4. 2. Spielen

4. 2. 1. Die Fröbelsche Spieltheorie

Fröbel beschäftigt sich mit dem Spiel erst nach 1836 intensiver, parallel zum Aufbau seiner Vorschuleinrichtung, dem Kindergarten. In seinem Hauptwerk "Die Menschenerziehung" stellt er nur sehr kurz das Spiel des Kindes dar. Der Abschnitt ordnet sich ein in sein Stufenmodell der Kindesentwicklung.

"Spielen, Spiel ist die höchste Stufe der Kindesentwicklung, der Menschenentwicklung dieser Zeit; denn es ist freitätige Darstellung des Innern, die Darstellung des Innern aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Innern selbst, . . . Spiel ist das reinste geistigste Erzeugnis des Menschen auf dieser Stufe, und ist zugleich das Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens, des innern geheimen Naturlebens im Menschen und in allen Dingen..." 1)

Spiel ist nach dieser Fröbelschen Definition ein reines geistiges Erzeugnis; ein inneres Bedürfnis treibt das Kind zum Tätigwerden, eine intrinsische Erregung, die eine ungezwungene Tätigkeit provoziert. Diese Darstellung menschlichen Tuns ist aber stets im Zusammenhang mit der alle Entwicklungsstufen durchziehenden Grundformel zu sehen:

"Innerliches äußerlich, äußerliches innerlich zu machen, für beides die Einheit zu finden: dies ist die allgemeine äußere Form, in welcher sich die Bestimmung des Menschen ausspricht; darum tritt auch jeder äußere Gegenstand dem Menschen mit der Aufforderung entgegen, erkannt und in seinem Wesen, seiner Verknüpfung anerkannt zu werden; dazu besitzt der Mensch die Sinne, d. i. die Werkzeuge, durch welche er jene Forderung erfüllt, welches auch erschöpfend und genügend das Wort Sinn, d. i. selbsttätige Innerlich - Machung bezeichnet." 2)

Auch im Spiel findet Lernen statt. Das wird von Fröbel aber begrifflich nicht so dargestellt. "Spielen", "Lernen", "Arbeiten" sind für ihn Bezeichnungen, um dominante Tätigkeiten auf einer bestimmten Entwicklungsstufe auseinanderzuhalten.

Das Kind verarbeitet im Spiel das, was es aus den Informationen seiner Umgebung erfährt. Es stellt das dar, was es an Erfahrungen gesammelt hat und Vorgänge, die beobachtet wurden. Bei der Nachahmung der Erwachsenenwelt treten dem Kind, bedingt durch noch unausgereifte Motorik, aber auch mangelnde Erfahrungen, Grenzen entgegen. Im Spiel kann es kompensatorisch das erreichen, was sonst nicht bewältigt werden kann. Wesentlich ist aber die überschneidung zu solchen Tätigkeiten, wie Lernen und Arbeiten. Beides geht auf der Kind - Stufe in die Spieltätigkeit mit ein, das Lernen mehr als die Arbeit. Wenn Lernen als informationsverarbeitender Vorgang aufgefaßt wird, der zum Erfahrungserwerb und zur damit verbundenen Verhaltensänderung führt, dann ist dieser während des Spiels aktiv, ebenso auch beim Arbeiten.

Fröbel unterschied vorschulisches Lernen und schulisches und beschrieb dies in einem Brief im Januar 1842 über die ersten Erfahrungen mit seinem Kindergarten an Gräfin Therese Brunszvik:

"Das Gelernte geht hier sogleich wieder ins Leben über, ohne Gegenstand an sich zu werden, dadurch unterscheidet sich dieses Lernen von dem in der Schule, zu welchem das Kind dadurch erst vorbereitet werden soll." 3)

Das Kind wird in der Schule das Lernen bewußt betreiben, es wird gezielt Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten begreifen. Fröbel verwendete Begriffe oft in ihrer Bildhaftigkeit, so zum Beispiel auch das Wort "begreifen". Ein Gegenstand soll der "Selbst- und Freitätigkeit" des Kindes übergeben werden, damit dieser "erfaßt (Faust) und begriffen (ge- und ergriffen) werden kann, . . ." 4) Mit dem Begreifen ist eine Handlung verbunden, also Tätigsein erzeugt den Lernvorgang, intentional. So sind alle Spiele und später im Knabenalter die Unterrichtsgegenstände in ihrem Gebrauch zu verstehen.

