1826 - vor 170 Jahren - schrieb Friedrich Fröbel in Keilhau sein literarisches Hauptwerk, die Menschenerziehung. Viel Zeit ist seitdem ins Land gegangen. Wer sich mit Vergangenem beschäftigt, dem tut sich hin und wieder die Erkenntnis auf, daß Probleme von heute gar nicht immer so neu sind. Wer kennt nicht die alten Klagelieder über den Zustand der Jugend aus Darlegungen der sogenannten alten Griechen und Römer.
Fröbels Ausspruch:
"Das kleinste Samenkorn trägt...das große Ganze in sich und es entwickelt es im Zusammenhange mit dem großen Lebensganzen. So trage auch ich als Mensch die ganze Vergangenheit, die Fülle der Gegenwart und den Reichtum der Zukunft in mir." soll uns heute leiten, den Reichtum des Vergangenen zu suchen, mit unserem Denken enge zeitliche Kreise zu durchbrechen.
Lassen Sie uns gemeinsam auf eine Reise gehen. Nutzen wir dazu eine Erfindung, die eng mit Fröbels Zeit verbunden ist, und die es ermöglichte, daß Menschen schneller denn je enge räumliche Barrieren überwinden konnten, die Eisenbahn.
Hier und da machen wir Station, kommen an, verweilen, fahren weiter.
Fröbel, im thüringischen Städtchen Oberweißbach geboren, lebte von 1782 bis 1852. Seine Lebenszeit wird eingerahmt von der französischen bürgerlichen Revolution und der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland, einer Zeit, die eng verbunden war auch mit technischen Entwicklungen.
Gerade 13 Jahre vor Fröbels Geburt hatte ein Engländer namens James Watt die erste funktionstüchtige Dampfmaschine gebaut. Damit wurde es Menschen möglich, unabhängig von Wind oder Wasser Produktionsanlagen zu betreiben. Die Idee, eine solche Kraftquelle zur Ortsveränderung zu nutzen, setzte 1796 der Franzose Cugnot erst um und dann nach kurzer Fahrstrecke an eine Mauer an. Das schwere Ungetüm ließ sich nicht lenken.
An ganz reale Mauern stieß auch Friedrich Fröbel als Kind - die des Oberweißbacher Kirchhofes. Nach dem frühen Tod seiner Mutter erlebte er wenig Zuneigung, war meist auf sich allein gestellt.
Anschütz zitiert 1995 ... zur ...”örtliche(n) Lage des elterlichen Hauses" in Oberweißbach. Es "war dicht umschlossen von Gebäuden, Mauern, Hecken, Staketen... von einem Hofraum, von Gras - und Gemüsegärten, über die hinaus zu gehen stark verpönt war." 1)
"...So war mein Blick nur aufs Nahe gerichtet, und die Natur, die Pflanzenwelt und Blumenwelt wurde, soweit ich sie anschauen und begreifen konnte, bald ein Gegenstand meiner Beobachtung und meines Nachdenkens..." 2)
Diese Selbstbeschäftigung und Zurückgezogenheit - so Anschütz - prägten Fröbel für das gesamte Leben nachhaltig. ... Die mangelnde Zuwendung seitens der Familie ließ ihn zum Einzelgänger ... werden, aber auch, so beschreibt er selbst, zum prinzipienfesten Kämpfer gegen die Ausgrenzung und Degradierung kindlichen Tuns.
Der Erlebens- und Erfahrungsraum des jungen Friedrich Fröbel war sehr begrenzt und beengt in diesen Jahren.
Machen wir hier doch einmal kurz das “Licht der Gegenwart” für ein paar Fragen an uns an.
Licht wieder aus!
1804 - Fröbel hatte seine Lehre und seine ersten Studienerfahrungen hinter sich und war gerade in den Jahren - in den Wanderjahren - da stellte ein Engländer namens Trevithick zum ersten Male eine Dampfmaschine zum Zwecke der Fortbewegung auf Schienen. Die Lokomotive war geboren und damit auch endlich relativ sicher, daß ein derartiges Ungetüm einen vorher geplanten Weg auch wirklich nahm.
In Europa schien ein anderer Weg vorerst unaufhaltsam - der Napoleons.
Fröbel, der inzwischen wieder studiert hatte, erste Erfahrungen als Lehrer an eine Musterschule in Frankfurt am Main sammelte und als Hofmeister einer Frankfurter Familie mit den ihm anvertrauten Kindern schon bei Pestalozzi in der Schweiz geweilt hatte, stellte sich in diesen Weg - als Lützower Jäger.
In einem Brief an den Herzog von Sachsen-Meiningen, Bernhard Erich Freund, schrieb Fröbel in diesem Zusammenhange: “Mein Streben bekam die Richtung auf das Nationale”.
Ein verständliches Streben, galt es doch, ein einiges Deutschland zu schaffen aus vielen kleinen und kleinsten Staatengebilden.
Menschen mußten zu diesem Ziele hin erzogen werden. 1816 gründete Fröbel in Griesheim bei Stadtilm mit 4 Kindern aus seinem familiären Umfeld eine Anstalt, der er den Namen “Allgemeine deutsche Erziehungsanstalt” gab.
Licht an. Das war damals möglich. Licht aus.
Es war wohl eher das Erziehungsziel und nicht die Größe der Anstalt, die Fröbel ihr einen solchen Namen geben ließ.
1817 siedelte die Anstalt nach Keilhau über. Dort befindet sich heute eine Förderschule für sprachbehinderte Kinder. Hier beginnt Fröbel auch, schriftstellerisch tätig zu werden.
In dieser Zeit - genauer: 1825 - fährt auf der Strecke Stockton - Darlington der erste Personenzug der Welt.
Befürchtungen werden laut - die Eisenbahn wird die Menschen und die weidenden Tiere krank machen, die rasenden Geschwindigkeiten werden zu Gehirnkrankheiten führen - ich lasse das an dieser Stelle absichtsvoll unkommentiert
In dieser Zeit tritt in Fröbels Schriften etwas häufig das Wort “deutsch” auf. Der Philosoph Krause schreibt an Fröbel, daß er vieles dem deutschen Volke zuschreibe, was nicht allein des deutschen Volkes ist.
