Vorwort
Ich weiß noch genau, wie meine Tante mir einmal als kleines Kind
erzählte, daß wir einen berühmten Ur-Urgroßonkel
hätten: Friedrich Fröbel. Ich kann mich noch erinnern,
daß sie mir von den Spielgaben erzählte, mir Bilder
zeigte. Im Theologiestudium begann ich mich dann etwas intensiver mit dem
Manne zu befassen, der in der Pädagogik als Vater des
Kindergartens bekannt aber auch verfehmd wurde, der aber auch mit mir
verwandt war. Heute, in einer Zeit, in der man nicht mehr vom Kinde, sondern
neudeutsch von Kids spricht, in einer Zeit in der der
Kindergarten zur Kita pervertiert ist, ist es um so wichtiger,
sich an die Wurzeln deutscher Kindergartentradition zu erinnern.
Warum spricht man denn eigentlich von der Kita? Ist das nicht vielleicht auch pädagogisches Programm und gesellschaftliche Ignoranz? Ein Programm nach dem das Kind nicht mehr erzogen und gebildet sondern einfach nur noch aufbewahrt wird? Ich glaube, daß wir als Nachfahren von Friedrich Fröbel nicht nachlassen sollten, auf die in unserer Gesellschaft zunehmende Gewohnheit, das Kind als Sache zu betrachten, warnend hinzuweisen. Wir sollten das überall dort tun, wo wir beruflich oder im Hobby stehen, sollten nicht nachlassen, für das Kind als Persönlichkeit einzutreten. Kinder erziehen ist eben doch mehr als füttern und kleiden, davon wie gut wir das machen wird die Leistungsfähigkeit und Schönheit der Gesellschaft künftiger Generationen abhängen.
Frühe Kindheit
Friedrich Fröbels letzte Worte auf dem Sterbebett Ich bin ein
christlicher Mensch lassen Anfeindungen und Unverständnis ahnen, werfen
aber auch ein Schlaglicht auf die Grundlagen seines Lebens. Was für ein
Mensch war er, zu dem fremder Leute Kinder wie zu einem Vater aufblickten,
dessen Feinde sich aber gegenseitig in Haßreden und Verleumdungen
überboten?
Sein Vater, Johann Jakob Fröbel, übernahm nachdem er in Jena Theologie studiert hatte, Sub - Diakonus in Rudolstadt und Pfarrer in Elxleben gewesen war, die Pfarrstelle in Oberweißbach. Dort wurde am 21. 4. 1782 Friedrich Wilhelm August Fröbel geboren: Mein deszeitig Pastoris 5thes Söhnlein schrieb Pfarrer Fröbel ins Kirchenbuch. Friedrich Fröbel war das letzte Kind aus dieser Familie, denn schon reichlich neun Monate nach der Geburt starb die Mutter an den Folgen einer harten Geburth und dazu geschlagener hitziger Brustkrankheit..., wie es im Kirchenbuch zu lesen steht.
Der frühe Tod der Mutter sollte das Leben des neugeborenen Kindes derart prägen, daß man schon die Frage stellen kann, ob Friedrich Fröbel - Wäre er in geordneten Verhältnissen aufgewachsen - auch der bedeutende Pädagoge geworden wäre,
Ich habe es oft im allgemeinen und namentlich auch wohl zu Euch insbesondere ausgesprochen, daß gleich mit dem Tod, mit dem Verluste meiner Mutter, mit dem Verluste der Lebenseinigung mit meiner Mutter, mit dem Verluste der Menschen- und Erdenliebe meiner Mutter und so eigentlich mit dem Verluste der menschlichen Wechselliebe zwischen Mutter und Kind durch den Tod meiner Mutter, daß mit diesem Augenblick mein ganzes künftiges Leben seinen Charakter, und ich möchte selbst sagen, seinen Beruf und seine äußere Form als Mensch dieser Zeit und dieses Raumes erhielt.
