Der Zweck der Anstalt ist im Allgemeinen: Ausbildung geeigneter Jungfrauen zur Pflege, Entwicklung und Erziehung des Kindes, von seiner Geburt bis zu völlig erlangter Schulfähigkeit, darum bis zur Begründung des eigentlichen Schulunterricbts, diese mit eingeschlossen; also Ausbildung zur Einigung des Hauses, der Natur, der Schule und des Lebens als eines in sich notwendig einigen Ganzen zur Erreichung des Erziehungszieles: Erfassung, Entwicklung und Ausbildung des Menschen und zwar schon als Kind, sowohl in seiner persönlichen Eigentümlichkeit, wie als Glied des großen Lebensganzen.
Da nun das im vorigen Paragraphen angegebene Ziel der Erziehung auf verschiedene Weise erreicht werden kann, wie durch verschiedene Entwicklungsstufen verfolgt werden muß, diese verschiedenen Weisen aber wesentlich zweifach, entweder die in sich abgeschlossene häusliche und Familienerziehung, oder die gemeinsame in Kinderkreisen und Kindervereinen sein können (wie man wohl Gewächse allein und einzeln im Zimmer oder im vollen Lebensvereine mit mehreren in Gärten erzieht), so ist auch der Zweck dieser Bildungsanstalt notwendig ein mehrfacher, entweder:
Bildungsziele für die genannten Zwecke
Weil nun die gedachten erziehenden Wirkungskreise sämtlich auf gleichem Grunde ruhen, aus gleicher Quelle schöpfen und ein jeder derselben die Kenntnis und Bildung der anderen, bloß mit größerer oder geringerer Heraushebung und Ausdehnung seiner besonderen Forderungen, mit einschließt, so unterscheidet sich die Bildung der Kindermädchen und Kinderwärterinnen (beide lieber Kinderpflegerinnen und Erziehungsgehilfinnen genannt) von der der Kinderführerinnen und eigentlichen Kindererzieherinnen bloß dadurch, daß die Bildung der ersteren mehr bloße Übung, Aneignung wie Kenntnis des einzelnen und dessen treue Anwendung bezweckt, während die Bildung der zweiten zugleich mehr die Einsicht und Übersicht des Ganzen, wie die daraus hervorgehende, nicht nur freiere Aneignung, sondern auch die später lebenvollere und freitätigere Erfüllung des Berufes zum Ziele hat. Deshalb kann denn auch die Bildung für beide Bildungsziele in dieser Anstalt in gewisser Beziehung gleichlaufend nebeneinander gehen.
Alter der Eintretenden
Zur Ausbildung für den beschränkteren ersteren Beruf der
Kinderpflegerinnen genügt bei einem dafür ausgewachsenem gesunden
und kräftigen Körper das zurückgelegte Alter von 15 Jahren
und aufwärts bis zum 20. Jahre. Zur Ausbildung für den
erweiterten zweiten Beruf als Kinderführerin und Kindergärtnerin,
überhaupt als Kindererzieherin, ist das Alter vom 17. bis in die
zwanziger Jahre (nach Maßgabe der sich hier erhaltenen Kinderliebe und
Freundlichkeit, Liebe und Fähigkeit zur spielenden Beschäftigung
mit Kindern und lebenvoller friediger und freudiger Weltanschauung) das
zweckmäßigste Alter; doch sind unter den eben gedachten
Bedingungen (wie sich diese auch wohl zu Zeiten noch in vorgerückteren
Jahren erfüllt finden) auch selbst solche Personen zum Eintritte in die
Bildungsanstalt nicht ausgeschlossen.
Bildungsstufe der Eintretenden
Außer den schon ausgesprochenen Bedingungen dieser Berufswahl: Liebe
zu den Kindern, Anlage und Neigung zum Spiel und Beschäftigen mit
denselben, Reinheit des Charakters, somit Sinnigkeit und Sittigkeit, wird
ein weiblicher, frommer, gotteiniger Sinn und Singlust mit
Singfähigkeit unerläßlich gefordert und noch besonders bei
denen, die sich zu Kinderführerinnen und Kindergärtnerinnen,
überhaupt zu Erzieherinnen in dem angegebenen Umfange ausbilden wollen,
die Kenntnis und Fertigkeit, welche eine gute Bürger- und
Töchterschule gibt. Sind die Kenntnisse ausgebreiteter, um so
größer ist der Nutzen zur einstigen auch ausgebreiteteren
Wirksamkeit der jetzt Eintretenden.
