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| BERLINER DIALOG 22, 3-2000 Martini DOKUMENTATION |
Bundesverfassungsgericht verlangt Rechtstreue, |
Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil entschieden, die Voraussetzung der "Rechtstreue" ... könne dahinstehen, vielmehr scheitere der Anspruch auf Verleihung der Korporationsrechte an einem anderen, durch den Sinn und Zweck des Korporationsstatus vorgegebenen Grunde: "Von einer Religionsgemeinschaft, die mit ihrem Antrag auf Verleihung der Korporationsrechte die Nähe zum Staat suche und dessen spezifische rechtliche Gestaltungsformen und Machtmittel für ihre Zwecke in Anspruch nehmen wolle, könne erwartet werden, dass sie die Grundlagen der staatlichen Existenz nicht prinzipiell in Frage stelle. Die Bf sei dem Staatswesen gegenüber zwar grundsätzlich positiv eingestellt, lehne aber prinzipiell die Teilnahme an staatlichen Wahlen ab. Diese wie auch die Ablehnung des Wehr- und des Ersatzdienstes seien Ausdruck eines strikt zu befolgenden Glaubensgebotes. Damit setze sich die Bf in einen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Widerspruch zu dem für die staatliche Ordnung im Bund und in den Ländern konstitutiven Demokratieprinzip, das zum unantastbaren Kernbestand der Verfassung gehöre. Die Bf schwäche zwangsläufig in dem Umfang, in dem sie auf das Wahlverhalten der Bürger Einfluss nehme oder künftig gewinne, die Legitimationsbasis, auf die der Staat für die Ausübung der Staatsgewalt - einschließlich der Übertragung dieser Gewalt an Private - angewiesen ist. Da sie die aus dem Demokratieprinzip folgenden legitimen Ansprüche des Staats an seine Bürger nicht anerkenne, könne sie nicht verlangen, von ihm als Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit als sein Kooperationspartner anerkannt zu werden. Dabei spiele es keine Rolle, dass in Deutschland keine Rechtspflicht zur Beteiligung an Parlamentswahlen bestehe. Die Verfassung erlege allen Bürgern die Verantwortung auf, ihr Recht auch tatsächlich auszuüben. Die Bf verkenne die Bedeutung des Art. 4 GG, wenn sie meine, ihre Einstellung zu den Wahlen sei unmittelbarer Ausfluss ihrer grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit und dürfe daher nicht mit Rechtsfolgen zu ihren Lasten verknüpft werden. Der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Freiraum bleibe einer Religionsgemeinschaft mit wie ohne Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts uneingeschränkt erhalten."
(Der Schwerpunkt des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997 wurde hier wiedergegeben nach dem Wortlaut der Pressemitteilung Nr. 116/2000 der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts vom |
Die Verfassungsbeschwerde der Zeugen Jehovas gegen das Urteil des Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 11.96, durch welches die Ablehnung der Anerkennung als öffentlich-rechtliche Körperschaft bestätigt wurde, war erfolgreich. |
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes hat auf die Verfassungsbeschwerde der Religions-gemeinschaft der Zeugen Jehovas das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 26. Juni 1997 aufgehoben und die Sache an das BVerwG zurückverwiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt der Zweite Senat im Wesentlichen aus:
1.
2.
Die korporierten Religionsgemeinschaften unterscheiden sich im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des GG, der keine Staatskirche kennt, grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Verständnis. Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr, sind nicht in die Staatsorganisation eingebunden und unterliegen keiner staatlichen Aufsicht. Ihnen werden aber mit dem Körperschaftsstatus bestimmte hoheitliche Befugnisse übertragen. Diese und andere Vergünstigungen erleichtern es der Religionsgemeinschaft, ihre Organisation und ihr Wirken nach den Grundsätzen ihres religiösen Selbstverständnisses zu gestalten. Die Vergünstigungen bewirken mit erhöhten Einflussmöglichkeiten aber auch die erhöhte Gefahr eines Missbrauchs zum Nachteil der Religionsfreiheit der Mitglieder oder anderer Verfassungsgüter. Bei der Bestimmung der Voraussetzungen, unter denen eine Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlangen kann, muss deswegen auch die Verantwortung des Staates zur Geltung gebracht werden, dem das GG die Achtung und den Schutz der Menschenwürde aufgibt und den es zur Wahrung und zum Schutz der Grundwerte der Verfassung verpflichtet.
3.
