Schon wenige Wochen nach seiner Geburt verstarb die Mutter. Der Vater, ein sehr strenger Pfarrer der Gemeinde Oberweißbach in Thüringen gab die Betreuung des Kindes in die Hände des Hauspersonals und heiratete später wieder. Friedrich Fröbel war zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt. Die Einstellung der Stiefmutter zu ihm war sehr distanziert und gespannt. Der Junge wurde für alles verantwortlich gemacht, was im Haus an Unregelmäßigkeiten vor sich ging.
"... mit dem Verlust meiner Mutter,... und so eigentlich mit dem Verluste der menschlichen Wechselliebe zwischen Mutter und Kind..., daß mit diesem Augenblick mein ganzes künftiges Leben seinen Charakter, ... seinen Beruf und seine äußere Form als Mensch dieser Zeit und dieses Raumes erhielt." 1
"..., daß das Leben aller derer, welche mit Selbstauf - Hinopferung Wohltäter, das ist Erzieher der Menschen und der Menschheit wurden und waren, in einer gleichen Ursache, in einer frühen Verletzung ursprünglicher Seelen- , der Herzens- und Gemüts- , der Geisteseinigung seinen Grund hat,... " 2
Der Vater übertrug die Pflege "einem einfachen weiblichen Wesen, so rein als jugendlich . . . und wie sie nur schüchtern und ängstlich die von meinem Vater übertragene und gelehrte Pflege von mir übernommen, warum mir auch aus dem noch spätern Lebensverkehr nach zurückgelegten Kindesjahren doch nur wenige lichte, freundliche Züge ihres Gesichtes ohne eigentliche Wärme geblieben sind,..."3 obwohl er sich gern an der "Klarheit und Freundlichkeit ihrer Züge freute, . . ."
Als der Vater, der seine Pflichten als Gemeindepfarrer sehr ernst nahm und die Beaufsichtigung der Arbeiten am Bau der größten Gemeindekirche Thüringens mit inne hatte, sich wieder verheiratete, empfindet Fröbel in dem neuen mütterlichen Verhältnis Bestimmtheit und Lebendigkeit, daß ". . . ein ganz neues Leben in mir aufging, ob ich gleich eine gewisse Fremdartigkeit und ein Gemachtes im Verhälrnisse wohl durchfühlte; . . ." 4
Die Geburt des ersten Sohnes dieser Ehe, Fröbel war damals 4 1/2 Jahre alt, veränderte sein ganzes Leben. Ihm traf nicht nur Gleichgültigkeit, sondern "völlige Entfremdung, welche sich selbst in der Bezeichnung und Anrede kundgab." 5 Das, wie Fröbel weiter beschreibt, "seelenverbindende Du" wurde von der Stiefmutter in das "alles isolierende" Wort "Er" umgewandelt.
". . . es wurde mir Unedles nicht nur zugemutet, sondern auch geradezu zugeschrieben, und dies in einer Weise, die keinen Zweifel über die Unstatthaftigkeit des Zugemuteten und über das Lügenhafte der Beschuldigung übrigließ." 6
". . . wie ich mich dessen und meiner bewußt war, fühlte und erkannte ich mich in einer Wildnis . . . Sich selbst überlassen, der Roheit und Gemeinheit hingegeben,..." 7
Das Kind reagierte auf diese ihn entwürdigenden und verachtenden Verhältnisse in der Pfarrersfamilie des Johann Jacob Fröbels mit Rückzug und Selbstbeschäftigung. Es entstanden Unsicherheiten im Umgang mit anderen und durch ständigen Druck und Anschuldigung von dem als dogmatischen Christen und in seinem Wesen groben Vater und der herzlosen Stiefmutter zur Selbstverwirklichung Trotzverhalten. In Unkenntnis über die Ursachen eines solchen Verhaltens wurde der Junge schnell als bösartig hingestellt.
"Ich galt frühe als bös." 8
Ein weiterer Umstand wirkte außer dem noch belastend auf das Kind, "die örtliche Lage des elterlichen Hauses" in Oberweißbach. Es "war dicht umschlossen von Gebäuden, Mauern, Hecken, Staketen . . . von einem Hofraum, von Gras - und Gemüsegärten, über die hinaus zu gehen stark verpönt war." 9 Auch die Wohnnung bot wenig erhebendes. Sie gewährte kaum Aussicht, mehr nach oben als nach vorn und hinten. So sah er sich genötigt immer mehr den Rückzug anzutreten.
"Mein inneres und mein äußeres Leben waren in dieser Zeit auch mitten in meinen Spiel und Tätigkeiten der Hauptgegenstand meines Sinnens und Nachdenkens . . . So war mein Blick nur aufs Nahe gerichtet, und die Natur, die Pflanzenwelt und Blumenwelt wurde, soweit ich sie anschauen und begreifen konnte, bald ein Gegenstand meiner Beobachtung und meines Nachdenkens. . ." 10
Diese Selbstbeschäftigung und Zurückgezogenheit prägten Fröbel für das gesamte Leben nachhaltig. Er besaß das intellektuelle Potential und die Energie zur Selbsterziehung, um sich geistig das anzueignen was ihn im Moment umgab. Die mangelnde Zuwendung seitens der Familie ließ ihn zum Einzelgänger und Denker werden, aber auch, so beschreibt er selbst, zum prinzipienfesten Kämpfer gegen die Ausgrenzung und Degradierung kindlichen Tuns.
Die Beschreibung Heilands vom "Autismus seiner Kindheit" ist meiner Meinung etwas fragwürdig 11. Der Autismus ist zwar eine Beziehungsstörung, Personen oder Gegenstände betreffend, aber das Kind wollte mit der Familie kommunizieren und hat emotionelle Zuwendung erwartet, diese leider nicht bekommen. Gestört war die Familie. Das Kind wurde in die Rolle des Insichgekehrten gedrängt und mußte, da es tätig sein wollte, notgedrungen mit sich selbst und den ihn umgebenden Dingen sich beschäftigen. Außerdem bestand vor Geburt des Stiefbruders eine ausgeglichene Beziehung zur Stiefmutter. Der Vater war möglicherweise von der Konstitution her nicht fähig, mit Kindern umgehen zu können. Das zeigt sich auch in den Beschreibungen, mit welcher Ungeduld und Unbeherrschtheit der Vater mit dem Friedrich lesen lernte. Fröbel beschrieb seinen Vater als sehr ernst und streng: "Mein Vater bestimmte die überzeugung von der Wahrheit seiner Handlungen." 12
In seinen Nachbetrachtungen aus dieser Zeit fallen aus der "Unausgesetzte(n) Selbstbeobachtung, Selbstbetrachtung und Selbsterziehung" erste pädagogische bzw. lernpsychologische Erkenntnisse.
