Seite 27 weiter Seite 28 ( 26 KB) Start-Seite 1

OSTEN

BERLINER DIALOG 15, 4-1998 - Epiphanias

Neue Religionsgesetze im Osten
Unterschiedliche Erfahrungen und Positionen

Nicht nur in Rußland, sondern auch in anderen osteuropäischen und asiatischen Ländern besteht die Notwendigkeit, die neue Wirklichkeit der Religionsfreiheit gesetzlich zu regeln und zu strukturieren. Dabei werden in den einzelnen Ländern unterschiedliche Wege beschritten und von den beteiligten Kirchen und Religionsgemeinschaften unterschiedliche Erfahrungen gemacht - und zum Teil sehr unterschiedliche Positionen bezogen. Wir berichten weiter und bitten um Mithilfe bei der Berichterstattung. - Red.

Lettland: Probleme für die klassischen Kirchen
Aus einem Interview mit Erzbischof Jänis Vanags
Vom 13. Bis 20. Mai 1998 besuchte der Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands (ELKL), Jänis Vanags, die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens. Diese Kirche ist neben der Nordelbischen EvangelischLutherischen Kirche die zweite Partnerkirche der ELKL in Deutschland.

Zur Zeit hat seine Kirche, die ELKL, 304 Gemeinden, 101 ordinierte Pfarrer und eine größere Zahl von Laienpredigern. Die zwei großen Kirchen neben der Lutherischen Kirche in Lettland sind die römisch-katholische Kirche mit etwa zweihundert Gemeinden und die orthodoxe Kirche mit etwa einhundert Gemeinden.
Für das Gustav-Adolf-Blatt, die Diasporazeitschrift des Gustav-Adolf-Werkes (GAW) sprach Maaja Pauska mit Bischof Jänis Vanags. Wir übernehmen einen unsere Leserinnen und Leser interessierenden Auszug aus diesem Interview in Nr. 3/98 des GAB mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Gustav-Adolf -Blattes.

GAB: Am 6. März dieses Jahres ist in Lettland das Gesetz über religiöse Organisationen in Kraft getreten. Sind damit alle Beziehungen zwischen Kirche und Staat geregelt?

Jänis Vanags

Jänis Vanags, geb. am 25. Mai 1958 in Liepäja; 1982 Diplom-Chemiker der Universität in Riga; 1982-1985 Chemielehrer; in dieser Zeit wurde er getauft und begann ein Fernstudium am Theologischen Seminar in Riga. Wegen seiner kirchlichen Aktivitäten wurde er entlassen, arbeitete mehrere Monate als Fensterputzer im Hauptbahnhof von Riga und im Abwasserreinigungsbetrieb.
8. Dezember 1985 Ordination; 1986-1993 Gemeindepfarrer in Saldus; 1993 Wahl zum Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands
(Erzbischof von Riga).
Foto: Hans Wähner

Bischof Vanags: Eigentlich ist dieses Gesetz schon mehrere Jahre in Kraft, jetzt wurden nur einige unbedeutende Veränderungen vorgenommen, die das Hauptproblem überhaupt nicht lösen: In Lettland gelten für alle etwa 120 als religiöse Organisationen registrierte Gruppen dieselben gesetzlichen Regelungen. Das Problem für die großen Kirchen besteht darin, daß alle Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat sich an den kleinen religiösen Gruppen orientieren. Zudem ist das Gesetz auch sehr ungenau. Man spricht z.B. nicht von Kirchen, sondern von Konfessionen. Der lutherischen Konfession wird, wie auch der katholischen, altgläubigen und baptistischen, das Recht zugestanden, an der Schule Religionsunterrricht zu geben. Da nun aber nicht die verfaßte Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands die Genehmigung dafür hat, sondern die lutherische Konfession, können auch verschiedene Sekten, wie z.B. Scientologen, sich als freie lutherische Gemeinde registrieren lassen und in den Schulen unterrichten.

