nach der regula caritatis gehandelt werden.' (F.Lau)" (HRG S.10f.)

2.3.3  Beziehungsveränderungen durch klare Standpunkte
Die Darstellungen und Kategorien des Handbuchs haben erwiesen, daß sie nicht statisch sind und abgrenzend wirken, sondern sie haben zur Integration beigetragen und lösen auch weiterhin Bewegung aus.
Dazu sollen hier drei Beispiele angeführt werden:
*  Die im Handbuch angesprochenen, bis dahin ungeklärten Fragen zur Interkommunion zwischen Lutheranern und Methodisten führten zu offiziellen Lehrgesprächen zwischen den beiden Kirchen. Ergebnis dieser Lehrgespräche war 1987 die volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen der Evangelisch-Methodistischen Kirche und der VELKD. Dies wirkt so weit, daß es in Potsdam, Kirchsteigfeld eine Art Simultankirche der Ev. Landeskirche (Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) mit der Ev.-Methodistischen Kirche gibt.
*  Mit der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten (STA), die bis zur 3. Auflage unter "Sekten" rubrizierten, gab es intensive Gesprächskontakte, die zum Ergebnis hatten, die STA jetzt als Sondergemeinschaft zu bezeichnen, also als Gemeinschaft, die ökumenische Beziehungen nicht ablehnt, sondern teilweise Beziehungen zu den Kirchen hat, freilich immer noch Sonderlehren vertritt, die in einigen Fällen auch sektiererische Züge tragen. Zwar stimmen Adventisten in vielen Glaubensüberzeugungen mit den Kirchen der Reformation überein. ...

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31  Bendrath: "Im Zusammenhang mit den Überlegungen zu einer Ordnung des kirchlichen Lebens - nach der Gründung der VELKD im Jahre 1948 - kam es bei der Tauffrage zu der Feststellung: Bei der Aufnahme in die lutherische Kirche kommt es nicht darauf an, in welcher Gemeinschaft die Aufzunehmenden getauft wurden, sondern ob die Taufe dort mit Wasser und auf den Namen des Dreieinigen Gottes vollzogen worden war, da nach lutherischer Auffassung in der Taufe Gott selbst handelt. Eine bedingte Taufe (Konditionaltaufe) "Ich taufe dich ... für den Fall, daß du noch nicht getauft bist" widerspricht dem lutherischen Taufverständnis.
Auf Grund dieser theologischen Position in der Tauffrage mußten Ermittlungen über die Taufpraxis anderer christlicher Gemeinschaften durchgeführt werden. So bat die 4. Tagung der 1. Generalsynode der VELKD im Jahre 1952 in Flensburg die Kirchenleitung, dafür Sorge zu tragen, daß bei allen christlichen Gemeinschaften in unserem Lande festgestellt werde, ob die Taufe dort 'dem Taufbefehl Christi gemäß' vollzogen werde oder nicht. Hiermit verbanden sich naturgemäß weitere Fragen, nämlich, ob man Mitglieder bestimmter Gemeinschaften zur Patenschaft zulassen könne oder nicht, ob man ersatzweise Glieder einer solchen Gemeinschaft trauen oder beerdigen dürfe oder nicht, ob man ihnen kirchliche Räume zur Verfügung stellen könne usw."
32
  Die Taufe der folgenden Sekten und Sondergemeinschaften wird von der Lutherischen Kirche anerkannt:
Lorenzianer, Neuapostolische Kirche; Apostelamt Jesu Christi, Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten,
Katholisch-Apostolische Gemeinden; Neue Kirche; Weltweite Kirche Gottes. Stand: 2000/2003)

... Aber ihre Sonderlehren (Sabbatlehre, Heiligtums- und Gerichtslehre, Bezug der dreifachen Engelsbotschaft aus Offb. 14 auf die STA selbst) lassen eine Einordnung unter den Kirchen resp. Freikirchen nicht zu. Daran haben auch Gespräche zwischen LWB und Weltleitung der STA noch nichts geändert.
*  Aus der Forschungsarbeit des Arbeitskreises ergab sich, daß die "Taufe" der Mormonen nicht - wie früher geschehen - als christliche Taufe verstanden und anerkannt werden kann. Darüber wurde auch im ökumenischen Gespräch mit den anderen Kirchen Konsens erzielt. Deshalb wurde diese amerikanische Neureligion aus der Rubrik der christlichen Sekten herausgenommen. 33 

2.3.4 Weitere Kategorien des HRG
4
Synkretistische Neureligionen und Bewegungen
"Organisationen und Bewegungen, die Elemente verschiedener Religionen und Weltdeutungssysteme miteinander verbinden."
5Esoterische und neugnostische Weltanschauungen und Bewegungen
Weltdeutungssysteme mit religiösen Funktionen teils mit, teils ohne Kultgemeinschaft.
6Missionierende Religionen des Ostens, Neureligionen
Gruppen und Bewegungen, die ihren Ursprung in einer asiatischen Religion haben;
Hinduistischer Kontext, Sikhistischer Kontext, Buddhistischer Kontext, Schiitischer Kontext.
7Kommerzielle Anbieter von Lebensbewältigungshilfen und Psycho-Organisa tionen
Unternehmen, die Techniken zur Lebensbewältigung anbieten (wie Landmark) sowie Organisationen und Bewegungen,
die Psychotechniken unterschiedlicher Herkunft gebrauchen, um das Leben und Verhalten der Mitglieder zu verändern oder zu regulieren.

3.  "Sekten", Cults und "Neue Religiöse Bewegungen"

3.1 Milieu oder Organisation
Das Wort "Bewegung/Movement" ist - jedenfalls in der deutschen Sprache - mindestens doppeldeutig34 .
Im ersten Fall bezeichnet "Bewegung" eine zielgerichtete, geführte, dynamische Organisation, im zweiten Falle ist Bewegung gerade keine Organisation oder Gruppe, sondern es ist eher ein Milieu, eine Szene oder Strömung gemeint.
Es gab verschiedene Vorschläge, für die im englischen Sprachraum als "cults" oder "New Religious Movements" bezeichneten Gruppen und Strömungen andere Begriffe zu verwenden. Wichtig war für die deutsche Begriffsbildung die Beobachtung, daß es sich bei diesen Gruppierungen nicht um Strömungen oder Milieus, sondern vielmehr eher um fest strukturierte Organisationen handelt. Weiter galt es zu beachten, daß es sich weder nach ihrem Selbstverständnis noch nach ihrer Geschichte und Struktur um sektenartige Abspaltungen von anderen (Stamm-) Organisationen oder -Religionen handelte, sondern um Organisationen, die mit dem Anspruch der Originalität auftraten. Auch die japanischen Neubildungen wurden längst, auch im deutschen Sprachraum, als (japanische) "Neue Religionen" bezeichnet.
Für diese Organisationen hatte sich in Deutschland zunächst der Begriff "Jugendreligionen"35 durchgesetzt, geprägt ...

