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BERLINER DIALOG 28, 2005  Sekten

 

Stichwort: Gemeinde auf dem Weg
von Thomas Gandow

Entstehung
Entstanden ist diese christliche Religionsgemeinschaft zunächst als Abspaltung von einer freikirchlichen (baptistischen) Berliner Gemeinde. Gegen das einvernehmlich unter Gebet und Anrufung des Hl. Geistes herbeigeführte, dann aber ablehnend ausgefallene Votum der Gemeindeversammlung hat die Gruppe um den Arzt Dr. Margies (daher auch: "Margies-Sekte") ihre Gemeindegründung fortgesetzt.
Man hatte vorab einen Verein eingetragen und Räume angemietet ohne die Entscheidung des nach baptistischem Gemeindeverständnis kirchenleitenden Gremiums abzuwarten.
Zunächst nannte man sich "Evangelische Freikirche Wilmersdorf -Philadelphia-Gemeinde"; der Name wurde später in die heute verwandte Bezeichnung "Gemeinde auf dem Weg" verändert.

Sonntags vor der
Sonntags vor der "Gemeinde auf dem Weg"  
Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Lehren
* Die "Gemeinde auf dem Weg" gilt heute als besonderes Beispiel einer deutschsprachigen Gemeinde, in der die "Wort-des-Glaubens"-Theologie vertreten wird. Nach dieser Lehre hat das gesprochene Wort schöpferische Kraft. Die Prediger geben deshalb sogenannten "Proklamationen", deren Zweck es ist, in der geistigen Welt "zu binden und zu lösen", eine hohe Priorität. Das Gesetz über das "Bekenntnis des Mundes" bewirke, daß das, was gesprochen wird, sich ereignen wird. Man wird auch selbst gebunden vom Bekenntnis seines Mundes. Negative Aussagen, wie z.B. "ich bin krank" oder "mir geht es nicht gut" sind gefährlich, da man dadurch Krankheit und Elend in seinem eigenen Leben erschafft. Dan McConnell hat in seinem Buch "A Different Gospel" (Ein anderes Evangelium) nachgewiesen, daß der Gründer der "Wort-des-Glaubens-Richtung", Kenneth Hagin, große Anleihen bei dem amerikanischen Prediger Essek W. Kenyon (1867-1948) gemacht hat. Hagin hat lange Kenyon-Zitate in seine eigenen Bücher eingesetzt ohne anzugeben, daß es Zitate sind. Kenyon war um die Jahrhundertwende durch die sogenannte "New Thought"-Bewegung in Boston, aus der auch die Sekte der "Christlichen Wissenschaft" von Mary Baker-Eddy stammt, inspiriert worden. Auch "New Thought" unterscheidet zwischen der materiellen und der metaphysischen Welt. Die letztere sei als die wesentlichere zu betrachten. So sind die vielen heute festzustellenden Parallelen zwischen der "Wort-des-Glaubens"-Lehre und der "Christlichen Wissenschaft" zustande gekommen.
Dazu vergl.: http://www.religio.de/dialog/195/195s18.html und  http://www.relinfo.ch/index/wdg.htm
* Theologisch verworfen werden muß auch die aus der "Wort-des-Glaubens" Lehre folgende "Erfolgs- und Wohlstands"-Lehre. Danach hat der "richtige" Christ nicht nur die Möglichkeit, sondern auch das Recht zu Fortschritt und Wohlstand in allen Bereichen des Lebens. Es gibt aber in der geistigen Welt "Blockierungen", die zuerst beseitigt werden müssen. Diese Blockierungen sind auf den Teufel und die Dämonen zurückzuführen, die die wirkliche Ursache von Krankheiten, Leiden, Armut und Stagnation sind.
Weitere in der "Gemeinde auf dem Weg" erkennbare Irrlehren sind:
* die Lehre vom übertragbaren Segen, dem "Toronto-Segen" http://www.religio.de/dialog/296/296s18.html und seine Derivate, http://www.relinfo.ch/toronto/info.html sowie  
* die Lehre über "geistliche Kampfführung", die von der Existenz territorial mächtiger Dämonen ausgeht. Ihre Hierarchie und ihre Namen müssen bekannt sein, damit ihre Macht durch Märsche ("Jesus-Märsche") oder lokale Aktionen ("Jesustag") lokal gebrochen werden kann. Die erforderlichen Kenntnisse über den Sitz und Machtbereich der Dämonen könne man durch "spiritual mapping", Aufspüren durch Gebet, feststellen.
Vgl.: http://www.religio.de/dialog/399/19_34-38.htm .
Weitere grundsätzliche Unterscheidungen zwischen dem ev.-luth. (und dem reformierten) Bekenntnis und allgemein-pfingstlerischen Lehren sollen hier einmal beiseite gelassen werden.
Im Übrigen haben die Lehren der "Gemeinde auf dem Weg" im Laufe der Jahre und Moden gewechselt. Dabei gab es auch selbstkritische Korrekturen wie etwa den Verzicht auf den anmaßend klingenden Namen "Philadelphia-Gemeinde" (in Offenbarung 3,7ff. ist die Philadelphia-Gemeinde die einzige der sieben Gemeinden ohne jeden Kritikpunkt) zu Gunsten des Namens "Gemeinde auf dem Weg".