In seinen Ausführungen prognostiziert Fröbel, daß das konzentriert und ausdauernd spielende Kind sich damit die Grundlage für die künftige Arbeitstätigkeit schafft. Eltern, die diese Bedeutung des kindlichen Tuns nicht erfassen, behindern die Weiterentwicklung des Tätigkeitstriebes.

"Die Sinnen - und Gliedertätigkeit des Säuglings ist der erste Keim, die erste Körpertätigkeit, die Knospe, der Bildungstrieb; Spiel, Bauen, Gestalten die ersten zarten Jugendblüten, und dies ist der Zeitpunkt, wo der Mensch befruchtet werden muß für künftige Arbeitsamkeit, Fleiß und Werktätigkeit." 5)

Bei Fröbel ist selbst die Massenbewegung des Säuglings eine Erprobung der Leistungsfähigkeit seiner Gliedmaßen. Die erste Spielgabe, der Ball, ein Stoffball, der an einem Faden hängend sich bewegt, nach dem der Säugling gezielt greift, dient zur Schulung der "Sinnen - und Gliedertätigkeit". Das Spiel des Kleinkindes dient nicht dem Selbstzweck, sondern ist phylogenetisch verankerter Tätigkeitstrieb, der früher zur Erhaltung der eigenen Existenz diente und heute eine Vorübung für spätere Arbeitstätigkeit darstellt, indem es notwendige Denkoperationen ausbildet. So die 5. Spielgabe, der mehrfach geteilte Würfel, der Anregungen zum konstruktiven Denken bietet. Fröbels entwicklungsbedingte Systematik in den Spiel - und Beschäftigungsmitteln bietet ein relativ lückenloses Spielangebot, abgestimmt auf das jeweilige alterstypische Handlungsvermögen.

Auch die Tätigkeit "Spiel" ordnet sich in das ganzheitliche Denken Fröbels ein und ist ein Teil der Erkenntnistätigkeit des Menschen, die von früh an trainiert werden muß mit entsprechenden Angeboten durch die Eltern. Diese Art und Weise menschlichen Tuns ist stets im Sinne des Eingebettetseins in die gesamte Entwicklung der Menschheit zu sehen. Jedoch nicht ". . . auf dem toten Weg der Nachahmung, der Nach - und Abbildung, sondern auf dem lebendigen Wege der selbst - und freitätigen Entwicklung und Ausbildung. Jeder Mensch soll sie sich selbst und andern zum Vorbilde wieder frei aus sich darstellen; . . ." 6)

4. 2. 2. Definitionen des Spiels nach Fröbel

Namhafte Psychologen haben seit der Jahrhundertwende versucht, Spiel zu definieren. Es ist ihnen jedoch immer nur eine gewisse einseitige Hervorhebung und Vereinseitigung bestimmter Elemente der Spieltätigkeit bei der Beschreibung gelungen. HALLS betont in einer Rekapitulationslehre seine "Kulturstufentheorie", ebenfalls wie Fröbel, die Wiederholung phylogenetischer Entwicklungsstufen im Spiel des Kindes, jedoch ist bei letzterem dieser Prozeß dynamisch und auf ständig höherem Niveau der Erfahrungswelt von Generation zu Generation zu interpretieren.

SPENCER beschrieb die "Kraftüberschußtheorie", nach der sich überschüssige Energie in Spieltätigkeit umsetzt. LAZARUS geht in seiner "Erholungstheorie" vom Auffrischen verbrauchter Energie und Kraft durch Spiel aus. PIAGET betrachtet das Spiel von der Seite der kognitiven Entwicklung des Kindes und kommt der Fröbelschen Darstellung, daß ein Spielobjekt durch das spielende Kind mit verschiedenen Inhalten oder Symbolen belegt werden kann. (siehe Zitat unter 9 )