Dauer des Bildungskursus
Da Zeit und Bedürfnis so ungemein drängen, auch gewöhnlich
die Geldmittel zu längerer Bestreitung der Bildungskosten unzureichend
sind, so sind zu einem ersten Bildungskursus (welcher jedoch durch das
soeben genannte unerbittliche Gebot der Umstände zur Aneignung der
notwendigsten Bildung ohne weiteren Verfolg derselben gewöhnlich
genügen muß) volle 6 Wochen festgesetzt, in welchem Raum
freilich durch anhaltenden Fleiß und strenge Benutzung der Zeit und
besonders durch eigene günstige Verarbeitung des Gegenstandes vieles
zusammengedrängt werden muß, wenn das Ziel erreicht werden soll;
jedoch ist es schon in mehreren Kursen von mehreren Teilnehmenden
vollständig erreicht worden.
Erreichung des Bildungszieles
Die Erreichung des oben 3 - angegebenen Bildungszieles beruht bei den
Schülerinnen außer der im vorigen Paragraphen geforderten weisen
Benutzung der Zeit ganz besonders auf der richtigen Erfassung des eigenen
Lebens-, Tätigkeits- und Beschäftigungstriebes und seiner Gesetze,
wie später auf der Beachtung und Pflege desselben und seiner
Entwicklungsgesetze im Kinde. Die Einsicht in diese Bildungsgesetze, die
Findung derselben im eigenen Leben wie die Erkennung und Pflege derselben im
Kindesleben, mindestens die treue Nachlebung nach ihren Forderungen, wie sie
sich in jedem einfachen weiblichen Gemüte kundtun, dies ist die
unerläßliche Bedingung zur Erreichung des oben - 3 - bezeichneten
Bildungszieles.
Zeiteinteilung während des Bildungskursus
Der Unterrichtstag beginnt für die Teilnehmerinnen an dieser
Bildungsanstalt wie der in der allgemeinen Erziehungsanstalt während
des Winterhalbiahres morgens 7 Uhr, wo sie dann sowohl an der gemeinsamen
Morgenandacht, als unmittelbar darauf an dem Religionsunterrichte in den
betreffenden Klassen der Erziehungsanstalt Anteil nehmen, um über das
Wesen der Religion, deren Entwicklung im Menschen, besonders auf der
Kindesstufe, sowohl für sich, wie später zur Anwendung bei ihren
Pflegebefohlenen, als die einzig sichere, lebenvolle und genügende
Grundlage erfolg- und segensreicher Erziehung, klare Einsicht und Festigkeit
zu erhalten.
Noch einige wesentliche Einzelheiten und Schlußstein des
Bildungskursus
Vorstehendes ist zwar die Tagesverteilung für die Dauer des Bildungskursus im allgemeinen; doch versteht es sich von selbst, daß schon die fortschreitende Jahreszeit manche Veränderung in derselben bewirkt. So tritt z.B. in den Frühlingsmonaten des Bildungskursus von 2-3 Uhr Pflanzenkenntnis für die Stufe der Kindheitentwicklung ein. Auch fällt zwischen die oben angegebenen Unterrichtsstunden die Ausführung von freien Körperübungen und die Einübung von Bewegungsspielen; wie auch wöchentlich zweimal während je einer Stunde solche Spiele mit den Kleinen des erziehenden Kreises und wöchentlich ebenso zweimal Beschäftigung und Spiel mit den Kindern in der Schule unseres Pfarrdorfes Eichfeld. Wie so die Ausbildung zur Kinderpflege und Erziehung alle Forderungen des Kindes in leiblicher (diätetischer) und geistiger (pädagogischer) Hinsicht umfaßt, so auch in Beachtung aller Richtungen der verschiedenen Anlagen des Kindes, und hier ganz besonders zur begründenden Vorbildung für die Schule und zur stetigen Einführung des Kindes in dieselbe.
Diese Vorbildung zur Begründung des Schulunterrichts und die Hinweisung auf denselben kann jedoch in einem ersten Kursus wegen zu großer Beschränktheit der Zeit nur ganz kurz angedeutet werden,jedoch hinlänglich zur weiteren eigenen Fortbildung der Schülerinnen bei Fähigkeit und Selbsturteil derselben. Wo ein zweiter vollständiger Kursus möglich wird, findet auch eine begründende Vorbildung für die Schule und die Einführung in den begründenden, zugleich erziehenden Unterricht vollständig statt. Bei diesem Bildungskursus für entsprechende gesamte Kindheitpflege wird, wie dies schon oben in den 1 und 8 angedeutet ward, das Kind sowohl in seiner eigentümlichen Persönlichkeit, wie aber auch als wesentliches Glied des großen Lebensganzen, also seinem Wesen nach als Gliedganzes beachtet und behandelt.
