= PAGE 0022 = goto S24 (8 KB)


BÜCHER & MEDIEN

Rezensionen

Der Olzog-Verlag ist sich noch nicht ganz sicher, wie das Buch heißen soll: "Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland" lautet ein Kleber, der den ursprünglichen Untertitel "Religionen und Glaubensgemeinschaften in Deutschland" überklebt. Vielseitig ist auch die Mitarbeiterschaft. Sie schließt Pastor Helmut Langel aus Bremen ebenso ein wie Frank Usarski, Steffen Rink und Thomas Schweer; Erich Geldbach, jetzt Bochum und Reinhard Frieling, Direktor des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim ebensowie Diviratha Dasa, bürgerlich: Dirk Büchner, seines Zeichens Öffentlichkeitsreferent der ISKCON. Grund genug für den BERLINER DIALOG, die Rezension eines Fachmanns anzufordern. - Red.

Ein neues Handbuch über Religiöse Gemeinschaften?
von Andreas Finke

Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hg.): Handbuch der Religionen.
Religionen und Glaubensgemeinschaften in Deutschland, Olzog-Verlag, Landsberg a. Lech 1997, Loseblattsammlung, Grundwerk ca. 700 S., 168,- DM

Das Handbuch spannt einen weiten Bogen: Ausführlich wird das Christentum in Deutschland behandelt, aber auch Judentum, Islam und Buddhismus. Da diese Darstellungen von gediegener Qualität sind, soll im Folgenden auf die Beschreibung der neueren religiösen bzw. weltanschaulichen Phänomene eingegangen werden. Gerade mit Blick auf dieses schnellebige Milieu könnte sich ein erweiterungsfähiges und damit leicht aktualisierbares Ringbuch über die religiöse Landschaft in Deutschland verdient machen. Aber leider bleibt die publizierte Wirklichkeit weit hinter dieser Idee zurück und hat - im negativen Sinn etwas von einer "Loseblattsammlung". Bereits beim flüchtigen Durchblättern der entsprechenden Kapitel entsteht der Eindruck, daß einige Beiträge über die christlichen Glaubensgemeinschaften außerhalb der Großkirchen (Kapitel II-5) bzw. über die eher konfliktreichen, neureligiösen Phänomene (Kapitel VIII und IX) nur oberflächlich angelesen sind und von Halbgenauigkeiten strotzen. Das gilt z.B. für die Ausführungen über Jehovas Zeugen, welcher m.E. ohne jeden Kontakt zu einem (kritischen) Zeugen entstanden ist, aber auch für den Artikel zur Osho-Bewegung oder Reiki. Über die Osho-Bewegung beispielsweise heißt es: "Man kann davon ausgehen, daß (sie) durchaus Chancen hat, sich neu zu etablieren." Ist es nicht vielmehr so, daß die Osho-Bewegung praktisch tot ist, während sich Teile der Bhagwan-Philosophie in allen Bereichen alternativen Kulturund Psychoszene finden? Ein anderes Beispiel: Bei seiner Beschreibung der TM ignoriert der Verf. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mai 1989, welches mit Blick auf die Risiken der TM von herausragender Bedeutung ist.

Also nur geschlampt? Oder hat das Übergehen kritischer Informationen Methode? Im Vorwort zum Kapitel "Asiatische bzw. von Asien ausgehende Gruppen und Bewegungen" heißt es: "Die Darstellungen verzichten weitgehend auf wertende Gesichtspunkte (...) Würdigungen bezüglich Seriosität und Unseriosität der behandelten Organisationen und Bewegungen überlassen wir dem Leser." Das klingt gut, wird aber kaum funktionieren, wenn dem Leser so wichtige Informationen vorenthalten bleiben. Ähnliches kann man an der Darstellung vom Fiat Lux beobachten: Mit keiner Silbe erwähnt der Autor die massiven apokalyptischen Ängste, welche die Gruppe für die nächsten zwei Jahre schürt; mit keinem Wort werden jene UFOs erwähnt, die allen Ernstes ein Drittel der Menschheit nach der Katastrophe ("Polsprung") evakuieren sollen. (Vergleiche Berliner Dialog 1-98 S. 11 ff.) Das sind keine wunderlichen Skandalgeschichten, welche eine sich religionswissenschaftlich verstehende Darstellung ignorieren könnte: Das ist elementares Glaubensgut bei Fiat Lux! Vermutlich weiß der Autor das nicht, lokalisiert er doch auch die Herausgabe der zentralen Schriften falsch und erwähnt darüber hinaus nur (alte!) Sekundärliteratur. Man mag diese Kritik für kleinlich halten, aber könnte die Stärke eines losen und erweiterungsfähigen Blattwerks nicht gerade darin liegen, daß auf kurzfristige Entwicklungen eingegangen wird? Mehrere Beiträge über die sog. "neuen Bewegungen" sind jedoch langweilig und ungenau.

