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BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis

EUROPA

Jehovas Zeugen in Frankreich
Ein Brief aus Frankreich
von Emanuelle Kaufmann

"Frankreich beschliesst, Religion zu besteuern!" ("France moves to tax Religion!") So lautet in Riesenbuchstaben die Überschrift eines "Offenen Briefes an Frankreichs Präsidenten", den die "Leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas" in Brooklyn (N.Y., USA) auf einer vollen Seite der New York Times und der Washington Post am 5. Juli 1998 und in der International Herald Tribune am 8. Juli 1998 als Anzeige hat drucken lassen. Die sehr hohen Kosten dafür werden natürlich von den Spenden der Zeugen Jehovas bestritten.
Das "Trennungsgesetz" vom 9. Dezember 1905 garantiert uneingeschränkte Religionsfreiheit in Frankreich, erklärt aber zugleich: "Die Republik erkennt keinen 'Culte' (= Religion) an". Es ging dabei um die Abschaffung der institutionellen Stellung, wie sie bis dahin die Katholische Kirche, die beiden protestantischen Konfessionen und die Juden genossen hatten (u.a. Besoldung der Pfarrer und Rabbiner durch den Staat etc.). Natürlich wird damit nicht die Existenz der Religionsgemeinschaften bestritten; die Ausübung der Religion aber sollte nun durch die Schaffung von "cultuellen" Vereinen geregelt werden.

"Cultuelle" Vereine für die freie Ausübung von Gottesdienst

Die "cultuellen Vereine" sollen ausschließlich für die Ausübung der Gottesdienste ("culte"), also für die Religionsausübung sorgen. Sie dürfen keine andere Tätigkeit ausüben. Alle anderen karitative, erzieherische, publizistische etc. - Tätigkeiten der Religionsgemeinschaften werden von Vereinen des allgemeinen Rechtes getragen; viele davon wiederum genießen auch die Vorteile der "anerkannten Gemeinnützigkeit" (ein wenig anders als die deutschen gemeinnützigen e.V.s).
Wenn Vereinigungen nun als "cultuell", also Zwecken des Gottesdienstes dienend vom Innenministerium anerkannt sind, dürfen sie Schenkungen und Erbschaften annehmen und sind für ihre Kirchen bzw. ihre jeweiligen religiösen Zwecken dienenden Gebäude von der Grundsteuer befreit. Es gibt heute verschiedene Religionsgemeinschaften, die 1905 kaum vertreten waren und die heute über als "cultuell" anerkannte Vereinigungen verfügen. Darunter sind nun mehrere muslimische, auch buddhistische "cultuelle" Vereinigungen. Es ist hier unmöglich, auf alle Einzelheiten einzugehen, erwähnt werden soll aber, daß z.B. jede katholische Diözese ihren "cultuellen" Diözesanverein zur Unterhaltung der Kirchengebäude und des gottesdienstlichen Lebens hat.

Königreichssäle - Gottesdienst räume oder Schulungsräume?

Auch die Zeugen Jehovas versuchen nun seit Jahren, ihre örtlichen Einrichtungen ("Königreichsäle") als "cultuelles" anerkennen zu lassen. Außer in einigen Fällen (die gegenwärtig von den Steuerbehörden angefochten werden) ist ihnen dies nicht gelungen. (Auch gegen diese negativen Entscheidungen haben "Jehovas Zeugen" Berufung eingelegt. Eine Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichtes "Conseil d'Etat" hat die Ansprüche, die "Königreichssaal-Vereinigungen" als "cultuell" anzuerkennen, zurückgewiesen. Unter anderem "weil die Natur und der Zweck mancher ihrer Aktivitäten ... diesem Verein nicht den Charakter eines cultuellen Vereins im Sinne des Gesetzes von 1905 verleihen".

Schenkungsgesetz von 1992

Anfang Mai 1998 hat die Direktion der Steuerbehörde des De_[partement "Hautsde-Seine" (unmittelbare Nähe von Paris) nach langen Ermittlungen dem französischen Sitz der WTG ihre Entscheidung mitgeteilt:
Es geht dabei um die Besteuerung von Schenkungen, die seit einem Gesetz von 1992 (das sich nicht speziell auf Sekten bezieht) mit 60 % zu besteuern sind. Danach werden Schenkungen als reguläre Einnahmen eingestuft. Es geht dabei natürlich nur um größere Summen, nicht um kleine Geschenke oder um den "Klingelbeutel".
Ehemalige Zeugen oder Angehörige berichten, daß u.a. alte Leute bewogen werden, ihr Haus oder andere Güter zu verkaufen und den Erlös direkt an die WTG zu übergeben. Betroffen waren dabei zunächst die rechtmäßigen Erben, aber in manchen Fällen auch die Steuerkasse.
Für die letzten Jahre geht es um einen Betrag von über Fr 300 Millionen (fast 100 Millionen DM), die nachgezahlt werden sollen. Anfang Juli hat die Steuerbehörde den Besitz des Vereins der Zeugen Jehovas mit Hypotheken belastet - zunächst nur als Sicherheit. Die Zeugen Jehovas behaupten nun, damit seien sie Opfer religiöser Intoleranz; außerdem versuchen sie, anderen religiösen Vereinen ("an die 2 000!") einzureden, sie könnten "Opfer" der gleichen "Verfolgung" werden. (Zur Erinnerung: Nur als "cultuell" also "gottesdienstlichen Zwecken dienend" anerkannte Vereine sind von dieser Steuer befreit - aber auch dabei dürfen Erben, wenn solche vorhanden sind, nicht übergangen werden).

Religionsfreiheit und Schenkungssteuerfreiheit

Auf einer Pressekonferenz protestierten (u.a.) die Anwälte der Zeugen Jehovas: Die Besteuerung dieser Schenkungs Einnahmen sei ein "fiskales Attentat auf Vereinigungs- und Religionsfreiheit". Sie beabsichtigen, die Entscheidung der Steuerbehörde vor Gericht anzufechten. Behauptet wird, der Staat wolle die Beiträge der Gläubigen an eine Religionsgemeinschaft besteuern, also den Ertrag der Kollekten - aber darum geht es natürlich nicht.
Da die vom Staat geforderten 300 Millionen 60 % der Einnahmen der WTG in den letzten 3 Jahren betragen müssen, geht die Steuerbehörde anscheinend von einem Einkommen (durch Schenkungen) von Fr 500 Millionen aus, wobei es nur um Summen geht, die sich belegen lassen. Die Erfahrung lehrt, daß die Beträge, um die es geht, in Wirklichkeit viel höher sind.
Steuerhinterziehung ist nichts Neues, doch geschah sie früher selten im Namen der "Religionsfreiheit". Jetzt mehren sich Unternehmungen - ob "Sekten" oder kommerzielle - die sich mit dem Namen "Kirche" oder "Religion" schmücken und unter diesem Mäntelchen alle möglichen Privilegien gegenüber "normalen" Bürgern und Vereinen beanspruchen. In Frankreich aber wurden solche Privilegien seit einem Jahrhundert ziemlich genau geregelt und zum großen Teil abgeschafft.
Die Anzeige in US-Zeitungen könnte darauf hindeuten, daß die Zeugen Jehovas dem Beispiel der Scientology folgen möchten, die bereits versuchen, den USKongreß und die US-Regierung in ihren Feldzug (in diesem Fall gegen die Bundesrepublik Deutschland) einzuspannen. Wer ist der Nächste?
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