Seite 15-16 n_rechtsweiter Seite 17-18 ( 28 KB) n_links Start-Seite 1

BEITRÄGE

BERLINER DIALOG 16, 1-1999 - Ostern

ISKCON an den runden Tisch?
von Ingo Heinemann

Im Oktober 1998 berichtete Ingo Heinemann in dem von ihm herausgegebenen AGPF-Info 14/98 "Hare-Krishna-Kult (ISKCON): Anhänger drohen mit Massenselbstmord". (1)
Daraufhin wurde er verschiedentlich sehr kritisch angegangen: Ob er denn die diversen Äußerungen zum Wandel in der Krishna-Bewegung und in der ISKCON nicht kenne.
Wir haben Ingo Heinemann gebeten, für den BERLINER DIALOG einmal schriftlich zum Wandel in der ISKCON Stellung zu nehmen.
- Red.

Vorab: "Massenselbstmord" ist ein Zitat. Das Wort wurde kürzlich in Kreisen der Krishna-Bewegung benutzt. (Näheres war auch im update des BERLINER DIALOG 4-98, S. 28 zu lesen. - Red.)
Ich kenne auch diverse Äußerungen zum Wandel in der ISKCON und ich bezweifle nicht die Ernsthaftigkeit des Wunsches zum Wandel. Ich kenne jedoch bisher wenig Fakten, aus denen sich eine tatsächliche Änderung der Organisation erkennen läßt. Nur schwer vereinbaren läßt sich dieser Wunsch zum Wandel auch mit der Serie von Prozessen, die von dieser Krishna-Organisation in Deutschland auch gegen banale Äußerungen angestrengt wurden.
Ich habe mich allerdings nicht mit religiösen Fragen befasst, sondern mit der Krishna-ISKCON-Organisation. Es mag durchaus sein, daß sich in Glaubensfragen Änderungen ergeben haben. Insoweit verweise ich auf den Artikel "Wie kann die Gesellschaft für KrishnaBewußtsein ihr Sekten-Image überwinden?" von Prof. Dr. Georg Schmid im Berliner Dialog 3-98.

Vorwürfe
Die Vorwürfe gegen die Krishna-ISKCON-Organisation beinhalten sexuellen Mißbrauch, Mord und Drogenhandel. Es geht also um Straftaten und Opfer.
Im April 1987 hatte die Zeitschrift Rolling Stone berichtet: "Mörder gesucht? Wähle OM ("DIAL OM FOR MURDER").
Es hieß dort u.a.: "Der Fall der KrishnaKiller - Die Hare Krishna Church, einst ein Heiligtum für sanfte junge Idealisten, ist jetzt ein Zufluchtsort für Drogenhändler, der Kinderschändung Verdächtigte und Mörder".
Im Juni 1987 habe ich in einer Informationsschrift der AGPF vom 30.6.1987 in diesem Zusammenhang unter der Überschrift "Hare-Krishna-Kult: Mord am Fluß" berichtet. (2)
Die Elterninitiative Leverkusen berichtete in ihrer Informationsschrift EL 5/89 über den sexuellen Mißbrauch von Kindern und Frauen in der ISKCON-Kommune New Vrindaban, gestützt auf das "Beacon Journal" vom 7.2.88. Weitere Berichte in deutschen Medien sind mir nicht bekannt.
Über 10 Jahre später veröffentlichte die ISKCON eine Untersuchung in ihrem "ISKCON Communications Journal" Jg. 6, Heft 1, Juni 1998 unter der Überschrift: "Missbrauch von Kindern in der Hare Krishna Bewegung: 1971-1986" von Rochford und Heinlein.
Der Artikel ist bisher nicht auf deutsch verfügbar. (Vergleiche aber die Zusammenfassung von zwei Artikeln aus dieser Zeitschrift im BERLINER DIALOG 1-99 S.17)
Mit diesem Artikel wurde der massenhafte sexuelle Missbrauch von Kindern in den privaten ISKCON-Schulen zwar nicht erstmalig aufgedeckt, wohl aber die vorliegenden Berichte in der Presse bestätigt.
Ich sehe diesen Missbrauch im übrigen als eine Folge des Missbrauchs von Macht, des Missbrauchs psychologischer Methoden und des Fehlens interner und externer Kontrollen an.