Fröbel betont die "freitätige Darstellung des Innern, die Darstellung des Innern aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Innern selbst" in der Spielhandlung. HELANKO kommt 1958 7) mit seiner verfaßten Definition der Fröbelschen Auffassung sehr nahe, der da betont, daß das Kind spielt, wenn es sich selbst das Ziel setzt etwas zu bauen und aus innerem Bedürfnis heraus dabei bleib. Diese Handlung jedoch zum Lernen oder zur Arbeit wird, wenn das Kind andere (z. B. Erzieher) anhalten, weiter zu bauen oder das Begonnene fertigzustellen. Auch WYGOTZKY (1978) und LEONTJEW (1977)8) sehen das Spiel im Sinne Fröbels, wenn sie schreiben, daß es sich dabei um eine "sinnstiftende" Tätigkeit handelt, die das Kind, aber auch den Erwachsenen mit der Umwelt, mit anderen Menschen oder mit Objekten in Einheit und als Ganzes vereint.

4.2.3. Bedeutung der Sprache im Spielverhalten

Eine besondere Bedeutung in der Entwicklung des Kindes schrieb Fröbel der Herausbildung der Sprache zu. In der "Menschenerziehung" wird dies zwar nur kurz für die Stufe des Kindes dargestellt, aber bekommt einen Wert für die künftigen Spielhandlungen. Mit dem Wort kann das Spiel bereichert werden, kann das Kind Innerliches äußerlich darstellen, z. B. Veränderungen innerer Zustände. Schon in der Säuglingsphase lernt das Kind, daß Lautäußerungen soziale Bindungen herstellen. Es findet eine Aktivierung des Verhaltens anderer Personen statt. So ist das Lallen nicht nur ein Spiel, um die Sprechwerkzeuge zu trainieren, sondern auch um auszuprobieren, wie die soziale Umgebung reagiert. An dieser Stelle kommt es durch instrumentelles Konditionieren zur Manifestierung des für das Kind erfolgreichen Verhaltens, und viele Eltern lassen schon die ersten Erziehungsfehler zu. Aus dem Spiel mit Lautäußerungen entwickeln sich so die ersten Grundlagen für späteres Fehlverhalten.

Vorerst ist aber "die Sprache noch eins mit dem sprechenden Menschen, auch (fällt) die Sprache und Sprachbezeichnung dem sprechenden Kinde, mit dem zu bezeichneneden Gegenstand zusammen, d. h. es kann Wort und Sache . . . noch nicht trennen." 9)

Auf dieser Stufe der Menschheitsentwicklung "beginnt die eigentliche Erziehung des Menschen durch zwar verminderte körperliche, aber erhöhte Geistespflege und Geisteshut." 10) Die Sprache wird zum Werkzeug für Denkoperationen, zum Bindeglied zwischen Innerem und äußerem, "darum erteilt auch das Kind auf dieser Stufe der Menschheitsentwicklung jedem Dinge Lebens-, Empfindungs-, Sprachfähigkeit mit, und von jedem Dinge glaubt das Kind, daß es höre; eben weil das Kind beginnt sein Inneres äußerlich darzustellen, so setzt es gleiche Tätigkeit auch in alles übrige ihn umgebende, sei es ein Stein oder ein Hölzchen, sei es ein Gewächs, eine Blume oder ein Tier." 11)

Hier wird schon deutlich, wie eng Spiel und Sprache miteinander verbunden sind und wie wichtig beides für die geistige Entwicklung und Reifung sozialer Kompetenz ist. Das Kleinkind hantiert und spricht auf dieser Stufe der Entwicklung mit dem Gegenstand im direkten Kontakt. Es ist noch nicht in der Lage, eine Handlung gedanklich vorwegzunehmen oder das Ziel dieser zu verbalisieren bzw. auf andere zu übertragen.

". . . das Sprechen ist auf dieser Stufe noch ein von dem Menschen ganz Ungetrenntes; ja er er kennt und erkennt sie noch gar nicht als etwas Eigenes; sie ist eins mit ihm, wie sein Arm, sein Auge, seine Zunge, ohne daß er selbst noch etwas von ihr weiß." 12)

Das Wort ist noch an das Ding, die Sache, den Vorgang gebunden. Ein Transfer findet nicht statt. Dieser kann und muß vom Erwachsenen dem Kind beigebracht bzw. vorgeführt werden. Die Unterlassung dieser Hilfe wird sich später in der Schule bei "schwer lernenden" Kindern bemerkbar machen. Die Sprache muß sich nach und nach verselbständigen, denn dadurch werden Informationsverarbeitungsvorgängen schneller ablaufen können.