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33  Die Utah-Mormonen "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage /Mormonen" rubrizieren jetzt bei "Synkretistische Neureligionen und Bewegungen", definiert als "Organisationen und Bewegungen, die Elemente verschiedener Religionen und Weltdeutungssysteme miteinander verbinden".
34  Wird von der "Bewegung" gesprochen, so wird das Wort z.B. im historischen oder politischen Zusammenhang als eine Kurzform, ja ein Synonym für die "Hitler-Bewegung" (ca. 1920-1945) verstanden, den Kern des faschistischen National-Sozialismus in Deutschland. Nach der Übernahme und Umformung einer Partei (der NSDAP) zum politischen Arm der "Bewegung" gelang es ihr, von 1933-1945 die politische Macht zu erringen und einen totalen Staat in Deutschland nach dem Modell der "Bewegung" zu errichten. Semantisch kann Bewegung in der deutschen Sprache
 * eine geführte bzw. wenigstens konkret initiierte Bewegung mit einem Ziel bezeichnen (cf. Hitler-Bewegung, Arbeiter-Bewegung) oder aber auch völlig anders
 * eine eher pluriforme Strömung aus unterschiedlichen Quellen und mit divergierenden Zielen wie z.B. die deutsche "Jugendbewegung", die Grüne Bewegung, die Frauenbewegung usw.
35  Im Evangelischen Kirchenlexikon (EKL) hatte ich 1988 formuliert:
"Jugendreligionen - 1. Begriff, 2. Bewegungen innerhalb der J., 3. Verbreitung, 4. Wirkung
  1.1 Als 'J.' bezeichnete erstmals der dt. Theologe F.W. HAACK 1974 solche seit Ende der 60er Jahre in Europa auftretenden religiösen und parareligiösen Bewegungen, die in ihrer Werbung und Arbeitsweise v.a. Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren ansprechen und in Lehre und Praxis auf infantile Regression ihrer Anhänger abstellen. Eine direkte Ausrichtung der Mitgliederwerbung auf Jugendliche und junge Erwachsene ist bei der Mun-Bewegung sogar konzeptionell vorgesehen.
  1.2. Die Faszination der J. für die jugendlichen Anhänger beruht auf der Unbedingtheit der Hingabeforderung wie auf der aus der Hingabe folgenden Aufwertung als Mitkämpfer für eine neue Welt. Dazu bieten die J. eine überschaubare 'gerettete Familie' mit einem 'Heiligen Meister' von absoluter, göttlicher Autorität, der mit Hilfe eines 'rettenden Rezepts' die Lösung aller individuellen und universellen Probleme, ja die Auflösung des 'Alles-oder-Nichts-Widerspruchs' ermöglicht. Kennzeichnend für die J. ist auch die 'esoterische Kluft' zwischen den Zielen und Anschauungen in den J. und den nach außen hin propagierten Zielen. So treten einige der Gruppen als med. oder religiöse 'Reformbewegungen' auf, während sie sich intern als abschließende Neuoffenbarung oder gar als Wurzel aller Religionen verstehen.
Die 'traditionellen' Religionen werden als überholte und zu überwindende Stützen der alten Zeit gesehen, die bestenfalls noch als Rekrutierungsfeld für neue Anhänger genutzt werden können.
  1.3. Bei den Anhängern der J. ist immer wieder ein drastischer rascher Persönlichkeitswechsel bis hin zur Ausschaltung aller Kritik und zur Totalhingabe zu beobachten. Die starken Persönlichkeitsveränderungen und die rigorosen ethisch-moralischen Neuorientierungen führen zu Konflikten mit Gesetzen, zu sozialen und familiären Problemen (Eltern- und Betroffeneninitiativen). Der Begriff der 'Destruktive Kulte' kennzeichnet die negativen Auswirkungen auf jugendliche Anhänger.
  2. Der Bereich der zu den J. zu rechnenden neuen religiösen Bewegungen läßt sich etwa folgendermaßen gliedern:
  2.1 Ind.-hinduistische Gurubewegungen wie Int. Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein e.V. (ISKCON), Divine Light Mission (DLM), Ananda Marga, Transzendentale Meditation (TM), Bhagwan-Bewegung (Bhagwan Sri Rajnis). Einige dieser als J. bezeichneten Gruppen sind auch Teil einer von der Vishva Hindu Parishad (VHP), einer Art Welt-Hindu-Missionsrat, aus-gehenden, planmäßigen hinduistischen Missionsbewegung und daher weniger von ihrer Zielgruppe als vielmehr von ihren Motivationen und Ursprüngen her zu interpretieren.
  2.2 Neue christliche Sekten wie die Children of God (Kinder Gottes) und The Way.
  2.3 Synkretistisch-spiritistische Neubildungen wie die Mun-Bewegung mit ihrer 'Vereinigungskirche'.
  2.4 Weltanschaulich-therapeutische Gruppen ('Psychokulte') wie die Scientology-Kirche mit der 'Sea-Org', EST und die Aktionsanalytische Organisation (AAO) des Wiener Aktionskünstlers Otto Mühl.
  3. Kommt es einigen J. darauf an, eine Elite zu organisieren, versuchen andere, möglichst viele Menschen mit Einstiegskursen zu erreichen. Weitere Formen der Wirkungsmöglichkeit bieten sich z.B. durch Öffentlichkeitsarbeit in Medien und im Kulturbereich. Daher ergeben sich unterschiedliche Angaben für Mitgliedszahlen, die für den dt.sprachigen Raum von einigen hundert Mitgliedern bis zu mehreren tausend Anhängern reichen. (...)
  4. J. sind ein bes. problematischer Teilbereich der weltweiten 'Neuen Religiösen Bewegungen', zu denen sowohl innerkirchl. als auch nicht-christl. religiöse Neubildungen gehören. Im Gegensatz zu den klassischen christl. Sekten ist die Wirksamkeit der J. nicht Reaktion auf christl. Verkündigung und kirchl. Handeln. J. wirken in allen hochindustrialisierten Länder einschließlich des nicht-christl. Japan auch in den sog. Ostblockländern sind die J. tätig. Sie markieren für die Kirchen das Problem der Vermittlung nachvollziehbarer religiöser Praxis in der modernen Gesellschaft, aber auch die gesellschaftlichen Aufgaben im Bezug auf die Jugend."

