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BEITRÄGE
Neue religiöse Bewegungen
Man muß wohl nicht mehr eigens begründen, daß die "Neuen religiösen Bewegungen" (NRB) in ihrer schillernden Unübersichtlichkeit auf dem Areopag der heutigen Kultur in sehr deutlicher Weise die Globalisierung von Religion zum Ausdruck bringen. Dies gilt sicher zunächst geographisch, wobei man nach dem Muster einer reziproken Durchdringung der Elemente im Yin-Yang Symbol von einer Präsenz des Christentums in allen Kulturen der Welt und gleichzeitig von einer virtuellen Präsenz aller Religionsformen der Welt in jeder lokalen Gemeinde ausgehen kann. Aber auch in diachroner Dimension wird man sagen können, daß alle historischen Religionsformen gleichzeitig präsent sind. Damit sind die früheren religionsgeschichtlichen Theorien von einer Evolution der Religionen von 'primitiven' zu 'Hochformen' als überholt abzulegen. In psychologischer Perspektive zeigt sich das Problem als Subjektivierung von Religion in seiner ganzen Ambivalenz: einmal als unkritischer Relativismus einer subjektiven Bastelreligiosität, zum anderen als Chance eines persönlich verantworteten Glaubens. |
Das international zu beobachtende Entstehen einer neuen Weltreligion Hier wären einmal zu nennen das Moment des Prä-Theismus, in dem Gott nicht mehr systematisch geleugnet wird, aber von den unterschiedlichsten Gottessurrogaten überdeckt wird. Aus Elementen eines "Theoplasma" (R. Pettazzoni) formt sich der postmoderne Mensch sein Gottesbild je nach eigenen, spontanen Bedürfnissen. Dabei kommt ihm die neo-archaische Tendenz der Gegenwartsreligion zu Hilfe, die im Rückgriff auf die vorchristlichen "Ursprünge" die unverdorbenen Elemente einer vitalen Religion wiederbeleben möchte und gleichzeitig einzig die arché der subjektiven Erfahrung als ständig sprudelnde Quelle persönlicher Religiosität anerkennt. Als weiteren charakteristischen Zug könnte man die Intimisierung des religiösen Erlebens bezeichnen, wobei die Erfahrung einer öko-psycho-somatischen Heilung (wellness) allein im eigenen Körpererlebnis geschieht. Hierbei verschiebt sich die Wahrheitsfrage der Religionen auf die Frage nach der Nützlichkeit, und Glaube wird zur Therapie. Die übereinstimmende Charakterisierung dieser weltweit - auch im außerchristlichen Raum - zu beobachtenden Tendenz wird zunehmend gestützt durch religionshistorische Studien, die aktuelle Verbindungen oder gemeinsame historische Wurzeln vieler neuer religiöser Bewegungen nachweisen und sie als postmoderne Aktualisierungen einer Schattenreligiosität erscheinen lassen, die man als "neo-gnostisch" oder als die "geheime Seite der Aufklärung" bezeichnen könnte. Diese globale Veränderung des religiösen Bewußtseins, die als deutliches "Zeichen der Zeit" rezipiert werden muß, bleibt aber nicht bloß als diffuse Religiosität im Unverbindlichen einer Strömung des Zeitgeistes, sondern konkretisiert sich für den Einzelnen in der Zugehörigkeit zu einer der zahlreichen, seiner persönlichen Mentalität entsprechenden neuen religiösen Bewegungen; nachdem die Phase des Herauslösens aus den bisherigen Orientierungsbezügen überwunden ist, wird sie wiederum subjektiv als Religion mit ihren neuen Ansprüchen und Orientierungen empfunden und gelebt. |
Internationale Aktivitäten der neuen religiösen Bewegungen |
Gleichstellungslobby
"United Religions"
Perspektiven "Der Dialogpartner muß seinen eigenen Traditionen und religiösen Überzeugungen entsprechen und offen sein, um die des anderen zu verstehen, ohne Vortäuschungen einerseits und Sperren andererseits, sondern im -Geist der Wahrheit, Demut und Loyalität, im Wissen darum, daß der Dialog jeden bereichern kann. Dabei darf es keine Verzichtserklärungen und keine falsche Friedfertigkeit geben. Es braucht das gegenseitige Zeugnis für einen gemeinsamen Fortschritt auf dem Weg der religiösen Suche und Erfahrung. Dies dient zugleich der Überwindung von Vorurteilen, Mißverständnissen und Intoleranz. Der Dialog zielt auf die innere Läuterung und Umkehr, der geistlich fruchtbar sein wird, wenn er sich wirklich vom Geist leiten läßt". (4) Eine grundlegende Voraussetzung, von der alle kirchlichen Dokumente zum ökumenischen oder interreligiösen Dialog stillschweigend ausgehen, ist die Wahrnehmung des "religiösen" Charakters der jeweiligen Bewegungen. Während man zur Zeit der Abfassung der betreffenden Konzilstexte vor allem das gemeinsame religiöse Fundament mit den großen Traditionen der Menschheitsgeschichte im Blick hatte, kann heute der "religiöse" Charakter einer "neuen religiösen Bewegung" nicht so ohne weiteres vorausgesetzt werden. Hierbei muß wesentlich zwischen dialogischer Offenheit auf einen Transzendenzbezug oder autonomer "Selbstreligionen" unterschieden werden (5). Solche vorgängige Unterscheidung stellt fest, ob es sich um neuentstehende Subkulturen aufgrund von kulturellen Interaktionsprozessen zwischen christlichem Kulturerbe und vitaler Religiosität oder um genuine Neuentwicklungen innerhalb von außerchristlichen Religionen handelt. Der Unterscheidungsprozeß bestimmt, inwieweit sich die Begegnung von einem Dialog auf kultureller Ebene zum eigentlichen interreligiösen Gespräch entwickelt.