schrieb er vierzig Jahre später an seine Frau und die Mitarbeiterinnen in Keilhau. Zeit seines Lebens hat Friedrich Fröbel unter dem Tode seiner Mutter gelitten. Wechselnde Bezugspersonen und die orthodoxe Strenge des Vaters bewirkten eine innere Vereinsamung des Kindes. Verschärft wurde diese Situation durch das Unverständnis seiner Stiefmutter.1) Sein Vater hatte zwei Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau wieder geheiratet, Sophie Marie Friederike Otto aus Eisfeld. Friedrich Fröbel erinnert sich später an sein Elternhaus nur mit gemischten Gefühlen, er schrieb: Sich selbst überlassen, der Roheit und Gemeinheit hingegeben, wie konnte ein die reinen natürlichen Herzensempfindungen und Gefühle wie das meine bedürfendes Gemüt, da und in einem solchen Leben einen Ruhe--, einen Stütz--, einen Keimpunkt finden! Diese Situation im Elternhaus drückte Friedrich Fröbel immer mehr in die Rolle des unverstandenen Kindes. Es reagierte auf diese psychischen Pressionen, auf diese innere Gewalt nicht aggressiv, sondern durch verstärkte Introversion. In gelegentlichen autobiographischen Notizen sprach er später von seinem Elternhaus als Gehege, Gehöft und Klausur in welches er eingesperrt worden war. Diese Situation änderte sich auch nicht grundlegend, als er in die Schule kam. Da sich sein Vater mit dem Leiter der Jungenschule zerstritten hatte, mußte Friedrich in die Mädchenschule gehen. Bibellesen und Katechismusunterricht waren hier der Hauptunterrichtsgegenstand. Die für den kleinen Jungen schwer erträglichen Verhältnisse im Elternhaus änderten sich erst, als sein Onkel, Johann Christoph Hoffmann, Superintendent in Stadtilm, sich des Jungen erbarmte und ihn zu sich nahm.
In Stadtilm
Friedrich Fröbel lernte hier zum ersten Male Freizügigkeit und
Herzensgüte kennen.
So lebte ich also von Herbst 1792 bis Frühling 1797 ein kräftiges, freies und selbst in Beziehung auf den Unterricht wenigstens nach ein paar Seiten hin ein angemessenes Knabenleben
schrieb er später. Seinem Onkel in Stadtilm ist es zu danken, daß Friedrich Fröbel christliche Frömmigkeit nicht nur als strenge Pflichterfüllung sondern auch als Zuwendung zum Mitmenschen und als geistliche Gemeinschaft erfuhr. Hatte er doch im Elternhaus christlichen Glauben nur als unbedingten Gehorsam und Strenge erfahren.
Im stadtilmer Pfarrhaus machte er eine völlig neue Erfahrung. Zur verinnerlichten Frömmigkeit im Pfarrhaus kam aber auch die Ausbildung im rationalen Erkennen des Christentums und seiner Geschichte. Fröbel bekam erste Eindrücke vermittelt, daß sich Frömmigkeit und rationales Erfassen der Geschichte des Christentums nicht ausschließen müssen.
Den Religionsunterricht in Stadtilm hielt zur Zeit Fröbels ein gewisser Magister Johann Gottlob Temper.
Durch diesen trat mir die Religion, besonders das Leben Jesu, in einem Lichtglanz entgegen, wie ich es noch nie gesehen hatte, in einer Lebendigkeit, ich möchte sagen göttlichen Menschwürdigkeit, daß zum öftersten mein ganzes Leben darin aufging.
schrieb Fröbel später in seinem Brief an die Frauen von Keilhau. Magister Temper gehörte einer theologischen Generation aus Jena an, deren bedeutendster Vertreter Johann Jakob Griesbach war. Diese theologische Richtung in Jena wurde zur Grundlage der modernen wissenschaftlichen Exegese und Theologie, war der Ausgangspunkt der historisch-kritischen Bibelinterpretation. Hier sind wohl auch die Wurzeln für Fröbels spätere philosophischen Anschauungen zu suchen. Das eigenartige Nebeneinander praktischer Glaubensäußerung und naturwissenschaftlichen Forschens erklärt sich vor dem Hintergrund des entstehenden theologischen Rationalismus. Hier wurde der Versuch unternommen, Glaubensgegenstände dem forschenden Verstand zugänglich zu machen, wissenschaftliches Welbild, theologische Grundaussagen und praktische Frömmigkeit in Übereinstimmung zu bringen.
Friedrich Fröbel hat an diesen geistigen Prozessen aktiv teilgenommen. So war es nur folgerichtig, wenn er sein Interesse sowohl auf naturwissenschaftliche als auch auf philosophische und theologische Gegenstände richtete.