... von F.W. Haack u.a. mit der Absicht, einerseits konkrete Organisationen und Gruppen und nicht nur ein Milieu zu beschreiben, andererseits aber auch, um die von vornherein wertenden Bezeichnungen wie "konfliktreiche neue religiöse Bewegungen" oder das unzutreffende "Jugendsekten" zu vermeiden.
Damit ist "der religiöse Anspruch dieser Gruppen zumindest begrifflich anerkannt", was wohl auch der Absicht Haacks entsprach.36

3.2 Kontroversen
Vermutlich gibt es um jede einigermaßen aktive religiöse Gruppe Kontroversen. Die Entscheidung für eine Gruppe oder die Anwerbung durch eine religiöse Gruppe kann zumindest im familiären und beruflichen Umfeld für Kontroversen sorgen.
Es ist erstaunlich, daß öffentliche Aktivitäten der meisten religiösen Gruppen, wie Fundraising, PR-Aktionen usw., aber auch erfolgreiche Werbung - vermutlich wegen Transparenz und reichlicher Information - in Deutschland für wenig Kontroversen sorgt.
Demgegenüber gibt es gehäuft gesellschaftliche Kontroversen, die um eine kleinere Zahl der neuen religiösen Organisationen entstehen oder sogar selbst von diesen (zum Teil absichtlich) ausgelöst werden.
Manche Kontroversen um neue religiöse Gruppen werden erklärt mit "Akkulturationsschwierigkeiten". Deshalb sollte man sich nicht wundern, wenn solche Kontroversen besonders um Gruppen aus einem fremdartigen kulturellen Kontext entstehen würden. Jedoch scheint es eher so zu sein, daß bestimmte unredliche Rekrutierungs- und Geldsammlungsmethoden und weniger kulturelle Differenzen zu Problemen und Kontroversen führen. Es sind besonders die nach außen hin als "westlich" bzw. "amerikanisch" auftretende Gruppen, die ein hohes Potential an Kontroversen zu mobilisieren scheinen.

Bei den Gurubewegungen ist dies die stark "amerikanisch" ausgerichtete TM-Bewegung37. Ansonsten gab es die meisten Konflikte mit der Mun-Bewegung und neuerdings der sog. Boston Church of Christ. Das gezielte Hervorrufen von Kontroversen wird von der Mun-Bewegung als eine regelrechte Missions- und PR-Aktivität betrieben.
Kontroversen hat es auch um das Auftreten von Kulten / Jugendreligionen in den "neuen Bundesländern" (Ex-DDR) gegeben. Hier wurde wieder neu deutlich, daß ein Hauptpunkt für die Entstehung von Problemen, Kontroversen und Kritik das verdeckte, falsch ausgeschilderte und täuschende Vorgehen der Gruppen ist.

3.3  Sonderfall Scientology
Die größten Kontroversen aber ruft in Deutschland in den letzten Jahren sicherlich die Scientology-Organisation hervor. Kontroversen mit der Scientology-Organisation gibt es, weil dies nach politischem Einfluß strebende Wirtschaftsunternehmen für seine wirtschaftliche und politische Durchsetzung versucht, Religionsfreiheit als Gruppenrecht zu benutzen. Scientology ist aber weder Sekte noch sonstwie religiöse Organisation, sondern versucht lediglich, mit Hilfe der Berufung auf Religionsfreiheit Wirkungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten zu erhalten.38 
Auf Grund der erheblichen Kritik und den Beanstandungen an der wirtschaftlichen Betätigung ist Scientology teilweise dazu übergegangen, für die wirtschaftliche Betätigung des Kursverkaufs die Anmeldung eines Gewerbes vorzunehmen. Zugleich aber versucht die Organisation, sich als eine in Deutschland verfolgte religiöse Minderheit darzustellen.39 
Zur Zeit ist die Diskussion um die SO bestimmt durch die umfängliche, im Auftrag der Bayrischen Staatsregierung erstellte Studie von Prof. Nedopil u.a. über die gesundheitlichen und rechtlichen Risiken bei Scientology40.
Dabei geht es in der Konsequenz auch um eine vereinsrechtliche Prüfung bis hin zur Prüfung eines Vereinsverbots.41  Unter anderem aus den so entstandenen Dringlichkeiten erklärt sich der aktuelle massive Lobby-Einsatz in der ganzen EU.42 
Scientology hat auf die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in der Organisation nicht etwa mit einer Korrektur oder Liberalisierung reagiert. Im Gegenteil läßt Scientology seine Mitglieder jetzt ein Formular43 unterschreiben, mit dem diese auf elementare Rechte gegenüber der Organisation verzichten sollen.44 
Daß Scientology sich in Menschenrechtsfragen nicht geändert hat, ist auch an der bis heute währenden Verfolgung des Scientology-Aussteigers Gerald Armstrong ...