"Das Ereignis dieser in mein frühestes Knabenalter fallenden prüfenden und fragenden Betrachtung war sehr klar und bestimmt, wenn auch nicht den Worten, so doch der Sache nach: Ich erkannte, daß die vorübergehende Wirkung der Sinnesreize dem Menschen eigentlich nichts Bleibendes und Genügendes geben, und daß sie deshalb gar nicht über Gebühr zu beachten seien." 13
Fröbel erinnerte sich an nicht viel Erhebendes in seinem "Irr- und Wirr-, Nacht- und Dunkelleben", lediglich, und darüber ist er sehr dankbar, "gutmütiger Teilnahme von Menschen untergeordneter Bildung an meiner Lage für mich . . ." 14
Im Anschluß folgt eine Vermutung seinerseits zu seinem sich später entwickelnden Charaktereigenschaft der Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft gegenüber dem einfachen hilflosen Menschen.
". . . ; vielmehr ist der zu starke Gegensatz der gutmütigen Teilnahme jener Menschen und der Unteilnahme der doch mit mehr Mitteln zum Durchblicken begabten Menschen der Grund, warum ich im spätern Leben eine vielleicht oft zu große und darum vielleicht nachteilige Nachsicht mit dieser Art von Menschen hatte, . . ." 15
Es liegt nahe, das Syndrom des Altruismus hinter diesem Verhalten zu vermuten. (Seine erzieherische Verwirklichung (Charakterentwicklung) muß die Gesamtheit charakterlicher Wesenszüge in ihrer zum Teil widersprüchlichen Eigenart berücksichtigen/ Psych. Wörterbuch S. 26). Die durch das emotionelle Ausgegrenztsein aus dem Familiären, sich entwickelte Selbstbeschäftigung und Selbstbetrachtung prägte mehr und mehr das spätere Leben Fröbels. So schrieb er in einem Brief an den Herzog von Meiningen:
"Die Erregung und Belebung, Erweckung und Stärkung der Lust und Kraft im Menschen, an seiner eigenen Erziehung unausgesetzt zu arbeiten, ist auch die Grundforderung meines erziehenden Wirkens geworden und geblieben." 16
Im Geburtsort Oberweißbach gab es zwei Schulen, eine für Mädchen und eine für Jungen. Mit der Methode des Schulleiters der Jungenschule war Fröbels Vater nicht einverstanden. Der Sohn wurde in die Mädchenschule eingeschult und hinterließ, wie er sagt, "einen so starken Eindruck", so daß er sich noch an jede Kleinigkeit erinnern kann. Eines fühlte er aber vom ersten Augenblick an,
". . . , ich als Knabe gehöre nicht in diese Schule,. . . Dies gab meinem Betragen eine gewisse Scheu und mir selbst ein unklares Gefühl von Schutz und Schützling, und dazwischen beiden gewissermaßen eine natürliche Trennung ist, . . . , durch die große Kluft, die zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht schon dort in mir lag, das Fremdartige oder vielmehr Fremde vermehrt, mit welchem ich mich immer in jeder Schule fühlte, . . ." 17
Fröbel empfand hier das weibliche Geschlecht zwar als die Verkörperung seiner früh verlorenen Mutter, aber das Verbot mit den Jungen der Gemeinde spielen zu dürfen und das Versagen an deren "Lebenslust" und sozialer Gruppendynamik teilhaben zu können war möglicherweise die Ursache für die Prägung für sein späteres sonderbares Verhalten im Umgang mit anderen Menschen.
"Ich sah gleichsam hier das Gemüt und Leben meiner Mutter, was ich wohl still mir selbst, aber nicht in der Ahnung bewußt suchte, . . ." 18
Durch die Arbeit seines Vaters als Gemeindepfarrer, "alten orthodoxen Theologen" und ". . . Friedensstifter zwischen den Geschlechtern und in den Familien, erschienen mir die beiden Geschlechter der Menschen in einem unwürdigen, vernichtenden Kampfe und Verhältnis,..." 19 bekam Friedrich ein relativ unwirkliches und beängstigendes Bild vom Zusammenleben der Menschen mitgeteilt.
"Ich fragte mich mit Bestimmtheit: warum mag wohl der Mensch allein so zerstörenden und unwürdigen Verhältnissen und Verirrungen preisgegeben sein." 20
Auch beängstigte den Jungen das Evangelium, das sein Vater predigte. Während des sonntäglichen Gottesdienstes hatte der kleine Friedrich die Pflicht allein und von allen verlassen in der Sakristei zu sitzen und das Ende abzuwarten. Später sollte diese Erfahrung der Ausgangspunkt sein, eine andere Beziehung zu Gott aufzubauen, als sein Vater es tat. Die religiöse Atmosphäre in der Familie prägte den Jungen. Die Methode der Vermittlung des Evangeliums empfand er als unangenehm.
Das Fehlen seiner Mutter und die damit verlorengegangenen Wärme belastete Fröbel sein ganzes Leben lang. Siegmund Freud beschrieb in seiner Abhandlung "Bei- träge zur Psychologie des Liebeslebens" diesen Umstand als einer vorzeitigen verhältnismäßig rasch vollzogenen Ablösung der Libido von der Mutter, der "zum Beispiel die Vorliebe junger Männer für gereiftere Frauen"21 hervorbringt. Auch Fröbel hatte, wie später noch zu sehen wird, das Bedürfnis nach einem solchen Verhalten. In den vielen Selbstdarstellungen, die er immer wieder verfaßte und das Bedürfnis diese auch den verschiedensten Persönlichkeiten zukommen zu lassen, spielt dieses Phänomen stets eine große Rolle.
Möglicherweise ahnte er auch in seinem Verhalten, als Erwachsener etwas sonderbar zu sein und sich durch Erklärungen über seine Kindheitsentwicklung rechtfertigen und entschuldigen zu müssen. Andererseits könnte man einen Zuwendungsgewinn vermuten oder auch Angst vor dem Verlust der gewohnten Mitmenschen. Zu dem hat die jahrelange Selbstbeschäftigung und Selbstbeobachtung nie oder nur selten einen Widerspruch oder Zweifel anderer an seinen schon in kindlicher Epoche erfühlten Erkenntnissen erbracht, was später in seiner Schulleiterzeit in Keilhau, so ist es aus Beschreibungen ehemaliger Zöglinge herauszulesen, zu einer gewissen Rechthaberei und Rigitität führte.
Der Bruder der Mutter hatte in Stadtilm eine Anstellung als Pfarrer und erkannte bei einem Besuch in Oberweißbach die ganze seelische Belastung des Kindes, die aus der Fehleinstellung seiner Eltern zu ihm erwachsen war. Daraufhin entschloß er sich, den fast elfjährigen Jungen zu sich aufzunehmen und ein würdigeres Heim zu bieten.
