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BERLINER DIALOG 15, 4-1998 - Epiphanias

Satanistische Ideologie soll Beziehungstat rechtfertigen
"Das sind so Sachen, wo man ein gewisses Selbstwertgefühl kriegen kann"
von Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck

Fünf Jahre nach dem Sondershauser Schüler-Mord in Verbindung mit der "satanistisch" posierenden Amateur-Band "Absurd" sind die jugendlichen Täter frei. Einer der Täter läßt sich nun in der rechten und satanistischen Musik-Szene als Held feiern und identifiziert sich mit seiner Tat.

Erfurt, im November 1998. Hendrik M. ist ein blasser Junge, dessen Augen mal flink und wach, dann plötzlich wie erloschen wirken. Wir treffen ihn im Büro eines Erfurter Sozialarbeiters, der sich um Hendrik M. kümmert, seit er im Gefängnis saß.
"Dort, wo ich herkomme", erzählt er in gedrechseltem Deutsch, "wäre es nicht opportun gewesen, meine Einstellung publik zu machen." Und dann sagt der junge Mann, der sich nach eigenem Bekunden auf seine Intelligenz einiges einbildet, in ruhigem Plauderton: "Ich weiß ja nicht, ob man in der Nazizeit bestraft worden wäre, wenn man Volksschädlinge unschädlich gemacht hätte."

Tod im Wald
Hendrik M. ist ein Mörder. Anfang September wurde der 22jährige auf Bewährung entlassen, nachdem er zwei Drittel seiner achtjährigen Haftzeit verbüßt hatte. Jetzt redet er erstmals öffentlich über die Tat und ihre Folgen. Im April 1993 hatte er mit zwei anderen Gymnasiasten aus dem thüringischen Sondershausen den 15jährigen Mitschüler Sandro Beyer brutal erdrosselt. Als bekannt wurde, daß Hendrik M. und seine Klassenkameraden Sebastian S. und Andreas K. sich die "Kinder des Satans" nannten, wurde der Mord zum Medienspektakel. Die Clique um die Amateurband "Absurd" huldigte damals einem selbstinszenierten "Satanismus" und machte sich mit düsteren Songs wichtig, die vom "Tod im Wald" und "Zyklon B" handelten. Sandro wollte sich ihnen anschließen und hatte, als er abgewiesen wurde, abfällige Gerüchte über die "schwarze Elite" verbreitet. Seine Mitschüler töteten ihn, so das Gericht in seinem Urteil vom Februar 1994, weil sie wegen der "ständigen Beschäftigung mit Satanismus, Horrorvideos und Black Metal""die "Achtung vor der Würde des Menschen verloren hatten". Der Richter empfahl ihnen, sich in der Haft mit ihrer Tat auseinanderzusetzen.
Fünf Jahre im Gefängnis haben die Gruppe zerbrochen, und jeder muß seinen Weg zurück in die Gesellschaft finden. Unterschiedliche Wege, wie es im Moment aussieht. Sebastian S. studiert mittlerweile in Dresden; Andreas K. hat Freundin und Beruf gefunden. Mit Hendrik wollen beide offenbar nichts mehr zu tun haben - und er nicht mit ihnen. Seit der Haftentlassung wohnt Hendrik M. wieder bei seinen Eltern. "Ich habe außer meinen Angehörigen niemanden hier draußen", sagt er. "Der Knast", versucht er eine Erklärung, "ist eine künstliche Welt. Man verliert den Bezug zu den Altersgenossen."
Vielleicht deshalb klammert er sich stark an die "schwarze Szene" um den Black Metal, eine aggressive Musikrichtung mit provokanten Texten über Tod und Teufel. Und die Szene hofiert ihn. Die vor dem "Satansmord" kaum bekannte PennälerBand "Absurd" genießt heute in der Szene Kultstatus - und Hendrik M. ist ein Star. Der schlaksige, gehemmte Junge bedient immer wieder das Klischee vom bösen, gewalttätigen "Satanisten".