Ein Zitat des französischen Aufklärers Rosseau, dessen Erziehungsroman “Emile” in die Weltliteratur eingegangen ist, soll uns hier öffnen für das, was der Begriff “Menschenerziehung” meinen könnte: “Wenn er (der Zögling) aus meinen Händen hervorgeht, wird er freilich weder Richter noch Soldat noch Priester sein, er wird zuerst Mensch sein.”
Es ging Rosseau nicht darum, geachtete Berufsstände zu provozieren, sondern darum, den Gedanken der “Menschenerziehung” zu entwickeln. Rosseau fand sich auch in Fröbels Bibliothek. Diese Lektüre und die Kritik Krauses haben wohl ihre Spuren im Denken und Schreiben Fröbels hinterlassen.
1826 bestand die Keilhauer Anstalt fast 10 Jahre - Jahre der Hoffnung , des Aufbauens, der Irrungen und Wirrungen, Jahre der Erfahrungen. Nun kamen die Jahre des Niedergangs - der öffentliche Ruf der Keilhauer Anstalt hatte durch Intrigen und Mutmaßungen gelitten. Es war wohl an der Zeit, das Erfahrene und Gedachte in einem großen Werk zusammenzuführen, wohl um seine Vorstellungen des “Allgemeinmenschlichen” darzustellen, wohl aber auch, um das in Keilhau Gewachsene und Gewordene öffentlich darzustellen und damit auch zu verteidigen.
Fährt man mit der Eisenbahn, fliegtdas links und rechts der Strecke liegende schnell vorbei. Einzelne Bilder nimmt man dann auf - und so werde ich es auch tun bei meiner weiteren Reise durch die “Menschenerziehung”.
Was ist der Mensch? Was ist Erziehung?
Fröbels Beantwortung der zweiten Frage zeigt: Wer ihn verstehen will muß sich auf einen archaisch anmutenden, verschraubten Sprachstil einlassen.
“Das Anregen, die Behandlung des Menschen als eines sich bewußt werdenden, denkenden, vernehmenden Wesens zur reinen unverletzten Darstellung des inneren Gesetzes, des Göttlichen mit Bewußtsein und Selbstbestimmung, und die Vorführung von Weg und Mittel dazu ist Erziehung des Menschen.”3)
Man kann es auch so sagen: Erziehung ist die Begleitung und Führung des Menschen auf dem Weg dorthin, sein Leben selbstbestimmt führen zu können.
Fröbel unterschied Erziehungswissenschaft, Erziehungslehre und Erziehungskunst. Insbesondere der Begriff der “Erziehungskunst”4) - heute auch der Titel einer Zeitschrift der Waldorf-Pädagogik - mutet uns besonders an. In dieser Kunst sieht Fröbel “...die freitätige (kreative - M.B.) Anwendung ...” von Erkenntnissen und Einsichten ... “...für unmittelbare Entwicklung und Ausbildung vernünftiger Wesen.”
“Die Erziehung - so Fröbel -soll und muß den Menschen zur Klarheit über sich und in sich, zum Frieden mit der Natur und zur Einigung mit Gott leiten und führen; darum soll sie den Menschen zur Erkenntnis seiner selbst und des Menschen, zur Erkenntnis Gottes und der Natur und zu dem dadurch bedingten reinen und heiligen Leben erheben.”
Herstellung der Einheit des Menschen mit Gott, der Natur und den Menschen - dieses Ziel von Erziehung faßte Fröbel in den Begriff “Lebenseinigung”.
Erziehung - das halte ich für wichtig und bemerkenswert - ist für Fröbel also der Weg und nicht das Ziel.
Meinem Zug weisen die Gleise den Weg. Wie ist das mit der Erziehung. Wo führt dieser Weg entlang?
Hartmut von Hentig, einer der wohl bedeutendsten Pädagogen im heutigen Deutschland fordert in seinem “Sokratischen Eid” von Lehrern und Erziehern “auf seine (sprich: des Kindes) Regungen zu achten, ihm zuzuhören, es ernst zu nehmen”.
Nehmen wir es wahr, wenn das Innere des Kindes sich entäußert, bevor es laut oder spektakulär wird? Bleibt uns Kraft und Raum aus den Reiz- und Informationsströmen, die uns tagtäglich überfluten, wichtiges wahrzunehmen, wenn es leise - als Regung eben - daherkommt?
Fröbel klagt:5)
“...jungen Pflanzen und jungen Tieren geben wir Raum und Zeit, wissend, daß sie sich dann den in ihnen... wirkenden Gesetzen gemäß schön entfalten und gut wachsen; jungen Tieren und jungen Pflanzen läßt man Ruhe und sucht gewaltsam eingreifende Einwirkungen auf sie zu vermeiden, wissend, daß das Gegenteil ihre reine Entfaltung und gesunde Entwicklung störe; aber der junge Mensch ist dem Menschen ein Wachsstück, ein Tonklumpen, aus dem er kneten kann, was er will.”
Er diskutiert hier den - so seine Worte - vorschreibend-eingreifenden Erziehungsstil und den leidend-nachgebenden. Den Weinstock stark zu beschneiden, kann ihn auch vernichten. Das im Keime, im Samenkorn Angelegte kann sich nicht entfalten, wird die Entwicklung von vornherein in vorgeschriebene Bahnen gelenkt.
Der Gedanke der Menschenerziehung ist insofern auch eine Absage an eine an bestimmten zeitbezogenen Erfordernissen ausgerichteten Erziehung. Der Mensch darf nicht für eine bestimmte Gesellschaft, für eine bestimmte Zeit passend gemacht werden. Das dies Fröbel so sah, mag einer der Gründe dafür sein, warum er in vielen Teilen der Welt akzeptiert wird.