"Ich trank hier frischen Lebensmut in langen Zügen; denn die ganze Gegend war mir nun ein Tummelplatz, wie früher mein Gehöft. Ich gewann Freiheit des Gemütes und erstarkte körperlich." 22
Erstmals kam Friedrich unter gleichaltrige Spielkameraden, hatte aber stark an seiner körperlichen Schwäche und Ungewandtheit beim Spiel zu leiden. Er konnte sich schnell erholen und nach allen Seiten entwickeln ". . . und so kam überhaupt nun Gleichgewicht in mein Leben." 23 Weiter beschrieb Fröbel in seiner Selbstbetrachtung "Brief an die Frauen von Keilhau" den neuen Zustand als ein völlig neues Leben, das ihm der Oheim bot. Hier wurde ihm auch ein neues Verhältnis zu Gott, der Natur und den Menschen gegeben. (Die Reihenfolge dieser Begriffe wurde von Fröbel so festgelegt.) Der neue Pflegevater beschäftigte sich sehr intensiv mit dem Jungen.
". . . denn nicht nur in die und zur Kenntnis der Pflanzen - und Steinwelt führte durch leise Andeutungen mich jener Bruder, sondern auch zur Kenntnis des Standes der Sternbilder, ja des Sonnensystems leitete er schon den äußeren wie den inneren Sinn, und so lag nicht nur Gott, Natur und Menschheit, sondern die Entwicklung des Einzelnen, die Geschichte des Ganzen und die Offenbarung der Einheit in ihrer Einigung und Wechselbeziehung andeutungsweise mir schon vor." 24
In Stadtilm war die "Beschränkung des Raumes" von Oberweißbach aufgehoben, die Zeit der "Strafen -, Sünden - und Höllenreligion" überwunden.
". . . nur die Zeit, etwas für mich fühlbar ganz Neues, war hier das Beschränkende. . . so ist diese Erziehung der Vorsehung recht merkwürdig und erscheint wie ganz absichtsvoll, um mich R a u m und Z e i t in ihrer tiefsten Bedeutung, in ihrer Gleichartigkeit, Verschiedenheit k e n n e n z u l e r n e n, in ihrer Achtung, Beachtung, Pflege und Benutzung; . . ." 25
Auch der Unterricht - jetzt in einer Knabenschule - war ein anderer.Nicht wesentlich anders, aber nach seinen Aussagen brachte dieser mehr als in Oberweißbach. Dieser Umstand führte zu der Feststellung und Maßregel für seine spätere pädagogische Tätigkeit:
"Auch durch meine eigene Erfahrung wurde mir also bestätigt, wie höchst nachtheilig es ist, bei der Erziehung und dem Unterricht nur auf ein gewissen Kreis oder Grad Rüchsicht zu nehmen. Die leidige Erziehung ad hoc ließ in früherer Zeit viel edle Menschenkraft unentwickelt." 26
Die Ernüchterung kam nach der Konfirmation, als der 15jährige wieder zurück in das Vaterhaus mußte. Rückblickend auf diese sehr angenehmen Jahre stellt er fest:
"Eine hohe Klarheit, Tiefe und Harmonie hätte dort mein Leben erringen können, wenn mein inneres, mein Herzens - und Gemütsleben, mit meinem äußeren, besonders auch mit meinem Berufs- und eigentlichen Erkenntnis- und Wissensleben in übereinstimmung und in seine so notwendige als natürliche Einigung gebracht worden wäre. Wenn auch nicht in den unbewußten letzten Kern meines Inneren, doch außer mir im Bewußtsein standen jene drei Leben so ziemlich wie drei in sich geschlossene Kreise, Sphären, Kugeln ohne innere Einigung nebeneinander: praktisches Berufsleben - das Leben des denkenden, erkennenden, wissenden Geistes - und das Leben des in der Einheit ruhenden empfindenden und eigentlich lebenden Gemütes." 27
Da die schulischen Leistungen (außer Mathematik) nicht gerade herausragend waren und Vater wie Stiefmutter dem Jungen nicht viel zutrauten, wurde Friedrich für eine praktische Tätigkeit vorgesehen und kam in die Lehre als Feldvermesser zu einem Förster in der Nähe von Hirschberg an der Saale. Auch dort mußte sich Fröbel größtenteils selbst beschäftigen und studierte mathematische und botanische Literatur, kam aber schnell an die Grenzen seines autodidaktischen Vorgehens. Ihm wurde bewußt, daß nur ein Studium an einer Universität weiterhelfen könne, seinen Wissensdrang zu befriedigen. Während seine Brüder und auch der Halbbruder studierten bzw. für das Studium vorgesehen waren, wurde ein solcher Bildungsweg für Friedrich von seinem Vater, der seinen Sohn stets als minderwertig einschätzte, nicht befürwortet.
Hinzu kommt die äußerst negativ ausfallende Einschätzung des Försters, über die Ergebnisse der Lehre. Dieser Förster Witz hatte nicht die geistigen Voraussetzungen für seinen Beruf, verkannte deshalb die inhaltliche Arbeit seines Lehrlings zur Botanik, des Forstwesens, der Feldvermessung, der Geometrie und des Taxierens, da er selbst diese Tätigkeiten nicht betrieb. Durch den nunmehr Siebzehnjährigen an sein Unvermögen erinnert, entstand Verärgerung und Mißgunst. Das aus dieser Situation heraus verfaßte und negativ belastete Zeugnis bewirkte wiederum Verärgerung beim Vater, die von der Auffassung der Stiefmutter über das unnütze Wesen seines Sohnes noch mit genähert wurde. Bevor er die Lehre antrat hatte der Vater dem jungen Fröbel mit auf den Weg gegeben, sich über nichts zu beschweren. Das hielt er auch ein als ihm das miserable Zeugnis vorgehalten wurde. Nur dem älteren Bruder zeigte er seine umfangreiche Pflanzen- und Gesteinssammlung und seine Selbststudien in Mathematik und Landvermessung und konnte sich mit seiner Hilfe rechtfertigen.
Nach einem Besuch des Bruders Traugott in Jena, der an der Universität Medizin studierte, versuchte Fröbel den Vater zu überzeugen, ihm die Möglichkeit zu geben, ebenfalls dort studieren zu dürfen. Erst als der Sohn den Erbteil von seiner Mutter einklagte, willigte der Vater ein. Fröbel schrieb sich in das Wintersemester 1799/1800 zum Studium der Naturwissenschaften ein und hörte Vorlesungen in verschieden mathematischen Disziplinen, Mineralogie, Botanik, Chemie, Naturgeschichte, Physik, Baukunst und Forstwesen. Der Botaniker Prof. Batsch führte Fröbel in die 1793 gegründete Naturforschenden Gesellschaft ein.
Diese für Fröbel sehr ergiebige Zeit wurde aber bald wieder getrübt. Er lieh seinem Bruder 30 Taler, die er nicht wieder zurückbekam, mußte Schulden machen und daraufhin eine Karzerstrafe absitzen. Nach zwei Monaten kaufte ihn der Vater frei und enterbte ihn. Es folgte ein kurzer Aufenthalt zu Hause. (Interessant ist, daß sich wieder der ältere Bruder bei dem Vater dafür einsetzen mußte, daß Fröbel dessen Bücher für die Weiterführung seiner Studien benutzen durfte.) Kurz darauf stirbt der Vater und Fröbel verläßt das Haus.