"Der übergang vom anschaulich - handelnden zum anschaulich - bildhaften und sprachlogischen Denken vollzieht sich in dem Maße, in dem sich höhere Typen der Orientierungs- und Untersuchungstätigkeit ausbilden."13) Denkoperationen des Kleinkindes, wie Analysieren, Vergleichen, Bewerten und Assoziieren sind noch stark an die konkrete praktische Tätigkeit - das Spiel - gebunden. Es werden Handlungen vollführt bzw. wiederholt, die früher schon einmal erfolgreich waren, um ein Bedürfnis zu befriedigen, nämlich Erwachsenentätigkeit und - verhalten nachzuahmen. äußere Anlässe und innere Zustände werden zur Triebkraft des Spiels und letztendlich zur Vervollkommnung der Denkoperationen.

Der Erwachsene ist ein wichtiges Anregungsmoment in dieser Entwicklung. Das betrifft vor allem auch das sich entwickelnde Sprechverhalten des Kindes. Ein Beispiel, daß die Sprache des Kindes durch Nachahmung der Laute seiner unmittelbaren Umgebung beeinflußt wird, zeigt das Sprechen in Dialekten. Das Kind lernt nicht primär hochdeutsch sprechen, sondern eignet sich die Sprechgewohnheiten der Umgebung an.

"Da diese Entwicklungsstufe des Menschen aber fordert, daß er als Kind alles klar, richtig und rein bezeichne, darum ist es so wesentlich nötig, daß auch ihm alles Umgebende richtig, klar und rein vorgeführt werde, daß er alles richtig, klar und rein anschaue und erkenne; beides ist unzertrennlich und bedingt sich gegenseitig." 14)

Die sich entwickelnde Sprache nimmt nun auch Einfluß auf das Verhalten des Kindes, vor allem auf das gedankliche Vorwegnehmen gezielter Handlungen. Während im Alter von drei bis vier Jahren das Wort noch an den zuerst mit diesem dem gebrauchten Gegenstand gebunden und nicht auf andere Gegenstände oder Vorgänge übertragbar war, nimmt die Verallgemeinerung danach im Alter von 5 bis 7 Jahren immer mehr zu. Die Sprache verselbständigt sich mehr und mehr, ohne direkte Anschauung oder Handlung. Das Kind lernt, Bedeutungen auch auf andere Sachverhalte zu tranferieren. Dieser Prozeß gelingt nur mit der demonstrierenden Unterstützung des Erwachsenen. OERTER (1987) beschreibt diesen Vorgang als Dekontextualisierung.

Fröbel stellt in diesem Erkenntnisstreben, das im Kinde geweckt werden muß, eine regelrechte Reihenfolge, vom Gefühl über die Anschauung zur Sprache, auf.

"Weiter bringt die Mutter dem Kinde die eigene Handlung desselben, demselben erst zum Fühlen, und dann später die Handlung an sich zum Anschauen. So sagt die in allem ihren Tun, und durch die stete Verknüpfung des Wortes mit demselben lieblich lehrende Mutter zu dem Kinde, . . ." )

4. 2. 4. Folgen verfehlter Spieltätigkeit

In seinem Entwicklungsgedanken geht Fröbel davon aus, daß am frühesten Erworbenes am wichtigsten, am nachhaltigsten ist und somit bekommt auch die Einflußnahme der Eltern auf die Spiel - und Sprachentwicklung einen wesentlichen Stellenwert. Gerade an unserer Schule wird sichtbar, wie häusliches Milieu und Sprachentwicklungsrückstände miteinander korrelieren.

Nicht nur unsere heutige Zeit hat mit verfehltem Erziehungsverhalten der Eltern zu kämpfen, auch Fröbel klagte.