Lassen wir Fröbel nochmals zu Worte kommen:
“In der guten Erziehung, in dem echten Unterrichte, ... muß und soll also die Notwendigkeit die Freiheit, und das Gesetz die Selbstbestimmung hervorrufen, der Zwang von außen den freien Willen im Innern, der Haß von außen die Liebe im Innern. Da, wo der Haß den Haß gebiert, ... da, wo der Druck vernichtet, erniedrigt und die Last zerbricht und gemein macht; da, wo die Strenge und Härte die Widerspenstigkeit und Falschheit gebiert: da ist jede Erziehung, jede Wirkung der Erziehung, der Lehre und des Unterrichts vernichtet. Um dies zu vermeiden und jenes zu erreichen, muß alles vorschreibend Erscheinende nachgehend wirken. ... ... ... Alle wahre Erziehung und Lehre, aller wahre Unterricht, der echte Erzieher und Lehrer muß in jedem Augenblicke,... in allen seinen Forderungen und Bestimmungen also zugleich doppelendig, doppelseitig sein: gebend und nehmend, vereinend und zerteilend, vorschreibend und nachgehend, handelnd und duldend, bestimmend und freigebend, fest und beweglich...”6) und an anderer Stelle: “er muß Göttliches im Menschlichen wahrnehmen und anschauen, und das Wesen des Menschen in Gott nachweisen, und beides ineinander im Leben darzustellen anstreben.”7)
Im Leben ... wie häufig hören wir doch: “Wir bereiten unsere Kinder auf das Leben vor.”
Was ist das für ein Leben, das wir dann meinen, zu dem unsere Kinder, wollte man diesem Satze glauben, noch nicht gehören?
Nein - ist es nicht genau dieser Blickwinkel, der uns häufig den Zugang zu unseren Kindern verstellt? Ist nicht gerade die Kindheit der Lebensabschnitt, an den sich die meisten auch im hohen Alter noch am liebsten erinnern?
Das mag Fröbel wohl auch gemeint haben, als er schrieb: “Jeder Mensch schon als Kind soll als ein notwendiges wesentliches Glied der Menschheit erkannt, anerkannt und gepflegt werden,...”
Warum distanzieren wir uns aber scheinbar von unseren Kindern, wenn wir unser Leben von ihrem trennen? Auch hier bietet Fröbel einen Ansatz zum Weiterdenken:
“Doch das Schädlichste von allem ist, daß besonders der Mann in sich nicht mehr den Säugling, das Kind, den Knaben und Jüngling, überhaupt nicht mehr die früheren Entwicklungsstufen schaut und in diesen sich nicht selbst findet und sieht, sondern vielmehr vom Kinde und Kannaben und Jünglinge wie von Wesen ganz anderer Art mit ganz anderen Naturen und Anlagen redet.”8)
Glauben wir etwa, wenn wir nicht mehr Kind sind, etwas überwunden zu haben? Was hätten wir dann überwunden? Ist das, was wir Liebe zum Kind nennen nicht auch ein Stück unseres Sich-selbst-Wiederentdeckens?
Man fragte Einstein einmal, wie er zum Genie wurde. So genau hat er es wohl nicht mehr gewußt, nur daß er als Kind immer staunte, wie der Mond oben am Himmel denn hielte. Dieses Staunen - so Einstein - habe ich mir bewahrt.
Die Ausprägung und Ausbildung jeder Entwicklungsstufe ist Voraussetzung für die Entwicklung jeder weiteren Stufe - das haben auch nicht erst die Psychologen unseres Jahrhunderts erkannt, das ist auch bei Fröbel zu lesen.
Wer sich von seiner Kindheit distanziert, distanziert sich auch von den Kindern selbst und lebt vielleicht wirklich nicht mehr das selbe Leben.
Manchmal entdecke ich es bei mir auch. Ich schaue aus dem fahrenden Zug und sehe Dinge, die ich schon auf vergangenen Fahrten wahrgenommen habe, entdecke aber plötzlich darin auch neues. Auch frühere eigene Randnotizen in “meiner” Menschenerziehung lassen mich manchmal mit dem Kopf schütteln. Aber: in 10 Jahren schüttele ich den Kopf vielleicht über meine heutigen Notizen.
Nein - nicht nur Erziehung - Mensch sein selber ist wohl ein Weg.
Und der verliert sein Menschsein, der sich seinen Weg selbst abschneidet, der seinen Weg verleugnet. Kindsein ist der Beginn des Weges Leben.
Mein Zug fährt weiter, mein Weg geht weiter.
Unser Weg ist Tun, ist Tätigkeit (wie ist mir dieser Übergang gelungen!)
Tätigkeit ist der tragende Begriff Fröbelscher Pädagogik schlechthin - Selbsttätigkeit insbesondere. Den Menschen denkend tätig, selbsttätig zu machen, war sein oberstes pädagogisches Ziel.
Er verstand Tätigkeit mit den drei Haupttätigkeiten Spielen, Lernen und Arbeiten ganz im Sinne Luthers als Entäußerung des Göttlichen. Indem der Mensch schöpferisch wird, wird er seinem Schöpfer ähnlich.
“Gott schuf den Menschen, ein Abbild seiner selbst, zum Bilde Gottes schuf er ihn: darum soll der Mensch schaffen und wirken gleich Gott; sein Geist, der Menschen Geist, soll auf und über dem Ungeformten, Ungestalteten schweben und es bewegen,...”9)
Zur Kritik an Fröbel gab immer wieder Anlaß, daß er es als erniedrigend ansah, daß Arbeit letztlich vor allem als dem Broterwerb dienend gesehen wurde, wo es um die Entäußerung des im Menschen liegenden Geistigen, Göttlichen ginge.
Man sollte hier wohl nicht einfach schmunzelnd weiterlesen
Macht es uns denn nicht wirklich glücklicher, in der Arbeit unser Inneres zu entäußern - vielleicht sogar kreativ zu sein. Liegt hier nicht auch ein Grund dafür, warum jemand den Erzieher- oder Lehrerberuf ergreift?
“...unsägliche Menschenkraft bleibt unentwickelt, unsägliche Menschenkraft geht verloren...” beklagt Fröbel und fordert die Einführung echter Arbeitsstunden.