Begriffe
"Religöse Minderheiten"
Konfliktträchtige Orientierungen Als Ansprechpartner an der Basis nimmt diese "Diakonie der Unterscheidung" unmittelbar die Lebenskonflikte wahr und versucht, in Zusammenarbeit mit anderen pastoralen Diensten den Betroffenen Hilfe anzubieten. Auf einer zweiten Ebene sind die grundlegenden Forschungen zu betreiben, die zum einen grundlegendes Hintergrundwissen dokumentieren und zum anderen entsprechende Informationen und Stellungnahmen an Kirche und Gesellschaft weiterleiten. Wenn ein pastorales Angebot für den ersten Problemkreis auf Diözesan- und Gemeindeebene vorhanden sein muß, kann die zweite Form der akademischen Auseinandersetzung durch wenige, spezialisierte Institutionen durchgeführt werden, die im kirchlichen Auftrag handeln(9). Es ist darum nur zu bedauern, daß an den katholischen theologischen Fakultäten im deutschen Sprachraum fast keine Angebote zur Spezialisierung in vergleichender Religionswissenschaft mehr bestehen, obwohl sich heute keine Fundamentaltheologie ohne solide Kenntnis des religiösen Umfeldes mehr betreiben läßt. Wie bei anderen Formen der Auseinandersetzung mit der heutigen Kultur, kann die Kirche das Gespräch mit konfliktträchtigen Orientierungen nicht einfach an eine neutrale Religionswissenschaft delegieren, eine vergeblich "wertfreie" Religionswissenschaft ist aus dem Selbstverständnis des religiösen Phänomens heraus nicht möglich(10) und würde Religion zu einer kulturellen Marotte reduzieren. Auch in juristischer Perspektive gegenüber staatlichen und europäischen Institutionen kann sich die Kirche nicht aus ihrem ureigenen "Dienst an der Wahrheit" verabschieden, will sie nicht selbst die in der Enzyklika Dignitatis humanae aufgestellten Prinzipien wirklicher Religionsfreiheit verraten.
Anregungen Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes hat die F.1.U.C. (Féderation Internationale des Universités Catholiques, Paris - Rom), in Fortführung des Vatikanischen Zwischenberichtes "Sekten oder neue religiöse Bewegungen - Eine pastorale Herausforderung" (1986), zwischen 1991 und 1993 fünf internationale Seminare organisiert, um die Fachleute der einzelnen Kontinente in ein direktes Gespräch zu bringen. Wegen verschiedener Schwierigkeiten konnten die Forschungsbeiträge erst mit bedauerlicher Verspätung publiziert werden (12), die wichtigste Absicht des Projektes war aber die Ermöglichung eines fortlaufenden Expertenaustauschs über die Ländergrenzen hinweg sowie die Schaffung eines internationalen Netzwerks von Beratungs- und Dokumentationszentren, um ein der international vernetzten Struktur der konfliktträchtigen Orientierungen entsprechendes Forschungsinstrumentarium bereitzustellen. Als ein praktisches Ergebnis dieses Arbeitsprojektes sind die internationalen Sommerkurse für kirchliche Multiplikatoren, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, in der ökumenischen Zusammenarbeit mit dem Dialogcentret in Århus durchgeführt worden, aus denen wiederum eigenständige Partnerorganisationen unter dem Dach des DCI (Dialog Center International) in verschiedenen Ländern entstanden sind. Es ist darum nur zu begrüßen, daß für das Jahr 2001 eine ähnliche Sommerakademie unter der Initiative der CCEE (Konferenz der europäischen Katholischen Bischofskonferenzen) in Planung ist. Leider ist diese internationale Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene über die persönlichen Kontakte einzelner Spezialisten hinaus noch wenig vorangekommen. Beim Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog gibt es eine Koordinationsstelle, in der vier vatikanische Dikasterien zusammenarbeiten (Päpstliche Räte für die Einheit der Christen, für den Interreligiösen Dialog, für die Kultur sowie die Kongregation für die Evangelisierung der Völker)(13). Auf europäischer Ebene, teilweise von der CCEE organisiert, sind inzwischen mehrere Konsultationen abgehalten worden(14), die Grundlagen für eine gemeinsame Arbeit gelegt haben. Es hat sich dabei gezeigt, daß in Zukunft eine Zweiteilung der Arbeit notwendig ist. Auf der einen Seite bleibt die unmittelbare seelsorgliche Beratung der Betroffenen sicherlich eine unverzichtbare Stütze der kirchlichen Tätigkeit, auf der anderen Seite muß diese aber verstärkt durch eine religionswissenschaftliche und theologische Forschung ergänzt werden. Solche Erforschung und Dokumentation sollte einmal als Informationsvermittlung in die kirchlichen Massenmedien einfließen und den Gemeinden direkte Hilfen beim Umgang mit der neureligiösen Landschaft vermitteln, zum anderen wird diese Grundlagenarbeit immer wichtiger für die Entscheidungsträger in Kirche und Welt. Hier ist die ureigene "pastorale" Dimension kirchlichen Handelns herausgefordert.