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 36  so Zinser 1997 S.144
 * Haack, Friedrich-Wilhelm: Die neuen Jugendreligionen Teil 1, 24. Aufl. München 1988
 * Haack, Friedrich-Wilhelm: Die neuen Jugendreligionen Teil 5, Gurubewegungen und Psychokulte - Durchblicke und Informationen, 1. Aufl. München 1991
37  Haack, Friedrich-Wilhelm und Gandow, Thomas: Transzendentale Meditation, 6. ergänzte Aufl., München 1992
38  Aufsätze u.a.:
 * Stephen A. Kent (University of Alberta, Canada): Scientology, religiöse Ansprüche und Heilungsschwindel  http://www.religio.de/dialog/197/197s22.html
 * Benjamin Beit-Hallahmi (University of Haifa, Israel): Scientology: Religion or racket?
Marburg Journal of Religion, Volume 8, No.1 (Sept. 2003)  http://www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/beit.html
 * Stephen A. Kent (University of Alberta, Canada): Scientology and the European Human Rights Debate: A Reply to Leisa Goodman, J. Gordon Melton, and the European Rehabilitation Project Force Study Marburg Journal of Religion, Volume 8, No.1 (Sept. 2003) http://www.uni-marburg.de/religionswissenschaft/journal/mjr/kent3.html
39  In diesem Zusammenhang wurde von Scientology eine Aktion "Call-to-Arms-Germany" am 4.5.1994 gestartet und eine "Germany Task Force I/OSA INT" gegründet, zur Abwehr angeblicher "neonazistischer Regierungsattacken auf Scientology-Organisationen und -Mitglieder in Deutschland."
Die Konferenz der deutschen Innenminister hat dazu am 6. Mai 1994 in einer Pressemitteilung 19/94 zur "Beobachtung der Scientology-Organisation" mitgeteilt:
"Die Innenminister sind der Auffassung, daß die Erkenntnislage zur Zeit noch keine Bundesweite Zuordnung zur Kategorie der politischen Bestrebungen erlaubt.
Die Scientology-Organisation stellt sich gegenwärtig den für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständigen Behörden der inneren Verwaltung als eine Organisation dar, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlicher Betätigung und sektiererischen Einschlägen vereint. Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten scheint im Bereich der Wirtschaftskriminalität zu liegen. Deshalb sollen staatliche Abwehrmaßnahmen zunächst in diesem Bereich fortgesetzt werden."
40  Heinrich Küfner, Norbert Nedopil, Heinz Schöch (Hrsg.): Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology. Eine Untersuchung psychologischer Beeinflussungstechniken bei Scientology, Landmark und der Behandlung von Drogenabhängigen, Pabst-Verlag, 2002, 647 Seiten, ISBN 3-936142-40-8 ;
dazu u.a: http://www.forensik.de/buecher/Pabst/nedopil.html
;
ausführlich:  http://www.ingo-heinemann.de/Kuefner-Nedopil-Schoech.htm .
Eine Kurzfassung der Studie findet sich unter:
http://www2.stmi.bayern.de/infothek/scientology/pdf/psychotechnik_kurzfassung.pdf .
41  http://www.ingo-heinemann.de/verbot.htm#12.11.02
42  Vgl. u.a. http://www.scientology.org/humanrights/news.htm und http://tinyurl.com/utup
  http://www.gerryarmstrong.org/50grand/cult/besier-speech-2003-09-17.pdf ;
  dt. Übers.: http://www.gerryarmstrong.org/50grand/cult/besier-speech-2003-09-17-de.html
 43  http://www-2.cs.cmu.edu/Edst/Scientology/ReleaseForms/Introspection-Release.htm [Nicht mehr online!]
 44 In dem Formular heißt es u.a.: s. nächte S.

... zu sehen, dem Scientology seit zwanzig Jahren unverändert das Menschenrecht bestreitet, über seine "religiösen" Erfahrungen in der Scientology-Organisation zu sprechen, ja dem sogar bei Strafe und akuter Schadensersatzforderung von derzeit US-$ 10.000.000 untersagt sein soll, seine Meinung über seine Erfahrungen mit der heutigen Scientology-Verfolgung zu äußern45. In den Methoden hat sich leider in den letzten zwei Jahrzehnten nichts geändert:
"Wir machen den Feind fertig, wann immer er zum Vorschein kommt."
So zitiert 1999 Scientology-Chef David Miscavige L.Ron Hubbard in einer Rede, in der er erläutert, was nötig sei, um weltweite Expansion von Scientology durchzusetzen46.
Ich habe das unverändert aggressive Vorgehen von Scientology gegen die Meinungs- und Gewissensfreiheit, ja konkret gegen die freie Religionsausübung, selbst erlebt. Auf dem Weg zu einem Predigtdienst in Berlin-Charlottenburg im Focus-Gottesdienst am 19. Januar 2003 in Begleitung des SO-Aussteigers Gerald Armstrong wurde ich von einem Scientologen in verkehrs- und lebensgefährlicher Weise attackiert.47 
Von kirchlicher Seite sind in diesem Zusammenhang vor allem zwei Themenbereiche relevant:
* Die Begleitung und seelsorgerliche Betreuung von Opfern der SO, Aussteigern wie Angehörigen, die bei der Kirche Beratung, Hilfe und Schutz suchen
* die Auseinandersetzung mit Scientology wegen der Gefährdung der Religionsfreiheit
  o kurzfristig durch Mißbrauch der Religionsfreiheit,
  o mittelfristig durch Diskreditierung der Religionsfreiheit
  o langfristig durch die geplante Abschaffung von Religions- und Meinungsfreiheit.

3.4 Cults sind keine Sekten
Der Begriff "Neue Religiöse Bewegungen" hat sich in Deutschland für die "cults" nicht durchgesetzt, oder präziser gesagt, er bezeichnet im Deutschen etwas völlig anderes als im englischen Sprachgebrauch. Als Neue Religiöse Bewegungen werden in Deutschland heute eher die Taizé-Jugendlichen, die Gruppen der Charismatischen Gemeindeerneuerung, Teile der losen New-Age-Strömung, die spirituellen Strömungen in der Frauenbewegung usf verstanden.
Zunächst setzte sich in Deutschland der Begriff "Jugendreligion" durch. Er ist aber in letzter Zeit abgelehnt worden, weil er angeblich die jetzige Zielgruppe nicht zutreffend beschreibe. Dabei wurde erst kürzlich wieder von profilierter Seite festgestellt, daß die entsprechenden Gruppen vor allem Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe haben48.
Stattdessen wurde versucht, für den öffentlichen Bereich, aber auch in die kirchliche Diskussion Begriffe wie "konfliktträchtigen Bewegungen", "potentiell konfliktträchtige Bewegungen" oder auch (besser begründet) "Konfliktträchtige Orientierungen" durchzusetzen, um wie es hieß, diskriminierende Begriffe wie Sekten oder Jugendreligionen zu vermeiden.
Das mag zur Beschreibung, was politisch, polizeilich, sozialpolitisch oder ethisch noch bzw. nicht mehr verträglich oder verkraftbar ist, vielleicht gesellschaftspolitisch nützlich sein. Für den kirchlichen Bereich gilt aber, daß der kirchliche und theologische Gebrauchswert von Begriffsbildungen wie "konfliktträchtige Bewegung" (R. Hummel) oder auch (besser begründet) "Konfliktträchtige Orientierung" (Michael Fuß)49  zweifelhaft ist, da es zum christlichen Selbstverständnis von Anfang an gehört, daß nicht der Konflikt, sondern die Wahrheit das entscheidende Kriterium ist. Der Streit um die Wahrheit wird im Gegenteil im Neuen Testament sogar direkt50 oder indirekt51 als besonderer Beleg für die Wahrheit angeführt.