Nachdenklich sollte uns Fröbels Mahnung stimmen:
“Wie teilt zuerst der Knabe und das Mädchen dieses Alters so innig gern die Arbeiten des Vaters und der Mutter, nicht die spielenden und leichten, nein,... die anstrengenden, Kraft und Mühe erfordernden möchte es mit den Eltern teilen. Hier ...seid sorgsam und sinnig, ihr Eltern! ihr könnt hier mit einem Male den Tätigkeits- und Bildungstrieb eurer Kinder wenigstens für lange vernichten, wenn ihr die Hilfe ... als kindisch, als unnütz,..., ja vielleicht gar als hindernd und hemmend zurückweiset. Laßt euch durch den Drang der Geschäfte ja nicht verleiten; hütet euch ja, zu sagen: ´Geh' hinweg! du hinderst mich nur!´”10)
Anmerkung: Stimmt er also doch, der Satz: “Faule werden nicht geboren, sondern erzogen”?
Und: Arbeiten, das lernt man nicht, wenn man über Arbeit spricht.
Über das Spiel ist - insbesondere im Zusammenhang mit Fröbel - bereits vieles gesagt worden.
Es sei 11) “...nicht Spielerei, es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung.”
Jede der drei Haupttätigkeiten Spielen, Lernen und Arbeiten ist nach Fröbel in jedem Lebensabschnitt präsent - wohl jeweils in spezifischer Ausprägung. Hier soll nicht der Ort sein, Vergleiche verschiedener Spieltheorien anzustellen. Fröbel macht mit seinem Spielgabensystem aber sehr glaubhaft, daß er insbesondere als Aufgabe des Spielens “die freitätige Darstellung des Inneren” ansah - eben das, was “der natürliche Mensch von und aus sich selbst tut.” Während z.B Montessoris Lernmaterialien weitgehend didaktisch funktional sind, kann sich bei Fröbel das Innere des Kindes relativ frei entäußern. Dies ist keine Kritik an der Pädagogik Montessoris. Ihr Ansatz als Kinderärztin, Entwicklungsdefizite verwahrloster Kinder zu beheben erforderte besondere Methoden, ist aber weitgehend ein kompensatorischer Ansatz, der aber in der Verbindung mit anderen pädagogischen Modellen durchaus produktiv in der Erziehung angewendet werden kann.
Arbeit kann nicht ohne Spiel sein, Spiel ist aber mehr als bloße Vorbereitung auf spätere Arbeitstätigkeit. Wie ist aber zur Arbeit zu erziehen?
“Jedes Geschäft und jedes Gewerbe, jeder Beruf des Vaters (und ich ergänze hier: auch der Mutter) reicht einen Ansatzpunkt zur Aneignung aller menschlichen Erkenntnis....”
Aber bleiben wir hier einmal beim Thema Väter oder Männer und Beruf - insbesondere Erzieherberuf!
Bereits Fröbel mußte erkennen, daß sich außerordentlich wenige Männer für den Erzieherberuf begeistern ließen. Die erste Kindergärtnerinnenschule der Welt in Schweina-Marienthal wurde somit mehr oder weniger zwangsläufig auch zur ersten Berufsausbildungseinrichtung für Frauen in Deutschland.
Einigkeit besteht darüber, daß das Kind das wohl doch existierende spezifisch Weibliche und Männliche in der Erziehung - was das auch immer sei - benötigt.
Um 1985 herum sprangen erstmals 2 Skispringer - der Thüringer Andre Kiesewetter und der Schwede Jan Boklöv im V-Stil von den Schanzen. Sie nahmen damals dafür noch hohe Punktabzüge und auch schwerste Stürze in Kauf. “Richtige Männer” waren und sind sie wohl beide. Jan Boklöv ist dazu noch von Beruf - Kindergärtner!
Der Kindheitsstufe, der - so Fröbel - Stufe des Lebens an sich mit der Aufgabe, vorrangig Innerliches äußerlich zu machen folgt die Knabenstufe, die Stufe des vorwaltenden Unterrichts mit der Aufgabe, Äußerliches zu verinnerlichen, die Stufe des Lernens.
Neben der Familie wird nun die Schule zum Lebensmittelpunkt des Kindes. Über die Schule sagt Fröbel, sie sei der Ort, “wo der Mensch durch Vorführung des Äußeren, Einzelnen, Besonderen zum Erkennen des Allgemeinen, des Innern, der Einheit gebracht wird und gelangt.”
Das Leben der Familie wird dem Kinde nun, so Fröbel, zum Musterleben. Das haben auch die Psychologen unseres Jahrhunderts so gesehen. Im familiären Alltag entwickelt das Kind Muster für sein eigenes Verhalten, die von sehr hoher Beständigkeit sind. Jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen bspw. davon, daß eine spätere Neigung zu gewalttätigem Handeln bei einem Kind, welches in der Familie im Alter von 2 bis 4 Jahren Mitgefühl und Mitleidenkönnen entwickeln konnte, viel weniger wahrscheinlich ist, als bei einem Kind, das in der Familie Beziehungskälte erlebte.
Heute weiß man auch, daß Gewalt häufig in mangelndem Selbstwertgefühl wurzelt. Wie verhelfen wir unseren Kindern dazu?
“Der von Jugend auf ruhig, der stetigen Entwicklung seiner Kraft gemäß geführte Knabe wird immer nur um ein weniges seiner Kraft mehr zumuten, als er sie schon geprüft hat...”
Das ist es also - Kinder der stetigen Entwicklung ihrer Kraft gemäß zu führen. Das erfordert aber gerade das meiste pädagogische Geschick.
Den Entwicklungsstand eines Kindes zu jederzeit richtig einzuschätzen und somit die Anforderungen so zu gestalten, daß sie das Kind weder über- noch unterfordern - gelingt uns das immer?
In Fröbels Worten verbirgt sich aber noch mehr - nämlich daß das Kind maßgeblich an der Aufgaben- und Anforderungssuche zu beteiligen sei, da es eigene Antriebe (oder Motive) für die eigene Entwicklung besitzt - zumindest solange das Selbstvertrauen vorhanden ist.
