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BERLINER DIALOG 24-25, 1/2-2001

 

Die errungene Freiheit muß man schützen
vor denen, die sie uns wieder nehmen wollen
Laudatio für Dr. Norbert Blüm
von Robert S. Minton

Guten Tag, meine Damen und Herren. Besonders begrüße ich Sie, Herr Dr. Blüm. Es ist wirklich eine Freude, heute hier in Leipzig zu sein und auf dieser Veranstaltung dies zu sprechen. Mehr noch, es ist mir eine große Ehre, als Empfänger der Auszeichnung letztes Jahr, die Laudatio für Sie, Dr. Blüm, zu halten und Ihnen den Leipziger Menschenrechtspreis 2001 zu überreichen.

Diesen Menschenrechtspreis gibt es erst seit einem Jahr. Er wurde als der "Alternative Karlspreis" ins Leben gerufen, weil das Komitee darauf hinweisen wollte, daß die europäischen Werte, für die der Original-Karlspreis steht, nicht vereinbar sind mit der Unterstützung für die totalitäre Scientology-Organisation, die der damalige US-Präsident Clinton gegeben hat.

Als Leipzig ausgewählt wurde als Ort der Preisverleihung, bekam die Sache zusätzliche Bedeutung, sowohl für das Europäisch-Amerikanische Komitee für Menschenrechte und Religionsfreiheit als auch für mich. Denn Leipzig ist der Platz, wo die Freiheit in Ostdeutschland wiedergeboren wurde. Wir befinden uns hier nur einen Steinwurf weit von der Nikolaikirche. Dort begann der Ruf nach Freiheit in Ostdeutschland erst mit nur einer Handvoll Leuten. Die aber wuchsen zu Hunderten und schließlich Hunderttausenden, die in den Straßen, die dies alte Gebäude umgeben, für die Freiheit demonstrierten.

Robert S. Minton

Robert S. Minton
Foto: Claudia Bartels

Diese Ereignisse, die hier in Leipzig vor nicht allzulanger Zeit stattfanden, zeigen deutlich, daß es immer harte Arbeit ist, die Freiheit zu erringen und daß dies Mut und Opferbereitschaft fordert.

Wir wissen ebenso aus der geschichtlichen Erfahrung, daß man die Freiheit, die man erreicht hat, schätzen und pflegen muß und schützen muß vor denen, die sie uns wieder nehmen wollen.

Dr. Blüm, sie sind ein visionärer Politiker und Vorbild und haben ein klares Gefühl für die Lehren der Geschichte bewiesen. Vor mehr als 20 Jahren wurden fast alle Probleme mit den modernen Sekten und Kulten als rein individuell oder psychisch bedingt angesehen. Sie haben damals festgestellt, daß wir es mit einer politischen Herausforderung zu tun haben. Viele Leute, vor allem auch Politiker in den Vereinigten Staaten, müssen diese Ihre sehr wichtige Feststellung erst noch begreifen.

Im Januar 2000 habe ich in Clearwater/Florida eine Organisation gegründet, die Lisa McPherson Trust heißt. Wenn ich jetzt durch die Straßen in der Innenstadt von Clearwater gehe, mitten unter Hunderten von Scientology-Sea-Org- Mitgliedern, werde ich immer wieder an etwas erinnert, was Adolf Hitler schon 1929 als die große Sache, das großartige Charakteristikum seiner Bewegung ansah. Was Hitler als so großartig empfand war, daß sechzigtausend Mann "äußerlich fast eine Einheit geworden sind. Und daß diese Mitglieder der Bewegung nicht nur einheitlich in ihren Ideen sind, sondern daß sogar der Gesichtsausdruck fast der selbe ist. Schauen Sie auf diese lachenden Augen, diesen fanatischen Enthusiasmus und sie werden entdecken... wie hunderttausend Mann in einer Bewegung zu einem einzigen Menschentyp werden". [Rückübersetzung aus dem Englischen]

