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BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis

OSTEN

Kosmische Kommunisten
Lenin und Christus in Wolgograd
von Alexander L. Dvorkin

Die Sekte "Communist - Unification - Rule over All (Wsewolod) - CURA" - hat ihr Hauptquartier in Wolgograd, dem früheren Stalingrad. Ihre Mitglieder betrachten sich als reguläre Partei, ja vielmehr, als die Partei der Vereinigung aller Religionen, Völker und Nationen, auch bekannt als "Partei der Kosmischen Kommunisten". Wsewolod/ CURA hat ihre eigenen Statuten und Parteiregeln, Parteiausweise (mit den Portraits von Marx, Engels, Lenin und Christus), eine eigene Parteihymne und eine Parteischule.
Trotz ihres Namens arbeitet CURA nicht mit den örtlichen kommunistischen Parteien zusammen. Die Kultmitglieder glauben nämlich, die anderen kommunistischen Parteien seien nicht "echt kommunistisch: Kommunist ist derjenige, der auf die Menschen zugeht und nicht weg von ihnen. Aber die anderen Parteien gehen von den Menschen weg zur Macht, sie betreiben nicht die Reinigung des Planeten und der Menschen", sagen CURA-Mitglieder.

Religiöser Kommunismus

Aber der wichtigste Unterschied liegt in der Tatsache, daß CURA eine religiöse kommunistische Partei ist: "Lenin und Gott sind eine Wesenheit - die Güte", sagt die offizielle Parteiführerin Vera Grischenkowa, "und die Güte wird die Welt retten."
"Höhere Intelligenz" gab Parteihymne
Die Parteihymne, gesungen nach der Melodie des berühmten Liedes "Brüder zur Sonne zur Freiheit", lautet folgendermaßen:

1. Menschen des Planeten, erhebt euch,
Und marschiert vorwärts mit Mut,
Lenins Partei, die ist mit uns,
Christus der zeigt uns den Weg.

2. Wir hören das Grollen des Donners,
und hören den Schöpfer sagen:
-Eu'r Weg ist dornig und schwer, ja schwer
Aber ihr müßt ihn zu End' gehn.'

3. Glück für jedermann wolln wir
erhalten,
Liebe in alle Herzen gießen,
Und werden wieder Liebe bringen
Zu all' den ander'n Planeten!

Die Sekretärin der Organisation, Zoja Lemke (ehemals die örtliche Leiterin der KPdSU in einer der großen Fabriken der Stadt) behauptet, der Text des Liedes sei ihr im Laufe telepathischer Kommunikation von einer "Höheren Intelligenz" diktiert worden. Dies sei im Juni 1995 geschehen, zwei Jahre, nachdem die gleiche "Höhere Intelligenz" die telepathiegläubigen Genossen angewiesen hatte, die neuartige kommunistische Partei in Wolgograd zu organisieren.
Frau Vera Grischenkowa, die jene Nachricht medial erhielt, sagt, sie höre kosmische Stimmen, die ihr "die Information von der Höheren Intelligenz" übermitteln, ganz deutlich - wie am Telefon.
Im Jahre 1993 begann der Kreis von fünfzig bis sechzig Einwohnern Wolgograds Bewunderer von Frau Blavatsky, Roehrich, Nostradamus, Porfyrij lwanow, Sri Aurobindo und anderen Leuten - die Schriften der Klassiker des MarxismusLeninismus zu studieren.
Die gesammelten Werke von Lenin und Marx/Engels wurden als "heilige Schriften" bezeichnet, und der esoterische Kreis wurde umgewandelt in die Partei der Kosmischen Kommunisten.
Das Hauptquartier der Partei ist geschmückt mit Kruzifixen, lkonen und den Bildern der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus. All das gilt als "die Schätze der Partei".
Am Ende der Parteiversammlungen entzünden die Adepten Kerzen und beginnen zu beten. Von den christlichen Gebeten erkennen sie nur das Vaterunser und das "Ave Maria" an. Andere orthodoxe Gebete halten sie für "unbiblisch" und "falsch".
Sie haben sogar versucht, einen Priester der örtlichen orthodoxen Kathedrale, die sie regelmäßig besuchen, zu dieser Ansicht zu bekehren. Sie sagen: "Deshalb versuchte uns der Priester Genosse Hermogen (sie kennen nur eine Art, jemanden anzureden - Genosse - A. D.) aus der Kirche zu jagen. Aber dann hat er es aufgegeben, denn wir kommen nicht zu ihm, sondern zu Gott."
Die Statuten der Partei sagen: "In Erfüllung der von Moses gegebenen und von Christus und Buddha ergänzten Gebote und in Weiterentwicklung der Ideen von Marx, Engels und Lenin wirkt die Partei als Kanal der Ideen der Höheren Intelligenz, die die grenzenlose Quelle des Wissens ist."
Das Endziel ist es, "mittels Gewaltlosigkeit die gesellschaftliche Formation zu schaffen, die der Hierarchie des Lichtes gleicht - das ist Kommunismus".