Die Studiensemester in Jena (1800 - 1801) und in Göttingen (1811 - 1812) lassen hauptsächlich naturwissenschaftliches Interesse erkennen, in Göttingen kamen noch philosophische und sprachwissenschaftliche Studien dazu.
Zwischen 1800 und 1811 liegt ein entscheidender Schnitt. Nach dem finanziellen Fiasko der Jenaer Universitätszeit2) versuchte sich Fröbel in den unterschiedlichsten Berufen3). Durch einen Freund wurde er in eine Gesellschaft junger Erzieher eingeführt, die sich um den Pestalozzi-Anhänger Gottlieb Anton Gruner in Frankfurt(Main) gebildet hatte. Gruner leitete dort eine Normalschule, die nach Pestalozzis Grundsätzen eingerichtet worden war. Während eines hitzigen Gespräches rief ihm Gruner zu: Was da, Fröbel, Schulmeister müssen Sie werden!
So war ich nun erwählter und bald wirklicher, tätiger Lehrer an der Musterschule in Frankfurt...
schrieb er später über dieses Ereignis. Die Entscheidung Fröbels, Erzieher zu werden, sollte seinem Leben eine bedeutungsschwere Wende geben. Durch den Eintritt in Gruners Musterschule wurde er sofort in die praktische Erziehungsarbeit von 30 -- 40 Jungen gesetzt. An seinen Bruder Christoph schrieb er:
Ich muß dir aufrichtig sagen, daß es auffallend ist, wie wohl ich mich in meinem Geschäfte befinde. Sie sind mir in der ersten Stunde nicht ein wenig fremd vorgekommen; es war mir, als wäre ich schon la"ngst Lehrer gewesen und eigentlich zu diesem Geschäfte geboren... Ich befinde mich, wenn ich in den Unterrichtsstunden bin -- mit meinem gewöhnlichen Ausdrucke zu reden:wie in meinem Elemente. Du kannst nicht glauben, wie angenehm mir die Stunden verfließen; ich habe die Kinder alle so herzlich lieb und sehne mich oft zu ihrem Unterrichte. -- Du solltest mich manchmal in meinen Unterrichtsstunden sehen, wie seelenvergnügt ich bin...
Der pädagogischen Praxis entsprachen Bemühungen, den Anforderungen auch theoretisch gerecht zu werden. Die Verbindung von Theorie und Praxis hat Fröbel in seinem ganzen späteren Leben immer wieder nachdrücklich gefordert. Nichts ist praktischer als eine ordentliche Theorie!
Am Beispiel der Eltern - Kind - Beziehung erläuterte Fröbel die Grundlagen der Religiosität. So wie Mutter und Kind vom ersten Tage an in einem Gefühl des Gemeinsamen, der Gemeinsamkeit verbunden sind, so ist das Gemeingefühl der
äußerste Keim, die äußerste Spitze aller echten Religiosität, alles echten Strebens nach ungehemmter Einigung mit dem Ewigen, mit Gott.
Religion ist für ihn das Streben, die Ahnung von dem ursprünglich Einsgewesensein des wahrgenommenen eigenen geistigen Selbstes, des Menschengeistes mit Gott. Das Beleben, Befestigen, das Aufklären der Wahrnehmung eines geistigen Selbstes, das Erkennenmachen der Eigenschaften und des Wesens der Seele, das Einsehenmachen des notwendigen Wesens und Wirkens Gottes, die Darstellung des Göttlichen im Menschlichen ist aus seiner Sicht Religionsunterricht. Die Art des Ansatzes zeigt hier deutlich Schleiermachers Gedankengut, verbunden mit eigenem Erleben. Es ist übrigens immer wieder faszinierend, in welcher Weise Fröbel eigenes Erleben auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschungsergebnisse fremder Fachgebiete zu reflektieren vermochte. Christliche Erziehung verstand Fröbel als Nachfolge. Diese Erziehung begänne, meinte er, schon in der elterlichen Gemeinschaft mit dem Kind. Auf dieser lebendigen Gemüts- und klaren Geisteinigung würde nicht nur äußerliche Lebensgemeinsamkeit gelebt, sondern das wäre der Boden und Grund echter Religiosität. Das Leben der Kinder in einer solchen Familie wäre ein Leben des Gebetes Jesu in welchem dem Kind die Lehren und Forderungen Jesu in eigenes und durchs eigene Leben verständlich, anwendbar und nachlebbar gemacht würden.