"Kirchenbrandstiftung, Friedhofsverwüstung, Mord"
Vor wenigen Wochen brachte ein kleiner Verlag aus Hessen einen "Almanach des deutschen Black Metal" heraus, in dem sich die härtesten Bands des Satansrock per Interview selbst vorstellen. "Nun, am 29. April 93 entschlossen wir uns, dem Leben eines lebensunwerten Geschöpfes ein Ende zu setzen", erzählt Hendrik M. dort unter seinem Szenenamen Jarl Flagg Nidhögg. "So ist es geschehen... Damit endete die erste Epoche für Absurd." Ein paar Zeilen später führt er aus, wie er sich die Zukunft dieser "Schicksalsgemeinschaft" vorstellt. "Würde es nicht akut gegen bundesdeutsche Strafgesetze verstoßen, dann hätte wir schon längst aufgerüstet mit allen legal oder illegal erhältlichen Mordwerkzeugen, doch was zählen schon 'Gesetze' im Reich von Absurd? Make war, not love!" Im übrigen begrüßt der Junge "jede Aktion, die sich gegen die jüdisch-christliche Fremdherrschaft auf germanischem Boden" richte insbesondere "Kirchenbrandstiftung, Friedhofsverwüstung und Mord", wie sie "derzeit von Szene-Aktivisten begangen" würden.
Erklärungen fallen schwer. Im Elternhaus wurde Hendrik M. antiautoritär und christlich erzogen, bewußt gegen die Verbote und Tabus der DDR. Dann kam der Mord, und dann das Gefängnis. Ingo Weidenkaff, sein Sozialarbeiter, ist "entsetzt über Hendriks Entwicklung. Ich habe ihn sehr nachdenklich erlebt und dachte, im Gefängnis sei etwas in Gang gekommen."
Seit etwa drei Jahren berichten die Zeitungen in Thüringen und Sachsen immer öfter über geschändete Friedhöfe und Anschläge auf Kirchen. Die Täter sind meist Jugendliche, die sich als Satanisten und Anhänger des Black Metal verstehen. Das Vorbild für solche Taten heißt Varg Vikernes, Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band "Burzum". Vikernes, der früher mal "Diktator von Skandinavien" werden wollte, gilt als Leitfigur der radikalisierten Subkultur, seitdem er 1991 dazu aufrief Kirchen anzuzünden und 1994 wegen Mordes an einem SzeneRivalen zu 21 Jahren Haft verurteilt wurde. Der blonde Musiker avancierte zu einer Art Pop-Ikone, der seine Botschaften vom "Krieg gegen die Christen" per CD aus dem Knast verbreitet. Doch seit die Polizei einen weiteren Mörder und diverse Kirchenbrandstifter aus einem "Circle of Black Metal" dingfest machte, hat sich die Szene in Norwegen beruhigt.

Lords of Chaos
Ganz anders in Deutschland. "Ich traue diesen Jungs alles zu, die sind echt gefährlich", sagt ein sächsischer UndergroundSpezialist, der seinen Namen aus Furcht vor "den Verrückten" nicht genannt haben will. Und Hendrik M. erklärt, er bewundere Vikernes und habe auch schon mit dem norwegischen Messer-Mörder korrespondiert, dessen rabiate Sprüche er "sehr interessant" finde.
Noch während der Haftzeit erschien eine "Absurd"-CD, deren Cover ein Foto der von Vikernes abgebrannten Farrtoft-Kirche ziert; eine Kassette zeigt den Grabstein des ermordeten Sandro Beyer. Im Internet werden die "Absurd"-Werke derweil unter dem Signum angepriesen: "Die Band, deren Mitglieder wegen Mordes im Knast saßen!" Diesen Mythos bedient auch das kürzlich in den USA publizierte Buch "Lords of Chaos" des norwegisch-amerikanischen Autorenduos Didrik Söderlind und Michael Moynihan. Es erzählt den "blutigen Aufstieg des satanischen Metal-Undergrounds". Auf dem Bucheinband werden fünf Mörder, Selbstmörder oder Psychopathen mit Foto zu Helden der Subkultur stilisiert. Neben Varg Vikernes ist Hendrik M. abgebildet. Er ist darauf sehr stolz. "Das sind so Sachen", sagt er, "wo man ein gewisses Selbstwertgefühl kriegen kann." Ein ganzes Kapitel des Buches haben die Autoren dem deutschen Black metal gewidmet, der lange Zeit ein Dasein "im verborgenen" geführt habe - bis zum Mord an Sandro Beyer. Damit hätten die deutschen Black-Metaller bewiesen, daß sie wie die Norweger ihre Ideen "ohne Furcht vor den Folgen" in die Tat umsetzten. Die "Absurd"-Musiker hätten versucht, ihre fehlendes Können durch die "Exekution der traurigen Figur Sandro Beyer wettzumachen." Hauptattraktion von "Lords of Chaos" ist ein Elf-SeitenInterviews mit Hendrik M., das er 1997 gab, per Post aus dem Knast, offenbar an der Briefzensur vorbei. Darin läßt er sich ausführlich über den Mord an Sandro Beyer aus.