Wie bereits im vatikanischen "Zwischenbericht" (1986) deutlich wurde, weitet sich die Anfrage der neuen säkularen Religiosität auf alle Bereiche der kirchlichen Sendung aus. Seien es Liturgiker mit der Aufgabe, neue liturgische Formen für Mediations- und Heilungsgottesdienste zu entwickeln, Katecheten mit der Anfrage nach einer neuen Einführung in das Geheimnis Christi, Kanonisten mit der Vermittlung kirchlicher Rechtsauffassungen in die Prozesse staatsrechtlicher Urteilsbildung auf nationaler oder europäischer Ebene oder die Bischöfe mit der Notwendigkeit, neue pastorale Dienste im Bereich der Beratungsarbeit zu schaffen - praktisch alle kirchlichen Funktionsträger sind verstärkt herausgefordert, ihre Verantwortung für eine neue Identität der Kirche angesichts der weltweiten Veränderung des religiösen Bewußtseins wahrzunehmen. Die gegenwärtigen Kontinentalsynoden im Vatikan zur Vorbereitung des Großen Jubiläums bestätigen eindrücklich die Formulierung der beiden pastoralen Prioritäten für die 90er Jahre seitens des besonderen Kardinalskonsistoriums von 1991, die neben dem Einsatz für den Schutz des Lebens auf die Auseinandersetzung mit "neuen religiösen Bewegungen" gerichtet worden waren. Damals war bereits der Blick auf das Entstehen eines weltweiten Phänomens gerichtet worden, aus dem sicherlich stärker und dringender als bisher entscheidende Konsequenzen gezogen werden müßten:
Ein grundlegender Aspekt jeder Neu-Evangelisierung, wie sie im Blick auf das neue Millennium vom Papst gefordert wird, betrifft sicher auch die künftige Arbeit der kirchlichen Konfliktforschung und Konfliktberatung im Bereich der neuen Religiosität, nämlich die Überwindung der "Verlorenheit" des postmodernen Menschen sowohl im Hinblick auf eine persönliche Begleitung in Lebenskrisen wie auch bei der Orientierung in der "neuen Unübersichtlichkeit" der religiösen Sinnangebote. Aus einer ehrlichen Ursachenanalyse vermag dann ein klares Profil für die künftige Arbeit im Dienst an einer erneuerten Identität des Christentums zu erwachsen:
Anmerkungen |
Prof. Dr. Michael Fuss, 50, lehrt an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Berliner Dialog an. Seine jüngste Veröffentlichung ist ein abschließender Sammelband (792 S.) zum Thema: "Rethinking New Religious Movements", den er als verantwortlicher Herausgeber zum Abschluß eines siebenjährigen Forschungsprojekts und Konsultationsprozesses der Römisch-Katholischen Weltkirche zu "Neuen Religiöse Bewegungen" edierte. Wir kommen auf den Sammelband und seine 53 sehr verschiedenartigen Beiträge von 52 Autoren bei Gelegenheit zurück. |
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Michael A.Fuss (ed.): Rethinking New Religious Movements, Potifica Gregorian University, Research Center on Cultures and Religions, Rom 1998.
Der hier abgedruckte Beitrag ist eine vom Autor für den Berliner Dialog erweiterte Fassung eines Artikels aus "CIVITAS", einer Zeitschrift des Schweizerischen Studentenvereins, Nr. 5/6, 1999. |
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