Im Berliner Dialog 1-2000 hatten wir einen ersten kritischen Hinweis auf die beim Jesusmarsch 2000 in Berlin verbreiteten Schriften der in den Umkreis des Christlichen Zentrums Berlin (CZB) gehörenden Organisation "Down to Earth" gegeben, und angekündigt, auf diese Veröffentlichungen ausführlicher zurückzukommen, da es sich hierbei um Veröffentlichungen handelt, die Einblick bietet in das Denken und Tun der gegenwärtig in der "Charismatischen bewegung" einflußreichen Gruppen, die sich der "Geistlichen Kampfführung" und dem "Spiritual Mapping" verschrieben haben.
Mark Meinhard hat sich auf unsere Bitte hin diese Schriften für den BERLINER DIALOG gründlich angesehen. - Red.
Petrie, Alistair: Städte reinigen, heilen und wiederherstellen!, 63 S., herausgegeben von Down to Earth, Kerstin Hack, Laubacher Str. 16 II, 14197 Berlin
Quellen der Macht. Strategische Analysen und Prophetien über Berlin und Deutschland. Down to Earth, Kerstin Hack, Laubacher Str. 16 II, 14197 Berlin
"Zur Zeit ist Berlin aber auch ein recht dunkler Ort. (...) Die Zahl der Satanspriester ist 3x so hoch wie die Zahl christlicher Leiter und Diener Gottes jeglicher Gemeinde."
http://www.surfpromote.com/erweckung/dberlin.htm (Zugang: 28.03.2001)
Soweit ein Auszug aus Kerstin Hacks Newsletter auf der Internet-Seite "Feuer und Flamme." Hack und ihre relativ junge Firma, Down-to-Earth http://www.down-to-earth.de ist z.Zt. gut präsent auf dem "charismatisch-erwecklichen Markt". So ist sie zu finden im international christian fellowship http://icf-berlin.de/team/ ministri.html (Zugang 28.03.2001), wo sie u.a. auch eigene Workshops anbietet: http://icf-berlin.de/training/301.html ("Entdecke deine Gaben"; Zugang 28.03.2001), aber auch unter der AIMS Deutschland-Gruppe: http://calbproject.org/ptw3/ptwrangen.htm (Zugang am 28.03.2001) oder unter den workshop-Anbietern des umstrittenen Jesus-2000-Projekts: http://jesus2000.de/workshop.htm (Zugang: 28.03.2001).
Auch die (innerkirchliche) Geistliche Gemeinde-Erneuerung (GGE) scheut ihre Dienste nicht z.B. beim workshop "Wissen, wer Er ist", http://gge-online.de/link3.html (Zugang 28.03.01).
Diese Beispiele sind zufällig und in keiner Weise vollständig - sie geben aber eine Ahnung von dem Engagement für die "Geistliche Kriegsführung", welches innerhalb der "charismatischen Bewegung" neuerdings wieder stark entbrannt ist. Frühere Diskussionen um die "Geistliche Kriegführung" oder "Geistliche Kampfführung", wie sie etwa der Hamburger Anskar-Pastor Wolfram Kopfermann noch 1994 ausgelöst hatte hat ("Macht ohne Auftrag - Warum ich mich nicht an der 'geistlichen Kriegsführung' beteilige.") scheinen völlig vergessen. Kerstin Hacks Informationsmaterialien-Sortiment aus Down-to-earth ist dafür ein Beispiel.
Großen Erfolg hatte etwa das Video von Georg Otis Jr. "Transformation - Gebet verwandelt Städte", in dem am Beispiel von vier Städten die durchschlagende Kraft des kämpferischen Gebets gepriesen wird, das u.a. zum Rückgang der Kriminalität, zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einschließlich des besseren Wachstums von Gemüse führte usw. http://pechurchnet.co.za/transformations/post004.htm (Zugang: 29.03.2001)
Aber auch deutsche Übersetzungen von Werken von Alistair Petrie, vgl. z.B. http://collegofprayer.net/module2/Petrie.html (Zugang: 29.03.2001), dem Leiter der kanadischen Gebetsschule "Joshua-Connection"
http://www3.bc.sympatico.ca/Joschua-Connection/ (Zugang 29.03.2001), wie z.B. "Städte reinigen, heilen und wiederherstellen! Ein Handbuch." Sind bei "Down to Earth" erhältlich. In diesem Buch (S. 53) kann man sich etwa über die Kennzeichen ("gefallene Charakteristika") von Nationen informieren: Zum Beispiel neigen
* "die" Deutschen zu "Perfektionismus, Stolz, Okkultismus",
* "die" Schotten eher zu "Sturheit, Alkoholismus, Sparsamkeit, Minderwertigkeit, Einfluß der Freimaurer in die ganze Welt."