Wandel ohne Konsequenzen?
Seither ist viel und teilweise euphorisch die Rede vom Wandel. Ich kann das nicht nachvollziehen. Eltern haben ihre Kinder den Schulen einer Organisation anvertraut. Viele Kinder sind dort sexuell mißbraucht worden. Ca. 20 Prozent seien in irgendeiner Weise mißbraucht worden, in einer Schule sogar ca. 75 Prozent aller Schüler/innen, berichtet der EZW-Materialdienst 11/98.
So etwas hat es anderswo bisher allenfalls in einzelnen Einrichtungen gegeben, noch nie jedoch in einer ganzen Organisation oder wesentlichen Teilen davon. Es ist keine Frage, daß die Organisation und ihre Leiter dafür Verantwortung trifft.
Die Ausflüchte, die (1998!) zu lesen waren, entsprechen den vielfach von Straftätern benutzten Ausflüchten. Der Hinweis auf vergleichbare Straftaten in großen Kirchen oder bei den Pfadfindern ist schlimm und dumm. Nicht zuletzt wegen der ungleich größeren Zahl der dortigen Betreuer und Betreuten.
Die Benutzung derartiger Ausflüchte wird im Strafrecht meist als mangelnde Einsicht in eigenes Fehlverhalten gedeutet und führt zu einer negativen Prognose für künftiges Verhalten.
Wieviele Täter sind zu welchen Strafen verurteilt worden? Darüber habe ich bisher nichts gefunden. Vereinsinterne Strafen können bei derartigen Verbrechen als Strafvereitelung oder gar Mittäterschaft anzusehen sein, wenn keine staatliche Strafverfolgung stattgefunden hat.
Konkrete Informationen darüber, wie organisationsintern mit den Tätern verfahren wurde, habe ich bisher auch nicht gefunden.
Es ist absolut selbstverständlich, daß wasserdichte Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit keiner der Täter wieder in der Betreuung tätig ist.
Wer prüft das? Wer stellt das sicher und wie?
Eine Organisation, die in der Betreuung tätig ist, hat Vorkehrungen gegen den Mißbrauch von Kindern zu treffen. Das gilt besonders für den Schulbereich, weil die Möglichkeit des Mißbrauchs in diesem Bereich seit langem bekannt ist. Offenbar sind keine derartigen Maßnahmen getroffen worden.
Welche derartigen Maßnahmen sind danach getroffen worden?
Auch darüber findet man nichts.

PR-Konsequenzen
Eine Resolution kann derartige Maßnahmen nicht ersetzen, zumal die Wege der Entscheidung und Verantwortung nicht mit denen sonstiger Schulen vergleichbar sind.
Höchst wirksam hingegen waren offenbar die PR-Maßnahmen.
Vielfach wird die ISKCON-Organisation heute als Partner für den interreligiösen Dialog an den runden Tisch gebeten. Selbst in der politischen Meinungsbildung wurde die ISKCON-Organisation als Beispiel für den Wandel aufgeführt und daraus die Forderung nach eben jenem runden Tisch abgeleitet und andere Maßnahmen abgelehnt.
Beiläufig wird in einer Broschüre der Hammer "Katholisch-Sozialethischen Arbeitsstelle" (KSA) erwähnt, in Deutschland habe es keine KrishnaSchulen gegeben. (3) Hat aber jemand nachgeprüft, wieviele deutsche Kinder in die ISKCON-Schulen in den USA (und anderen Ländern) gingen?
Hat jemand nachgeprüft, wieviele Deutsche unter den Tätern waren?
Wer stellt sicher, daß Täter und Opfer sich nicht in Deutschland an einem kirchlich oder staatlich gesponserten runden Tisch ungewollt begegnen?
Wer weiß, wieviele deutsche Kinder heute in ISKCON-Schulen in den USA (und anderen Ländern, auch solche im Osten) gehen?
Selbst in dem erwähnten KSA-Bericht wird von den "mehr oder weniger effektiven Gegenmaßnahmen" der ISKCON gesprochen.
Bei sexuellem Mißbrauch sind aber "mehr oder weniger effektive Gegenmaßnahmen" entschieden zu wenig. In Wahrheit waren die Gegenmaßnahmen also unwirksam. Die Leitung der Organisation hat also offenbar den Schulbetrieb weitergeführt, obwohl der sexuelle Mißbrauch der Schüler/innen durch die Lehrer bekannt war und obwohl erkennbar sein mußte, daß die Gegenmaßnahmen nicht ausreichend waren.
Eine öffentliche Schule wäre in einem solchen Fall geschlossen worden.
Bleibt also auch die Frage, welche Schulen geschlossen worden sind, worauf die Schließung beruht hat und ob es Nachfolgeeinrichtungen gibt.
Dahinter steht das Problem der möglichen Vertuschung des sexuellen Mißbrauchs und insbesondere die Frage, ob die Gefahr jetzt wirklich beseitigt ist.

