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Sonntags oder nie
Fünfundzwanzig Jahre DialogCenter International
von Christoph Tanneberger
Zum 70. Geburtstag von Johannes Aagaard
Endlich: der Kaffe dampft, fern läuten die Kirchenglocken. Plötzlich schleudert das schrille Türschellen beinahe die Butter vom Brot und Sie aus den süßesten Träumen. "Gäste? Um diese Zeit? Wären wir doch bloß zum Gottesdienst gegangen." | ||
- Wollen Sie es wirklich wissen? Oder schlagen Sie gleich die Tür zu? | Johannes Aagaard im Dialog mit einem Hindu in Rishikesh, einem der heiligen Orte Indiens, Foto: DCI |
Das DCI in Aarhus
Im dänischen Aarhus gibt es jemanden, der die Tür weit aufmachen will, nicht nur bei Jehovas Zeugen. Johannes Aagaard will es ganz genau wissen, wenn er mit Menschen anderer religiöser Auffassungen zusammenstößt. Als Missions- und Religionswissenschaftler spürt er sie sogar überall auf der Welt auf, um mit ihnen zu reden. Bloß reden? Aagaard ist einer der Pioniere bei der Erforschung der New Religious Movements (NRM). "Die Welt ist religiöser denn je", findet er. Deswegen fragt er nach, will er wissen, was an fremden Religionen, Sekten und Kulten dran ist. Vor 25 Jahren gründete er deshalb das Dialog Center International (DCI), dessen Präsident Aagaard heute ist. Der Universitätslehrer will auf die multireligiöse Situation unserer Zeit aus kirchlicher Sicht antworten.
Inzwischen operiert das Dialog Center weltweit, um mit Anderem und Fremdem in Dialog zu treten, es zu verstehen und einzuschätzen. Gemeinde im religiösen Gemischtwarenladen Seine Erkenntnisse will das DCI unters Kirchenvolk bringen. Christen sollten wissen, welche religiösen Motivationen ihnen täglich begegnen. Wir bewegen uns häufiger im religiösen Gemischtwarenladen, als wir denken. Leider ist neben den exotischen und delikaten Früchten zu oft auch faules Obst dabei. Wer davon kostet, kommt nur selten mit einer leichten Magenverstimmung davon. Manchmal fordert der Auswuchs eines religiösen Gedankens auch Opfer. Wie schnell religiöse Information wichtig werden kann, mußte die Kirchengemeinde Rheinsberg im Advent 1997 unfreiwillig erleben. Unbekannte hatten mit Schmierereien das Gotteshaus geschändet. |
"Satan lebt", schrie es den Rheinsbergern entgegen. Satanssymbole wie umgekehrte Kreuze machten die Menschen in Rheinsberg fassungslos - wie vorher schon in Finsterwalde und Hoyerswerda.
In Altentreptow schockierte ein "Heidnischer Blutsbund" mit Kirchenschändungen. |
Satan auf der Kirchenwand |
Wir wissen nicht einmal, wem oder was wir begegnen: Ob Menschen in Rheinsberg mit satanistischen Auswüchsen konfrontiert werden, ob ein Polizist Scientologe ist oder ob der Hausarzt Yogaübungen zur Entspannung empfiehlt. Heutzutage tragen alte Ketzereien und neue Sekten, aber auch die klassischen Religionen jeweils neue Kleider, mitunter sogar Verkleidungen.
Vereinigungen wie Hubbards Scientology blenden mit christlichen Begriffen wie 'Kirche' und dem Kreuzeszeichen. Andere hingegen gaukeln vor, mit Religion nichts zu tun zu haben. Wer z.B. beim alten Beatles-Guru Maharishi etwas tiefer schürft, stößt auf die spirituelle Basis für seine Transzendentale Meditation: Mantra-Yoga und Gurukult. Antwortfähig werden
Mal ehrlich: Aufgeklärt fühlen wir alle uns über Sekten und Psychokulte. Wir meinen zu wissen, welche gefährlich sind. Schließlich wimmelt es doch in der deut- Christen wissen von ihrer eigenen Religion zu wenig - von fremden schon gar nichts. Religiosität wird zur großen Unbekannten. "Manche Menschen glauben deshalb sogar, daß die Zukunft des Christentums in rein sozialen oder politischen Begriffen gefunden werden müßte", stellt Aagaard fest. "Daran ist die christliche Kirche nicht unschuldig", führt er weiter aus. Mit der Säkularisierung des westlichen Lebens haben sich zum Teil auch die Kirchen "aus der religiösen Affäre gezogen". Christen haben die Herausforderung anderer religiöser und kultischer Strömungen beinahe ignoriert. Auch, als sie sich zahlreich den Weg nach Westen gebahnt hatten, schauten nur wenige Spezialisten über den christlichen Tellerrand. Das Dialog Center will den Horizont erweitern. "Das verlangt die multikulturelle und multireligiöse Wirklichkeit von uns", sagt Thomas Gandow. Der Pfarrer leitet den Berliner Ableger des Dialog Centers, das Dialog Zentrum Berlin. Der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg kennt die bunte Welt - gerade bei uns.
Als Religion ist auch das Christentum ein Teil der multireligiösen Gesellschaft. Damit es eine lebendige Religion bleibt, müssen auch Christen von ihrer Umgebung Kenntnis nehmen. Das DCI wagt die Begegnung Aagaard und Gandow wollen jedoch in der rauhen Wirklichkeit nicht nur klarsehen, sondern auch ihren eigenen Standpunkt deutlich vertreten. Sie wollen nicht nett sein, nur weil es so nett ist. Eine Begegnung zwischen Angehörigen fremder Religionen ist für sie keine Cocktailparty. "Echter Dialog heißt für uns, nicht auszuweichen", erklären die beiden. Um sich kennenzulernen, müssen sich Dialogpartner die Überzeugungen des anderen genau anhören und selbst Farbe bekennen.