Der Lebensweg Fröbels, seine Bildung und sein Lebenswerk machen immer wieder deutlich, daß er nicht entweder Christ oder Pädagoge war, sondern Christ und Pädagoge gleichzeitig war. Ausgangspunkt und innerliche Grundlage seines pädagogischen Schaffens, seiner Menschenerziehung war seine tiefe Frömmigkeit. Diese wurde durch die modernsten Erkenntnisse seiner Zeit geschärft. Er gehörte als Zeitgenosse Schleiermachers zu den Menschen, die das Gesamtgebiet der wissenschaftlichen Forschung, der Philosophie und Theologie aufmerksam verfolgten und in den Hauptzügen auch übersahen. Aus christlicher Verantwortung nahm er an den gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit Anteil. Aus dem Wissen um die Verantwortung für die Menschheit zur Erziehung des Menschengeschlechts lebte er christliche Existenz in einer konkreten Gesellschaft, stellt sich mit seinen Gaben und Möglichkeiten den Fragen der Zeit, wurde geliebt, gehaßt und verfemt.
Befreiungskriege und die Zeit danach
Hatte Friedrich Fröbel während seiner ersten drei Lebensjahrzehnte zurückgezogen gelebt, sich seinen naturwissenschaftlichen und philosophischen Interessen zugewandt und die ersten Schritte im Erzieherberuf gewagt, so zwangen ihn die politischen Wirrnisse während der Zeit der Befreiungskriege zur Stellungnahme und zum persönlichen Einsatz. Das Jahr 1813 erschien, das verhängnisvolle und tatenreiche, schrieb er fast zwanzig Jahre später in dem Bewußtsein, daß dieses Jahr zum Markstein seines Lebens geworden war. Im Frühjahr 1813 hatten sich Preußen und Rußland mit dem Ziel zusammengeschlossen, die napoleonische Unterdrückung Deutschlands zu beseitigen. In einer Welle nationalen Befreiungswillens waren vor allem die Studenten der neugegründeten Universität in Berlin freiwillig zum Kriegsdienst herbeigeeilt. Obwohl Friedrich Fröbel anfangs dieser nationalen Begeisterung fassungslos gegenüberstand,4) so begriff er bei aller scheinbaren Lebensfremdheit doch, daß es hier um eine Sache allergrößter nationaler Bedeutung ging.
Als Mensch fühlte und dachte ich den Krieg, als Mensch fühlte ich mich, und wer je einmal an dem Leben der Menschen eben Anteil nehmen wollte und jetzt in den Krieg gehen konnte, der durfte nicht zu Hause bleiben ... Unwiderlegbar gewiß war mir, wollte ich einst als Erzieher, besonders als Knabenerzieher wirken, mußte ich jetzt in den Krieg ziehen. Umgekehrt war mir gewiß, wörtlich gewiß: ging ich nicht in den Krieg, so vernichtete ich mir dadurch rein meinen künftigen Erzieherberuf.
schrieb er auf diese Zeit zurückblickend. Während seines Dienstes im Lützower Freikorps schloß er Freundschaft mit Wilhelm Middendorf und Heinrich Langethal, die bis zu seinem Tode dauern sollte. Beide waren seine treuesten Mitarbeiter, als er daran ging, seine Erziehungsideen in Keilhau bei Rudolstadt in die Praxis umzusetzen.