PR-Konsequenz Runder Tisch?
In einem Gutachten (4) für die BundestagsFraktion der Grünen heißt es: "Keiner ist nur Opfer, jeder ist immer auch Täter!" Es geht dort um Psychotherapie, nicht um Kriminalistik. Es geht dort aber auch um den Vorschlag des "runden Tisches". Als mögliche Teilnehmer an einem solchen "Runden Tisch" ausdrücklich erwähnt: Krishna-ISKCON.
Bisherige Betreuungs-Aktivitäten werden in dem Gutachten teils ignoriert, teils als erfolglos oder gar mißbräuchlich dargestellt. Der Gutachter geht so weit, zu schreiben:
"Schließlich sind mir Fälle bekannt, wo sogenannte 'Sekten-Opfer' über Jahre von Weltanschauungs-Beauftragten auf unzähligen Veranstaltungen 'vorgeführt' wurden, in dem Moment, wo sich eine andere Deutung ihrer eigenen Geschichte entwickelte, die mit der der Weltanschauungs-Beauftragten nicht mehr übereinstimmte, aber 'fallengelassen' wurden".
Wenn so etwas in einem Gutachten steht, dann ist das ein ganz besonders harter, möglicherweise dienstrechtlich relevanter Vorwurf, zumal kaum mehr als ein Dutzend der Beauftragten dafür in Frage kommt und nicht von einem Fall die Rede ist, sondern von Fällen. (*)

Glaubwürdigkeit von Zeugen
Ich beobachte die Szene seit über 20 Jahren. Ich kenne keinen einzigen Fall, auf den diese Beschreibung passen könnte. Ich kenne aber viele ehemalige Anhänger von Sekten und Kulten, die bereit waren, öffentlich über ihre Erfahrungen zu berichten. Die also bereit waren, ihre Kenntnisse an Staat und Gesellschaft zu vermitteln und die dadurch die heutige Diskussion überhaupt erst ermöglicht haben. Oft unter Zurückstellung des eigenen beruflichen Fortkommens und unter dem Risiko, von den Organisationen angegriffen zu werden.
Ich würde es für nicht akzeptabel halten, wenn diese im Nachhinein als "Vorgeführte" dargestellt würden, die somit erneut mißbraucht worden wären.
Daß diese Ehemaligen sich irgendwann um ihre eigenen beruflichen und privaten Belange kümmern mußten und diese Informationstätigkeit eingestellt haben, ist im übrigen der übliche Verlauf.

Roß und Reiter
Der Gutachter möge deshalb Roß und Reiter nennen.
Die Beschuldigten müssen Gelegenheit haben, ihre Version darzulegen.
Wenn der Kreis der in Frage kommenden klein genug ist, dann wird aus einer solchen Behauptung schnell eine Vorverurteilung. Eine solche Vorverurteilung ist besonders kritisch, wenn der eigentliche Prozeß der Klärung ausbleibt.
Das Gutachten hat Eingang in ein Sondervotum von Mitgliedern der EnqueteKommission "Sog. Sekten und Psychogruppen" des Bundestages gefunden. Und zwar zum Thema "Informationsund Beratungsbedarf bei nichtstaatlichen Stellen"
Vorgeschlagen wird, "Mediationseinrichtungen zu schaffen". Zitiert wird dazu das fragliche Gutachten und der dort empfohlene "Runde Tisch".
"Mediation" dient der Lösung von Konflikten zwischen Einzelpersonen.
Bei den durch Sekten verursachten Problemen geht es in aller Regel nicht um Konflikte zwischen Einzelpersonen.
Stand: 15.2.99