Innerhalb wie außerhalb des Bereichs hoheitlichen Handelns hat sie die staatsbürgerliche Pflicht zur Beachtung der Gesetze. Allerdings stellt nicht jeder einzelne Verstoß gegen Rechtsnormen die Gewähr rechtstreuen Verhaltens in Frage. Auch den korporierten Religionsgemeinschaften ist es unbenommen, Meinungsverschiedenheiten mit staatlichen Behörden darüber, wo im Einzelfall die der Religionsfreiheit und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht durch das Gesetz gezogene Grenze verläuft, durch die Gerichte klären zu lassen. Viele Religionen erheben im Einzelfall einen Vorbehalt zugunsten ihrer Gewissensentscheidung und bestehen darauf, im unausweichlichen Konfliktfall den Glaubensgeboten mehr zu gehorchen als den Geboten des Rechts. Aus Rücksicht auf die Religionsfreiheit, der der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts letztlich dient, stehen solche Vorbehalte der Verleihung dieses Status jedenfalls solange nicht im Wege, als die Religionsgemeinschaft im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen.
4. Andererseits dürfen die rechtlichen Anforderungen an eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, nicht ihrerseits in Widerspruch zu den prinzipiellen Wertungen des verfassungsrechtlichen Religions- und Staatskirchenrechts geraten. Wegen des Grundsatzes der religiös- weltanschaulichen Neutralität darf der Staat eine antragstellende Religionsgemeinschaft nicht nach ihrem Glauben, sondern nur nach ihrem Verhalten beurteilen. Zudem sind die in Art. 20 GG niedergelegten Grundprinzipien und die Grundsätze des Religions- und Staatskirchenrechts Strukturvorgaben staatlicher Ordnung, die nur als solche Schutz verdienen. Aus ihnen kann nicht gefolgert werden, die Binnenstruktur einer Religionsgemeinschaft müsse z.B. demokratisch organisiert sein. Auch der als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaft bleibt es zudem unbenommen, ihr Verhältnis zu anderen Religionen nach ihrem eigenen Selbstverständnis zu gestalten, solange sie den verfassungsrechtlichen Ordnungsrahmen nicht beeinträchtigt. Letzteres wäre etwa der Fall, wenn sie auf die Verwirklichung einer theokratischen Herrschaftsordnung hinwirkte. Eine darüber hinausgehende Loyalität zum Staat kann nicht verlangt werden. Die korporierten Religionsgemeinschaften brauchen ihr Wirken nicht an den Interessen und Zielen des Staates auszurichten, weil die Religionsfreiheit es ihnen überlässt, wie sie den ihnen eröffneten Freiheitsraum ausfüllen. Außerdem ist "Loyalität" ein vager Begriff, der auch auf eine innere Disposition und nicht nur auf ein äußeres Verhalten zielt. Gleichermaßen kann es unter dem GG nicht Ziel einer Verleihung des Körperschaftsstatus sein, eine Religionsgemeinschaft durch Privilegien zur Kooperation mit dem Staat anzuhalten. Das GG ermöglicht eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften mit dem Staat, macht sie aber nicht zur Bedingung. Insgesamt setzt die Prüfung, ob eine Religionsgemeinschaft die Gewähr dazu bietet, die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden, eine komplexe Prognose voraus. Hier ist den Fachgerichten eine typisierende Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller derjenigen Umstände aufgegeben, die für die Entscheidung über den Körperschaftsstatus von Bedeutung sind.
5. Zwar hat das BVerwG zutreffend angenommen, dass der Bf der Körperschaftsstatus nicht schon wegen ihrer grundsätzlichen Haltung zum Staat versagt werden darf, auch wenn die Bf in ihren religiösen Lehren den Staat als "Bestandteil der Welt Satans" ansieht. Die Bf akzeptiert in ihrem tatsächlichen Verhalten den Staat als "von Gott geduldete Übergangsordnung". Aber auch das religiöse Verbot der Teilnahme an staatlichen Wahlen rechtfertigt die Versagung des Körperschaftsstatus nicht. Zwar gehört das Demokratieprinzip zu den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten ewigen Bestandteilen des GG. Die Bf greift das Demokratieprinzip als solches jedoch nicht an, sie will nicht die Demokratie durch eine andere Staatsform ersetzen. Ihre Bestrebungen sind apolitisch, sie richten sich auf ein Leben jenseits des politischen Gemeinwesens. In den über 100 Jahren ihres Bestehens stellt die Bf auch mangels Einflusses auf Nichtmitglieder keine reale Gefahr für die Demokratie da. Deshalb ist ihr Verhalten gegenüber staatlichen Wahlen ein Gesichtspunkt, der zwar bei der gebotenen typisierenden Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden kann. Er trägt aber für sich allein die Annahme einer Gefährdung der unantastbaren Gehalte des Demokratieprinzips nicht.
6.
Urteil vom 19. Dezember 2000, - Az. 2 BvR 1500/97 - Karlsruhe, den 19. Dezember 2000
Der vollständige Text des Urteils findet sich unter: |
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