Gemeiner Mord als archaisches Opferritual ideologisiert
"Wir", schreibt er und vereinnahmt ohne zu zögern die "Absurd"-Genossen von einst, "wir haben stets klargestellt, wie wir mit so jemandem umgehen werden.... Im Rückblick kann ich sagen, daß wir ein archaisches Opferritual durchführten: Zuerst wurde Sandro mit einem Messer getroffen, dann erdrosselt und danach in der Erde begraben." Da aber ständig Menschen stürben, gebe "es keinen Grund, um diesen einen Mord einen großen Wirbel zu machen". Hendrik M. führt aus: "Wir haben keinerlei Gewissensbisse, daß es mit Sandro seit über vier Jahren vorbei ist." Und zitiert das Motto der Waffen-SS: "Den Tod geben und den Tod empfangen."
Mit dem Interview konfrontiert, rutscht Hendrik M. unruhig auf seinem Stuhl herum. Er lächelt schief, dann wird sein Blick starr, als er zugibt: "Das habe ich alles so gesagt. Aber ich dachte, das Buch ist nur für den amerikanischen Markt."
Tatsächlich war es mühelos über den deutschen Buchhandel erhältlich. "Ich kann verstehen, daß mich Sandros Eltern hassen", sagt Hendrik M. Sonst nichts. Dafür liefert er die Erklärung für seine Macht-Phantasien gleich mit: "Im Knast ist man vollkommen ausgeliefert. Man entwickelt Ohnmachtsgefühle." Daß die Neonazi-Sprüche mit der gleichen Erfahrung zu tun haben könnten, streitet er ab. Originell sind sie jedenfalls nicht. Sein Vorbild Varg Vikernes hatte sich vor der Verhaftung militanten Rechtsradikalen angeschlossen und predigt seitdem den Kampf "für Satan und Hitler". "Wir sind tief verankert in einer Blut-und-BodenIdeologie", läßt sich Hendrik M. von den Buchautoren zitieren. Er sei "stolz, reinen deutschen Ursprungs zu sein, weil wir die Deutschen als Creme de la Creme der weißen Rasse ansehen". Die Band "Absurd" rechnet er zur "arischen Elite", die beim Aufbau einer neuen "arischen Gesellschaft" in der ersten Linie stehe.
Der junge Mann, der genau das preist, was er im Gefängnis erlebte - Härte, Kälte, Gefühllosigkeit -, weiß im Gespräch genau, womit er sich strafbar machen könnte. Dann entzieht er sich "aus einem gewissen taktischen Kalkül heraus" mit geschickten Formulierungen oder schweigt.

Bewährung gefährdet?
Beredter ist die Sprache vieler BlackMetal-Postillen wie "Infernus" oder "Dämonium Aeturnus", die mit Hakenkreuzen, Totenköpfen und Werbung für Hitlers "Mein Kampf" provozieren. Wer im Internet nach dem Bandnamen "Absurd" sucht, stößt auf Musikagenturen wie "Wolfenstein Records" oder "Darker than Black", hinter denen sich Hendrik M.'s älterer Bruder Ronald verbergen soll. Querverweise führen zu Neonazi-Datenbanken.
"Hendrik und Ronald M. versuchen gerade, die Black-Metal-Szene nazimäßig zu organisieren", sagt der UndergroundExperte, der seinen Namen nicht nennen will. "Und in Thüringen haben sie sogar Erfolg." Im Sommer habe er die "Wolfenstein"-Leute mit T-Shirts gesehen, auf denen SS-Runen und der Spruch prangten: "Support your local Einsatzkommando". Offenbar erlebt sich Hendrik M. in seinen Träumen als Mitglied einer geheimen Elite. "Ja", bestätigt er, "das würde gewissen Neigungen von mir entgegenkommen." Auf einem Metal-Konzert im thüringischen Behringen stürmte er vor einem Monat mit seinem Bruder und einer Horde "Hammer-Skins" auf die Bühne. "Sie waren total besoffen, hoben die Hand zum Hitlergruß und forderten alle auf, Heil Hitler zu brüllen", erzählt ein Augenzeuge. Doch nur wenige Fans wollten beim "deutschen Gruß" mittun. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des "Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole". "Wenn das alles stimmt, könnte Hendriks Bewährung gefährdet sein", sagt Markus Bechtesheimer vom Justizministerium in Erfurt. Jugendliche aus Erfurt erzählen, Hendrik M. tauche öfter im Metal-Club "Domizil" auf. Dann sei er oft betrunken und agitiere militant.
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren übernommen aus Berliner Zeitung Nr. 280, 1. Dezember 1998

Widerruf der Bewährung abgelehnt
Nach einer dpa-Meldung vom 14. Januar 1999 bleibt der heute 22jährige Hendrik M. vorerst in Freiheit. Das Amtsgericht Erfurt habe den Antrag der Staatsanwaltschaft Mühlhausen auf Widerruf der Bewährung abgelehnt, berichtet der Amtsgerichtspräsident Rudolf Lass der Nachrichtenagentur auf Anfrage. Die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen habe aber bereits Beschwerde gegen die Entscheidung angekündigt, sagte der Amtsgerichtspräsident.

Liane von Billerbeck, 40, studierte Journalistik in Leipzig und war Kulturredakteurin bei der Neuen Berliner Illustrierten und beim extramagazin. Sie arbeitet jetzt als freie Journalistin, u. a. als Hörfunk- und Fernsehmoderatorin für den ORB.

Frank Nordhausen, 41, arbeitet nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Berlin als Journalist und forscht über den geheimnisvollen deutsch-mexikanischen Schriftsteller B. Traven.

Liane Billerbeck, Frank Nordhausen


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