Apropos ungenau: Ich verstehe nicht, wieso sich zwischen Fiat Lux und Scientology eine Beitrag über "feministische Spiritualität" findet. Vielleicht sollte man den bei nächster Gelegenheit umordnen? Schwierigkeiten habe ich auch mit dem Beitrag über das "Universelle Leben" (UL). Zwar wird vom Verf. eingeräumt, daß das UL die Kirchen mit Polemik überzieht, es wird jedoch postwendend unterstellt, daß auch "die Kirchen" (wer ist gemeint?) ihrerseits die polemische Abgrenzung erwidern. Wer je die Hetzschriften des UL gegen die örtlichen (katholischen oder evangelischen) Sektenbeauftragten gesehen hat, der dürfte sich hier verwundet die Augen reiben: Es gibt zwar scharfe Kritik der großen Kirchen am UL, gemessen an dem, was das UL treibt, kommt diese jedoch auf Samtpfoten herbei.

Übrigens ist es schon eigenartig, daß man sich zwar mit Wertungen zurückhalten wollte, mit Blick auf kirchliche Sektenbeauftragte dem Leser jedoch flotte (Vor-) Urteile unterbreitet.

Ein erhobener Zeigefinger schließt auch die Darstellung der Scientology ab: "Nicht zuletzt sollte darauf geachtet werden, daß das Randphänomen Scientology keine Vorwand liefert, alle anderen Neureligiösen Bewegungen gleichfalls zu diskreditieren." Was heißt hier "gleichfalls diskreditieren"? Scientology ist keine religiöse Bewegung und wird von niemandem diskreditiert - Scientology diskreditiert sich vielmehr in Wort und Tat häufig genug selbst.

Im Werbematerial wird die vorliegende Publikation als "fundiertes Nachschlagewerk" bezeichnet, in welchem die "gezielte Suche nach Stichworten möglich ist". Das verstehe, wer will. In dem mir vorliegenden Exemplar ist eine solche Suche schon deshalb nicht möglich, weil ein Register fehlt. Gemäß dem Inhaltsverzeichnis scheint ein Register auch nicht vorgesehen. Da auf fortlaufende Seitenangaben verzichtet wurde, dürfte die nachträgliche Einrichtung nur schwer möglich sein. Das "Handbuch für Wissenschaft und Praxis" erweist sich als Einbahnstraße: Wer erfahren möchte, was "Adsum" oder die "Naturgesetzpartei" ist, der sollte schon vorher wissen, wo er nachschlagen muß. Wenn er das aber weiß, dann sollte er sein Geld besser gleich in kompetentere Darstellungen investieren.

Das Beste an dem Handbuch ist die zugrundeliegende Idee: Ein fortlaufend aktualisierbares und sachkundiges Nachschlagewerk über die religiöse und weltanschauliche Szene wäre dringend notwendig. Vielleicht läßt sich die vorliegende Publikation aufwerten, indem bei einer Nachlieferung Schwächen behoben werden. Da könnte man auch gleich das Verzeichnis der Autoren vervollständigen und die falschen Telefonnummern auf Seite II-4.2.2.,13 korrigieren.



Pfr. Dr. Andreas Fincke, 39, ist Referent in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin für die christlichen Sekten und Sondergemeinschaften, bearbeitet aber auch den Bereich "Scientology-Organisation".


next page S 24
top
Inhaltsverzeichnis