Estland
Rat Estnischer Kirchen protestiert gegen Gesetzesvorlage über Kirchen und Gemeinden
Am 26. Mai 1998 wurde auf einer Sitzung der estnischen Regierung erneut die Gesetzesvorlage über Kirchen und Gemeinden besprochen und geändert. Anlaß dazu war die heftige Kritik verschiedener Kirchen in Estland gegen Paragraph 9 des Entwurfes. Danach sollte den Kirchen, die schon vor dem 16. Juni 1940 in Estland existierten, das Recht zugesprochen werden, mit dem Staat einen Vertrag zu schließen und einen öffentlich-rechtlichen Status zu erhalten. Das beträfe die römisch-katholische Kirche, die Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche (EELK) sowie die Estnische RussischOrthodoxe Kirche. Bislang hat ausschließlich die römisch-katholische Kirche diesen Status, alle anderen Kirchen fungieren als gemeinnützige Vereinigungen. Insgesamt gibt es in Estland etwa 80 unterschiedliche Kirchen und Gemeinden. Der Rat Estnischer Kirchen, dem die EELK, der Bund der Evangeliumschristen und Baptisten, die römisch-katholische Kirche, die Methodistenkirche, der Bund der Adventisten und die Gemeinde des hl. Gregorius der Armenischen Apostolischen Kirche angehören, hatte gegen die Gesetzesvorlage protestiert, da nicht alle sieben Mitgliedskirchen des Rats einen öffentlich-rechtlichen Status erhalten würden und daher mit dem Gesetz einige Kirchen entscheidende Vorteile bzw. sogar eine Monopolstellung, z.B. in der Sozialarbeit oder im Religionsunterricht, erhalten würden. Als einziges Mitglied des Rates hatte sich die EELK nicht an dem Protest beteiligt. Nicht zuletzt aufgrund dieses Protestes wurden die umstrittenen Artikel aus Paragraph 9 gestrichen und die geänderte Gesetzesvorlage dem Parlament zur Diskussion vorgelegt. (Quelle: "Eesti Kirik" nach Gustav-AdolfBlatt 3/98)

Usbekistan
Neues Religionsgesetz in Usbekistan beschlossen
Am 15. Mai 1998 ist in der Republik Usbekistan ein neues Religionsgesetz in Kraft getreten. Es stellt die evangelisch-lutherischen Gemeinden in Usbekistan sowie die Eparchie der Evangelisch-Lutherischen Gemeinden in Usbekistan vor große Probleme. Nach Artikel 8 des neuen Gesetzes sind zur Gründung einer religiösen Organisation (z.B. Gemeinde) nunmehr "nicht weniger als einhundert Einwohner der Republik Usbekistan" erforderlich. Bislang waren dafür zehn Einwohner ausreichend. Die neuen Bedingungen erfüllt gegenwärtig nur die Gemeinde in Taschkent. Den anderen, kleineren Gemeinden wird damit die Existenzgrundlage entzogen, denn nur im Rahmen einer registrierten religiösen Organisation sind die gemeinsame Glaubensausübung und die Durchführung von Gottesdiensten erlaubt. Zur Gründung eines zentralen Verwaltungsorgans (z.B. Eparchie) sind nach dem neuen Gesetz acht religiöse Organisationen (z.B. Gemeinden) notwendig, die "in nicht weniger als acht verschiedenen territorialen Einheiten funktionieren". Diese Voraussetzung ist seitens der evangelisch-lutherischen Kirche nicht erfüllt und wird auch in Zukunft nicht erfüllbar sein. Bislang hatte es eine derartige Regelung nicht gegeben. Außer der russisch-orthodoxen Kirche kann keine der in Usbekistan existierenden christlichen Konfessionen die im neuen Gesetz festgeschriebenen Bedingungen erfüllen.

Proteste gegen das neue Religionsgesetz in Usbekistan
Die außerordentliche Synode der Evangelisch-Lutherischen Gemeinden in Usbekistan am 6. Juni 1998 wandte sich an den Präsidenten und den Oli Mashlis (= Parlament) der Republik Usbekistan mit der Bitte, daß in Artikel 8 zu den Bestimmungen des alten Religionsgesetzes zurückgekehrt werden möge. Ähnliche Eingaben sind von seiten der jüdischen Gemeinden, der römisch-katholischen Gemeinden, der Baptisten und der Adventisten erfolgt. Vertreter verschiedener Religionen, Konfessionen und Denominationen der Republik Usbekistan haben in einer gemeinsamen Erklärung an den Präsidenten der Republik Usbekistan die Änderung des Artikels 8 gefordert. Auch der Bischof der ELKRAS, Georg Kretschmar, und der Bischöfliche Beauftragte für Mittelasien, Stefan Reder, wandten sich an verschiedene staatliche Stellen, um eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen. Bislang liegen weder vom Präsidenten noch vom Parlament offizielle Antworten vor. Sofern das Gesetz in Kraft bleibt, muß die Neuregistrierung der Gemeinden bis zum 15. August 1998 erfolgt sein. Wenn dies nicht geschieht, verlieren die Gemeinden dann ihre rechtliche Grundlage. (Quelle: Gustav-Adolf-Blatt 3/1998)


Seite 27 weiter Seite 28 ( 26 KB)
Anfang

Start-Seite 1