Praktiken:
Aus den Sonderlehren folgen umstrittene Praktiken und problematische Verhaltensweisen. Diese werden u.a. vom Berliner Senat in seinen entsprechenden Berichten kritisiert:
 http://212.87.36.244/sekten/sekten_teil712.htm
Gegen ihre Aufnahme in diese Berichte ist die Gruppe um Dr. Margies gerichtlich vorgegangen, was ihr gutes Recht ist. In einem daraufhin erfolgten Gerichtbeschluß (VG 27 A 320.94) zur "Gemeinde auf dem Weg" heißt es zu dem Anlaß der Aufnahme dieser Gruppe in den Bericht des Senats: "Anlaß zur Aufnahme der Gemeinde auf dem Weg in die Informationsbroschüre war der vom Antragsgegner [Berliner Senat - TG] durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachte Umstand, daß bezüglich des Antragstellers ["Gemeinde auf dem Weg" - TG] 'nach Scientology die höchste Frequenz von Anfragen und Beratungsbedarf' besteht.



Jesus-Marsch in Berlin
Jesus-Marsch in Berlin
 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Bestätigt wird dies durch den Brief des Leiters der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen vom 9. Januar 1995, in dem dieser u.a. ausführt: '...Diese Gemeinde erzeugt einen erheblichen Informations- und Beratungsbedarf; wir erhalten hier mit großer Regelmäßigkeit Anfragen von Menschen, die mit dieser Gemeinde in Berührung gekommen sind...' Vor diesem Hintergrund besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an Informationen über den Antragsteller..."

Diese Senatsberichte sind hier nachzulesen:
http://www.senbjs.berlin.de/familie/sog_sekten_psychogruppen/risiken_und_nebenwirkungen_1.pdf  und
http://www.senbjs.berlin.de/familie/sog_sekten_psychogruppen/risiken_und_nebenwirkungen_2.pdf .
Bedarf einer Klarstellung von Seiten der Kirchen besteht, weil die Probleme, wie sie im Senatsbericht beschrieben worden sind, von Außenstehenden gern "den Christen" überhaupt zugeschrieben werden.
[Nur in Klammern sei die Kuriosität erwähnt, daß die Gruppe sich zwar mit charismatischem Anspruch gegen die "Amts"-Kirchen wendet, eine kirchliche Amtsbezeichnung ("Pastor") aber immer wieder einmal gern, aber auch mißbräuchlich (StGB 132 a) zur Bezeichnung ihrer Leitungspersonen verwendet.]