Eine ausgedehnte Wanderschaft begann und Fröbel nimmt die verschiedensten Anstellungen an, Kartenzeichner und Feldvermesser in Bamberg, Gutsverwalter in der Nähe von Bayreuth, Privatsekretär auf einem Gut in Groß - Miltzow bei Neubrandenburg, beschäftigt sich hier viel mit Architektur, aber auch mit Literatur und geht 1805 nach Frankfurt am Main, um dort ein Architekturstudium aufzunehmen. Hier trifft er seinen Freund Kulisch wieder, der in der Bamberger Zeit dort Hauslehrer war und schreibt ihm in sein Stammbuch einen für Fröbel typischen, von Unruhe und Unzufriedenheit, und seine endlosen Selbstfindungsbestrebungen geprägten Leben den Satz:
"Dir gebe das Schicksal bald einen sicheren Herd und ein liebes Weib. Mich treibe es rastlos umher und lasse mir nur soviel Zeit, um immer mein Verhältnis zu meinem innern Sein und zur Welt gehörig erkennen zu können. Du gib den Menschen Brot, mein Streben sei, die Menschen ihnen selbst zu geben." 28
Ohne zu dieser Zeit schon an eine pädagogische Arbeit zu denken, fühlte Fröbel wahrscheinlich unbewußt, was seine Bestimmung sein wird. Eben dieser Kulisch macht Fröbel mit dem Leiter der Frankfurter Pestalozzi - Musterschule Gruner bekannt. Gruner, der bei Pestalozzi in Yverdon und bei Salzmann in Schnepfenthal in Thüringen gearbeitet hatte, überzeugt ihn in das Erziehungsfach einzusteigen. Fröbel zögert, erfährt aber bald, daß seine gesamten Nachweise über seine Tätigkeiten und Abschlüsse aus Studiengängen auf dem Postweg verlorengegangen sind, gibt daraufhin seinen ersten Unterricht und ist begeistert, wie er seinem Bruder Christoph schreibt. Später 1811 formuliert er zurückblickend auf seine Kindheit und Jugend:
"Von meiner Jugend an widerstrebte meine Natur dem Getrennten. Einheit ist die Seele alles Lebens, und wo diese fehlt, ist Tod. Vereinen möchte ich deshalb so gern, was bis jetzt als ein Getrenntes vor mir steht. Die Schule und das Leben muß eins sein; was die Schule findet, erkennt, muß das Leben zeigen; die wahre Schule muß das Leben sein." 29
Angeregt von diesem Schulbetrieb und den Pestalozzischen Gedanken, wird ihm ermöglicht nach Yverdon zu Pestalozzi zu wandern und vierzehn Tage dort den Unterricht zu beobachten. Wenn er auch nicht mit allen ihm dort gebotenen Methoden und Unterrichtsgegenständen einverstanden war, so brachte neue Anreize, es anders zu machen. Jedenfalls entwarf er nach der Rückkehr an die Musterschule neue Lehrpläne und Unterrichtsgänge.
Im Juli 1807 übernahm Fröbel eine Hauslehrerstelle bei einer gut begüterten Familie von Holzhausen. Die Kinder waren, wie er in einem Brief an den Bruder 1807 feststellte unerzogen.
". . . da ich das Sein und Leben der Adligen wie das Böse selbst hasse und die pädagogischen Grundsätze des Vaters nicht die meinigen sind oder eigentlich, da der Vater gar nicht weiß, was es heißt: V a t e r zu sein und was die Pflicht des Vaters gegen die Kinder erfordert und also in Hinsicht auf Kindererziehung nicht eine Ahnung von reinen Grundsätzen hat und ich mich dagegen bemühe, alle diejenigen Grundsätze bei der Erziehung meiner Pfleglinge anzuwenden, die ich als rein, gut und natürlich erkenne. Die Stimme der Mutter . . . ist zu schwach, als daß sie durchdringen, daß sie das Verhältnis des Vaters zu seinen Kindern auf das Naturverhältnis zurückbringen könnte." 30
Es folgt eine differenzierte Diagnose über die drei Kinder und eine Beschreibung seines pädagogischen Vorgehens, das er auf retrospektive Erkenntnisse zurückführt.
Zu der Frau Caroline von Holzhausen entwickelte sich eine sehr innige Beziehung, die Fröbel in seinen Phantasien sehr weit trieb, aber aus der gesellschaftlichen Distanz heraus nicht durchsetzbar war. Vom Vater dieser Kinder mußte Fröbel des öfteren Demütigungen und Degradierungen seines Standes und Berufes hinnehmen. Damit wurde sein neugewonnenes Selbstbewußtsein ständig strapaziert.
Den Gegenpol bildete die Mutter, die eine sehr verständliche und gebildete Frau war, mit der sich Fröbel auch im geistigen Austausch befand. Es war eine rechte Wunschvorstellung Fröbels, von einer reinen geistigen Vereinigung der Geschlechter zu sprechen, die ihn mit der Einstellung als Hofmeister in die Familie von Holzhausen beschäftigte. In Briefen wird immer wieder deutlich, daß Fröbel sich nicht "als Angestellter , sondern als Freund der Mutter und geistiger Vater der ihm anvertrauten Kinder"31 sah.
Im September des Jahres 1807 geht Fröbel mit seinen drei Zöglingen nach Yverdon zu Pestalozzi. Er erkannte, daß der schlechte Einfluß dieser Familie und deren Anverwandten "im Durchschnitt dreimal so viel schaden, als der Erzieher gutzumachen imstande ist."32 Ein gewisser Eigennutz steckte auch hinter diesem Vorhaben, nämlich auf kostengünstiger Weise, sich mit den Methoden an Pestalozzis Erziehungsanstalt über einen längeren Zeitraum bekannt zu machen. Der Aufenthalt mit den Kindern der von Holzhausens währte zwei Jahre. In diese Zeit fiel die Krise der Pestalozzischen Anstalt und Fröbel läßt sich nach intensivster Arbeit mit den Zöglingen und Beschäftigung mit Vostellungen zu einer ausgereifteren Pädagogik von den von Holzhausens wieder zurückrufen, betreibt aber im Nachhinein eine energische Verbreitung der Pestalozzischen Methode in Deutschland. Eine "Darstellung der Pestalozzischen Methode" schickt er sogar an die Fürst - Regentin Karoline von Schwarzburg - Rudolstadt, seinem Heimatland, mit der Bitte, diese Methode an den Schulen ihres Landes einzuführen. In unmittelbare Nachbarschaft Rudolstadts wird er später seine eigene Erziehunganstalt verlegen.
Fröbel sieht aber auch bald seine Grenzen erreicht und merkt, daß nur mit Wissenschaft Erziehung nicht möglich wird. Er plant weitere Studiengänge, bleibt aber bis zum Juni 1811 noch bei den Kindern der von Holzhausens. Ihm lag sehr am Herzen, den ihm sehr viel Erziehungskraft kostenden ältesten der Familie bis zum Universitätsstudium zu bringen, ihn zu begleiten.