Nach der Demobilisierung der Kriegsfreiwilligen des Befreiungskrieges trat Fröbel eine Assistentenstelle in Berlin bei dem damals sehr bekannten Mineralogen Professor Weiß an. Während dieser Zeit nahm er am geistigen und wissenschaftlichen Leben der neugegründeten Berliner Universität regen Anteil. Unter anderem hörte er Vorlesungen bei Friedrich Schleiermacher. Schleiermacher las 1813/14 auch über Pädagogik. Diese Vorlesungen und das in den Gesprächen mit den Freunden diskutierte Gedankengut, scheinen auf Fröbel einen nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben. Kam doch der Ansatz Schleiermachers seiner glaubensmäßigen Vorbildung, die besonders in Stadtilm geprägt worden war, sehr nahe. In den Vorlesungen und Predigten Schleiermachers verbanden sich tiefste pietistische Frömmigkeit mit einer scharfen, an Kant geschulten, Dialektik. Diese Verbindung von Gemüts- und Glaubenswelt mit strenger wissenschaftlicher Forschung mag Fröbel besonders angezogen haben.So wurden hier die Grundlagen seines christlichen Weltverständnisses gelegt, die er dann später in seinem Hauptwerk Die Menschenerziehung explizit formulierte.5)
Fröbel konnte in seiner Tätigkeit als Mineraloge offensichtlich keine innere Befriedigung finden, denn immer wieder wandte er sich pädagogischen Fragen zu. Deutlich erkannte er die Schwächen der bisherigen Erziehungsweise, die nur aus Anlernen und äußerlich historisch mitteilender Lehrweise bestand und die
für geistige Einsicht und für künftige echt wissenschaftliche Bildung, für Wesensschauung und so für wahres Wissen, für Wahrheit im Wissen abstumpfe, ja ich möchte geradezu sagen: vernichtend wirke.
wie er in einem Brief an den Philosophen Karl Christian Friedrich Krause schrieb. Dieser Drang, Menschen zu selbständig denkenden Wesen zu erziehen, trat immer mehr in den Mittelpunkt seines Denkens.
So klar oder unklar ich also das ganze des Erziehungs- und Lehrgeschäftes dachte, so war in dem mir vorliegenden Falle der Plan so bald als einfach gemacht: Ich erzieh und unterrichte die Kinder meines verstorbenen Bruders.
schrieb er später zurückblickend. Aus diesem Plan entstand in Griesheim ein Erziehungsunternehmen, das er kühn Allgemeine deutsche Erziehungsanstalt nannte.
Hier unterrichtete er zuerst seine Neffen, die Kinder der Brüder Christoph und Christian. Da sich in Griesheim kein geeignetes Haus finden ließ, siedelte Fröbel im Juli 1817 nach Keilhau über. Hier in Keilhau konnte sich die Allgemeine deutsche Erziehungsanstalt nach anfänglichen Schwierigkeiten konsolidieren. Die Statistik weist aus, daß 1820 zwölf Zöglinge, 1821 zwanzig und 1825 bereits sechsundfünfzig Zöglinge betreut wurden.
Die Keilhauer Zeit war nicht nur eine Zeit der pädagogischen Praxis, sondern hier lag auch der Beginn der theoretischen Reflexion pädagogischer Gedanken. Ergebnis dieser Bemühungen sind die sogenannten kleinen Keilhauer Schriften. In ihnen legte Fröbel die Grundlagen seiner Erziehungstheorie dar. Die Themen reichen von der Selbstdarstellung der praktischen und theoretischen Erziehungsarbeit über deutsche Erziehung überhaupt und Menschenerziehung zu den Anfängen der Spieltheorie und zu kinderpsychologischen Überlegungen wie sie in der Schrift Das kleine Kind oder Bedeutsamkeit allerersten Kindertuns zum Ausdruck kommen. In dieser Zeit entstand auch sein pädagogisches Hauptwerk Die Menschenerziehung.
In diesem und in den kleinen Schriften, sowie in einer zahlreichen Korrespondenz legte Fröbel seine pädagogischen Gedanken nieder. Sein ganzes weiteres Leben, Erziehen und Handeln sollte von diesen ersten theoretischen Grundlagen konsequent weitergeführt werden. In der Menschenerziehung formulierte Fröbel sein Ausbildungsziel, Not und Elend des Volks durch erziehendes Handeln zu beseitigen. Dabei lag Fröbel alles daran, nicht nur eine Seite der Begabung der Zöglinge zu entwickeln, keine Fachidioten zu erziehen, sondern allseitig gebildete, körperlich gesunde Menschen zu erziehen, deren hervorstechendste Eigenschaften Selbständigkeit im Denken und Fühlen, Nationalbewußtsein und solide wissenschaftliche Ausbildung waren. Entsprechend dieses Ansatzes war der Stundenplan in Keilhau umfangreich: Religionsunterricht, Musik, Mathematik, Erd- und Heimatkunde, Naturkunde, Geschichte, Deutsch, Latein, Griechisch, Hebräisch und Zeichnen gehörte ebenso wie freie Selbstbeschäftigung, Spiel und Gesang zum Lehrplan.
