Die Bildungsanstalt für Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen.
Friedrich Fröbel
Keilhau bei Rudolstadt, im Oktober 1847.
Zit. aus: Gedenkschrift zum 100. Todestag von Fr. Fröbel. - Verlag Volk
und Wissen. - Berlin 1952, S. 131 - 135
Plan der Bildungsanstalt für Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen
In seinem "Plan der Bildungsanstalt für Kinderpflegerinnen und
Erzieherinnen" führte Fröbel aus, wie er den Ausbildungsgang
für Kindergärtnerinnen und Erziehungsgehilfinnen für Haus und
Familie bis ins einzelne geplant hatte. Der Plan verfolgte mehrere Zwecke:
Einmal wurden die Voraussetzungen für eine den Zielen Fröbels
entsprechende Durchführung der Kindergartenerziehung geschaffen. Zum
anderen wurde in der "Bildungsanstalt" den jungen Mädchen eine
umfassendere Bildung vermittelt, als den Frauen besonders des
Kleinbürgertums damals zuteil wurde. Schließlich erhielten
gerade die letzteren eine bis dahin nicht übliche Berufsausbildung, die
es ihnen ermöglichte, einen befriedigenden, angesehenen Beruf
auszuüben.
Plan der Bildungsanstalt für Kinderpflegerinnen und
Erzieherinnen
- Zweck der Anstalt
- Bildungsziele für die genannten Zwecke
- Alter der Eintretenden
- Bildungsstufe der Eintretenden
- Dauer des Bildungskursus
- Erreichung des Bildungszieles
- Zeiteinteilung während des Bildungskursus
- Noch einige wesentliche Einzelheiten und Schlußstein des
Bildungskursus
- Äußere Bedingungen des Eintritts
- Anfang des Kursus
- Schlußbemerkung
- Nachweis
Der Zweck der Anstalt ist im Allgemeinen: Ausbildung geeigneter Jungfrauen
zur Pflege, Entwicklung und Erziehung des Kindes, von seiner Geburt bis zu
völlig erlangter Schulfähigkeit, darum bis zur Begründung des
eigentlichen Schulunterricbts, diese mit eingeschlossen; also Ausbildung zur
Einigung des Hauses, der Natur, der Schule und des Lebens als eines in sich
notwendig einigen Ganzen zur Erreichung des Erziehungszieles: Erfassung,
Entwicklung und Ausbildung des Menschen und zwar schon als Kind, sowohl in
seiner persönlichen Eigentümlichkeit, wie als Glied des
großen Lebensganzen.
Da nun das im vorigen Paragraphen angegebene Ziel der Erziehung auf
verschiedene Weise erreicht werden kann, wie durch verschiedene
Entwicklungsstufen verfolgt werden muß, diese verschiedenen Weisen
aber wesentlich zweifach, entweder die in sich abgeschlossene häusliche
und Familienerziehung, oder die gemeinsame in Kinderkreisen und
Kindervereinen sein können (wie man wohl Gewächse allein und
einzeln im Zimmer oder im vollen Lebensvereine mit mehreren in Gärten
erzieht), so ist auch der Zweck dieser Bildungsanstalt notwendig ein
mehrfacher, entweder:
- Die Bildung von Erziehungsgehilfinnen bloß für das Haus und
die Familie, und hier wieder entweder:
- zunächst bloß für die erste Stufe der
Kindheitpflege, die Bildung von Kindermädchen und
Kinderwärterinnen, oder
- bis zur vollständig entwickelten Schulfähigkeit, ja bis
zur Begründung des eigentlichen Schulunterrichtes: Die Bildung
eigentlicher Kinderführerinnen und Kindererzieherinnen für die
Familien, oder endlich:
- Die Bildung von Führerinnen und Erzieherinnen ganzer Kinderkreise
und Kindervereine, gleichsam wahrer Kindergärten (wie man Blumen- und
Baumgärten hat, worin, wie hier Blumen und Bäume, dort die Kinder
der ausschließende Gegenstand der Beachtung und Pflege, der
gemeinsamen Entwicklung und Erziehung im Natur- und Lebenszusammenhange
sind), also zu Kindergärtnerinnen.