Die Beziehung zur Frau Caroline von Holzhausen wurde sehr eng, intim vielleicht von beiden gewollt, aber vom Anstand der Zeit her nicht gedurft. So blieb Fröbel nur die Phantasie eines Voyers, der wenigstens die "geistige Vereinigung" als Befriedigung für seine heimlichen Wünsche sah. In seiner Empfindung zu dieser sehr gebildeten Frau und einer gewissen sexuellen Verstörtheit, bedingt durch Biografie der Kindheit und vorgeschriebene gesellschaftlich bedingte Distanz, suchte Fröbel auf die schreibende Weise wenigstens in die Nähe dieser Frau zu gelangen. Aus der Korrespondenz mit ihr ist aber auch abzulesen, daß sie dem verschleierten Werben Fröbels nicht abgeneigt gegenüber stand.
Die auf geistiger Ebene basierende Zuneigung beider, stieg zu seinem Weggang bis 1811 auf einen für beide wahrscheinlich nicht mehr kontrollierbaren Höhepunkt an. Mit ihrem charakterlich schwachen Mann, einem typischen Vertreter des von der Selbstherrlichkeit, Exaltiertheit und Affektiertheit geprägten überlebten Adelsgeschlecht, konnte sich Caroline von Holzhausen nicht unterhalten, denn die Frau galt genauso nichts wie eine einfühlende Erziehung seiner Kinder. In dieser Frau entstand ein Bedürfnis, das Fröbel ihr zum Teil befriedigen konnte. Schließlich bemühte er sich um die Erfüllung ihrer mütterlichen Wünsche, die von ihr zur Welt gebrachten Kinder für das Leben fähig zu machen. Der verständnisvolle Umgang mit den Kindern und die Achtung dieser Frau für sein Tun, das sie beim leiblichen Vater vermißte, hinterließ bei Caroline von Holzhausen einen tiefen Eindruck. Die sich aus der geistigen Verbindung beider entwickelnde Partnerschaft, wurde möglicherweise für Fröbel zu eng.
Er besann sich seines Wollens und schrieb später 1831 darüber:
"Auch ich konnte nun dortmals nicht länger an diesem Orte und in diesem Verhältnis verweilen.
Ein Anderes, ganz Anderes, höheres suchte ich nun, nach dem sich ja mein Gemüt und Geist so lang, lang gesehnt hatte: es war das klare, in sich selbst ruhende Wissen, das lindernde, pflegende, erhebende, sich vertrauend und ganz und immer mit von neuem geöffneten reichen Gemüt sich hingebende Wissen von der Natur, dem, der sich ihm ebenso ganz hingibt." 33
Im Sommer 1811 verläßt Fröbel die Familie von Holzhausen ohne je von dem beeindruckenden Wesen dieser Frau frei zu kommen:
"Abschied von Dir, geliebte Seele, Gattin mir von Gott und Ewigkeit und in alle Ewigkeit gegeben . . . Gib dem Kinde einen Kuß und den Segen des scheidenden Vaters; sei ihm bewahrende, aber auch liebende und strenge Mutter. Lebewohl; reiche mir zum Abschied Deine Lippen und Deine Stirn." in Kindergarten 67 (1926) 65 - 68, 193 Kuntze, Fr. FR. Verhältnis zu Frau von Holzhausen) suchen Am 18. März 1812 wurde von Caroline von Holzhausen Sohn Hector geboren.
Im Juni 1811 beginnt Fröbel ein naturwissenschaftliches Studium in Göttingen, um sein pädagogisches Vorhaben weiterzutreiben. Seine Studien an den verschiedensten Universitäten Deutschlands, vielfältigen beruflichen Tätigkeiten und umfangreichen Reisen haben diesem Menschen den Geist verschafft, mit dem er in der Lage war zu erkennen, was dem deutschen Volk fehlte. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war durch Napoleon vernichtet worden. Die Chance bot sich, die Kleinstaaterei in Deutschland zu überwinden und die politische Begrenzheit zu beseitigen. Er selbst hatte den Adel kennengelernt und wie erniedrigend Macht ausgespielt werden konnte.
". . . Meine Furcht, mein Abscheu, mein Selbstbezwingen, mein Gefühl der Unwürdigkeit des Behandeltwerdens von ihm, meine Freude des Entferntseins von ihm . . . Ich, der ich erwartete, als Mensch und Denker gleichgeordnet zu werden, wurde nun Diener, Untergeordneter . . . "34
Der denkende Mensch galt nichts, sondern nur der besitzende. Die Allüren des Vaters der Familie von Holzhausen waren auch die des ältesten Sohnes, mit dem Fröbel die meisten Schwierigkeiten in der Erziehung hatte. Das Ergebnis einer Erfahrung mit diesen gesellschaftlichen Umständen und die späteren Erlebnisse im Corps der Lützower Jäger im Kampf gegen Napoleon und für "das Interesse des deutschen Landes und deutschen Volkes" drückt Fröbel in den Worten aus:
"; . . . mein Streben bekam die Richtung auf das Nationale." 35
(Die politischen Verhältnisse in der DDR bewerteten diese Aussage bis 1980 als nationalistisches Ansinnen und beachteten Fröbels Theorien nur verhalten und stiefmütterlich.)
Im November 1812 schrieb sich Fröbel zum Studium der Mineralogie, speziell der Kristallographie an der Universität Berlin ein und hörte unter anderem auch Lesungen bei Fichte. Um nebenbei seine Finanzen noch etwas aufzubessern, unterrichtete er an der von dem Pestalozzi - Anhänger und patriotisch gesinnten Pädagogen Dr. Johann Ernst Plamann geführten Schule, die ein Zentrum zur Nationalerziehung in Berlin bildete. Die Betonung liegt hierbei auf national und nicht auf nationalistisch, das nationale deutsche Bewußtsein sollte gestärkt werden. Es hatte unter der Herrschaft des Napoleon sehr gelitten.
Nicht aus falschem Heldengeist schloß er sich zusammen mit Friedrich Ludwig Jahn, und auf dessen Anregung hin, dem Freiheitskampf gegen Napoleon an, sondern vielmehr aus ethischen Gründen.
" Konnte ich auch wirklich nicht sagen, daß ich ein Vaterland habe, so mußte ich mir doch gestehen, daß jeder Knabe, daß jedes Kind, was später vielleicht von mir zu erziehen sein werde, ein Vaterland habe, und das dieses Verteidigung fordere, jetzt, wo das Kind es selbst noch nicht verteidigen könne." 36
Einer der führendsten patriotischen Lehrer dieser Einrichtung war Friedrich Ludwig Jahn, der viele Lehrer und auch Berliner Studenten dem Lützower Freikorbs, das im unmittelbaren Kampf gegen Napoleon stand, zuführte. In dieser sogenannten Schwarzen Schar lernte Fröbel Wilhelm Middendorff und Heinrich Langethal kennen. In langen Gesprächen in den Kampfpausen diskutierte man Fragen der Nationalerziehung und schwor sich, gemeinsame Kraft für die Schaffung einer nach diesen Idealen strebenden Erziehungseinrichtung aufzubringen, ohne zu wissen, daß dieser Gedanke wenige Jahre später Wirklichkeit werden sollte.