Auch Hacks Buch "Quellen der Macht. Strategische Analysen und Prophetien über Berlin und Deutschland" (Berlin, 2000) ist ganz in diesem Stil gehalten.
"Quellen der Macht" ist eine Zusammenstellung von Erträgen mehrerer Arbeitsgruppen, sowie von verschiedenen "Prophetien" und erscheint daher recht unsystematisch. Darum will ich zunächst Grundsätzliches vortragen:
Die Suche nach "geistlichen Blockaden"
Die Probleme, die unsere heutige Welt bestimmen, sind von charismatischer Seite her schon seit langem auf "okkulte Belastung" zurückgeführt worden. Es wird darum "Forschung" betrieben, um herauszufinden, durch welche geschichtlichen Gegebenheiten Städte, Orte oder Nationen "belastet" sind. Ein prominentes Beispiel solcher "Forschung" ist Peter C. Wagners Buch: Das offensive Gebet. Strategien zur geistlichen Kampfführung, Wiesbaden 1992. Zum Beispiel wird auf S. 134f. nachgewiesen, warum Brasilia, die Hauptstadt Brasiliens gefährdet ist: Kubitschek, der den Entwurf für Brasilia gegeben hatte, sei Spiritist gewesen, der an die Reinkarnation geglaubt habe und sich für die Wiedergeburt von Pharao Akhnaton hielt usw.
Berliner Belastungen
Für Berlin werden vor allem folgende "Blockaden" genannt:
* die "germanische Suche nach Leiterschaft anstelle von Vaterschaft" ("Quellen der Macht", S. 6 u.ö.),
* der "historische Hinweis", daß mehrere preußische Könige Freimauer waren (ebd., S. 7 u.ö.), sowie
* der Pergamon-Altar (Thron des Satans): "Seit der Ankunft des Pergamon-Altars in Europa" seien hier "besonders verheerende Diktaturen entstanden" (ebd., S. 25 u.ö.). Vergl. hierzu BD 1-2000.
Die Abgrenzung von "falscher Autorität"
Wiederholt wird implizit eine starke Abgrenzung von den "institutionellen Kirchen" vorgenommen: dort wird "von oben herunter gepredigt", "das Wort Gottes (...) über die Erfahrung erhoben", die "Leiter (...) über die übrige Gemeinde erhoben" (ebd., S. 9). Auf diese Art und Weise wurde das "Apostolische", das "neue Wirken Gottes" (vgl. ebd., S. 10) erstickt und getötet.
Dagegen wird die Forderung erhoben: "Die Lehre muß dem apostolischen Dienst folgen" (ebd., S. 14). "In unserem Jahrhundert war es ähnlich. Gott wirkte - Pfingstbewegung, Heilung, Evangelisation, Jesus People, Prophetie - und erst dann entstand ein Verständnis über die Dinge, die Gott getan hat" (ebd., S. 14f).
Berliner Erklärung
Auch die "Berliner Erklärung" von 1909, (mit der sich die Gemeinschaftsbewegung von der "Kasseler Zungenbewegung" abgrenzte - Anm. der Red.), wird in ähnlicher Richtung interpretiert: "Die Berliner Erklärung spaltet die christliche Welt und verschließt Deutschland gegen die weltweite Erweckung. Der Fluch der Spaltung ereilt dann 1945 ganz Berlin (...)." (Ebd., S. 25).
Deutschland und der Holocaust
Daneben tritt als weitere Besonderheit Hacks These, daß Gott die Deutschen für den Holocaust bereits gestraft habe. Mit der Strafe sei aber auch schon die Vergebung für diese Taten ausgesprochen worden. Weitere Bitten um Vergebung seien daher nicht nötig, mehr noch: sie seien kontraproduktiv:
"Für etwas um Vergebung bitten, das bereits vergeben wurde, bringt uns wieder unter das Gesetz und bindet uns geistlich" (ebd., S. 19).
"Das geistliche Ergebnis der Weigerung, Vergebung zum empfangen, ist (also) Blindheit" (ebd.). So gesehen ist "[d]er Holocaust [...] nur die Spitze des Eisbergs. Die wirklichen Probleme liegen viel tiefer" (ebd., S. 20) und werden durch die vergebliche Rückwärtsbindung an die Holocaust-Thematik nicht mehr gesehen: "Durch die intensive Fokussierung [...] übersehen wir viele andere Sünden [...], z.B. Abtreibung [...], Humanismus [...]." (ebd.)