Weil nun die gedachten erziehenden Wirkungskreise sämtlich auf gleichem
Grunde ruhen, aus gleicher Quelle schöpfen und ein jeder derselben die
Kenntnis und Bildung der anderen, bloß mit größerer oder
geringerer Heraushebung und Ausdehnung seiner besonderen Forderungen, mit
einschließt, so unterscheidet sich die Bildung der Kindermädchen
und Kinderwärterinnen (beide lieber Kinderpflegerinnen und
Erziehungsgehilfinnen genannt) von der der Kinderführerinnen und
eigentlichen Kindererzieherinnen bloß dadurch, daß die Bildung
der ersteren mehr bloße Übung, Aneignung wie Kenntnis des
einzelnen und dessen treue Anwendung bezweckt, während die Bildung der
zweiten zugleich mehr die Einsicht und Übersicht des Ganzen, wie die
daraus hervorgehende, nicht nur freiere Aneignung, sondern auch die
später lebenvollere und freitätigere Erfüllung des Berufes
zum Ziele hat. Deshalb kann denn auch die Bildung für beide
Bildungsziele in dieser Anstalt in gewisser Beziehung gleichlaufend
nebeneinander gehen.
Zur Ausbildung für den beschränkteren ersteren Beruf der
Kinderpflegerinnen genügt bei einem dafür ausgewachsenem gesunden
und kräftigen Körper das zurückgelegte Alter von 15 Jahren
und aufwärts bis zum 20. Jahre. Zur Ausbildung für den
erweiterten zweiten Beruf als Kinderführerin und Kindergärtnerin,
überhaupt als Kindererzieherin, ist das Alter vom 17. bis in die
zwanziger Jahre (nach Maßgabe der sich hier erhaltenen Kinderliebe und
Freundlichkeit, Liebe und Fähigkeit zur spielenden Beschäftigung
mit Kindern und lebenvoller friediger und freudiger Weltanschauung) das
zweckmäßigste Alter; doch sind unter den eben gedachten
Bedingungen (wie sich diese auch wohl zu Zeiten noch in vorgerückteren
Jahren erfüllt finden) auch selbst solche Personen zum Eintritte in die
Bildungsanstalt nicht ausgeschlossen.
Außer den schon ausgesprochenen Bedingungen dieser Berufswahl: Liebe
zu den Kindern, Anlage und Neigung zum Spiel und Beschäftigen mit
denselben, Reinheit des Charakters, somit Sinnigkeit und Sittigkeit, wird
ein weiblicher, frommer, gotteiniger Sinn und Singlust mit
Singfähigkeit unerläßlich gefordert und noch besonders bei
denen, die sich zu Kinderführerinnen und Kindergärtnerinnen,
überhaupt zu Erzieherinnen in dem angegebenen Umfange ausbilden wollen,
die Kenntnis und Fertigkeit, welche eine gute Bürger- und
Töchterschule gibt. Sind die Kenntnisse ausgebreiteter, um so
größer ist der Nutzen zur einstigen auch ausgebreiteteren
Wirksamkeit der jetzt Eintretenden.
Da Zeit und Bedürfnis so ungemein drängen, auch gewöhnlich
die Geldmittel zu längerer Bestreitung der Bildungskosten unzureichend
sind, so sind zu einem ersten Bildungskursus (welcher jedoch durch das
soeben genannte unerbittliche Gebot der Umstände zur Aneignung der
notwendigsten Bildung ohne weiteren Verfolg derselben gewöhnlich
genügen muß) volle 6 Wochen festgesetzt, in welchem Raum
freilich durch anhaltenden Fleiß und strenge Benutzung der Zeit und
besonders durch eigene günstige Verarbeitung des Gegenstandes vieles
zusammengedrängt werden muß, wenn das Ziel erreicht werden soll;
jedoch ist es schon in mehreren Kursen von mehreren Teilnehmenden
vollständig erreicht worden.
Die Erreichung des oben 3 - angegebenen Bildungszieles beruht bei den
Schülerinnen außer der im vorigen Paragraphen geforderten weisen
Benutzung der Zeit ganz besonders auf der richtigen Erfassung des eigenen
Lebens-, Tätigkeits- und Beschäftigungstriebes und seiner Gesetze,
wie später auf der Beachtung und Pflege desselben und seiner
Entwicklungsgesetze im Kinde. Die Einsicht in diese Bildungsgesetze, die
Findung derselben im eigenen Leben wie die Erkennung und Pflege derselben im
Kindesleben, mindestens die treue Nachlebung nach ihren Forderungen, wie sie
sich in jedem einfachen weiblichen Gemüte kundtun, dies ist die
unerläßliche Bedingung zur Erreichung des oben - 3 - bezeichneten
Bildungszieles.
Der Unterrichtstag beginnt für die Teilnehmerinnen an dieser
Bildungsanstalt wie der in der allgemeinen Erziehungsanstalt während
des Winterhalbiahres morgens 7 Uhr, wo sie dann sowohl an der gemeinsamen
Morgenandacht, als unmittelbar darauf an dem Religionsunterrichte in den
betreffenden Klassen der Erziehungsanstalt Anteil nehmen, um über das
Wesen der Religion, deren Entwicklung im Menschen, besonders auf der
Kindesstufe, sowohl für sich, wie später zur Anwendung bei ihren
Pflegebefohlenen, als die einzig sichere, lebenvolle und genügende
Grundlage erfolg- und segensreicher Erziehung, klare Einsicht und Festigkeit
zu erhalten.