Nach Beendigung des Krieges ging Fröbel wieder nach Berlin an die Universität zurück und fand auch sofort wieder eine Anstellung als Assistent beim Leiter des Mineralogischen Museums Prof. Weiß, einem Lehrer und Freund, der für den Forscherdrang Fröbels großes Verständnis zeigte. Kurz darauf starb Fröbels Bruder Christoph, der Pfarrer in Griesheim bei Stadtilm war, durch eine Infektion bei seiner Arbeit im Lazarett. Die Schwägerin bat ihn, die Erziehung seiner Neffen zu übernehmen. Prof. Weiß entließ Fröbel nicht ohne noch seinen umtriebigen Charakter zu kritisieren.
Mit der Betreuung dieser Neffen, der beiden Kinder des anderen in Osterode lebenden Bruder und des jüngeren Bruders H. Langethals wurde ihm wieder eine Erziehungsaufgabe übertragen und Fröbel vermerkte selbst:
"Vom 13. November 1816 an rechne ich daher das Bestehen meines jetzigen erziehenden Wirkens."37
Ein Jahr später 1817 siedeln alle nach Keilhau, einem kleinen Dorf bei Rudolstadt, über. Der Bauer Schilling hatte sein verfallenes Gehöft verspielt, das nun billig zu haben war. Ein Unterricht wurde vorerst nicht gehalten. Alle, auch die Kinder, arbeiteten in den verschiedensten Gewerken mit und bauten aus einem halbfertigen Wohnhaus bis zum Weihnachtsfest 1817 ein respektables Domizil. Unmittelbar nach der übersiedlung nach Keilhau nahm Fröbel vom anderen Bruder Kinder auf und den wesentlich jüngeren Bruder Heinrich Langethals. Middendorff und Langethal hielten sich an den Schwur, der bei den Lützower Jägern alle drei verband und folgten auch nach Keilhau. Die Fürst - Regentin Karoline von Schwarzburg - Rudolstadt empfing Fröbel und ließ sich die ihr bereits 1809 zugesandte Schrift über die Methode Pestalozzis vorstellen. Im Ergebnis dieser Audienz wurde Fröbel ein Kredit von 1000 Talern gewährt. Bis 1820 stieg die Anzahl der Zöglinge auf 12 und im darauffolgenden Jahr bereits auf 20 an, 1825 dann 56. Die Anstalt dehnt sich aus, weitere Gebäude werden errichtet, nach den Plänen Fröbels. Die Lehrerzahl stieg, auch der Neffe Middendorff, Johannes Arnold Barop, kommt in dieses abgelegene von Fröbel so bezeichnete "Erziehungstal", das dem Knaben für seine Entwicklung alles bieten konnte.
"Aber hätte ich . . . meine Erziehungsanstalt recht äußerlich, recht speziell für Bediente oder Knechte und Mägde, oder für Schuster und Schneider, für Kauf - oder Geschäftsleute, für Militär oder wohl gar für den Edelmann ausschließlich angekündigt, dann würde des Rühmens und Preisens von der großen Nutzbarkeit und Nützlichkeit meiner Anstalt gewiß genug gewesen sein, und man würde sie gewiß dann als eine Sache angesehen haben, die vom Staate hinlänglich zu unterstützen sei..
Ich wäre der Welt und des Staates Mann gewesen, und beides um so mehr, als ich der Lebens - und Staatsmaschine Maschinen geschnitzt und bossiert hätte; doch ich, ich wollte freie, denkende, selbsttätige Menschen bilden . . . " 38
Das Konzept der Keilhauer Schule baute Fröbel auf einer Modifikation der Pestalozzischen Methode auf und Verband diese außerdem noch mit seinen Vorstellungen zum Sphäregesetz. Bekannt ist er geworden durch die Schöpfung des Kindergartens, einer Vorschulerziehungseinrichtung, deren Name er auf einem Spaziergang über die Berge um Keilhau und dem Blick in die sich vor ihm ausbreitenden Täler prägte. Bevor aber dies geschah, war Fröbel Schulmann, der sich das Ziel gestellt hatte Kinder vom Schulalter bis zur Universitätsreife bzw. Berufsausbildung zu bringen. Diese Zeit war die Zeit der Versuche, von Versuch und Irrtum. Letzteres anzuerkennen fiel ihm jedoch oft schwer und die Freunde beklagten diese Rigitität häufig, vor allem Heinrich Langethal. Dieser hatte durch seine Ausbildung zum Theologen auch eine gewisse Systematik in der Arbeit gelernt, während Fröbel autoditaktisches Arbeiten gewöhnt war und oft sehr sprunghaft reagierte, vieles aufbaute und wieder verwarf. Es war ein stetes Probieren eines ständig Suchenden.
Gewisse Grundsätze galten aber als unumstößlich. Jeder Lehrer hatte auf die Individualität des einzelnen Zöglings einzugehen. In der Schrift "Keilhau in seinen Anfängen" schrieb Christian Langethal:
"Natürlich ging nun jeder Lehrer auf seine eigene Weise (auf die Kinder, W.A.) ein, und Fröbel stand hierin allen voran. Es gelang ihm am besten, die Individualität der Kinder zu fassen, und er besaß einen merkwürdig richtigen Takt in der Leitung derselben."39
Ein weiterer Grundsatz stellte die freie Geistesentwicklung in den Mittelpunkt; ein dritter, die Kinder sollten zu eigener Kreativität angeregt werden; viertens stand die allseitige Entwicklung des Kindes an.
"Diese Prinzipien gingen allein von Fröbel aus. Kein anderer verstand auch so gut als er, sie mit richtigen Takt auch auszuüben und Extreme zu vermeiden, die seinem Wirken schaden konnten. Wenn Fröbel später gegen seine eigenen Grundsätze Fehler beging, so war daran nicht sein Wille, sondern die gedrückte Lage schuld, in die er allmählich geriet." 40
Die aufkeimenden Schwierigkeiten sah Chr. Langethal vorallem in der Erweiterung der Anstalt. Die bauliche Substanz bot für 24 Zöglinge und drei Lehrer Platz, wäre so überschaubar und zu bewältigen gewesen. Die Nachfrage auf Aufnahme in die "Allgemeine deutsche Erziehungsanstalt" war hoch und Fröbel konnte nicht ablehnen. Er war ein Mensch, der seinem Wesen nach helfen wollte und helfen mußte. Die Gebäude wurden erweitert und neue dazugebaut. Das überstieg natürlich die zur Verfügung stehenden Finanzen. Fröbel gab, getreu den Jahnschen Prinzipien der Gleichstellung, auch sozial schwachen Familien die Möglichkeit ihre Kinder an dieser Schule lernen zu lassen. Die notwendigen Gelder für den Aufenthalt wurden durch Arbeiten der Zöglinge in der selbstversorgenden Landwirtschaft auf das Wirtschaftsgeld umverteilt und war gleichzeitig ein Bestandteil der Fröbelschen Arbeitserziehung. Keilhau hatte deshalb oft Geldnot, so daß die Handwerker häufig nicht bezahlt werden konnten. Für die Betreuung und Unterrichtung der Kinder mußten zusätzlich Lehrer eingestellt werden, die, so beschreibt Chr. Langethal, dem Keilhauer Wesen fremd waren und "...die nicht zum Heile der Anstalt wirkten. Sein Institut wäre dann in ruhiger Reform des Unterrichtswesens fortgeschritten, und es hätte keine Periode gegeben, in welcher der Glanz von Keilhau einige Jahre lang erlosch". 41
Im September 1818 heiratet Fröbel Henriette Wilhelmine Klöpper, geborene Hoffmeister. Sie war die Tochter eines Königlich Preußischen Kriegsrates, unglücklich verheiratet gewesen und mit Middendorff befreundet, hörte mit ihm Fichte und Schleiermacher, verfügte also über solide Kenntnisse in der Philosophie und bewies in der Keilhauer Zeit auch pädagogisches Einfühlungsvermögen. Aus ihrem Rufnamen Henriette wurde Wilhelmine. Fröbel hatte ähnliches nach einer Beziehung zu einem Mädchen in Groß - Miltzow gemacht und bis 1815 mit seinem Vornamen August Dokumente unterschrieben.