4. Erforschung der Szene der neuen religiösen Gruppen
In Deutschland hat es schon sehr früh eine wissenschaftliche und auch kritische Beschäftigung mit Neuen Religionen und "New Religious Movements", u.a den asiatischen, in Europa tätigen Missionierungsbewegungen sowie mit Jugendreligionen usw. gegeben. Die Forschung, wissenschaftliche Darstellung und Auseinandersetzung fand zunächst - wie vermutlich auch in anderen europäischen Ländern - vor allem im Bereich der Missionswis- ...

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 44  In dem Formular heißt es u.a.:
 "If circumstances should ever arise in which government, medical or psychiatric officials or personnel or family members or friends attempt to compel or coerce or commit me for psychiatric evaluation, treatment or hospitalization, I fully desire and expect that the Church or Scientologists will intercede on my behalf to oppose such efforts and/or extricate me from that predicament...
 I understand that the Introspection Rundown ... includes being isolated from ... family members, friends or others with whom I might normally interact. ... The Case Supervisor will determine the time period in which I will remain isolated, according to the beliefs and practices of the Scientology religion. I further specifically acknowledge that the duration of any such isolation is uncertain, determined only by my spiritual condition, but that such duration will be completely at the discretion of the Case Supervisor.
 I accept and assume all known and unknown risks of injury, loss, or damage resulting from my decision to participate in the Introspection Rundown and specifically absolve all persons and entities from all liabilities of any kind, without limitation, associated with my participation or their participation in my Introspection Rundown.
Mehr u.w. hier: http://www.LisaClause.org
45  http://www.gerryarmstrong.org/50grand/legal/a7/complaint-cv021632.html .
46  Abgedruckt ist die Rede in der Zeitschrift International Scientology News, deutschsprachige Ausgabe 11/1999.
 Näheres: http://www.ingo-heinemann.de/feind1.htm
47  http://www.dialogzentrum.de/body_autobahnbericht.htm
Nach über einem Jahr kam es im Mai 2004 zu einer Gerichtsverhandlung. Der Berliner Immobilienunternehmer Mirko O. gab an er habe "im Auftrag 'der Rechtsabteilung von Scientology' Fotos von Gandow und Armstrong aufnehmen sollen. Sie seien für 'amerikanische Anwälte' bestimmt gewesen, 'die mit Herrn Armstrong befaßt sind'. Der Angeklagte bestreitet jedoch, daß er irgend jemanden gefährdet habe - der ganze Vorfall sei vergleichsweise harmlos gewesen.
Eine Sicht, die seine Auftraggeberin wohl nicht ganz teilte: Unmittelbar nach der Autoverfolgung ließ Scientology damals wissen, O. sei über das Ziel hinausgeschossen und werde 'kirchenintern' zur Verantwortung gezogen. Vor dem Amtsgericht kam er glimpflich davon: Gegen Zahlung einer Geldbuße von 1000 Euro wurde das Verfahren eingestellt." heißt es in einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 26.5.2004 auf S.1
(Faksimile der FR auf:  http://www.gerryarmstrong.org/50grand/images/frank-rund-2004-05-26-schindler.jpg )
48  Eileen Barker: Und wer wird nun gewinnen? Nationalkirchen und Minderheitenreligionen in der postkommunistischen Gesellschaft, in: Detlev Pollack, Irina Borowik, Wolfgang Jagodzinski (Hrsg.) Religiöser Wandel in den postkommunistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas, Ergon Verlag Würzburg 1998.
49  Michael Fuß: Neue religiöse Bewegungen. Perspektiven der internationalen Auseinandersetzung,
Berliner Dialog 3-1999:  http://www.religio.de/dialog/399/19_13-17.htm  
50
  Klassisch: Matthäus 10,34ff: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert... Lukas 12, 51ff: Meint Ihr, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht... So schon Lukas 2,34: Siehe, dieser ist gesetzt ... zu einem Zeichen, dem widersprochen wird...
51
 Apg 28,22

... senschaft statt. Erste gründliche Arbeiten finden sich in den missionswissenschaftlichen Zeitschriften und Verlagen. Selbst nicht-kirchliche Autoren haben und können dort auch heute ihre Ergebnisse publizieren.
Es würde sich lohnen, einige der älteren, z.T. schon recht detaillierten Aufsätze, Monografien, Artikel und Sammelbände hier aufzuführen - erst recht, wenn man auch Veröffentlichungen aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg sowie englischsprachige Aufsätze deutscher Autoren aus dem International Review of Mission (IRM) nicht auslassen würde. Eine Darstellung der Forschungsgeschichte fehlt m.W. bisher; sie nachzutragen ist hier nicht der Platz.52 

4.1  Kirchen und Sekten - Forschung und Beratung
Darüber hinaus aber gab es in Deutschland, meines Wissens anders als in allen anderen Regionen Europas, wegen der besonderen historischen Situation professionelle und wissenschaftlich qualifizierte, kirchenverbundene Strukturen bzw. Personen für die Beschäftigung mit den neureligiösen Organisationen und den durch sie hervorgerufenen Problemen bevor sie in Deutschland auftraten bzw. zeitgleich mit ihrem Auftreten. Man kann sagen, daß die kirchliche Beschäftigung mit den "newcomern" deshalb keine bloße "Reaktion", sondern von Anfang an eine (natürlich kritische) Begleitung darstellte. Fast alle neuen religiösen Gruppen sind von Anfang an in ihrem Auftreten in Deutschland bzw. den deutschsprachigen Ländern wissenschaftlich-kritisch dokumentiert und weithin auch von Anfang an in einen kritischen Dialog mit kirchlichen Fachleuten, Forschern und Beratern einbezogen worden.
Daß sich die Kirchen mit Sekten und anderen religiösen Gemeinschaften befassen, wird von manchen als bedenklich angesehen. Gelegentlich ist sogar zu hören, die Kirchen sollten sich aus der Debatte um Sekten, Kulte und Neureligionen heraushalten, weil sie selbst Partei seien. Eine wertungsfreie, angeblich standpunktlose und neutrale (Religions-) Wissenschaft könne mehr und besseres leisten, um Sekten und Kulte, oder, wie letztere gelegentlich eben doch euphemistisch genannt werden, "Neue Religiöse Bewegungen" zu untersuchen und Probleme und Mißverständnisse in deren Zusammenhang und gesellschaftlichen Umfeld zu beheben.53 
Richtig ist, daß die Voraussetzungen (auch die finanziellen) und die Hintergründe der jeweiligen Beiträge zum wissenschaftlichen Gespräch oder zum öffentlichen Diskurs offengelegt werden müssen.54 
Wie kam es aber, daß es in Deutschland eine so intensive kirchliche Beschäftigung mit "Sekten- und Weltanschauungsfragen" gab?