Der Erzieher- oder Lehrerberuf bringt mit sich, häufig nicht unmittelbar die Früchte der eigenen Arbeit zu sehen. Erst über einen längeren Zeitraum dokumentieren sich diese. Aber: Das Erlebnis des Erfolges eigenen Wirkens ist eine der nachhaltigsten Motivationsquellen. Auch Kinder brauchen für sich selbst sichtbaren Erfolg. Das Wachsen und Gedeihen von Pflanzen nahm aus dieser Sicht für Fröbel immer eine Schlüsselstellung ein. Er forderte - 13 Jahre bevor er in ganz anderem Zusammenhang den Namen “Kindergarten” ersann - die Einrichtung von “Kinder- und Knabengärten”, in denen Kindern durch Pflege und Aufziehen von Pflanzen der Erfolg ihrer Arbeit sichtbar und deutlich werden sollte.
Kindheit und Jugend ändern sich, wie die Zeiten sich ändern. Was bedeutet es heute, Kind zu sein. Die Demographen - und nicht nur die - sehen eine wesentliche Bestimmungsgröße in der zunehmenden Tendenz zur Ein-Kind-Familie. Das hat aber zur Folge, daß in vielen Familien keine Kommunikation zwischen Kindern mehr stattfinden kann, in der Familie Erwachsene häufig die einzigen Kommunikationspartner des Kindes sind. Kinder brauchen die Gemeinschaft. Fröbel fordert:
“Jeder Ort sollte für seine Knabenwelt einen eigenen, gemeinsamen Spielplatz haben; herrlich würden die Früchte sein, welche daraus für die ganze Gemeinschaft hervorgehen; denn die Spiele dieser Entwicklungsstufe sind, wo es nur immer möglich ist, gemeinsam, und so den Sinn und das Gefühl für das Gemeinsame, das Gesetz und die Forderungen des Gemeinsamen entwickelnd.”
Nicht nur der Spielplatz, auch der Kindergarten und die Schule sind solche auch und vor allem aus diesem Blickwinkel heraus sehr notwendigen Orte
Die Schule - so Fröbel - “...als eine Anstalt zur Aneignung einer größern oder geringern Menge von Mannigfaltigkeiten und darum Äußerlichkeiten macht die Schule keineswegs zur Schule, sondern einzig der geistige, lebendige Hauch und Odem, der alle Dinge belebt, in dem alle Dinge sich bewegen.”
In dem, was Fröbel über die Schule schreibt, gibt es eine Menge zu entdecken. Wir müssen uns auf weniges beschränken - obwohl dies sehr schwer ist.
Sehnsucht nach Kenntnissen über die Natur und über die Vorwelt (sprich: die Geschichte) treibt den Knaben - so Fröbel - bis hinab in die verfallensten Gewölbe. Menschenwerke sind es, die dem Kinde den Zugang zur Vorwelt begründen. Hier erinnere ich mich an Einstein, der da sagte, das Staunen habe er sich bewahrt. Ich bin - was vielleicht den in diese Darlegungen immer wieder eingesponnen Faden erklärt - an einer Eisenbahnstrecke aufgewachsen. Fauchende Dampflokomotiven brachten z.B. mich zum Staunen und wohl auch zur Ehrfurcht vor menschlicher Leistung und menschlichem Erfindergeist.
Vielleicht brauchen wir für unsere Kinder weniger Denkmäler (die toten aus Stein und Eisen liebte Fröbel ohnehin nicht), sondern mehr “Staunmäler”.
Freilich - auch ein Fröbel verheimlicht es nicht - auch damals stellten sich Kinder ihren Erziehern durchaus nicht immer als tatendurstig und wißbegierig dar. Ich habe große Lust, ihn einmal in längeren Passagen unkommentiert zu Worte kommen zu lassen. Er sah, daß uns
“...da vieles ganz anders entgegentritt, daß Eigensinn, Trotz, Bequemlichkeit, Geistes- und Körperträg- und Faulheit, Sinnen- und Gaumendienst, Eitelkeit und Eigendünkel, Rechthaberei und Herrschsucht, Unbrüderlich- und Unkindlichkeit, Leerheit und Oberflächlichkeit, Arbeits-, ja sogar Spielscheu, Ungehorsam und Gottesvergessenheit usw. begegnet.”
Ursachen waren für ihn die: “...völlig unterlassene Entwicklung verschiedener Seiten des reinen Menschenwesens, dann die frühe fehlerhafte Richtung, die frühen fehlerhaften, unnatürlichen Entwicklungsstufen und Verdrehungen der ursprünglich guten menschlichen Kräfte, Anlagen und Bestrebungen durch willkürliches, gesetzloses Eingreifen in den ursprünglichen, gesetzmäßigen und notwendigen Entwicklungsgang des Menschenwesens, des Menschen.”
Wenn das sogenannte Böse nun erst einmal da ist, was ist dann zu tun, werden Sie berechtigterweise fragen.
Nach Fröbel “...liegt aller Erscheinung der Fehlerhaftigkeit in dem Menschen eigentlich... eine zerdrückte oder verrückte gute Eigenschaft, ein gutes Streben, ... zugrunde, und darum besteht das einzige... Mittel, alle Fehlerhaftigkeit, ja Bosheit und Schlechtigkeit zu vernichten und aufzuheben, darin, sich zu bemühen, die ursprünglich gute Quelle... des menschlichen Wesens aufzusuchen und aufzufinden, ... diese dann zu nähren, zu pflegen, aufzurichten, ... so wird die Fehlerhaftigkeit endlich, wenn auch mit mühseligem Kampfe gegen die Gewohnheit, nicht gegen ursprünglich Böses im Menschen, schwinden...”
Oft ist es der erziehende Mensch selbst, welcher - so Fröbel - das Kind erst schlecht macht; ... ZITAT (von 1826 natürlich): “...dies geschieht dadurch, daß man alle dem, was von Seiten des Kindes oder des Knaben entweder aus Unkunde, Unüberlegtheit oder auch wohl als Folge eines sehr scharfen Blickes für das Rechte oder Unrechte außer ihm und so aus einem sehr tüchtigen und lobenswerten Rechtsgefühle geschieht, immer eine böse, schlechte, wenigstens schiefe Absicht zugrunde legt. Leider gibt es auch noch solche Unglücksmenschen unter den Erziehern, sie sehen immer an den Kindern... kleine boshafte, tückische, lauernde Teufelchen, wo andere höchstens einen zu weit getriebenen Scherz oder die Wirkung einer zu sehr freigelassenen Lebenslust erblicken. Solche Unglücksvögel, besonders als Erzieher, machen den, wenn auch nicht ganz unschuldigen, doch schuldlosen Menschen und ein solches Kind erst schuldvoll...”