Im Diskurs können den Partnern wechselseitig Lichter aufgehen: Vielleicht entschleiert sich der fremde Partner als so spannend, daß man aus seinen glaubwürdigen Argumenten viel lernen kann. Bitter schmeckt die Zusammenkunft nur, wenn sich das Gegenüber als menschenverachtende und totalitäre Gruppe entpuppt. "Scientology wollte uns schon oft einen Maulkorb verpassen. Ihre Devise heißt: Gegenabsichten eliminieren, dann fremde Meinungen beseitigen", stellt Gandow fest. Darauf reagiert das DCI mit der Alarmglocke. Gandow: "Unbedingte Voraussetzung der Religionsfreiheit ist Informations- und Kritikfreiheit." Bereit zur Rechenschaft Die Lebenswirklichkeit - etwa in Berlin ein Dutzend Esoterik-Seminare am Wochenende - fordert die Christen zum Bekenntnis ihres Glaubens im Dialog mit anderen. Aagaard: "Nur so kann die Kirche authentisch in ihrer Sendung sein." Die Bereitschaft zum Dialog ist also nicht nur ein menschliches, sondern ein speziell christliches Anliegen. "Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von Euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in Euch ist", heißt es im ersten Brief des Petrus. Diese Art von Rechenschaft (gr.: Apologetik) gehört mit dem Dialog zur Grundlage für das Dialog Center. "Bereit" sind viele Christen. Können sie es jedoch auch? Manche Kritiker verstehen das Dialog Center bloß als kirchliches Verteidigungsministerium, berichtet Gandow. Er hingegen beruft sich auf Martin Bubers Dialoggedanken: "Um Du sagen zu können, muß man erst wissen, wer man selbst ist", stellt Gandow fest. Auch nach Aagaards Ansicht ist das die einzige Möglichkeit, andere Glaubenssysteme ernst zu nehmen ohne die Loyalität zum eigenen Glauben aufzugeben. Das Dialog Center will weltweit Mittel und Wege für solch echten, verantwortlichen Dialog zwischen Christen und Anhängern alter und neuer Religionen schaffen. Da für Religionen weder Staatsgrenzen noch Ozeane unüberwindbare Hindernisse sind, gelten sie für das Dialog Center auch nicht. Die ersten Knotenpunkte im Netzwerk des dänischen Zentrums waren New Delhi und Bombay in Indien. In europäischen Gefilden trifft man Zentren in Irland, England, in Berlin und inzwischen auch in vielen Ländern Osteuropas. Die neuesten Trends der New Religious Movements werden über den heißen Draht innerhalb des DCI verschickt. Das eigentliche Ziel erreichen die Mitarbeiter des DCI erst, wenn die brisanten Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. In Dänemark erscheint die Zeitschrift "Den nye Dialog", die Engländer informieren sich mit "Update & Dialog", in Griechenland bezieht man den "Dialogos", in deutscher Sprache den "Berliner Dialog", in Belgrad erscheint der "Belgrader Dialog". Unabhängig von der Sprache haben alle Zeitschriften ein Ziel: Sie wollen ihre Leserschaft dialogfähig machen. In Berlin heißt das für Thomas Gandow immer wieder auch "vor Gruppen zu warnen, die wir als totalitär oder faschistoid erkannt haben". Nach dem Fall von Mauer und Eisernem Vorhang wurde Berlin wichtigster Stützpunkt für die Arbeit in Osteuropa. "Die sozialistischen Systeme hatten für ihre Menschen den religiösen Teil der Wirklichkeit abgeschafft, setzten sich selber an die Stelle der Religion", erklärt Gandow die Sondersituation. Das ideologische Vakuum nach dem Zusammenbruch des Sozialismus nutzen Religionen und einige tausend Sekten und Kulte. Psycho-Organisationen wie Scientology bieten sich als Ersatz für die kommunistische Ideologie an: Im alten Ostblock verkaufen sie sich als 'wissenschaftliche Weltanschauung', bieten Managementtrainings an. Für den Erfolg ihrer Strategie ist Sergej Kirijenkos Aufstieg bester Beweis. Von Berlin aus bestehen Kontakte zu den Dialog-Zentren in Serbien, Lettland, Bulgarien, Rumänien, in der Slowakei und in Rußland sowie zum Ökumenischen Zentrum in Budapest, Ungarn und zu Partnern in Tschechien und Polen. Erste Ergebnisse der Zusammenarbeit sind das Osteuropaseminar 'Dialog in Berlin' und eine Vorlesungsreihe an der slowakischen Universität Nitra.
Mitmachen und unterstützen kann das Dialog Center jeder: Zum Beispiel mit einem Abonnement der Zeitschrift 'Berliner Dialog': Sie wird nur aus Spenden finanziert - ohne Kirchensteuermittel. Dialog Zentrum Berlin Gandow gründete jetzt das Dialog Zentrum Berlin als Verein: "Damit Interessierte hier und in Osteuropa die Zeitschrift auch in Zukunft regelmäßig lesen können." Internet-surfer können auch auf den Wellen des DCI reiten: In Berlin auf den Seiten der Landeskirche unter http://www.ekibb.com/seels/sekten, in Deutschland auch bald unter
http://www.dialogzentrum.de [noch
nicht online!]. http://www.religio.de. Das DCI selbst hat seine web-Heimat unter
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