4.2  Arbeitskreis Religiöse Gemeinschaften der VELKD
Auf das "Handbuch Religiöse Gemeinschaften" ist schon oben hingewiesen worden. Der Arbeitskreis Religiöse Gemeinschaften der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD) ist eine Arbeitsgemeinschaft von religionswissenschaftlichen und theologischen Fachleuten und Forschern, die von der VELKD in diesen Arbeitskreis berufen werden. Darunter sind "landeskirchliche Beauftragte" und Universitätslehrer. Dieser Arbeitskreis erarbeitet das "Handbuch Religiöse Gemeinschaften" 55.

4.3  Landeskirchliche Beauftragte
1968 berief die Bayerische Landeskirche den ersten hauptamtlichen "Beauftragten für Sekten und Weltanschauungsfragen" in der EKD. Mittlerweile hat jede der 24 evangelischen deutschen Landeskirchen einen "Beauftragten", der seine Aufgabe haupt- oder nebenamtlich wahrnimmt, nämlich die Auseinandersetzung mit fremden religiösen, geistigen und weltanschaulichen Strömungen zu führen.
Besonders geprägt hat Friedrich-Wilhelm Haack, der "Beauftragte" der Ev.-Luth. Kirche Bayerns, das Profil der Arbeit dieser kirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen.
Seine Forschungsergebnisse - gewonnen durch Forschungen in Deutschland und Forschungsreisen in der ganzen Welt, viele davon zusammen mit Dr. Rüdiger Hauth, insbesondere nach Indien, Ostasien und den beiden Amerikas, hat er in einer Fülle von eigenen Publikationen niedergelegt und zur Diskussion gestellt.
Typisch für den Arbeitsstil von Haack und Hauth und damit prägend für eine ganze Generation von kirchlichen Fachleuten und Forschern in Deutschland ist die "nahe", aufsuchende, direkte Feldforschung und Begegnung, das direkte Gespräch mit den Anhängern, aber auch den Anführern und Gurus der neuen religiösen Gruppen, Sekten, Zirkel, Orden usf. Seit Mitte der sechziger Jahre haben nach und nach alle Evangelischen Landeskirchen in Deutschland zunächst ehrenamtliche oder nebenamtliche, später auch hauptamtliche "Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen ernannt.
Diese kirchlichen Beauftragten, zumeist Pfarrer und als solche Theologen mit einer religionswissenschaftlichen, missionstheologischen, religionssoziologischen oder pastoralpsychologischen Spezialisierung, aber auch Religionspädagogen, sind die jeweiligen "Beauftragten" ihrer Landeskirchen für alle Fragen, die Sekten, Weltanschauungen und Religionen betreffen und insbesondere für die Forschung und Information, aber auch für die Beratung und Seelsorge zuständig. ...

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52  Weitergehend interessierte Leser finden aber bei Reinhard Hummel: Indische Mission und neue Frömmigkeit im Westen - Religiöse Bewegungen Indiens in westlichen Kulturen, Stuttgart 1980 besonders in den hierzu ausführlichen Anmerkungen genug Hinweise für mehr als einen Überblick.
53  Dem ist entgegenzuhalten, das gerade im Bereich der Religionswissenschaft und der Religionssoziologie, besonders im Bereich der Beschäftigung mit kleineren, neueren Gruppierungen, erhebliche und begründete Zweifel an der Unabhängigkeit mancher Forscher aufgetreten sind:
 Stephen Kent: Zur wissenschaftlichen Untersuchung von Religionen und neuen religiösen Bewegungen BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis S. 4ff; http://www.religio.de/dialog/298/13_04-08.htm ;
 Stephen A. Kent and Theresa Krebs: When Scholars Know Sin. Alternative Religions and Their Academic Supporters Sceptic Magazine Vol.6, No.3, 1998; http://www.apologeticsindex.org/c25.html
 Benjamin Beit-Hallahmi: Dear Colleagues: Integrity and Suspicion in NRM Research http://www.apologeticsindex.org/c59.html ;
ungekürzt und erweitert in Benjamin Zablocki (Editor), Thomas Robbins (Editor): Misunderstanding Cults: Searching for Objectivity in a Controversial Field, University of Toronto Press, 2001
54  Ich selbst bin Pfarrer der evangelischen Kirche, habe Theologie und in diesem Rahmen auch Missions- und Religionswissenschaften studiert und bin - mit wechselnden Amtsbezeichnungen - seit 25 Jahren kirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg, bis 1989 freilich offiziell nur für den damaligen Westteil dieser Landeskirche zuständig.
55  Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen: Im Auftrag der Kirchenleitung der VELKD herausgegeben von Reller, Horst; Krech, Hans; Kleiminger, Matthias; 5., neu bearbeitete u. erweiterte Auflage, Gütersloh 2000

4.4  EZW
Die kirchliche professionelle Beschäftigung mit Sekten- und Weltanschauungsfragen hat in Deutschland aber auch eine Tradition und Verwurzelung in den theologisch-wissenschaftlichen und kämpferischen Auseinandersetzungen der Kirche mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus.56 
Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Stuttgart wurde nach dem 2. Weltkrieg gegründet von dem Pfarrer Kurt Hutten, der damit bewußt an die 1937 von der Gestapo geschlossene, 1921 gegründete "Apologetische Centrale" in Berlin anknüpfte. Als Einrichtung der EKD wurde die EZW am 7. Juli 1960 offiziell als ein kirchliches Werk in Stuttgart etabliert, 1995 nach Berlin verlegt. Im November 1994 wurde der Auftrag der EZW vom 3. Juli 1964 neu formuliert:
"(§1) Die EZW ist die zentrale Dokumentations-, Auskunfts- und Beratungsstelle der EKD für die religiösen und weltanschaulichen Strömungen.
Die EZW hat den Auftrag, die Entwicklungen im religiös-weltanschaulichen Bereich zu beobachten und ihre Bedeutung für die EKD zu klären".
In der EZW bearbeiten wissenschaftliche Referenten verschiedene Gebiete und Schwerpunkte, wie es ihren Qualifikationen als Naturwissenschaftler, Soziologen, Missions- und Religionswissenschaftler, Theologen usf. entspricht. Zur Zeit ist die Arbeitsstelle in Berlin mit 6 wissenschaftlichen Mitarbeitern besetzt. Leiter ist Dr. R. Hempelmann [2005: noch 5 Referenten].