- Von 8-9 Uhr:
- Frühstück und frei.
- Von 9-10 Uhr:
- Vorführung und Beachten der Erscheinung und des Entwicklungsganges,
Somit auch der Entwicklungsgesetze des Menschen und des Kindes, Beachtung
der daraus hervorgehenden Einsicht in das Wesen und die Natur des Kindes und
der dadurch ausgesprochenen Forderung seiner Pflege und Erziehung als
Richtschnur zur Erfüllung des übernommenen Kinderpflege - und
Erziehungsberufes.
- Von 10-12 Uhr:
- Aneignung der im Vorigen erkannten Mittel zur Betätigung und
Entwicklung des Kindes, namentlich Aneignung des rechten Umganges, des
anregenden Sprechens mit dem Kinde, Aneignung des anregenden Kindergesanges
und besonders der Mittel entsprechender Glieder- und Sinnenbildung zur
Entfaltung des Seelenlebens im Kinde als eines in sich einigen Ganzen, wie
als eines Gliedes des ganzen Menschheitslebens. Das Familienbuch von Fr.
Fröbel dient als Grundlage.
- Von 12-2 Uhr:
- Mittagessen und frei zur Selbsttätigkeit, zur freien
Beschäftigung mit Kindern des Familienkreises und zur Selbstbearbeitung
des in den vorigen Stunden Erkannten.
- Von 2-4 Uhr:
- Vorführung der eigentlichen Beschäftigungs- und
Spielgegenstände und Mittel zur entwickelnden Erziehung der Kinder zu
einstiger vernünftiger Selbständigkeit und dann Übung
derselben zu freier Anwendung nach Maßgabe der verschiedenen
Spielgaben des in sich einigen Spielganzen von Fr. Fröbel; zugleich mit
wesentlicher Beachtung alles dessen, was dazu die Natur und das Leben
bietet: also Beachtung der Naturgegenstände und Lebenserscheinungen in
Übereinstimmung mit den verschiedenen Stufen der Kindheitentwicklung.
- Von 4-5 Uhr:
- Vieruhrbrot und frei.
- Von 5-6 Uhr:
- Teilnahme an den spielenden Beschäftigungen der Kleinen in den
geeinten erziehenden Familien und der kleinsten Zöglinge der
allgemeinen Erziehungsanstalt.
- Von 6-7 Uhr:
- Aneignung besonderer kleiner Handfertigkeiten, stetig sich entwickelnd
aus dem oben gedachten Spielganzen, und in sich wieder beziehungsweise
einzelne, wie wieder unter sich zusammenhängende Ganze bildend, zu
darstellender Beschäftigung der Kinder: sowohl nach der Seite des
jetzigen häuslichen, wie später des bürgerlichen Nutzens, als
nach der Seite der Entfaltung und Bildung des Schönheitssinnes, wie der
Denk- und Vernunftgesetze und zur Weckung und Ahnung des inneren
Zusammenhanges aller Mannigfaltigkeit, der Entwicklung einer harmonischen
Vielheit aus einer Einheit und zur Ahnung der Entwicklungsgesetze in der
Natur und im Leben.
Vorstehendes ist zwar die Tagesverteilung für die Dauer des
Bildungskursus im allgemeinen; doch versteht es sich von selbst, daß
schon die fortschreitende Jahreszeit manche Veränderung in derselben
bewirkt. So tritt z.B. in den Frühlingsmonaten des Bildungskursus von
2-3 Uhr Pflanzenkenntnis für die Stufe der Kindheitentwicklung ein.
Auch fällt zwischen die oben angegebenen Unterrichtsstunden die
Ausführung von freien Körperübungen und die Einübung von
Bewegungsspielen; wie auch wöchentlich zweimal während je einer
Stunde solche Spiele mit den Kleinen des erziehenden Kreises und
wöchentlich ebenso zweimal Beschäftigung und Spiel mit den Kindern
in der Schule unseres Pfarrdorfes Eichfeld. Wie so die Ausbildung zur
Kinderpflege und Erziehung alle Forderungen des Kindes in leiblicher
(diätetischer) und geistiger (pädagogischer) Hinsicht
umfaßt, so auch in Beachtung aller Richtungen der verschiedenen
Anlagen des Kindes, und hier ganz besonders zur begründenden Vorbildung
für die Schule und zur stetigen Einführung des Kindes in dieselbe.
