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BERLINER DIALOG 18-19, 3/4-1999 - Epiphanias 2000

KORRESPONDENTENBERICHTE

Ein Brief aus London
von Ursula MacKenzie

Es gibt von der Sektenszene in England am Ende des Jahres 1999 nichts zu berichten, was man als sehr dramatisch bezeichnen könnte: Keinen Massenselbstmord, keine Rekordleistung in Massenhochzeiten u. dgl. Es besteht aber kein Mangel an Information über Gruppen, die man, höflich ausgedrückt, als bizarr - oder etwas deutlicher - als völlig durchgedreht beschreiben könnte.

Jasmuheen und ihre Breatharians
Ein solches Unternehmen sind die sogenannten Breatharians, geleitet von Ellen Greve aus Australien. Es soll 5000 Mitglieder geben, die alle glauben, sie könnten erreichen, nur von Licht und Luft und ohne jegliche andere Nahrung zu leben. Nicht zu Unrecht meint Mrs. Greve - Kultname Jasmuheen - daß so ein Lebensstil Billionen von Dollars sparen und die Ernährungskrisen der Welt schlagartig beseitigen könnte. Von so einer Patentlösung hat sicher schon mancher Verantwortliche geträumt, der fast verzweifelt, wenn wieder irgendein Naturereignis oder Krieg die Ernte ganzer Länder vernichtet.

Aber Träume sind bekanntlich Schäume, und die Behauptung von Mrs. Greve, daß sie seit 1993 nur Kräutertee, Saft und gelegentlich einen Keks zu sich genommen hätte, läßt sich schwer nachprüfen.

Eine beweisbare Tatsache ist dagegen, daß Verity Linn, 48, eine Jüngerin von "Jasmuheen" und ebenfalls aus Australien, tot aufgefunden wurde, nachdem sie mit Zelt auf einem Berg in Nord-Schottland den dreiwöchigen Fastenkurs der Breatharians - eine Art Probetest - durchzuhalten versuchte. Ein Sprecher für die Findhorn Community, wo Verity Linn zuletzt lebte und angestellt war, distanzierte sich von den Breatharians. Deren Leiterin lehnte ihrerseits jede Verantwortung für Verity ab. Man müßte in Kontakt mit DOW (Divine One Within) sein, um von Licht leben zu können, was wohl andeuten sollte, daß bei Verity dieser Kontakt fehlte.

Mrs. Greve plant eine Vortragsreihe durch Britannien im kommenden November. Im Mai hatte sie 400 Zuhörer in St. James's Church (!), Piccadilly, dem umstrittenen New-Age-Versammlungsort.

Feuerläufer
Im Juli war Wales - oder genauer gesagt, die Cardiff International Arena - der Schauplatz für eine Wochenendvorstellung von Anthony Robbins, New-Age-Prophet für positives Denken und Feuertreten. Ein enthusiastisches Publikum von 3000 Teilnehmern, die je 600 Pfund (etwa 1800,- DM) bezahlt hatten, wurde von Mr. Robbins von der Bühne aus 10 bis 12 Stunden lang bearbeitet. Nach etwa 6 Stunden waren alle ekstatisch genug, um mit leuchtenden Augen und ohne Schuhe und Strümpfe über die auf dem Parkplatz angelegten 2m-langen "Beete" von glühenden Kohlen zu laufen, allerdings nicht ohne vorhergehende Selbstsuggestion durch Chanten von "cool moss, cool moss, cool moss" (kühles Moos).
Was die Teilnehmer dabei gewannen, ist nicht leicht zu sagen. Bei Mr. Robbins ist es ein klarer Fall: ungefähr 5 Millionen DM!

Scientology
Daß alte Bekannte noch im Gelände sind, wurde im Juli jedem bewußt, der mit der Londoner U-Bahn fuhr: Überall in dem weitläufigen Netzwerk von Tunnelverbindungen und neben den Rolltreppen sah man riesige Plakate mit Scientology-Werbung. Strahlende junge Gesichter guckten einen an, begleitet von dem Schlagwort: "Scientology gave me the confidence to believe in myself" (Scientology gab mir Selbstvertrauen). Darunter stand: "Besucht die 'What is Scientology' Ausstellung".

Ähnliches wurde einem in Piccadilly Circus in Leuchtreklame geboten. Die Kosten haben wahrscheinlich das Cardiff-Einkommen von Mr. Robbins noch überschritten.

Siegerin Bonnie Woods
Eine weitere Summe von 55.000 Pfund, diesmal für Schadenersatz, mußte Scientology zahlen, als Ex-Scientologin Bonnie Woods im Juni endlich eine 6-Jahre alte Verleumdungsklage gewann. Dazu kamen die sicher auch stattlichen Gerichtskosten.
Bonnie Woods war jahrelang Scientologin in Amerika. Sie trat 1982 aus und kam mit ihrem Mann Richard nach England, wo sie später Beratung für Eltern und Betroffene betrieb. Ihr Wohnsitz war und ist noch in East Grinstead, gewissermaßen "im Auge des Sturmes"; denn diese Stadt wimmelt von Scientologen wegen der direkten Nachbarschaft von Saint Hill Manor, dem Hauptquartier der Gruppe.

Als Scientologen eine Haßkampagne gegen sie veranstalteten, in die sie Freunde und Nachbarn mit einbegriffen, wurden sie 1993 von Bonnie verklagt. Zu der finanziellen Abfindung kam erstaunlicherweise auch noch etwas für Scientology sehr seltenes: eine Entschuldigung.

Man kann dem Ehepaar Woods zu dem guten Ausgang des Falles gratulieren, aber auch zu ihrem über die Jahre gezeigten Mut und der bewunderswerten Ausdauer.

MacKenzie

Ursula MacKenzie


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