4.5  Katholische Kirche
In der Zwischenzeit haben in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch die römisch-katholischen Diözesen "Beauftragte" ernannt, die in gleicher Weise wie ihre evangelischen Kollegen arbeiten.

5.  Warum äußert sich die Kirche?
Die kirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen waren die ersten, die gefragt wurden in Bezug auf Sekten und neue Religionen. Weil sie sachlich kompetent und erfahren waren und über mehr Informationen und Parameter der Beurteilung verfügen als manche Sozialwissenschaftler, die sich einerseits bewußt nicht kritisch mit den Lehren auseinandersetzen, andererseits z.B. die kritischen Erfahrungsberichte von Aussteigern als "Apostaten- Meinungen" abwerten.
Die Beratungs- und Auskunftsangebote kirchlicher Stellen werden in Anspruch genommen als Informationsquelle und für Beratung und Seelsorge in religiösen Konfliktlagen. Diese kirchliche Hilfe wird auch von vielen erwartet und in Anspruch genommen, die selbst keine Kirchenmitglieder sind, weil von der Kirche zu Recht erwartet wird,
* daß sie kompetente Gesprächspartner für Menschen in religiösen Entscheidungsfragen hat;
* daß sie mit gutem Rat helfen kann und
* weil von den Anfragenden davon ausgegangen werden kann, daß die Kirche auf diesem Gebiet uneigennützig die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen respektiert und schützt
* weil deutlich ist, daß für die Kirchen Ideologiekritik und Religionskritik nicht Religionsbekämpfung bedeutet.
Die Beschäftigung der Kirchen zu Sekten und anderen Religiösen Gemeinschaften hat ihre besondere Wichtigkeit gerade wenn die Kirchen den religiösen Pluralismus, die multireligiöse Gesellschaft mit all ihren Konflikten als Handlungsfeld annehmen. Dies ist die heutige religiöse Wirklichkeit, nicht die bisher erwartete "säkularisierte" Umwelt "westlichen" oder "östlichen" Typs.
Die Beschreibung dieser Situation als "Religiöser Markt" war eindimensional und griff deshalb zu kurz. Das menschliche Möglichkeiten Überschreitende, das nicht Verrechenbare des christlichen Evangeliums (wie auch das Überschießende und nicht-Käufliche anderer, authentischer Religionen) steht quer zu ökonomischen Begriffen und Bildern wie: "Religion als Ware"; "Religiöser Markt" usf. und überschreitet sie.
Erst recht sind religiöser Schwindel, religiös motivierte Gewalt und fanatischer Haß nicht durch Marktbilder zu erfassen und durch Marktordnungen zu bändigen.
Auch müßte die Anerkennung jedes Anbieters, nur weil er versucht, auf dem religiösen Markt anzubieten, zur Anerkennung von Allotria als Religion führen. Heilungsschwindel einerseits, wirtschaftskriminelles Agieren andererseits, ja sogar sozialdarwinistische Durchsetzungsstrategien könnten sich sonst - wie heute schon in den USA - mit der Gloriole (und den Privilegien) des Religiösen versehen und von Kritik freistellen.
Statt um Teilnahme am "Religiösen Markt" mit stromlinienförmigen "Warenkörben" oder "religiöser Verbraucherberatung" geht es um klare Standpunkte und Orientierung für Einzelne und für unsere Gesellschaft im Ganzen, auch angesichts der nötigen Auseinandersetzungen mit religiösen Extremgruppen.
Weder religiöse Konkurrenz noch synkretistische (religionsvermischende) Beliebigkeit, sondern Auseinandersetzung und wo möglich hoffentlich nachbarschaftliches Zusammenwirken, also Konfrontation und Dialog sind die Formen echter religiöser Begegnung auch in der Gegenwart.
Daraus hat sich schließlich eine umfängliche praktische Arbeit in Seelsorge und Begleitung von Betroffenen, aber auch in Einwirkung auf die öffentliche Diskussion ergeben.

5.1  Kirchen ermöglichen die fachliche Diskussion
Selbst diejenigen Autoren, die teilweise. die Positionen und Erkenntnisse der kirchlichen Beauftragten und der Ev. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen heftig kritisierten, erschienen mit ihren Beiträgen fast durchweg in kirchlichen Publikationen und wurden in der psychologischen Fachwelt kaum diskutiert. ...

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56  Wegen dieser Wurzeln im "Kirchenkampf" der Evangelischen Kirche in der Nazi-Zeit gibt die Zeitschrift der erst 1960 gegründeten "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", der "Materialdienst der EZW", 2005 stolz den 68. Jahrgang seines Erscheinens an.

5.2 Konsequenzen
Die Kirchen müssen sich meines Erachtens auch entgegen vordergründigen eigenen institutionellen Interessen dafür einsetzen, daß Religionsfreiheit in Europa wie bisher die Glaubens- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit des Individuums (vgl. z.B. Art. 4 des deutschen Grundgesetzes) gegenüber staatlicher oder nun auch gegenüber organisatorischer Fremdbestimmung des Einzelnen bleibt.

Religionsfreiheit ist in Europa ein individuelles, ein Menschenrecht geworden und darf
* weder zum Deckmantel für Terrorismus, Organisierte Kriminalität oder nachrichtendienstliches Tun werden
* noch zum Freibrief für private Organisationen und Unternehmen werden, die sich gegenüber dem einzelnen und der Gesellschaft erlauben, was dem heutigen Staat mit gutem Grund verwehrt ist.