Ein Zögling aus Keilhau schrieb später:
Stubenordnung und Hausordnung waren streng. Nach Soldatenbrauch mußte jeder Zögling die Utensilien zur Reinigung des Körpers und der Kleidung besitzen. Wer unvorsichtigerweise oder mutwilligerweise ein Fenster zerbrochen hatte, mußte bei Wind und Wetter den Fensterflügel aufhocken und eine Stunde weit nach Blankenburg tragen und repariert heimbringen. Geldstrafe gab es übrigens nicht. Zanken, Schelten, wohl gar Schimpfen sind mir unerinnerlich. Ein Blick genügte, um die Strafe zu verstehen. Solche bestand eigentlich nur in Vereinfachung der Mahlzeit. Mittag und Abend wurde ein Stück Brot auf den Teller gelegt, dies das Zeichen, daß der Schuldige andere Gerichte ungenommen weitergeben mußte.
Der Anspruch auf Allgemeinbildung und nationale Erziehung konnte in der Zeit nach den Befreiungskriegen, der Zeit der Demagogenverfolgungen nicht ohne Widerspruch bleiben. So unterlag die Keilhauer Anstalt ab 1824 steigender politischer Schwierigkeiten, sie wurde als Demagogennest verfemt. Obwohl die auf Ersuchen der preußischen Regierung durchgeführte Visitation der Keilhauer Anstalt positiv ausfiel, wurden doch die Eltern der Zöglinge derart unter Druck gesetzt, daß diese ihre Kinder aus der Anstalt nahmen und dadurch dieselbe an den Rand des Ruins brachten.
In dieser Zeit der Krise verließ Fröbel Keilhau, um sich aus räumlicher Distanz über seine weiteren Pläne klar zu werden. Nach einem fünfjährigen Aufenthalt in der Schweiz.6) In Burgdorf wandte sich Fröbel größeres Augenmerk auf die Vorschulerziehung. Hier wurden die Gedanken vorgeprägt, die ihn später zum Vater des Kindergartens werden lassen sollten.
Vorschulerziehung und Kindergarten
Friedrich Fröbel stand wiedereinmal vor einem Neubeginn. Schon in der Schweiz war der Gedanke herangereift, sich intensiver mit der Vorschulpädagogik zu befassen. Da außerdem die Kleinkindererziehung nicht unter dem Verdacht politisch unliebsamer Betätigung stand, eröffnete sich hier ein weites und fruchtbares Arbeitsgebiet. Die Zuwendung zum kleineren Kinde mag verwunderlich erscheinen, hatte doch Fröbel selbst nie Kinder besessen. Doch war das Interesse am Kind, Gebot der Zeit. Anknüpfend an Jean Jaques Rousseau, im Kind nicht mehr den kleinen Erwachsenen zu sehen, wandten sich die Pädagogen des 19. Jahrhunderts der Spezifik der unterschiedlichen Altersstufen in der Kindheitsentwicklung zu. Jedes Alter, jeder Zustand des Lebens hat eine Vollkommenheit, die nur ihm entspricht, eine Art Reife, die nur ihm eigentümlich ist, schrieb Rousseau. Damit wurde der Weg zur sachgemäßen und wissenschaftlich begründeten Pädagogik frei. Die Romantik hatte ein übriges getan, das Kindsein zu verherrlichen. In dieser Zeitsituation lag es für den erfahrenen Pädagogen Friedrich Fröbel nahe, die Kleinkindererziehung besser zu organisieren.
Bedingt durch die Industrialisierung, nahmen immer mehr Frauen am industriellen Arbeitsprozeß teil. Deren Kinder blieben entweder sich selbst überlassen oder sie wurden in Bewahranstalten gesteckt. Von planmäßiger Erziehung der Jüngsten konnte keine Rede sein. Andererseits hatte Fröbel erkannt, daß die normale Familienerziehung den wachsenden Bedürfnissen der Schul- und Berufsbildung nicht mehr gerecht werden konnte. Fröbel war es schon in der Schweiz deutlich geworden, daß die Familienerziehung der Hilfe des wissenschaftlich gebildeten Pädagogen bedürfe. Diese Hilfe sah er einerseits in der Ausbildung der Erziehungsfähigkeit der Eltern und andererseits in zielgerichteter pädagogischer Einflußnahme auf die Kinder.