Daß der Lisa McPherson Trust umgeben ist von der Sea Org in Clearwater, das ist manchmal richtig unheimlich, aber es ist auch ein Segen. Es ist ein Segen, weil unsere bloße Anwesenheit das wichtigste Element dieser totalitären Organisation unterminiert, nämlich die Isolation der scientologischen künstlichen Welt von der Wirklichkeit.
In den 18 Monaten, die wir nun in Clearwater sind, müssen wir ständig Scientologys Geschrei von religiöser Verfolgung und ihre Forderung von Freiheit und Toleranz hören. Dieselben Forderungen hören wir von Scientology z.Zt. auch in Europa. In diesem Zusammenhang möchte ich alle Anwesenden einmal etwas fragen. Wer machte 1981 das folgende Statement: "Die Feinde der Freiheit sind es, die heute selbst nach Freiheit und Toleranz rufen. ... Solche Freiheitsmanifeste sind nur Masken von Sklaverei und Terror. ... Auch religiöse Gruppen oder solche, die sich so nennen, können totalitär sein, und ich höre deshalb Botschaften von Weltregierungsambitionen und Welterlösungen mit Mißtrauen, vor allem, wenn sie sich mit dem Streben nach wirtschaftlicher Macht verbinden. Wir wollen eine freie Gesellschaft bleiben."
Ja, ich glaube, wir alle haben richtig geraten: Es war Dr. Blüm, der dies gesagt hat. Diese Ihre Stellungnahme, Dr. Blüm, schuf Klarheit und führte eine politische Dimension ein in die Beschäftigung mit dem Phänomen der destruktiven Kulte. Als Sie das Konzept des Totalitarismus schon sehr früh in die Debatte über destruktive Kulte einbrachten, haben sie uns Zeitgenossen befähigt zu verstehen, daß die Ziele dieser Gruppierungen die Transformation und Unterwerfung, ja Versklavung der Natur des Menschen selbst ist. So etwas ist nicht hinnehmbar in einer demokratischen Gesellschaft, denn hier gilt: Wir können nur gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft sein auf der Grundlage unserer gemeinsamen, festen Entscheidung, uns gegenseitig auch gleiche Rechte zu garantieren.

Sie haben meine Wertschätzung nicht nur, weil sie ein entschiedener Verfechter der Menschenrechte, der Arbeitnehmerrechte und der demokratischen Grundwerte sind, sondern auch wegen Ihrer Eindeutigkeit, mit der Sie Scientologys neue Form von Totalitarismus aufdecken, der sich tarnt im Schafspelz von Religion und Psychotherapie.
Aber da ist noch mehr: Durch Ihr Beispiel und Ihren Schutz haben Sie andere befähigt, sich offen und kritisch zu äußern.

Die Mitglieder des Komitees und auch ich selbst sind Ihnen auch dankbar dafür, daß sie die Schirmherrschaft für das Osteuropa-Seminar des Dialog Zentrum Berlin 1996 übernommen haben. Diese Konferenz hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, Aufmerksamkeit für die neue Gefahr der Kulte in den post-totalitären Gesellschaften Mittel- und Osteuropas zu schaffen. Sie haben viele Male offen gezeigt, daß Sie daran glauben, daß öffentliches Amt und staatsbürgerliches Engagement notwendigerweise zusammengehören und ihre Einmischung und Schirmherrschaft war besonders wichtig für viele unserer Freunde und Partner in Rußland und Osteuropa.