Der Entfremdung von der Gesellschaft, der Isolierung und Abkapselung von Gruppen und der schließlichen terroristischen Verhärtung und Wendung von religiösen Extremgruppen gegen den Einzelnen und die Gesellschaft im Ganzen wie wir sie in Amerika (Move, Peoples Temple, Branch Davidians in Waco) Japan und zuletzt in Uganda schon mehrfach erlebt haben, muß in Europa weiterhin entgegengearbeitet werden durch die Fortsetzung einer möglichst offenen, beobachtenden, kritischen Begleitung. Dabei müssen neben den Selbstdarstellungen und den von den Gruppen vorgelegten Texten auch und besonders die Erfahrungsberichte von Flüchtlingen und Aussteigern sorgfältig gewürdigt werden.

Dieser Aufgabe müssen sich vor allem die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften stellen, die dem Gegenüber einen fairen, aber konfrontativen Dialog schulden.

Aber auch Presse und Medien, verwaltungsmäßig oder politisch zuständige Stellen (z.B. Jugendbehörden, Gesundheits-behörden), Wissenschaft, Informations- und Nachrichtendienste, aber ggf. auch Polizei und Strafverfolgungsbehörden sollten nicht eine Kultur des Wegsehens, sondern des kritischen Dialogs pflegen.57 

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57  Will man Lehren ziehen, so ist man gut beraten, auch beim Namen zu nennen, was z.B. in Nordamerika und Japan erkennbar falsch gelaufen ist.
Es fehlte die geistige Auseinandersetzung. Die fehlende Ideologie- und Religionskritik auf Grund eines einseitig verstandenen Begriffs von Religionsfreiheit führte zur Ahnungslosigkeit über die jeweilige Lehre und ihre Konsequenzen (Peoples Temple, Branch Davidianer).
Es gab massive Angriffe gegen Kritiker bis hin zur Ermordung von Kritikern, die von der Öffentlichkeit nicht geschützt wurden (Japan)
Angst der Polizei und staatlicher Behörden, bei Untersuchungen gegen die Religionsfreiheit der Gruppe zu verstoßen, was zu sehr spätem, dann aber wohlmöglich eskalierendem Eingreifen führte (Branch Davidians in Waco, Japan) Kollaboration der Medien (AUM Shinri-Kyo TBS-Skandal) Kollaboration von Wissenschaftlern einer regelrechten internationalen Kult-Lobby (AUM Shinrikyo, Scientology u.a.).
Die International Herald Tribune vom 10.5.1995 meldet den Japan-Besuch einer Delegation des "Unterausschusses für Religionsfreiheit der Amerikanischen Anwaltsvereinigung". Die Delegation warnte davor, die japanische Polizei gefährde die Religionsfreiheit der AUM Shinri-Kyo. Bei den von ihnen z.T. in den Gebäuden der AUM Shinri-Kyo durchgeführten Pressekonferenzen vertraten sie die Ansicht, die Bewegung sei unschuldig, AUM Shinri-Kyo habe das Sarin nicht produzieren können, sondern sei ein Opfer exzessiven Polizeidrucks. Den erstaunten und z.T. empörten japanischen Journalisten teilten sie mit, daß sie anhand von Photos und Dokumenten, die ihnen die Gruppe zur Verfügung gestellt habe, wüßten, daß diese nichts mit den vorgeworfenen Straftaten zu tun habe. Barry Fisher appellierte an die Polizei, der Versuchung zu widerstehen, "eine Religion zu vernichten und Freiheit zu bestreiten". Die Furcht vor Terrorismus in Japan werde nur als Vorwand benutzt, um die Polizeigewalt zu stärken. Gordon Melton, Barry Fischer, James Lewis und Thomas Banigan gaben an, die buddhistische Extremsekte habe sie eingeladen, Flugreise, Hotel und "Basisspesen" seien von AUM Shinri-Kyo bezahlt worden.

                  12. Ostelbienseminar
Fortbildungsseminar für haupt- und ehrenamtliche kirchliche Mitarbeiter/innen zu Sekten, Okkultismus, Weltanschauungsfragen ... in der Region.

Esoterik - Phänomen oder Problem für Gemeinde, Schule und Jugendarbeit?
Leitung:
Pfr. Thomas Gandow, Pfr. Jörg Michel, Dr. Silke Bremer
Referenten: N.N.
Termin: Montag - Mittwoch im 2. Halbjahr 2006
Ort: Bildungszentrum Schloß Wendgräben, Wendgräbener Chaussee 1, 39279 Wendgräben
Anmeldung:  Tel.: 039245 - 952-351; Fax: 039245 - 952-366,  email: elke.gensch@kas.de
Anmeldeschluß: 1.9.2006
Kosten: ca. 80 € im Doppelzimmer und ca. 100 € im Einzelzimmer;
Studenten/innen, Schüler/innen, Arbeitslose ca. 60 € im Dopelzimmer
Zielgruppe: Interessenten aus Jugendarbeit, Schule, Öffentlichem Dienst und (Kommunal-) Politik, Kirche
Hinweis: Während Ihres Aufenthaltes sind Sie Gast des Bildungszentrums Schloß Wendgräben. Unterkunft und Verpflegung sind frei. Kosten für Getränke bei den Mahlzeiten und Telefonkosten sind von den Gästen selbst zu tragen.

KIS-BB:
Koordinations- und Informationstreffen  
"Sekten, Kulte, Psychogruppen"
für Mitarbeitende in Beratungs-und Informationsstellen in Berlin-Brandenburg
Leitung:
Pfr. Thomas Gandow, EKBO; Daniela Weber, EBI Berlin;
Referenten: nach Bedarf
Termin: je ein Mittwoch im 1. und 2. Halbjahr 2005, 14.00 -16.00 Uhr
Ort: Dialog Zentrum Berlin, Heimat 27, 14165 Berlin-Zehlendorf
Anmeldung: Tel.: 030 - 815 70 40;  Fax: 030 - 84509640;  pfarrer.gandow@berlin.de
Zielgruppe:
Personen und Stellen, die "professionell" bzw. schwerpunktmäßig in Berlin und Brandenburg im Bereich "Sekten, Kulte, Psychogruppen, Okkultismus" beraten und/oder informieren.
Hinweis: Voranmeldung; begrenzte Teilnehmerzahl.


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