Wie interessant wäre es, an dieser Stelle Fröbels Gedanken zu den Inhalten des Lernens zu verfolgen. Seine Ausführungen zur Betrachtung des Baumes als klarer Naturgestalt, in der sich so viele Naturgesetze und Wirkungszusammenhänge entäußern. Seine Gedanken zur Kugel und zum Würfel, die nicht nur den Mathematikunterricht sondern seine ganze philosophische Betrachtungen nachhaltig bestimmten.
Der Matematik und der Sprache räumte er ohnehin eine Sonderstellung ein, denn sie seien in ihrer “Doppelnatur” der Innen- und der Außenwelt angehörig, quasi die Transporter der Natur ins Bewußtsein und des Bewußtseins in die Natur und die Menschenwerke.
Mineralogie und Kristallografie beeinflußten als Wissenschaften - Fröbel hatte sie in Berlin studiert - das Denken der damaligen Zeit und unter anderem auch die Entwicklung der Fröbelschen Spielgaben.
Er sah das Gesetz des Gleichgewichtes als großes Naturgesetz, welches bestimmt, wieviel jedes Stoffes an welcher Stelle ein bestimmtes Tier ausmacht und wie es sich entwickeln muß. Man könnte spekulieren, daß er in die Nähe der Ahnung einer Wissenschaft gerät, welche wir heute als Genetik kennen und manchmal fürchten, denn eigentlich stellte er die Frage nach den Erbinformationen.
Für ihn erscheint die Mannigfaltigkeit der Natur als Erzeugnis einer Kraft, die sich aber erst in den mannigfaltigen Erscheinungen der Natur offenbart. Diese Einheit ruht in Gott. Fröbel offenbart eine sehr individuell geprägte Religiosität - mitunter wird er auch als Mystiker beschrieben.
Sein Panentheismus, die Ansicht, das sich die Einheit Gottes in Mannigfaltigkeiten offenbart und die Mannigfaltigkeiten das Streben zu dieser Einheit haben, zeigt sich u.a. recht deutlich in seinen Spielgaben. Sie stellen verschiedenartigste Teilungen der Grundform des Würfels - und damit einer Einheit - dar. Sie sind zu jederzeit - ob als Burg, Turm, Haus, Bauernhof o.a. Mannigfaltigkeit auch eine Einheit. Um das zu verstehen, muß nach dem Spiel die Einheit wiederhergestellt - oder besser: aufgeräumt werden.
Der Mensch kann zu dieser Einheit, zur Harmonie gelangen, indem er tätig ist. Wir erinnern uns: Lebenseinigung als Herstellung der Einheit des Menschen mit Gott, der Natur und den Menschen als tragender Begriff Fröbelscher Pädagogik wurde hier schon erwähnt.
Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum insbesondere in Japan die Zahl der Fröbel-Anhänger besonders hoch ist.
Einer dieser Gründe könnte vielleicht darin zu suchen sein, daß in buddhistisch geprägten fernöstlichen Kulturkreisen das Herstellen der absoluten Harmonie, das Eingehen ins Nirvana, Ziel allen Lebens ist. Fröbels Sichtweise ist einem solchen Denken möglicherweise nicht zu fremd.
Vielleicht ist das aber auch zuviel der Spekulation.
Spekulieren war auch Fröbel nicht fremd. Man muß wohl sehen, daß neben genauer Beobachtung, intensivem Studium und genialer Ahnung mitunter auch Lücken im System durch Spekulieren gefüllt wurden.
Beispielsweise wies er Sprachlauten mitunter Eigenschaften zu, die schon beim Vergleich mit anderen deutschen Dialekten und erst recht mit Fremdsprachen nicht haltbar sind. So solle z.B. der Vokal u mehr das Innere, der Vokal a mehr das Äußere bezeichnen. (Beispiel: rund - der Rand)
Trotzdem gibt es auch hier Wichtiges zu erkennen.
Es ist nicht zu verleugnen, das Sprache viel mit Gefühl zu tun hat. Mittels der Sprache gibt sich der Mensch in seinem Denken und Fühlen zu erkennen. Mitunter kämpfen Deutschlehrer (und nicht nur sie) einen fast aussichtslosen Kampf gegen die auch (aber nicht nur) durch die Medien zu verantwortende Verwahrlosung des Sprachgefühls.
Sprachgefühl zeigt sich u.a. in einer meistenteils passenden Wortwahl (was aber auch einen entsprechenden Wortschatz voraussetzt), es dokumentiert sich in der bewußten Nutzung sprachlicher Nuancen. Ich verkenne nicht, daß Superlative zur Jugendsprache gehören. Wenn aber überall die Superlativsten wuchern, scheint irgendetwas dem Kollaps nahe zu sein.
Und: Was wäre die Sprache, wenn sie keine Konjunktive hätte?
Sie sind verschwunden! Nein!: Es scheint, als seien sie verschwunden.
“Wir müssen darum, wenn wir unsere Kinder zum wahren, höheren, geistigen und inneren Leben wieder erheben wollen, eilen, jenes innere Leben der Sprache, der Naturanschauung und der Empfindung wieder in ihnen zu wecken.”
Ach so - mit “Wir müssen darum...” begann ein Fröbel-Zitat und Sie haben richtig gehört, Fröbel sagt “wieder”. Beruhigend zu wissen, daß auch diese Sorgen scheinbar alle Zeit gegenwärtig sind.
Auch andere Sorgen gibt es wohl immer. Fröbel beobachtete z.B., daß insbesondere “höhere Kinder”, in deren Familien Körpertüchtigkeit nicht zum Alltag gehört, sich häufig recht linkisch bewegten. Er plädierte deshalb für eine Körpererziehung in Einheit mit der geistigen, denn der Körper solle dem Geiste gehorchen.
Als sehr systematisch erwies sich Fröbel in seinen Darstellungen zur “Außenweltbetrachtung”. Als deren wesentliche Aufgabe sah er an, die Sicht auf Zusammenhänge zu entwickeln.