Kampf gegen die Absurdität

Gemäß den Parteiführern sind die Mitglieder von CURA die lebenden Kanäle der "strahlenden Ideen und Liebe", die "nach den Anweisungen der Intelligenz des Universums" wirken. Die Hauptlosung der neuen Kommunisten, die auch auf ihren Parteiausweisen steht, ist: "Die Höhere Intelligenz und die Partei sind eins" (vgl. die Hauptlosung der KPdSU Lenin und die Partei sind eins - A. D.).
Eine der unmittelbaren Hauptaufgaben der Parteimitglieder ist es, die Menschen zu lehren, sich "gegen die Absurdität zu verteidigen", denn diese trage negative Energie in sich.
An der Spitze der Kosmischen Kommunisten stehen drei Leute als erste unter Gleichen. Die schon erwähnten "Sekretärin" Frau Lemke und die "Führerin" Frau Grischenkowa teilen ihre Spitzenposition mit dem "Vorsitzenden" der Organisation und ihrem Hauptideologen, Herrn Michail Botnar, der von Beruf Handtherapeut ist. Die drei wurden von der Höheren Intelligenz selbst auf ihre erhabenen Posten berufen. Frau Grischenkowa sagt von sich selbst und ihren Parteikameraden: "Wir sind jene biblischen Gerechten, die die Stadt retten werden."
Diese Spitzen-"Troika" lehrt an einer eigenen Parteischule, wo die Disziplin sehr streng und der Aufbau sehr autoritär ist. Die Lehrer helfen jedem Parteimitglied, die persönlichen Verbindungskanäle mit dem Kosmos zu öffnen. Nur denjenigen, die alle Gebote des Kosmischen Kommunismus erfüllen, gelingt das.
Schon das Wort Kommunismus selbst, behaupten die Kultmitglieder, trägt in sich die positive Energieladung, die einen Menschen in seiner Entwicklung und in seiner irdischen Existenz in seinem Kampf mit "karmischen Dispositionen" und "negativer Energie" unterstützt.
Die meisten Kultmitglieder stammen aus den untersten Schichten der Gesellschaft und führen ein sehr ärmliches Leben. Sie flüchten aus ihrer gegenwärtigen verzwei felten Lage in ihre "früheren Inkarnationen", denn sie glauben, daß sie in ihren früheren Leben große Persönlichkeiten waren: Majakowskij, Suworow, Engels etc.

Reinheit der Eingeweide

Die Stelle des "Klassenfeindes" nimmt bei CURA die "negative Energie" ein, und der "Verbündete der Klasse" ist die gesunde Lebensführung. Glaubt man den erfahrenen Genossen, so kommt Frömmigkeit direkt aus der Reinheit der Eingeweide. Um diese Tugenden zu erreichen, werden als obligatorische Methoden häufige und reichliche Klistiere, eiskalte Wasserduschen im Freien (gleichgültig, ob Winter oder Sommer, Regen oder Schnee), Gebete und Manipulationen mit brennenden Kerzen angewandt.
Sehr interessant sind die Gebete, die natürlich alle Wort für Wort von der "Höheren Intelligenz" diktiert worden sind. Sie sind gereimt und beziehen sich auf die verschiedenen Aspekte des persönlichen Lebens der Parteimitglieder. Hier ist zum Beispiel das "Heilgebet" für Blasenprobleme:

Die Sonne scheint sehr hell,
Ich heil' mich mit Energie schnell.
Selbst heilen ich mich gerne will,
So daß in meinem Inneren der Schmerz schweigt still,
Ich heile jetzt meine Blase!

Wenn ein Parteimitglied die Kakerlaken nicht los wird, sollte er ein anderes Gebet benutzen:

Scham-Tam-Cock-Cor-Beg
Kakerlake, gehe weg!

Die Mantras für Sonderfälle, sagen die Parteimitglieder, erbringen ebenfalls sehr gute Resultate. Braucht man zum Beispiel eine neue Wohnung, sollte man folgendes Mantra benutzen:

Mene - Mene - Mens
Seon - Zeon - Sens.