Und schließlich, Dr. Blüm noch etwas. Schon 1981 sagten Sie: "Ganz gewiß einig sind wir uns dabei, was immer unser Werturteil über die neuen Kulte sein mag, keinerlei Abstriche an der Toleranzgarantie des Artikels 4 unserer Verfassung [Meinungs- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, also Religionsfreiheit] zuzulassen. Daran halten wir unverbrüchlich fest. Ich füge aber hinzu, daß jede Organisation, die diese Toleranz für sich in Anspruch nimmt, ihrerseits die ebenfalls im Grundgesetz verankerte Würde des Menschen und die freie Entwicklung der Persönlichkeit zu respektieren hat. Das gilt bekanntlich nicht nur für den Staat. Es gibt auch eine Drittwirkung der Grundrechte." Ich füge zur Erklärung ein: Das heißt, die Grundrechte sind nicht nur dazu da, um den Bürger vor der Einmischung des Staates zu schützen, sondern der Staat muß auch den einzelnen Bürgen gegen Eingriffe von dritter Seite schützen, die die Rechte des Individuums beeinträchtigen können z.B. im Falle von Krieg, Betrug durch Geschäftsunternehmen oder eben auch Kulte.
Und Sie führten fort: "Die Freiheit zum religiösen Bekenntnis gehört zur Basis unserer freiheitlichen Kultur. Wir wollen nicht, daß dieser Freiraum zum Dschungel wird."

Dr. Blüm, Sie sind ein Beschützer der Freiheiten und der demokratischen Ideale. Sie haben sich selbst ausgezeichnet durch Ihren selbstlosen öffentlichen Dienst für Ihr Land und ihre Mitbürger. Sie haben sich ausgezeichnet durch die Klarheit Ihres Denkens und Ihre Einsicht in die Gefahren, denen wir gegenüberstehen. Sie haben sich ausgezeichnet durch Ihren Mut, offen über das Problem der destruktiven Kulte zu sprechen als niemand anderes das tat.

Wir danken Ihnen voller Respekt mit diesem Preis, der ein Ausdruck unserer größten Hochachtung ist für alles, was sie getan haben, um die Sache der Freiheit zu fördern und die Menschenrechte aller Mitbürger zu schützen.

Herzlichen Dank, Dr. Blüm!


   Text der Urkunde
Am 10. Juni 2001 wurde in Leipzig der Menschenrechtspreis des Europäisch-Amerikanischen Bürgerkomitees für Menschenrechte und Religionsfreiheit in den USA an den Bürger der Bundesrepublik Deutschland Bundesminister a.D. Dr. Norbert Blüm verliehen
* in Anerkennung seiner deutlichen Worte und Taten, mit denen er die Opfer der Scientology-Organisation ermutigt und unterstützt hat und damit Maßstäbe für Politikerinnen und Politiker aller Parteien gesetzt hat;
* in Würdigung seines Mutes, sich mit dem neuen Totalitarismus der Scientology-Organisation öffentlich auseinanderzusetzen und sich damit für die Verteidigung der Menschenrechte und die Erhaltung der Religions- und Meinungsfreiheit in Europa und Nordamerika stark zu machen;
* und als Ausdruck unserer Unterstützung für alle Menschen diesseits und jenseits des Atlantik, die sich dafür einsetzen, den Menschenrechtsverletzungen, die von der Scientology-Organisation in den USA und in Europa begangen werden, endlich ein Ende zu setzen.
     Für das Komitee     /Unterschriften/

    Award Certificate
On the 10th of June 2001 in Leipzig the Human Rights Award of the European-American Citizens Committee for Human Rights and Religious Freedom in the USA is given to a citizen of the Federal Republic of Germany, former federal Labor Minister, Dr. Norbert Bluem
* in acknowledgment of his clear words and deeds with which he has encouraged and supported victims of the Scientology Organization, thereby setting a standard for politicians of all parties;
* in appreciation of his courage to publicly engage the new totalitarianism of the Scientology Organization in discussion, thereby reinforcing the defense of human rights and the preservation of the freedoms of religion and opinion in Europe and in North America;
* and as an expression of our support for all people on this and the other side of the Atlantic who are engaged in finally putting an end to the human rights violations being committed by the Scientology Organization in the USA and in Europe.
     For the Committee        /signatures/


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