"Die jetzige häusliche wie die Schulerziehung führt die Kinder zur Körperträgheit und Werkfaulheit; unsägliche Menschenkraft bleibt dabei unentwickelt; unsägliche Menschenkraft geht verloren!" und um das zu verhindern, schlug er im vorhergehenden Satz vor: "Kinder und Eltern halten die Tätigkeit des eigentlichen Arbeitens so sehr zum Nachteil ihrer selbst und so unwichtig für ihre künftigen Lagen, daß Erziehungs - und Lehranstalten es sich zur festesten Aufgabe machen müssen, diese zu steuern" 16)

Das war sein Ziel bei der Schaffung seiner "Allgemeinen Deutschen Erziehungsanstalt" 1816 und es ist, obwohl unsere Bürger aufgeklärter sind als im Verhältnis zu damals, unsere Aufgabe an dieser Internatsschule unter anderem, verfehlte Erziehungsmaßnahmen zu kompensieren. Viele unserer Kinder sind nicht mehr in der Lage, von sich aus Konstruktions-, Rollen- oder Regelspiele zu spielen. Sichtbar wird dieser Umstand oft auch bei der Eingangsuntersuchung mit verschiedenen Intelligenztests. Das Hantieren mit Mosaikteilen oder Figurteilen bzw. das Strategiebilden, um diese Aufgaben erfüllen zu können, fällt vielen Kindern schwer. Im verbalen Teil fällt stets mangelndes Wissen und Verständnis auf sowie extreme Schwächen im Wortschatz bzw. in der Wortverfügbarkeit. Ein nicht entsprechend vollzogener Prozeß der oben genannten Dekontextualisierung beeinträchtigt das schlußfolgernde Denken im Unterricht. Instruktionen des Erziehers oder Lehrers werden im Unterricht bzw. auch im außerunterrichtlichen Bereich nicht vollständig erfaßt, und ein Fehlverhalten oder Mißerfolg sind vorprogrammiert.

Die Mehrzahl unserer Kinder ist auch nicht mehr in der Lage zuzuhören, Gehörtes wiederzugeben oder Regeln einzuhalten. Diese Erscheinung behindert die Kinder enorm in ihrem kommunikativen Verhalten. Es fällt ihnen schwer, sich mitzuteilen und Forderungen an andere zu formulieren. Aus Verärgerung über ihr Unvermögen, ihr Wollen zu verdeutlichen, werden diese Kinder aggressiv gegen ihre mit Unverständnis reagierenden Partner oder können nicht ein Gefühl für angemessene Derbheit entwickeln. Ich sehe die Ursachen in mangelnder Gelegenheit zum Spiel im Kleinkindalter, aber auch in der Nachahmung, um Verhaltensmodelle und deren Zweckmäßigkeit auszuprobieren.

Der Erwachsene tritt in diesem Entwicklungsprozeß als Vermittler zur praktischen Tätigkeit des Kindes auf. Wichtig dabei ist es, so auch Fröbel, daß das Kind selbständig dabei handelt und nicht durch die Ungeduld und Störungen im Selbst- wertempfinden der Erwachsenen im Tun behindert wird. Oft kann man beobachten, wie Eltern die Handlungen der Kinder unterbrechen, um ihnen zu zeigen, "daß es doch ganz leicht geht". Es gibt viel Unverständnis bei den Eltern über die Verhaltensmöglichkeiten ihrer Kinder. Sie sind geistig und körperlich noch nicht auf der Erfahrungsebene wie die Erwachsenen.

"Leider gibt es auch noch solche Unglücksmenschen unter den Erziehern, sie sehen immer an den Kindern und Knaben kleine boshafte, tückische, lauernde Teufelchen, wo andere höchstens einen zu weit getriebenen Scherz oder die Wirkung einer zu sehr freigelassenen Lebenslust erblicken." 17)

Ein weiteres Moment im ineffektiven Spiel ist die Spielzeuggestaltung. Viele Spielmittel regen das Kind nicht zur Kreativität, zum Gestaltungstrieb an oder provozieren zu Verhaltensweisen, die für das Kindesalter untypisch sind; jene aber werden vom Kind unkritisch angenommen.

