Tod im Wald
Hendrik M. ist ein Mörder. Anfang September wurde der 22jährige auf Bewährung entlassen, nachdem er zwei Drittel seiner achtjährigen Haftzeit verbüßt hatte. Jetzt redet er erstmals öffentlich über die Tat und ihre Folgen. Im April 1993 hatte er mit zwei anderen Gymnasiasten aus dem thüringischen Sondershausen den 15jährigen Mitschüler Sandro Beyer brutal erdrosselt. Als bekannt wurde, daß Hendrik M. und seine Klassenkameraden Sebastian S. und Andreas K. sich die "Kinder des Satans" nannten, wurde der Mord zum Medienspektakel. Die Clique um die Amateurband "Absurd" huldigte damals einem selbstinszenierten "Satanismus" und machte sich mit düsteren Songs wichtig, die vom "Tod im Wald" und "Zyklon B" handelten. Sandro wollte sich ihnen anschließen und hatte, als er abgewiesen wurde, abfällige Gerüchte über die "schwarze Elite" verbreitet. Seine Mitschüler töteten ihn, so das Gericht in seinem Urteil vom Februar 1994, weil sie wegen der "ständigen Beschäftigung mit Satanismus, Horrorvideos und Black Metal""die "Achtung vor der Würde des Menschen verloren hatten". Der Richter empfahl ihnen, sich in der Haft mit ihrer Tat auseinanderzusetzen.
Fünf Jahre im Gefängnis haben die Gruppe zerbrochen, und jeder muß seinen Weg zurück in die Gesellschaft finden. Unterschiedliche Wege, wie es im Moment aussieht. Sebastian S. studiert mittlerweile in Dresden; Andreas K. hat Freundin und Beruf gefunden. Mit Hendrik wollen beide offenbar nichts mehr zu tun haben - und er nicht mit ihnen. Seit der Haftentlassung wohnt Hendrik M. wieder bei seinen Eltern. "Ich habe außer meinen Angehörigen niemanden hier draußen", sagt er. "Der Knast", versucht er eine Erklärung, "ist eine künstliche Welt. Man verliert den Bezug zu den Altersgenossen."
Vielleicht deshalb klammert er sich stark an die "schwarze Szene" um den Black Metal, eine aggressive Musikrichtung mit provokanten Texten über Tod und Teufel. Und die Szene hofiert ihn. Die vor dem "Satansmord" kaum bekannte PennälerBand "Absurd" genießt heute in der Szene Kultstatus - und Hendrik M. ist ein Star. Der schlaksige, gehemmte Junge bedient immer wieder das Klischee vom bösen, gewalttätigen "Satanisten".
"Kirchenbrandstiftung, Friedhofsverwüstung, Mord"
Vor wenigen Wochen brachte ein kleiner Verlag aus Hessen einen "Almanach des deutschen Black Metal" heraus, in dem sich die härtesten Bands des Satansrock per Interview selbst vorstellen. "Nun, am 29. April 93 entschlossen wir uns, dem Leben eines lebensunwerten Geschöpfes ein Ende zu setzen", erzählt Hendrik M. dort unter seinem Szenenamen Jarl Flagg Nidhögg. "So ist es geschehen... Damit endete die erste Epoche für Absurd." Ein paar Zeilen später führt er aus, wie er sich die Zukunft dieser "Schicksalsgemeinschaft" vorstellt. "Würde es nicht akut gegen bundesdeutsche Strafgesetze verstoßen, dann hätte wir schon längst aufgerüstet mit allen legal oder illegal erhältlichen Mordwerkzeugen, doch was zählen schon 'Gesetze' im Reich von Absurd? Make war, not love!" Im übrigen begrüßt der Junge "jede Aktion, die sich gegen die jüdisch-christliche Fremdherrschaft auf germanischem Boden" richte insbesondere "Kirchenbrandstiftung, Friedhofsverwüstung und Mord", wie sie "derzeit von Szene-Aktivisten begangen" würden.
Erklärungen fallen schwer. Im Elternhaus wurde Hendrik M. antiautoritär und christlich erzogen, bewußt gegen die Verbote und Tabus der DDR. Dann kam der Mord, und dann das Gefängnis. Ingo Weidenkaff, sein Sozialarbeiter, ist "entsetzt über Hendriks Entwicklung. Ich habe ihn sehr nachdenklich erlebt und dachte, im Gefängnis sei etwas in Gang gekommen."
Seit etwa drei Jahren berichten die Zeitungen in Thüringen und Sachsen immer öfter über geschändete Friedhöfe und Anschläge auf Kirchen. Die Täter sind meist Jugendliche, die sich als Satanisten und Anhänger des Black Metal verstehen. Das Vorbild für solche Taten heißt Varg Vikernes, Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band "Burzum". Vikernes, der früher mal "Diktator von Skandinavien" werden wollte, gilt als Leitfigur der radikalisierten Subkultur, seitdem er 1991 dazu aufrief Kirchen anzuzünden und 1994 wegen Mordes an einem SzeneRivalen zu 21 Jahren Haft verurteilt wurde. Der blonde Musiker avancierte zu einer Art Pop-Ikone, der seine Botschaften vom "Krieg gegen die Christen" per CD aus dem Knast verbreitet. Doch seit die Polizei einen weiteren Mörder und diverse Kirchenbrandstifter aus einem "Circle of Black Metal" dingfest machte, hat sich die Szene in Norwegen beruhigt.
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