Die Ausbildung der Eltern suchte er einerseits durch Zeitungsartikel und kurze Aufsätze und andererseits durch Anbieten von geeigneten Unterrichts-, Lehr- und Bildungsmitteln zu erreichen. Der Lehr- und Spielmittelherstellung diente eine eigens zu diesem Zweck gegründete Manufaktur, die Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend. Obwohl Fröbel die kaufmännische Seite dieser Manufaktur nie richtig beherrschte, die Fabrik bald wieder einging, fanden die Spielkästen doch weltweite Verbreitung.
Die Herstellung der Spiel- und Beschäftigungsmittel beflügelte nun wiederum seine spieltheoretischen Überlegungen.
Dadurch, daß diese Spielbeschäftigungen von dem Einfachsten ausgehen und sich allseitig wie die Krone eines Baumes verästen, entsprechen sie dem kleinsten Kinde, wie sie die vielseitige Richtung des Tätigkeitstriebes in den heranwachsenden befriedigen. Wie des Kindes Tätigkeit sich stetig entwickelt, so halten die Spiele hiermit gleichen Schritt, sie gehen bis auf jede Stufe herab, und erweitern sich mit jeder Kraft in lückenlosem Fortschritt.
schrieb er 1842.
Fröbel schuf aus entwicklungspsychologischer Sicht für jede Stufe der frühen Kindesentwicklung spezielle Spiel- und Beschäftigungsmittel. Spielt das neugeborene Kind zuerst mit dem eigenen Körper, so braucht es bald Spielmittel. Als erste Spielgabe sah Fröbel einen weichen Ball mit oder ohne Schnur vor. Fröbel schilderte, welche Übungen mit dem kleinen farbigen Ball das Kind zu Greifbewegungen und damit zu zielgerichteter Tätigkeit anregen soll. Als zweite Spielgabe folgten dann Kugel, Walze, Würfel und Kegel. Die dritte bis sechste Gabe entstanden aus unterschiedlichen Teilungen des Würfels. Als weitere Gaben waren dann Legetäfelchen, Stäbchen, Schnüre, Perlen und verschiedene Materialien wie Papier, Wachs und Ton vorgesehen. Es wurde hier erstmals ein komplettes Spielzeugsystem vorgestellt, in dem altersgerechtes Spielen und gezielte Ausbildung möglich war. Vom einfachsten Spielzeug über frei gestalterische Arbeiten aus Wachs und Ton zu Rollenspielen in der Gruppe wurden hierdurch die Kinder allseitig gefordert und gefördert. Diese geniale Zusammenfassung der Spiele hat bis auf den heutigen Tag ihre Bedeutung erhalten. Noch heute werden Bauklötzer, Malarbeiten und Gruppenspiele als Bildungsmittel im Kindergarten hochgeschätzt.
Fröbel setzte sich mit seiner ganzen Kraft und Persönlichkeit zur Verbreitung seiner spieltheoretischen Ideen und deren praktischer Realisierung durch seine Spielzeuge ein. In den letzten 15 Jahren seines Lebens unternahm er oft beschwerliche Vortragsreisen, um seine Erziehungsidee der Schaffung von Spielanstalten für Kleinkinder in Deutschland weiterzutragen.
Sein Wissen um die Notwendigkeit zielgerichteter pädagogischer Einflußnahme auf das Kind führte zur praktischen Konsequenz. Zur Erprobung seiner Spielgaben hatte er in Blankenburg und anderen Orten Spielkreise geschaffen. Diese Spielkreise wurden von sogenannten Spielführern geleitet, um deren Ausbildung sich Fröbel selbst kümmerte. Er richtete Kurse für Spielführer ein, an denen auch Mädchen teilnahmen. Auf diese Weise bereitete er sie für den Beruf der Kindergärtnerin vor. Johannes Arnold Barop, einer der engsten Mitarbeiter in Keilhau, schildert in seinen Erinnerungen, wie Fröbel das Wort Kindergarten prägte.