Aus der umfangreichen Korrespondenz Fröbels geht aber immer wieder hervor, daß er nie richtig von der geistige Ehe zu Caroline von Holzhausen loskam. So ist zu vermuten, daß die Ehe mit Henriette Wilhelmine eine Zweckehe darstellte, um nach den Vorstellungen zu seinem Sphäregesetz, "vollkommene" Wissenschaft nur über die Ehe möglich ist. Außerdem mußte zur Erziehung der Kinder in Keilhau eine familiäre Atmosphäre herrschen. Fröbels Ehe blieb kinderlos. Aus Briefdokumenten kann geschlossen werden, daß der Grund für die Ehescheidung aus der ersten Ehe auf eine syphilitische Erkrankung des ersten Ehemanns und die Ansteckung seiner Frau zurückzuführen war. Vor der Eheschließung mit Fröbel teilte sie ihm mit, daß nach Aussagen ihres Arztes, sie keine Kinder bekommen kann. Fröbel heiratet sie trotzdem. War es Mitleid oder Eigennutz, Liebe vielleicht nicht, jedenfalls nicht die Zuneigung, die zur Caroline von Holzhausen bestand. Das beweisen die verschiedenen Schreibstile der Briefe. Briefe an seine Frau waren oft nur Sachschilderungen, während Caroline von Holzhausen regelrecht umschwärmt wurde.
Die Probleme für Keilhau verschärften sich, nach dem Eintritt Johannes Arnold Barops, einem Neffen Wilhelm Middendorffs, in die Erziehergemeinschaft. Barop war Burschenschafter. Die Preußen traten an das Fürstenhaus Schwarzburg - Rudolstadt mit der Bitte heran, das Demagogennest in Keilhau zu untersuchen. Das wurde auch getan, jedoch fand man keinen Anlaß die Einrichtung zu maßregeln und zu schließen. Einzig die Veröffentlichungen der Karlsbader Beschlüsse in den "Rudolstädter Wochenblättern" und einige Hinweise aus Preußen, daß Schüler, die an solchen umstürzlerischen Ideen verbreitenden Schulen lernen, an preußischen Universitäten keine Immatrikulation bekommen werden, verunsicherten die Eltern vieler Zöglinge. Die Anzahl der Schüler in Keilhau sank bis 1829 daraufhin auf fünf. Auch die Auseinandersetzungen mit dem Geschichtslehrer Herzog aus Luzern, der überzogene finanzielle Forderungen an Fröbel stellte und sich nach Ablehnung in der öffentlichkeit abwertend über die Anstalt äußerte, wurden Keilhau zum Verhängnis.
In den Jahren 1826 bis 27 reifte in Fröbel der Gedanke, weitere Einrichtungen aufzubauen. Er nahm Kontakt zum Herzog von Meiningen auf und bat um Unterstützung. Der Herzog stand auch anfänglich dem Fröbelschen Erziehungs - und Bildungskonzept (Helba - Plan) nicht abgeneigt gegenüber. Eine Hofintrige brachte jedoch das Vorhaben zu Fall.
Fröbel kam aus seinem Teufelskreis nicht mehr heraus. Im Mai 1831 verläßt er Keilhau und geht nach Frankfurt am Main, besucht die Pestalozzi - Musterschule und seine "innig hochverehrte" Freundin Caroline von Holzhausen, die ihn auch schon sehnsüchtig erwartet, vor allem um ihn nocheinmal den Kindern vorzustellen. Im August des selben Jahres zieht er weiter in die Schweiz.
Mit Hilfe Xaver Schnyders von Wartensee einem vier Jahre jüngeren Freund, der ebenfalls bei Pestalozzi gearbeitet hatte, entwirft Fröbel einen Plan für eine Erziehungsanstalt in Wartensee bei Luzern. Die Schweiz stand damals solchen progressiven Ideen sehr aufgeschlossen gegenüber. So konnte z.B. die bereits 1830 verfaßte Schrift "Grundzüge der Menschenerziehung" erst 1833 in der Schweiz erscheinen, da die deutsche Zensur eine Veröffentlichung nicht zuließ. Fröbel rief darin die Deutschen zu einem "gesamten, einigenden deutschen Volks - und Nationalwerk" auf, zu erreichen durch Bildung und Erziehung aller Schichten nach ihrem Bedarf und geistigen Möglichkeiten, nicht nach den finanziellen. Das war für die reaktionären konservativen Deutschen zu viel verlangt.
Die Erziehungsanstalt in Wartensee wird ein Jahr später aufgegeben. Fröbel erhält aber den Auftrag von der Schweizer Regierung in Bern eine Erziehungsanstalt für Arme in Burgdorf aufzubauen, nachdem sie die Arbeit und das Erziehungskonzept einer nach Wartesee gegründeten Einrichtung, die eine Kombination aus Internat und Schule darstellte, geprüft und als gut befunden hatte. Der Auftrag umfaßte aber nicht nur die Erziehung der Kinder, sondern auch die Aus- und Fortbildung von Lehrern, die Fröbel leiten soll. Einige Keilhauer Mitstreiter kamen in die Schweiz nach, um Fröbel zu helfen, Langethal, Middendorff , Barop und auch Ferdinand Fröbel.