Hier hat der Medieneinfluß einen wesentlichen Anteil. Eltern sollten, wenn sie schon selbst nicht erzählen oder vorlesen können, ihren Kindern mehr Hörspielkassetten anbieten und weniger Videokassetten. Ersteres veranlaßt den Zuhörer zur Umwandlung des Gehörten in interne Bilder; ein wichtiger Vorgang in der Entwicklung des Denkens, der notwendig ist auf dem Weg zum Abstraktionsvermögen. Ferner wird damit Merkfähigkeit trainiert. Oft kann beobachtet werden, daß Kinder, die häufig Geschichten von Hörspielkassetten hören, diese Geschichten detailliert wiedergeben können.

Viele Gewaltpräventionsprojekte werden entworfen, die nur den momentanen Status erfassen, aber nicht die Entstehung von Gewalt als entwicklungsdynamisches Phänomen zugrundelegen. Gewaltbereitschaft entsteht m. E. schon in der Erziehungssituation nach der Geburt, möglicherweise auch schon durch vorgeburtliches Lernen. Eine gestörte Entwicklung im Kindesalter durch Mangel an Zuwendung oder Mißverständnis in der Erziehung "bringt unsägliches Unheil, Hemmung und Störung in der Entwicklung und Fortbildung des Menschengeschlechtes, . . . Alle Lebenssäußerungen eines Menschen, bei dem dies auf irgendeiner Stufe stattgefunden, behalten darum auch für das ganze Leben etwas Gewaltsames." 18)

Ein angepaßtes flexibles Erziehungsverhalten der Eltern, das verbunden ist mit einem dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechendem Spielangebot, dient der kognitiven Entwicklung.

Wir kennen in der modernen Psychologie den Begriff der Deprivation, die Unterlassung der Vermittlung von Bildungsinhalten. Diese führt zur geistigen Vernachlässigung und zu Intelligenzlücken. Die Lernmotivation des Kindes baut sich an dem Streben auf, das tun zu wollen, was der Erwachsene tut, ihm nachzuahmen. An entsprechenden Stellen wird das Kind feststellen, daß es verschiedene Tätigkeiten noch nicht vollführen kann; das Kind stellt Fähigkeits- und Fertigkeitslücken fest und ist deshalb angehalten, diese aufzuarbeiten. Wird das Kind in seinem Wollen nicht beachtet oder nicht angeleitet, um den Lerngegenstand zu bewältigen, verliert es nach und nach den Mut und die Energie und unterläßt die Tätigkeit. Bei Wiederholungen wird sich Mißmutigkeit einstellen und wie Fröbel an anderer Stelle beschreibt "Müßiggang". Hier bildet sich die Grundlage für mangelnde und inadäquate Ausprägung einer Selbstorganisation des Lebens des späteren Erwachsenen. Aus Müßigang kann sich wiederum Gewaltpotential entwickeln.

OERTER (1987) berschreibt die Hypothese des kumulativen Defizits. Die geistige Entwicklung des Kindes wird sehr stark durch eine extreme Deprivation negativ beeinflußt (eine mäßige kann noch kompensiert werden). Die Defizite akkumulieren.

Ein Großteil unserer Kinder bildet aus diesem Grund nur schwer eine Lernmotivation aus. Sie verstehen nicht, warum der Lehrer sie fordert. Forderungen sind sie nicht gewohnt. ähnlich wie bei den angeborenen Auslösemechanismen, die nach der Geburt nicht mehr trainiert oder erregt werden, verflacht der Trieb, sich zu beschäftigen bzw. tätig zu werden. Das Kind sieht kein Ziel für seine Tätigkeiten und wird untätig. Im Unterricht, aber auch außerhalb, sehen diese Kinder keinen Sinn im Tun bzw. Nichtstun ist zur Gewohnheit geworden, und der Lehrer wie auch der Erzieher müssen mehr Mühe für die Aktivierung aufbringen, als für die Vermittlung des Stoffes. Diese Fehlleitung oder Unterdrückung des Spiels im frühen Kindesalter ist m. E. die Ursache für unangepaßtes Verhalten in der Schule. Ich beziehe das Lernverhalten mit ein.