Diese Vorbildung zur Begründung des Schulunterrichts und die Hinweisung
auf denselben kann jedoch in einem ersten Kursus wegen zu großer
Beschränktheit der Zeit nur ganz kurz angedeutet werden,jedoch
hinlänglich zur weiteren eigenen Fortbildung der Schülerinnen bei
Fähigkeit und Selbsturteil derselben. Wo ein zweiter
vollständiger Kursus möglich wird, findet auch eine
begründende Vorbildung für die Schule und die Einführung in
den begründenden, zugleich erziehenden Unterricht vollständig
statt. Bei diesem Bildungskursus für entsprechende gesamte
Kindheitpflege wird, wie dies schon oben in den 1 und 8 angedeutet ward, das
Kind sowohl in seiner eigentümlichen Persönlichkeit, wie aber auch
als wesentliches Glied des großen Lebensganzen, also seinem Wesen nach
als Gliedganzes beachtet und behandelt.
Darum setzt sich diese Bildungsanstalt ganz besonders zur Aufgabe, daß
die Schülerinnen derselben ihre einstigen Pflegebefohlenen wie jetzt
sich selbst in dieser Doppelnatur: als Ganzes und doch Glieder, klar kennen
und erfassen lernen, um sie so zur Ahnung des Zusammengehörens alles
Verschiedenen, der Einigung alles Getrennten, des Unsichtbaren und Geistigen
im Sichtbaren und Körperlichen, des Bleibenden im Vergänglichen,
des Guten selbst im Übel, zu erziehen und sie so heranzubilden zur
Beachtung und Pflege alles Guten und zur Einigung mit allem Guten im Leben,
zur Einigung im Denken, Wollen und Tun mit dem, der das Gute und die Quelle
alles Guten selbst ist, mit Gott also, in echter Selbst- und Lebenseinigung
zu wahrer Gotteinigung.
Die Teilnehmerinnen an einem Bildungskursus können entweder die Wohnung
sowie die Kost durch die und von der allgemeinen Erziehungsanstalt erhalten,
und zwar die erstere in besonderen Häusern im Dörfchen wo dann
für beides wöchentlich 2 Thlr. pr. Crt. an die gedachte
Erziehungsanstalt zu zahlen ist. Für Bett, Wäsche, Licht und
Heizung sowie für Reinigung des Zimmers haben sie jedoch selbst zu
sorgen. Die eigene Besorgung der Wäsche und die tägliche Reinigung
des Zimmers führt manche Übung mit sich, welche für die
spätere Zeit wesentlich werden kann; doch wird auch für Billiges
im Dorfe gewaschen. Oder die Schülerinnen können sich bei
Einwohnern des Ortes in Wohnung und Kost geben; wo dann die Vergütung
ungefähr die Hälfte beträgt, jedoch Licht und Heizung in der
Wohnstube des Hauswirts mit eingeschlossen. Für den gesamten
Unterricht wird wöchentlich 1/2 Thlr. pr. Crt. von der Person bezahlt,
so daß also im ersteren Fall der ganze Kursus 8o Thlr. pr. Crt., im
zweiten Fall 45-50 Thlr. pr. Crt. betragen würde.
Der Bildungskursus beginnt am zweckmäßigsten mit dem 1. Dezember,
damit noch einige Zeit desselben in die Frühlingsmonate falle.
Da die Erreichung des Zweckes dieser Anstalt: Verallgemeinerung einer dem
Menschenwesen und der Kindesnatur entsprechenden, den Forderungen der
errungenen Stufe der Menschenbildung genügenden Erziehung und besonders
die allgemeinere Ausführung derselben in den Familien aber hinsichtlich
der unvermeidlichen Bildungskosten der Schülerinnen bis jetzt noch
Schwierigkeiten hat, so werden Vereine von Familienvätern und andere,
wohltätigen und humanen Zwecken gewidmete Vereine, welche die hier
dargelegte Erfassung der Kindheit und das Bildungsziel derselben auch als in
ihrer Überzeugung gegründet erkennen, auf den Grund und nach dem
Zwecke ihrer Vereinigung aufgefordert, die Beseitigung dieser
Schwierigkeiten in Fällen, wo es z.B. die Ausführung von
Kindergärten in ihrem Vereinsbereiche gilt, und so die Förderung
der Wirksamkeit dieser Bildungsanstalt auch zur Aufgabe ihres Vereins zu
machen, indem ja der Weg zur Erreichung alles Tüchtigen und Guten in
jeder Art nur durch eine wesen- und naturgetreue, also menschenwürdige
Erziehung hindurch geht.
Alle diejenigen nun, welche für sich, für ihre Töchter, ihre
Anverwandten und Pflegebefohlenen, oder für weibliche Personen als
Gegenstände humaner Unterstützung an einem solchen Bildungskursus
Anteil nehmen wollen, haben sich deshalb in portofreien Briefen an die
Unterzeichnung zu wenden.