Darum setzt sich diese Bildungsanstalt ganz besonders zur Aufgabe, daß die Schülerinnen derselben ihre einstigen Pflegebefohlenen wie jetzt sich selbst in dieser Doppelnatur: als Ganzes und doch Glieder, klar kennen und erfassen lernen, um sie so zur Ahnung des Zusammengehörens alles Verschiedenen, der Einigung alles Getrennten, des Unsichtbaren und Geistigen im Sichtbaren und Körperlichen, des Bleibenden im Vergänglichen, des Guten selbst im Übel, zu erziehen und sie so heranzubilden zur Beachtung und Pflege alles Guten und zur Einigung mit allem Guten im Leben, zur Einigung im Denken, Wollen und Tun mit dem, der das Gute und die Quelle alles Guten selbst ist, mit Gott also, in echter Selbst- und Lebenseinigung zu wahrer Gotteinigung.
Äußere Bedingungen des Eintritts
Die Teilnehmerinnen an einem Bildungskursus können entweder die Wohnung
sowie die Kost durch die und von der allgemeinen Erziehungsanstalt erhalten,
und zwar die erstere in besonderen Häusern im Dörfchen wo dann
für beides wöchentlich 2 Thlr. pr. Crt. an die gedachte
Erziehungsanstalt zu zahlen ist. Für Bett, Wäsche, Licht und
Heizung sowie für Reinigung des Zimmers haben sie jedoch selbst zu
sorgen. Die eigene Besorgung der Wäsche und die tägliche Reinigung
des Zimmers führt manche Übung mit sich, welche für die
spätere Zeit wesentlich werden kann; doch wird auch für Billiges
im Dorfe gewaschen. Oder die Schülerinnen können sich bei
Einwohnern des Ortes in Wohnung und Kost geben; wo dann die Vergütung
ungefähr die Hälfte beträgt, jedoch Licht und Heizung in der
Wohnstube des Hauswirts mit eingeschlossen. Für den gesamten
Unterricht wird wöchentlich 1/2 Thlr. pr. Crt. von der Person bezahlt,
so daß also im ersteren Fall der ganze Kursus 8o Thlr. pr. Crt., im
zweiten Fall 45-50 Thlr. pr. Crt. betragen würde.
Anfang des Kursus
Der Bildungskursus beginnt am zweckmäßigsten mit dem 1. Dezember,
damit noch einige Zeit desselben in die Frühlingsmonate falle.
Da die Erreichung des Zweckes dieser Anstalt: Verallgemeinerung einer dem Menschenwesen und der Kindesnatur entsprechenden, den Forderungen der errungenen Stufe der Menschenbildung genügenden Erziehung und besonders die allgemeinere Ausführung derselben in den Familien aber hinsichtlich der unvermeidlichen Bildungskosten der Schülerinnen bis jetzt noch Schwierigkeiten hat, so werden Vereine von Familienvätern und andere, wohltätigen und humanen Zwecken gewidmete Vereine, welche die hier dargelegte Erfassung der Kindheit und das Bildungsziel derselben auch als in ihrer Überzeugung gegründet erkennen, auf den Grund und nach dem Zwecke ihrer Vereinigung aufgefordert, die Beseitigung dieser Schwierigkeiten in Fällen, wo es z.B. die Ausführung von Kindergärten in ihrem Vereinsbereiche gilt, und so die Förderung der Wirksamkeit dieser Bildungsanstalt auch zur Aufgabe ihres Vereins zu machen, indem ja der Weg zur Erreichung alles Tüchtigen und Guten in jeder Art nur durch eine wesen- und naturgetreue, also menschenwürdige Erziehung hindurch geht.
Nachweis
Alle diejenigen nun, welche für sich, für ihre Töchter, ihre
Anverwandten und Pflegebefohlenen, oder für weibliche Personen als
Gegenstände humaner Unterstützung an einem solchen Bildungskursus
Anteil nehmen wollen, haben sich deshalb in portofreien Briefen an die
Unterzeichnung zu wenden.