Ist die "Gemeinde auf dem Weg" eine christliche Sekte?
Ganz unabhängig von den in den Senatsveröffentlichungen beschriebenen Gefahren und Problemen stellt sich die "Gemeinde auf dem Weg" trotz zahlreicher Kontakte zu pfingstlerischen und charismatischen eher freikirchlichen Gemeinschaften theologisch-konfessionskundlich als eine christliche Sekte dar.
Ein theologischer Sekten- oder Häresiebegriff macht sich nämlich an der Lehre, nicht am Verhalten oder an der Struktur fest.
* Für uns Christen ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit Lehre und Konzepten unabdingbar, also die Verhältnisbestimmung zum christlichen Glauben und zu den klassischen christlichen Kirchen. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten, mit den Lehren, verhilft zu inhaltlicher Unterscheidung und befähigt zu echter Stellungnahme.
* Medien sind dagegen eher an "kriminellen", "unmoralischen" oder wenigstens "ordnungswidrigen" Praktiken von Kultanführern interessiert und am auffälligen oder bizarren Verhalten der Anhänger.
* Betroffene und Geschädigte sind verständlicherweise an der Beschreibung und Auseinandersetzung wegen äußerlichen, materiellen, körperlichen und psychischen Schäden interessiert.
Luther mahnte in solchem Zusammenhang: "Lehre und Leben sind zu unterscheiden. Das Leben ist böse bei uns wie bei den [anderen]; darum streiten und verdammen wir jene nicht um des Lebens willen. ...Andere haben nur gegen das Leben geeifert; aber von der Lehre handeln, das heißt der Gans an den Kragen gegriffen..." (Luther, Tischreden 1,624; 1533).

Stellungnahme:
Schon die Entstehung der Gemeinschaft ist bemerkenswert:
Man bittet den Hl. Geist zusammen mit der ganzen Gemeinde um Hilfe bei einer zu fällenden Entscheidung, die man in Wirklichkeit als Gruppe schon vorweg entschieden hat. Ein Vorgehen, das bei einer Gruppe, die dem Hl. Geist einen besonderen Stellenwert geben will, etwas merkwürdig berührt.
Auf dem Hintergrund ihrer Lehren gehört die Gemeinde auf dem Weg zu den christlichen Sekten. In der Gemeinde auf dem Weg wird der christliche Glaube durch verfälschende Irrlehren entstellt:
Mit den Dämonenlehren wird das freimachende Evangelium durch eine manchen ängstigende Drohbotschaft ersetzt. Und mit der Rhema-Lehre ("Wort des Glaubens") und der "Geistlichen Kriegsführung" tritt an die Stelle des frohmachenden Geschenks des Glaubens eine nur zunächst als "lockere" Erfahrungsreligiosität auftretende Leistungsreligion, die - wie die alte Verführung - verspricht, zu sein wie Gott, indem man sich durch das eigene "Wort des Glaubens" die eigene Wirklichkeit und das eigene Heil erschafft.

Literatur
D.R. McConnell: "A Different Gospel", Massachusetts 1988, deutsch: Ein anderes Evangelium? - Eine historische und biblische Analyse der modernen Glaubensbewegung, Hamburg 1990, ISBN 3-922-349-63-3 (Kritik vom pfingstlerischen Standpunkt)
Dialogcentret Aarhus: "Wort des Lebens-Gemeinden" und die "Wort des Glaubens-Lehre" Kritische Informationen aus christlicher Sicht in: Berliner Dialog 1/1995 S.18ff. http://www.religio.de/dialog/195/195s18.html
Zum Toronto-Segen und zur Geistlichen Kampfführung auch:
Andrea Strübind
: Die Toronto-Bewegung - Kriterien und Informationen zur Beurteilung des "Toronto-Segens" in: Berliner Dialog 2/1996, S.18ff. http://www.religio.de/dialog/296/296s18.html
Mark Meinhard: Quellen der Macht - Entscheidungsschlacht: Berlin! - Ein neueres Beispiel für die "Wiederentdeckung" der "Geistlichen Kriegsführung" in: Berliner Dialog 3/2000, S.20f. http://www.religio.de/dialog/300/22_20.htm
Thomas Kern: Geistliche Kriegsführung - Fundamentalistische Gesellschafts- und Glaubensvorstellungen in:
Berliner Dialog 3-4/1999, S.34 ff. http://www.religio.de/dialog/399/19_34-38.htm


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