Fröbel kehrt 1836 mit seiner Frau nach Deutschland zurück. Die Mutter seiner Frau war gestorben und der Nachlaß mußte verwaltet werden. Er geht nicht wieder in die Schweiz zurück, sondern bleibt bis Anfang des Jahres 1837 in Keilhau, zieht aber bald nach Bad Blankenburg um. Die Keilhauer Verhältnisse hatten sich geregelt. Barop hatte inzwischen die Leitung übernommen. Die Fröbelschen Erziehungsgrundsätze blieben erhalten, lediglich der Unterricht wurde systematisiert und die Verwaltung geordnet. Das hieß nicht, daß Fröbel von Keilhau abgenabelt wurde. Die Bindung war weiterhin sehr intensiv. Fröbel hatte aus Keilhau das Konzept einer Gliederung des Bildungsganges mit in die Schweiz genommen und den Gedanken verfolgt, in seinen gegründeten Einrichtungen unterschiedliche Bildungsangebote zu machen und die Kinder, ihres Niveaus entsprechend weiterzuleiten, vom Erlernen des einfachen Gewerbes bis hin zu Universitätsreife.
Dabei beschäftigte er sich schon mit Kindern im Alter von vier Jahren, die im Spiel lernten. Das war der Ausgangspunkt für die Schaffung einer Vorschuleinrichtung. Das Konzept Menschenerziehung wird erweitert durch den Bereich allseitige Pflege des Kinderlebens bis zum schulfähigen Alter und die Erneuerung der Familie. 1840 wird der Kindergarten in Bad Blankenburg gegründet, nachdem im März 1837 die "Autodidaktische Anstalt" und im August des gleichen Jahres die "Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes der Kindheit und Jugend" vorausgegangen waren. 1839 verstarb seine Frau.
1842 schon bot Fröbel aus dem Aus- und Weiterbildungskonzept der Schweizer Zeit profitierend, die ersten Kindergärtnerinnenkurse in Bad Blankenburg an. Hinzu kam, daß für die Beschäftigung mit dem Kind Spielgaben entworfen wurden. In der Zeit von 1845 bis 1849 begab sich Fröbel auf ausgedehnte Reisen, um seine Kindergartenidee zu verbreiten. Es wurden Bildungkurse organisiert.
1850 siedelte Fröbel nach Bad Liebenstein in das Schlößchen Marienthal über. Der Herzog von Meiningen hatte ihm das Anwesen als Wohnsitz angeboten. Die erste Kindergärtnerinnenschule wird hier im Mai des gleichen Jahres eröffnet. Fröbel schuf damit einen neuen Berufszweig und gab auch der Frau eine berufliche Entwicklungsmöglichkeit und eine höhere Anerkennung und Wertigkeit in der Gesellschaft. Im Juni 1851 vermählte Fröbel sich mit der 33 Jahre jüngeren und erfurchtsvoll zu ihm aufschauenden Schülerin Luise Levin. Zwei Monate später wird in Preußen der Kindergarten verboten. Fröbel ist wiedermal von Deutschland enttäuscht, sein Lebensmut gebrochen. Am 21. Juni 1852 stirbt Friedrich August Wilhelm Fröbel in Marienthal. Ein Mensch, der helfen wollte, anderen das zu ersparen was er selbst in der Kindheit erleiden mußte.
". . . in einer Erscheinung meines späteren Lebens mag vielleicht meine unvertilgbare Familien - und Geschwisterliebe ihren Grund haben, die bis auf diesen Augenblick höchst wesentlich bestimmend in mein Leben eingegriffen hat."
Verhaltensmodelle oder Möglichkeiten zur Problemlösung hat ihm so gut wie keiner vermittelt. Hier bildete sich bereits ein Nährboden für Symptome der Selbstunsicherheit, die später durch seinen umfangreichen verschraubten und von Wiederholungen durchsetzten Schreibstil kompensiert wurde. Vermutlich konzentrierten sich die meisten Handlungen auf ein gewisses Versuch - Irrtum - Lernen, denn auch später wurde mehr, so die Aussagen einiger Zöglinge aus Keilhau, probiert als zielstrebig entworfen. Alles Neue, das entdeckt wurde, mußte sofort "bearbeitet" werden, keiner wird dieses Kind dazu angehalten haben Begonnenes erst zu ende zuführen, bevor etwas Neues in Angriffgenommen wird. Das sind natürlich Vermutungen, denn eine exakte Analyse der Familiensituation läßt sich über schriftliche überlieferungen, die dann auch noch mehr auf Schilderungen von Fröbel selbst beruhen, nur bedingt anstellen. Einen Hinweis auf seine Umtriebigkeit und Unternehmungslust könnte man aber schon daraus ablesen.
2 ebd. S. 3
3 ebd. S. 4
4 ebd. S. 5
5 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, in: Wichard Lange: "Aus Fröbel's Leben und erstem Streben", Berlin 1862, Bd. I, S. 33
6 ebd. S. 33
7 Gumlich: Friedrich Fröbel, Brief an die Frauen in Keilhau, Weimar 1935, S. 5
8 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829,
9 ebd. S. 34
10 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, S. 34
11 H. Heiland, "Fröbel" 1982
12 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, S. 48
13 ebd. S. 38
14 Gumlich: Friedrich Fröbel, Brief an die Frauen in Keilhau, 1935, S. 5
15 ebd. S.5
16 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, S. 38
17 ebd. S.7
18 Gumlich: Brief an die Frauen in Keilhau, Weimar 1935, S. 8
19 ebd. S. 9
20 ebd. S. 9
21 S. Freud: Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens, in: S. Freud, Essays I, Hrg. D. Simon, Wien und Berlin 1988, S. 266
22 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, in: Wichard Lange: "Aus Fröbel's Leben und erstem Streben", Berlin 1862, Bd. I, S. 45
23 ebd. S.46
24 Gumlich: Friedrich Fröbel, Brief an die Frauen in Keilhau, 1935, S.10
25 ebd. S.10
26 Aus einem Brief an den Herzog von Meiningen, 1829, S. 49
27 B. Gumlich: Friedrich Fröbel, Brief an die Frauen in Keilhau, 1935, S.13
28 Wichard Lange: Friedrich Fröbels gesammelte pädagogische Schriften, Bd. I , S. 72
29 Erika Hoffmann u. Reinhold Wächter: "Friedrich Fröbel: Briefe und Dokumente über Keilhau, 1986, Stuttgart 1982
30 in: Gedenkschrift zum 100. Todestag von Friedrich Fröbel am 21. Juni 1952, S.31
31 Erika Hoffmann u. Reinhold Wächter: "Friedrich Fröbel: Briefe und Dokumente über Keilhau, 1986, S. 34
32 Brief an Bruder Christoph vom 3. 5. 1807, in: Gedenkschrift zum 100. Todestag von Friedrich Fröbel am 21. Juni 1952, S. 32
33 Gumlich: Friedrich Fröbel, Brief an die Frauen in Keilhau, 1935, S. 60
34 Aus den Tageblättern, 24. 8. 1826, in: Gedenkschrift zum 100. Todestag, S. 36
35 Brief an den Herzog von Meiningen 1829, in: Wichard Lange 1862, Bd. I, S. 110
36 ebd. S. 107
37 aus einem Brief Fröbels an den Philosophen Krause 1828, in W. Lange, 1862, Bd. I, S. 145
38 ebd. S.137
39 Chr. Langethal, Keilhau in seinen Anfängen, in: Keilhau in Wort und Bild, 1902
40 ebd.
41 ebd.