Lenin lebt wieder

Eine ganz besondere Stelle in den Lehren von CURA wird der Gestalt Wladimir Iljitsch Lenins zuerkannt. Denn der Name Lenins ist, genau wie das Wort Kommunismus, eine Quelle positiver Energie, die zur Reinigung der menschlichen Natur beiträgt. Vor ungefähr drei Jahren kam eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn zu einer CURA-Versammlung. Sie hatte gehört, daß dies spirituell fortgeschrittene Menschen seien, die durch Gebet heilen könnten. Ihr Sohn wurde oft krank, und sie bat die Kosmischen Kommunisten, ihn zu heilen. Die Kultanhänger stellten sofort den Kontakt mit der "Höheren Intelligenz" her. Von dort wurden sie ordnungsgemäß davon in Kenntnis gesetzt, daß der Knabe nichts Geringeres sei als die neue Inkarnation von Lenin. All seine Krankheiten seien Auswirkungen der "enormen Energievorräte, die aus dem jungen Organismus herausbrechen, der sich dem noch nicht angepaßt hat".
Herr Michail Botnar behauptet, daß "Klein Lenin" jetzt eine ruhige Kindheit in einem Dorf der Provinz Wolgograd verbringe, in Vorbereitung seiner öffentlichen Erscheinung als Retter. Er ist jetzt ungefähr zehn Jahre alt. Aber die Kosmische Intelligenz berichtete Frau Grischenkowa auch, daß Christus sich ebenfalls hier auf der Erde befinde - in Gestalt einer vierundzwanzigjährigen jungen Frau.
Informationen über die Partei Communist - Unification - Rule over All (Wsewolod) werden in Wolgograd in immer weiterem Umfang verbreitet. Die Kultanhänger planen die Teilnahme an den nächsten Wahlen. Dafür brauchen die Kosmischen Kommunisten die offizielle Registration, und um diese bemühen sie sich jetzt äußerst aktiv. Sie hoffen, ihre Ideen in ganz Rußland verbreiten zu können. Und dieser Plan ist nicht völlig verrückt: In dieser Zeit sozialer Umwälzungen, der Verarmung großer Teile der Bevölkerung, der Nostalgie für die Vergangenheit und des Fehlens nicht nur jeder religiösen Erziehung, sondern auch des dringenden Wunsches, sie zu erhalten, stoßen die Ideen der Kosmischen Kommunisten auf ein empfängliches Publikum.
Gemäß den Angaben des Kults selbst absolvierten zwischen 1993 und 1997 mehr als sechstausend Leute ihre Parteischule. Überdies wurde der lokale Wolgograder Femsehsender, als er Anfang dieses Jahres einen leicht ironisch gefärbten Bericht über CURA gesendet hatte, geradezu überflutet von Telefonanrufen und Briefen: Die Menschen wollten wissen, wie sie solch einer ruhmreichen Partei beitreten könnten, und fragten nach der Adresse der Kosmischen Kommunisten. Es scheint also, als stünde den Kosmischen Kommunisten nichts anderes als der kosmische Erfolg bevor.
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(Dieser Aufsatz beruht auf Veröffentlichungen der Zeitungen Iswestija, Nesawisimaja Gaseta und Wechemjaja Moskwa sowie russischen Fernsehberichten.)
Übersetzung aus dem Engl.: Guntram Thilo

Alexander Dvorkin, Ph. D., 42, studierte in New York und Rom. Er ist jetzt Professor für Kirchengeschichte an der Russisch-Orthodoxen Universität Moskau und Leiter des Informations- und Beratungszentrums "St. Irenäus von Lyon", der Partnerorganisation des DIALOG CENTER INTERNATIONAL in Moskau.

Foto: Helle Meldgaard

Alexander Dvorkin



Deutsche "kep" will für russische Kultunterstützer sammeln

Die Konferenz Evangelikaler Publizisten, Wetzlar, hat im Februar 1998 eine Konsultation zum neuen russischen Religionsgesetz durchgeführt. Dabei wurden zwei russische Experten eingeladen, die sich bereits einschlägig für die Kult-Lobby in Rußland im Prozeß gegen Professor Dvorkin und die Russisch Orthodoxe Kirche engagiert hatten. Jetzt startet die kep ein weiteres Projekt:
100 000,- DM sollen gesammelt werden, "um ein kleines Büro für die Experten in Moskau aufzubauen, damit sie ungehindert Informationen sammeln können, um so eine mögliche Klage vor dem Obersten Verfassungsgericht der Russischen Föderation auch kompetent vorzubereiten". Daneben soll eine weitere Konsultation im Juli in Straßburg stattfinden, bei der die "russischen Experten" mit "Freunden aus den Vereinigten Staaten von Amerika" zusammengebracht werden. Das Institut, an dem beide Experten beteiligt sind, das "Russian Legal Institute" war in der Vergangenheit u.a. dadurch hervorgetreten, daß es Einladung und Reise der umstrittenen Berliner Religionswissenschaftlerin Gabriele Yonan zum Prozeß gegen Dvorkin und die Russisch Orthodoxe Kirche organisiert hatte und damit den Scientology-Prominenten Krylova und Levinson in ihrem Kampf gegen Dvorkin und die Russisch-Orthodoxe Kirche beistand.
Wie es im September bei kep heißt, wurde das Büro eingerichtet und Verfassungsklage eingereicht, da das russische Religionsgesetz gegen Menschen- und Völkerrecht verstoße. Die "amerikanischen Freunde", "die bereits in den USA und am Sitz des Europaparlaments in Straßburg über ein Büro verfügen", werden jetzt auch in Moskau tätig "sowie unsere befreundeten Juristen übernehmen und mit ihnen an dieser Angelegenheit weiterarbeiten." (Q: kep-Freundesbriefe)
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