Als Friedrich Fröbel von Berlin zurückkehrte, war die Idee einer Kleinkinderbeschäftigungsanstalt bereits völlig in ihm ausgebildet. Ich mietete ihm ein Lokal in dem benachbarten Blankenburg. Wir, Middendorf und ich, gingen mit ihm über den Steiger nach Blankenburg. Er rief wiederholt: Wenn ich doch nur einen passenden Namen für mein jüngstes Kind wüßte! Blankenburg lag zu unseren Füßen, und er ging sinnend einher. Plötzlich blieb er wie gefesselt stehen und sein Auge nahm einen fast verklärten Ausdruck an. Dann rief er laut in die Berge hinein, daß es widerhallte aus allen vier Winden: Kindergarten soll die Anstalt heißen!...
am 28. Juni 1840 begründete Friedrich Fröbel den Allgemeinen deutschen Kindergarten im Rathaussaal von Blankenburg. Die pädagogische Hauptaufgabe der neugegründeten Einrichtung formulierte er 1843 in drei Punkten:
In den ersten Jahren seiner Existenz war dem Kindergarten kein glückliches Los beschieden. Geldnot und politische Ignoranz seitens der Regierungen erschwerten den Weg der einzigartigen Bildungseinrichtung. Die 1848er Revolution nahm sich des Kindergartengedankens Fröbels an, er konnte seine Tätigkeit fruchtbar entfalten. In der Zeit von 1848 - 1851 wurden so Kindergärtnerinnen ausgebildet, die ihrerseits für eine weltweite Verbreitung der Kindergartenidee sorgen sollten. Fröbel war auf dem Gipfel seines Schaffens. Doch sollte er nocheinmal mit politischer Reaktion und Ignoranz, mit Intrigenwirtschaft und behördlicher Dummheit schlechte Erfahrungen machen. Am 23. August 1851 wurde im Preußischen Staatsanzeiger eine Ministerialverfügung veröffentlicht, die Kindergärten unter dem Vorwand des Atheismus und Sozialismus verbot, eine Argumentation, die schon damals gut war, mißliebige Personen auszugrenzen.
Fröbel glaubte anfangs noch an ein Mißverständnis, doch als Eingaben und Petitionen ohne Erfolg blieben, zog sich Friedrich Fröbel aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb am 21. Juni 1852.
Obwohl behördliche Dummheit wie so oft in der Geschichte fortschrittliche Gedanken, beamtete Borniertheit einen geistigen Vordenker vernichtet hatten, so war dieses spießige Amtsschimmeldenken nicht in der Lage, der Kindergartenidee auf Dauer zu schaden. Die Schüler Fröbels trugen die Kindergartenidee in alle Welt hinaus, so daß sich am 10. März 1860 die preußische Staatsregierung gezwungen sah, das Kindergartenverbot zurückzunehmen. Heute gibt es Kindergärten in der ganzen Welt, wenn auch gegenwärtig in Deutschland die Situation für Kindergärten nicht gerade günstig ist, weil sie sich nicht rechnen bzw. als ein Luxus dargestellt werden, den man eigentlich dem Rotstift opfern könne.
Die Situation ist durch die Wiedervereinigung Deutschlands noch verrückter geworden. Der Kindergartengedanke war nämlich über die russische Pädagogik nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR wieder nach Deutschland zurückgekommen und zur Staatsdoktrin geworden. Als die DDR 1989 zusammenbrach, wurde im Zuge der Umstrukturierung des Schulwesens natürlich auch der Kindergartengedanke als DDR-Erbe vernichtet. Aus diesem Grunde wahrscheinlich spricht eine staatskonforme und medienbeflissene Pädagogengilde auch folgerichtig von der Kita...
2)Der Vater hatte nicht das Geld, seinen Bruder Traugott und ihn zugleich studieren zu lassen. So mußte der jüngere Bruder das Studium wieder aufgeben.
3)Buchhalter, Ökonom, Architekt
4)... und was ich mein Vaterland nannte, das Rudolstädter Land benamset, hatte nun eben auch keine große Bedeutung für mich ..
5)Spezialuntersuchungen zu diesem Thema stehen allerdings noch aus.
6)Gründung von Erziehungsanstalten in Waartensee, später Willisau und Burgdorf.