"...! ihr könnt hier mit einem Male den Tätigkeits- und Bildungstrieb eurer Kinder wenigstens für lange vernichten, wenn ihr die Hilfe eurer Kinder als kindisch, als unnütz, wenig fruchtend, ja vielleicht sogar als hindernd und hemmend zurückweiset...Der Knabe, das Mädchen werden so in ihrer innern Tätigkeit gestört, sie sehen sich aus dem Ganzen, mit welchem sie so innig eins fühlten, herausgesetzt, ihre innere ganze Kraft ist aufgeregt, sie sehen sich allein, wissen mit der erregten Kraft nichts anzufangen, ja sie selbst wird ihnen läßtig, drückend, sie werden verdrossen, träge." 19)

Auf der Basis der Metakognition können die Schüler ihr Vermögen bzw. Unvermögen einschätzen, werden unsicher in ihren Handlungen und gleichen dies durch Ersatzhandlungen, wie Spielen mit Arbeitmitteln, Ablenken des Nachbarn, vulgäre Bemerkungen o. ä. aus. Ein weiteres Phänomen der Metakognition sind Suchprozesse, die aktiviert werden, nach vermeintlichen Gedächtnisinhalten zum Problemlösen. Da durch verfehltes Spielverhalten notwendiges Wissen nicht gespeichert wurde, ist es natürlich auch nicht verfügbar. Jedoch das in der Gruppe präsente alterstypische Wissens - und Normensystem veranlaßt das ungeübte Kind trotzdem zum Suchen, zu kognitiven Operationen nach Lösungsmodellen, um ähnliche Leistungen zu vollbringen wie seine Altersgefährten. Diese erfolglos verlaufenden Prozesse verbrauchen aber zu viel Energie. Das Konzentrationsvermögen sinkt sehr schnell und mangelnde Erfolgschancen führen zur Angst vor Mißerfolg. Die Lernmotivation geht mehr und mehr verloren. Die Spieltätigkeit, vor allem im Rollen- und Regelspiel, vermittelt und verinnerlicht Verhaltensnormen, aber auch die Einstellung zu anderen Menschen. Diese bilden wiederum die Grundlage für die Möglichkeit der Verfügbarkeit von Wissen.

Zur Neuorientierung des Verhaltens unserer Schüler sollte, ähnlich psychotherapeutischer Methoden, mit dem Kind versagtes Spielverhalten aus der Kleinkindzeit nachgearbeitet werden. Fröbel bietet mit seinen Spiel - und Beschäftigungsmitteln für das Vorschulalter viele Möglichkeiten, um dieses nachzuholen und neu zu trainieren. Dazu werden im Kapitel 5 noch weitere Ausführungen gemacht.

Untersuchungen "Zu einigen Beziehungen zwischen mütterlicher Erziehungseinstellung, materialer Umwelt und motorischem Entwicklungsstand im Kleinkindalter" 20) von V.Scheid und R. Prohl zielen in diese Richtung. Hier kommt es mir vor allem auf die Betonung angepaßtes und flexibles Erziehungsverhalten an.

Anmerkungen

1) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. II, 1982, S. 38

2) ebd. S. 34

3) Fr. Fröbel: Brief an Gräfin Therese Brunszvik vom Januar 1842, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. III, Berlin 1982, S. 228

4) Fr. Fröbel: Des Kindes Leben, das erste Kindestun, 1838, ebd. S. 18

5) Fr. Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!" 1982, S. 32

6) ebd. S.

7) in: Oerter/Montada: Entwicklungspsychologie, Psychologie Verlags Union, München 1987, S. 215

8) ebd. S. 215

9) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!", Bd. II, Berlin 1982, S. 37

10) ebd. S. 36

11) ebd. S. 37

12) ebd. S. 36

13) Elkonin, "Kinderpsychologie", Moskau 1960, S. 264

14) ebd. S. 37

15) Friedrich Fröbel: "Die Menschenerziehung", 1826, in: Fr. Fröbel: "Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!" 1982, S. 42

16) ebd. S. 32

17) ebd. S. 74

18) ebd. S. 29

19) ebd. S. 61

20) in: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie u. Pädagogische Psychologie, 1993, Bd. XXV, Heft 3, S. 267 - 278