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| BERLINER DIALOG 21, 2-2000 Michaelis ZUR DISKUSSION |
Eisbergstufen
"Es gibt die Wirklichkeit, und an der ist nicht zu rütteln. Wahrheit aber, nämlich in Worten ausgedrückte Meinungen über das Wirkliche, gibt es unzählige, und jede ist ebenso richtig wie sie falsch ist." |
Unter "Andere Klinisch Relevante Probleme" lässt sich im DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) die Kategorie V62.89 (Z71.8) "Religiöses oder Spirituelles Problem" mit folgender Kurzbeschreibung finden: "Diese Kategorie kann verwendet werden, wenn im Vordergrund der klinischen Aufmerksamkeit ein religiöses oder spirituelles Problem steht. Beispiele sind belastende Erfahrungen, die den Verlust oder das Infragestellen von Glaubensvorstellungen nach sich ziehen, Probleme im Zusammenhang mit der Konvertierung zu einem anderen Glauben oder das Infragestellen spiritueller Werte, auch unabhängig von einer organisierten Kirche oder religiösen Institution". |
In der Stufe I geht es vorwiegend um die Vermittlung von Hintergrundinformationen der jeweiligen Bewegung, wie Kultideologie, -hierarchie und -alltag sowie um einen Austausch zu spirituellen, religiösen, philosophischen, aber auch politischen Themen etc. Dazu ist es für den Beratenden/die Beratende notwendig zu ermitteln, mit welcher Kultkategorie er/sie es eigentlich zu tun hat (christlich-fundamentalistische Gruppierung, Gurubewegung, Psychokult oder esoterische Bewegung). | Kulthintergrund Religion Philosophie
Bewusstseinskontrolle Psychologische Theorien
Präkultphase Persönliche Motive und prädisponierende Faktoren
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Hierbei spielt auch das Konzept der sozialen Erwünschtheit eine Rolle, zumal es in Kulten absolut verbindliche Normen über gutes Verhalten oder positive Eigenschaften gibt. Die meisten Kulte argumentieren im Rahmen eines verabsolutierten, dichotomen Denkens im Sinne von entweder - oder, schwarz - weiß, gut - böse, drinnen - draußen. Die Regenbogenfarben zwischen schwarz und weiß können schließlich nicht mehr wahrgenommen werden; für Zwischentöne und Schattierungen findet sich kein Platz mehr. Von besonderer Bedeutung ist deshalb auch das Wissen darüber, welche persönlichen, negativen Folgen - laut Prophezeiung des Kultes - ein Austritt nach sich zieht. Als Folge dieser extremen, kognitiven Ausrichtung kann bei Kultmitgliedern im Laufe der Zeit eine sog. Ausstiegsphobie entstehen. Findet dennoch ein Ausstieg statt, lassen sich folglich o.g. Symptome in unterschiedlicher Form und Intensität beobachten.
In Stufe II sollte die Theorie der Bewusstseinskontrolle von Lifton (1963) erklärt sowie auf verschiedene sozial- bzw. wahrnehmungspsychologische Theorien näher eingegangen und auf den betreffenden Kult übertragen werden. Von Bedeutung sind hier z.B. die Theorien der Konformität nach Asch (1956), des Locus of Control (Rotter, 1966), der Attribution (Weiner, 1974), der Kognitiven Dissonanz (Festinger et al., 1956), der Forced Compliance (Festinger & Carlsmith, 1959), der erlernten Hilflosigkeit (Seligman, 1975), der Gehorsamkeitsbereitschaft gegenüber Autoritäten (Milgram, 1974), der Deindividuation (Zimbardo, 1969), der Self Fulfilling Prophecy (Merton, 1948) und der selektiven Wahrnehmung (Hernandez-Peon, 1966).
In Stufe III werden nun Motive und prädisponierende Faktoren analysiert, die für die Einmündung in den jeweiligen Kult verantwortlich gewesen sein könnten. Spätestens jetzt möchte der Klient/die Klientin erkennen, warum gerade er/sie diesen Weg eingeschlagen hat und warum es ihm/ihr nicht früher möglich war "Nein" zu sagen und einfach zu gehen. |
Dauerhafte Verarbeitung |
Dieter Rohmann, 40, Psychologie-Studium in Eichstätt, Diplom 1999, war 1979 für sieben Monate Mitglied bei den "Kindern Gottes". Anfang der 80er Jahre arbeitete er in einem Projekt für westliche Aussteiger in Goa/Indien mit Drogenabhängigen und psychisch gestörten Menschen. Seit 1984 ist er freiberuflich im Bereich totalitärer Bewegungen, sog. Sekten/Kulte aufklärend und beratend tätig. Von 1984 bis 1987 begleitete er den "Johanneshof e.V.", ein damals existierendes Rehabilitationszentrum für Kult-Aussteiger bei Bonn. Seit 1999 Mitarbeit an Konzeption und Aufbau des Kult-Rehabilitationszentrums "Odenwälder Wohnhof e.V.". (Foto: privat) |
Literaturverzeichnis American Psychiatric Association. (Hrsg.). (1998). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. DSM IV (2. Verbesserte Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Ash, S.E. (1956). Studies of independence and conformity. A minority of one against a unanimous majority [Themenheft]. Psychological Monographs, 70. Festinger, L., Riecken, H.W. & Schachter, S. (1956). When prophecy fails. New York: Harper & Row. Festinger, L. & Carlsmith, J.M. (1959). Cognitive consequences of forced compliance. Journal of Abnormal and Social Psychology, 58, 203-210. Giambalvo, C. (1993). Post cult problems. An exit counselor´s perspective. In M.D. Langone (Hrsg.), Recovery from cults. New York: Norton & Company. Hernandez-Peon, R. (1966). Physiological mechanisms in attention. In R.W. Russel (Hrsg.), Frontiers in physiological psychology. New York: Academic Press. Lifton, R.J. (1963). Thought reform and the psychology of totalism. New York: Norton & Company. Merton, R.K. (1948). The self-fulfilling prophecy. The Antioch Review, 8, 193-210. Milgram, S. (1974). Obedience to authority. New York: Harper & Row. Rotter, J.B. (1966). Generalized expectancies for internal versus external control of reinforcement [Themenheft]. Psychological Monographs, 80. Seligman, M.E.P. (1975). Helplesness. On depression, development and death. San Francisco: Freeman. Weiner, B. (Hrsg.). (1974). Achievement motivation and attribution theory. Morristown: General Learning Press. Zimbardo, P.G. (1969). The human choice. Individuation, reason, and order versus deindividuation, impulse and chaos. In W.D. Arnold & D. Levine (Hrsg.), Nebraska symposum on motivation. Lincoln: University of Nebraska Press. |
des Christenfestes
2. Auflage, München 1994, 9,80 DM zuzüglich Porto
80971 München Fax: 089 / 641 41 52
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