Er entwickelte beispielsweise Systematisierungen, die an zeitgemäße Einteilungen der Flora und Fauna in Arten, Familien und Gattungen erinnern.
Unter lernpsychologischem Aspekt scheint das folgende Zitat sehr interessant zu sein, entäußert es doch Fröbels Ansicht zur Gestaltung von Lehren und Lernen:
“Durch das Hinaufsteigen vom Besonderen, Einzelnen, zum Allgemeinen und Allgemeinsten und durch das Wiederherabsteigen vom Allgemeinen zum Besonderen und Besondersten, durch dieses gleichsam Wogende des Unterrichtes und Lehrganges, besonders der Außenweltsbetrachtung, entspricht derselbe nicht allein möglichst dem Leben selbst, sondern es wird auch so möglich, die Kenntnis jedes Gegenstandes für jede Stufe der geistigen Entwicklung und Fassungskraft des Schülers zu erschöpfen.”
Fröbels Gedanken zur Außenweltbetrachtung offenbaren ein weiteres - nämlich wie aus dem Gesamtspektrum vermittelbaren Stoffes Fächer und damit Strukturierungen entstehen. Solche Strukturierungen sind notwendig, auch Lernen braucht das Ordnen. Sie sind mitunter aber auch gefährlich, weil der Blick auf das Ganze, auf die Zusammenhänge abhanden kommen kann.
Ein Schlüssel gegen die Gefahren scheint das fächerübergreifende Arbeiten zu sein - übrigens ein fester Bestandteil der Vorläufigen Thüringer Lehrpläne für alle Fächer, Klassenstufen und Schularten. Außenweltbetrachtung ist mit ihrem Anspruch meines Erachtens einerseits so umfassend, daß sie fächerübergreifend ist, andererseits aber auch die Systematik für Fächerbildungen liefert.
Außenweltbetrachtung erfaßte nicht nur die Erscheinungen der Natur, sondern auch das Funktionieren der Gesellschaft. Besuche von Werkstätten und in der Landwirtschaft gehörten dazu, genauso wie die Betrachtung der Familie in ihrer Rolle in der und für die Gemeinschaft sowie für das einzelne Individuum.
Vergessen wir vor lauter “Außenwelt aber die “Innenwelt” nicht!
Zitat:
“Aber nicht allein Natur und Leben spricht zu dem Menschen, sondern auch der Mensch möchte gern aussprechen die Ahnungen und Empfindungen, die dadurch in ihm geweckt werden, für die er aber nicht Worte finden kann; ... Auch das Verhältnis des Menschen zum Menschen ist weder ein so äußerliches, wie einige wähnen, noch ein so leicht in seiner Innerlichkeit mitteilbares, wie andere glauben; wohl ist es tiefen Sinnes und hoher Bedeutung voll; ...; das mittelbar Anregende z B. im Spiegel des Liedchens, ohne moralisierende Nutzanwendung, gibt dem Gemüte und Willen des Knaben die innere Freiheit, welche für dessen Entwicklung und Erstarkung so notwendig ist...”
Wie wichtig Musik und Kunst in unserem Leben sind - besser hätte ich es nicht sagen können. Sie sind im besten Sinne des Wortes ein “Lebensmittel”. Menschenerziehung ist ohne sie nicht denkbar.
Um unsere Beziehung zur Welt vielgestaltiger zu machen, brauchen wir sie. Mit la-la entäußert das Kind sein augenblickliches Befinden. Im Volkslied und in den - so Herder - Stimmen der Völker in Liedern erfahren wir mehr über die Mentalität eines Volkes, als in den besten wissenschaftlichen Abhandlungen, weil: wir fühlen. Wer wollte verleugnen, daß das irische, das russische und das deutsche Volkslied jeweils ihren eigenen spezifischen Reiz, ihre eigene Schönheit haben.
Egal, wie man bspw. zur Kelly-Family steht - sie haben es geschafft, daß junge Menschen am Beispiel des irischen Liedes genau dies wahrnehmen können, denn auch dies enthält ihr Programm.
Egal, wie man zu Henry Maske oder gar zum Boxsport steht - aber hätten ohne ihn so viele junge Menschen Conquest of Paradise von Vangelis hören wollen oder sich gar für den darin reflektierten Aspekt der Geschichte interessiert?
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Ein wahres Mozart-Fieber brach vor einigen Jahren mit dem Film “Amadeus” aus.
Wer den pädagogischen Alltag zu bewältigen hat, könnte da manchmal neidisch werden.
In diesem Gedanken versunken höre ich Bremsen quietschen. Mein Zug steht vor einem roten Signal, der Bahnhof Eisenach ist in Sicht.
Ein rotes Signal - ist das ein Zeichen an mich? Ganz habe ich die Fahrt durch die “Menschenerziehung” noch nicht geschafft. 170 Jahre sind diese Gedanken alt!
Vor 169 Jahren, 1827 trieb in Schweina die erste Dampfmaschine Thüringens Spinnereimaschinen an.
Zwei Jahre später scheiterten Fröbels Pläne von einer Volkserziehungsanstalt in Helba bei Meiningen an einer Hofintrige. Dabei hatte der Meininger Herzog sogar seinen Sohn - den späteren “Theaterherzog” Georg II. Fröbel zum Zöglinge geben wollen. Die Keilhauer Erfahrungen wären neben den Betrachtungen der “Menschenerziehung” Grundlage einer Schule geworden, die wohl in die Schulgeschichte eingegangen wäre.
Wäre, hätte, ... ja gäbe es Kleingeist, Niedertracht, Neid und geistigen Diebstahl nicht auf dieser Welt!
Bleibt der Trost, daß Petersens Jenaplan vieles von dem von Fröbel Angedachten verwirklichen konnte.
Fröbel war es nun in Deutschland zu eng geworden, er geht 1830 in die Schweiz. Noch wären in Deutschland alle paar Kilometer Schranken der Eisenbahn im Wege gewesen - wie paradox aus heutiger Sicht.
Die Konsequenz: 1834 gründet man in Deutschland den Zollverein und am 6. Dezember 1835 fährt von Nürnberg nach Fürth der erste deutsche Eisenbahnzug.