Ingo Heinemann ist Rechtsanwalt und langjähriger Geschäftsführer der AGPF - Aktion für Geistige und Psychische Freiheit. Arbeitsgemeinschaft der Betroffenen-Initiativen e.V. - Internet: http://home.t-online.de/home/ AGPF.Bonn -
Anschrift: D- 53229 Bonn, Im Blankert 35, Tel. 0228-631547 E-Mail: AGPF.Bonn@t-online.de

Anmerkungen
(1) Der Artikel "Hare-Krishna-Kult (ISKCON): Anhänger drohen mit Massenselbstmord" ist im Internet unter:
http://home.t-online.de/home/AGPF.Bonn/inf98-14.htm nachzulesen oder kann beim Verfasser angefordert werden.
Anschrift: Ingo Heinemann 53579 Erpel, Grabenstrasse 1, Tel. 02644-98013-0 Fax 0264498013-1
E-Mail: Ingo.Heinemann@t-online.de
(2) "Hare-Krishna-Kult: Mord am Fluß" im Internet unter http://home.t-online.de/ home/AGPF.Bonn/idk87-2.htm.
(3) Das schreibt Harald Baer, Referent der Katholischen Sozialethischen Arbeitsstelle in seinem Aufsatz "Radikale Entradikalisierung" in Informationsdienst Sekten- und Weltanschauungsfragen der KSA 4/1998
(4) "Gutachten Für die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen ZUM THEMA: 'Beratungsbedarf im Umfeld von religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften unter besonderer Berücksichtigung professioneller Anforderungen an die Beratung' Angefertigt von Dr. Fritz Huth im März 1998"

* Anmerkung der Redaktion:
Die Redaktion teilt die Meinung von Herrn RA Heinemann, daß es sich hierbei um einen dienstrechtlich relevanten Vorwurf gegen eine unbestimmte Zahl kirchlicher Sektenund Weltanschauungsbeauftragter handelt. Wir sind sogar der Meinung, daß es sich um den für ordinierte Seelsorger noch viel schwerwiegenderen öffentlichen Vorwurf des Bruchs ihres Ordinationsversprechens und der Verletzung ihrer Hirtenpflicht handelt, die sie bei der Ordination auf sich genommen haben. ("Als treuer Hirte sollst du ... die Betrübten trösten, die Schwachen stärken, den Verirrten nachgehen und niemand verloren geben...".)
Bisher hat sich Herr Dr. Fritz Huth auf entsprechende innerkirchliche Anfragen, auch aus dem Kreis von Redaktion und Redaktionsbeirat, geweigert, angeblich Geschädigte und angebliche Täter zu benennen oder irgendwelche Beweise für seinen gutachterlich erhobenen Vorwurf zu erbringen. Er hat sich dabei auf "Informantenschutz" berufen, obwohl er ja in seinem wissenschaftlichen Gutachten davon geschrieben hatte, "ihm" seien selbst "zahlreiche Fälle bekannt". Einige der durch den Vorwurf Betroffenen hat er auf persönliche Anfrage ausdrücklich von dem Verdacht und Vorwurf ausgenommen. Mitglieder der Redaktion sind der Meinung, daß sich damit das Problem eher noch zugespitzt hat und werden darauf drängen, den öffentlich erhobenen Vorwurf einer öffentlichen Klärung zuzuführen. Bis zum Antritt eines Beweises ist davon auszugehen, daß diese im Gutachten für die Grünen von Herrn Dr. Huth geäußerte Behauptung, die tendenziell im Sondervotum der Grünen und entsprechenden Äußerungen von Vertretern der Grünen bereits ihren Niederschlag gefunden hat, eine zweckdienliche Lüge ist.


Seite 15-16 n_rechtsweiter Seite 17-18 ( 28 KB)
n_oben Anfang

n_links Start-Seite 1