Die spezielle Rolle Berlins in neo-charismatischer Deutung
Aufgrund all dieser Erkenntnisse stellt Berlin für Hack ein wichtiges strategisches Zentrum dar: In Berlin bündeln sich gewissermaßen die Kräfte, und zwar sowohl die positiven wie die negativen. Zu den negativen Kräften sind neben dem "germanischen" Leiterschaftssyndrom, dem "Okkultismus" der Berliner Herrscher und dem Pergamonaltar vor allem noch zu erwähnen:
* die Aufklärung (Lessing) denn: "Bereits hier findet sich eine strukturelle Vorlage für die Herrschaft Hitlers." (ebd., S. 24),
* die moderne Philosophie (u.a. Schleiermacher), denn: "Der [...] Wunderglaube ist das erste Opfer jener verhängnisvollen Flurbereinigung" (ebd.),
* Marx: "In Berlin verschreibt sich Karl Marx [...] dem Feind. Fortan trachtet er geführt von unseligen Inspirationen, gegen den Herrn zu kämpfen. [...] Dazu entwickelt er gesellschaftliche Konzepte, die weltweit nur Armut, Schwermut, Haß und Tod verbreiten." (Ebd., S. 26) sowie
* heute der Christopher Street Day und die Love Parade: "Jene Saat von damals ist in einer pluralistischen, weitgehend gesetzlosen Gesellschaft aufgegangen und stellt heute einen zersetzenden [...] Einfluß dar." (Ebd.).
Am Berliner Wesen soll die Welt genesen
Nun gelte es, das Berlin-Potential, die Gabe des Lehrens und Potenzierens "Was in Berlin passiert, [beeinflußt] die ganze Welt!" (ebd., S. 30), ins Positive zu wenden. Hack gibt einige Beispiele. Vor allem: In Berlin manifestiert sich die multikulturelle Gesellschaft; dies bedeute als wirkliche Berufung die Berufung zur Weltmission usw. (vgl. ebd., S. 29). Freilich kann dies alles nicht ohne "bedingungslose[n] Gehorsam" (ebd., S. 30) gegenüber den Leitern geschehen, um in Berlin an Macht für Christus zu gewinnen.
Fazit
Als Fazit bleibt vor allem festzuhalten, daß die Erkenntnisse Hacks im Gesamtumfeld charismatischen Gebetskampfes nichts wirklich Neues ergeben. Dennoch stellen sie in ihrer Ansammlung (zusammen mit den "aufmunternden" Prophetien über die Rolle Deutschlands und Berlins, die am Ende des Buches abgedruckt sind) ein weiteres, auf Berlin und Deutschland zugeschriebenes Kompendium für den Gebetskampf dar, das sicherlich rege genutzt werden wird.
Festzuhalten ist: Es ist unangebracht und unverantwortlich, gegenwärtige Probleme in einer derart einfachen Weise auf "Wurzel-Sünden" zurückzuführen, wie es Hack hier betreibt. Die Suche nach "Blockaden" weckt einen Machbarkeitswahn, der sich vorgaukelt, er könne vor allem durch "intensives Erforschen der okkulten Vergangenheit" Gebete zu wirksamen Kampfwerkzeugen ummodeln.
Dadurch wird das Gebet magisch instrumentalisiert und der Fokus christlicher Auseinandersetzung mit der Welt einseitig auf scheinbar okkulte Belastungen gerichtet.
Gepaart mit strengen Forderungen der Unterordnung unter die Leiterschaft und der absoluten Vorordnung von Erfahrung vor der Lehre erscheint mir diese Ausprägung von Frömmigkeit auch besonders anfällig für Strukturen zu sein, die ich als abhängigkeitsfördernd und spirituell-krankmachend bezeichnen möchte.
Darüber hinaus sehe ich hier christliches Denken und Handeln in Formen und Vorurteile gepreßt, die m.E. christentumsfremd sind: Statt öffnender und befreiender Wirkung wird eine gesetzliche Konzentration auf Kategorisierungen (z.B. angebliche geistliche Gesetzmäßigkeiten u.ä. - Anm. der Red.) erzielt.
Darüber hinaus bleibt die Frage, ob bestimmte Formulierungen, die den Umgang mit dem Holocaust betreffen (auch wenn sie in der Regel recht "vorsichtig" sind), nicht dazu verführen, allzu leichtfertig mit Geschichte umzugehen.
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