Die rasenden Geschwindigkeiten werden die Menschen und das weidende Vieh krank machen - Punkt Punkt Punkt.
Nachdem Fröbel, beginnend 1836 im Waisenhause Burgdorf seine Ausrichtung auf die Vorschulerziehung verstärkt hatte, begann er nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1836/37 mit der Herstellung von Spielmaterial.
Nach der Gründung des Allgemeinen Deutschen Kindergartens 1840 führte er Vortragsreisen zur Propagierung der Kindergartenidee durch. Dabei begriff er eines: Sollte sich diese Idee durchsetzen, mußten geeignete Personen im größeren Stil ausgebildet werden.
Auf einer seiner Vortragsreisen kam er durch Liebenstein.
“Ich habe nun den Ort gefunden zur Verwirklichung der letzten Konsequenz meines Grundgedankens.” Soll er gesagt haben.
Er siedelte 1849 nach Bad Liebenstein. Der Herzog von Sachsen Meiningen stellte ihm 1850 das Marienthaler Schlößchen zur Verfügung, wo bald darauf die erste Kindergärtnerinnenschule der Welt und damit die erste Berufsschule für Frauen in Deutschland entstand.
Einen Kurgast in Bad Liebenstein erreichte die Nachricht von “einem alten Narren, der tagtäglich auf einer Wiese mit Kindern herumspringe”.
Einmal - am 4. August 1850 - hatte er das auf dem Altenstein gar ganz öffentlich getan und hinterher sogar in Veröffentlichungen darüber berichtet.
Der Kurgast - der berühmte Pädagoge F.A.W. Diesterweg - begab sich nach Marienthal und die beiden alten Männer wurden Freunde.
1851 ereilte Fröbel die Nachricht vom preußischen Kindergartenverbot. Seine Schülerinnen und Diesterweg standen ihm bei. Man organisierte Pädagogenversammlungen.
Anfang Juni 1852 nahm er als Ehrengast an einer Lehrerversammlung in Gotha teil. Als er den Saal betrat, wurde er - wir würden heute sagen - mit “standing ovations” begrüßt.
Es soll die Bahnfahrt von Gotha nach Wutha gewesen sein, die ihm den Infekt bescherte, von dem er sich nie wieder erholen sollte.
Am 21. Juni 1852 vollendete sich sein Leben.
Dabei hatte er nach Amerika gehen wollen - in Deutschland belächelte man ihn ja als “alten Narren”. Was würden wir heute sagen, würde ein knapp 70jähriger singend mit Kindern durch die Straßen ziehen?
Das Kindergartenverbot hatte ihn wohl zu schwer an seiner Substanz getroffen, seine Schülerinnen und vor allem Diesterweg mögen ihn zum Bleiben bewogen haben. Darum ist sein Grab nicht irgendwo in Amerika.
Die Entwicklung ging weiter, bald fuhren Elektrolokomotiven, bald kamen andere technische Fortschrittsindikatoren - die Fliegerei, die Raumfahrt, die Computertechnik.
Auch mit letzterer war es ein langer Weg. Vom Abacus über die Pascalsche Rechenmaschine, den ersten Relais-Computer des vor kurzem erst in Hünfeld begrabenen Konrad Zuse bis hin zu ... warum fällt mir niemand anderes als Bill Gates ein.
Auch Fröbelsche Pädagogik stand in den Wettern der Zeiten.
In der Weimarer Republik gab es eine Fröbel-Renaissance. Und hätte man die BAUHAUS-Architekten nicht aus Thüringen vertrieben, gäbe es heute in Bad Liebenstein ein Fröbelhaus, ein Mekka für alle Fröbel - Anhänger.
Wäre, hätte, ... ja gäbe es Kleingeist, Niedertracht, Neid und geistigen Diebstahl nicht auf dieser Welt!
Nun - es gibt ja noch das Marienthaler Schlößchen. Das, was damals geplant war, wäre dort heute machbar, wären die Kassen nicht leer.
Viel wäre zu sagen über den Mißbrauch Fröbelscher Gedanken im NS-Staat.
Viel wäre zu sagen über meist nur kampagnenhafte Ehrungen Fröbels und die Nöte derer, die nicht nur Kampagnen wollten - vor 1989.
Was machen wir heute aus und mit Fröbel. Viele kennen Montessori, Petersen, Steiner - aber Fröbel - zumindest über die Kreise der Vorschulerziehung hinaus - muß neu vermittelt werden.
Warum? - lassen wir Georgens - Pädagoge und Zeitgenosse Fröbels - sprechen. Er sagte auf der 1851 u.a. von Fröbel in Bad Liebenstein organisierten Lehrerversammlung:
"Fröbelsche Erziehung ist Friedenserziehjung. Unsere Zeit dringt zur Einigung, weil sich überall Zwiespalt zeigt. Eisenbahnen und andere Kulturmittel sagen uns, die Erziehung muß zur Einheit und zum Frieden führen."
So könnte man wohl auch die heutige Zeit beschreiben. Auch heute werden wieder Bahnen -Datenautobahnen- gezogen - nicht nur durch Deutschland. Kommunikation zwischen Menschen - z.B. durch das INTERNET - überwindet Grenzen heute in noch viel weitgreifenderem Maße, wie es damals die Eisenbahn tat. Die damit verbundenen Veränderungen werden tiefgehend sein. Sie sind zum Teil noch gar nicht absehbar. Eines ist aber klar: Erziehung und Bildung werden erheblich davon betroffen sein, wir werden Orientierungen brauchen. Fröbel kann ein wichtiger Orientierungspunkt sein.
Wieder finden sich Befürworter und Gegner, aber auch die Entwicklung der der angeblich krank machenden Eisenbahn hat sich nicht erheblich um wissenschaftliche- oder Stammtischdiskussionen gekümmert. Es wäre vielleicht doch besser, beizeiten den Zug zu erwischen.
Mein Zug bekommt Einfahrt, ein paar Kilometer noch mit dem Auto bis Schweina. Ich bin zu Hause und ein Stück weiter auf meinem WEG.
Briefentwurf 1829 an den Herzog von Meiningen, in: Wichard Lange 1862, Bd. I