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BERLINER DIALOG 18-19, 3/4-1999 - Epiphanias 2000

Sippenhaftung für Apostaten
Bekannter Kirchenhistoriker kritisiert sektenkritisches Buch mit bekannten Methoden
Medienkritik von Thomas Gandow

Unter der Überschrift: "Kreuzzug als Familienunternehmen - Bekehrung in der DDR: Wie die Papes über die Zeugen Jehovas aufklären" veröffentlichte der bekannte, allerdings wegen seines Eintretens für Psychogruppen und gegen die Enquetekommission des Deutschen Bundestages inzwischen stark umstrittene Heidelberger Kirchenhistoriker Gerhard Besier in der WELT vom 26. Januar 1999 einen als Buchbesprechung deklarierten Angriff auf die Jehovas-Zeugen-Kritiker Klaus-Dieter und Günther Pape. Anlaß ist die Veröffentlichung des Buches von Klaus Dieter Pape:
"Die Angstmacher. Wer (ver)führt die Zeugen Jehovas", St. Benno, Leipzig. 200 S., 26,80 Mark.

Wir dokumentieren und kommentieren Auszüge aus Besiers Artikel und Entgegnungen von Klaus-Dieter Pape aus seinem an die WELT gerichteten Leserbrief vom 27. Januar 1999.  - Red.

Der Kirchengeschichtler Besier beginnt seine Buchbesprechung mit einer familiengeschichtlichen Betrachtung. Dabei entpuppt sich der Heidelberger Professor nun auch noch als Erbforscher:
Gleich am Anfang seiner Rezension flicht er Überlegungen ein zur seltenen Möglichkeit der Vererbung des Hangs zum Konvertiteneifer bei Apostaten der zweiten Generation. Ein vererbungstheoretischer Einstieg für eine Buchbesprechung ist zwar ein in den letzten 55 Jahren eher ungewöhnlicher Gedankengang, der aber, kombiniert z.B. mit dem unausgesprochenen, aber deutlichen Gedanken der Sippenhaftung, durchaus eine gewisse Plausibilität und absichtsvolle Diffamierungskraft entfalten kann:
"Es ist eine alte, vielfach belegte Erfahrung, daß manche Konvertiten dazu neigen, sich in besonders negativer Form über ihre frühere Religion zu äußern. Sehr viel seltener kommt es vor, daß sich dieser Hang zur Verurteilung des ehemaligen religiösen Weges in die zweite Apostaten-Generation fortzeugt. Im Fall der Familie Pape hat sich ein ganzer Clan der Diskreditierung einer Religionsgemeinschaft verschrieben, wie das neueste Buch 'Die Angstmacher' wieder einmal belegt.
Vater Günther Pape erlebte als Neunjähriger, wie seine Eltern 1936 wegen illegaler Tätigkeit für die 1933 verbotene Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas (ZJ) von der Gestapo verhaftet wurden. Er selbst kam ins Armen-Kinderheim, dann 1944 zum Reichsarbeitsdienst. 1945 mußte er zur Wehrmacht und arbeitete dann seit Januar 1946 als hauptamtlicher Mitarbeiter bei den ZJ. Nachdem seine Religionsgemeinschaft 1950 in der DDR verboten wurde, floh er in den Westen, sein jüngerer Bruder Dieter blieb.

Am 7. Januar 1957 wurde Pape von dem Schöffengericht Waldshut zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen können, nachdem er ohne alles Kapital eine Zeitschrift 'Deutsche Wiedervereinigung' gegründet, Büroräume angemietet, Mobiliar gekauft und drei Angestellte beschäftigt hatte.

Als ihm seine Religionsgemeinschaft wegen des kaufmännischen Abenteuers Vorhaltungen machte, zeigte sich der verhinderte Zeitungsverleger wenig einsichtig. Daraufhin wurde er ausgeschlossen."
Dazu Klaus-Dieter Pape:
"Herr Besier wirft meinem Vater vor, daß er am 7. Januar 1957 in Waldshut zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Warum hat er dann nicht erwähnt, daß mein Vater im gleichen Jahr in der nächsten Instanz von Schuld frei gesprochen wurde? Will Herrr Besier unser Staatsrecht auf den Kopf stellen? Zudem hat nicht mein Vater die 'Deutsche Wiedervereinigung' gegründet, sondern Wilhelm Hauser, der auch Geschäftsführer war. Ist Herr Besier nun ein bewußter Verleumder, oder läßt er sich vor einen bestimmten Karren spannen?"

Was den Zeugen nicht erlaubt ist...
Weiter schreibt Besier:
"Dieser Vorgang inspirierte ihn zu eigener schriftstellerischer Tätigkeit. Er verfaßte ein scharfes Anklage-Buch gegen seine frühere Religionsgemeinschaft mit dem Titel: 'Ich war Zeuge Jehovas'. Das Buch erschien 1961, erlebte bis 1993 15 Auflagen. In Papes Kurzbiographie heißt es lakonisch: 'Bruch mit den Zeugen Jehovas 1956/57.' Im Text spricht Pape einmal dunkel von 'innerer Not', 'äußerem Versagen' und Anklagen durch die ZJ. Die Zeitschriftengründung und den Prozeß sparte er in seiner Anklageschrift aus. Ostern 1963 konvertierte er zur katholischen Kirche.
Seit Anfang der 70er Jahre setzte Günther Pape, nunmehr im Dienst der katholischen Kirche, seine ganze verbissene Energie daran, mit weiteren Büchern, Broschüren und Vorträgen vor den 'Täuschungen, Irreführungen und Fälschungen' der ZJ zu warnen. Mit dem gleichen Ziel war Bruder Dieter im östlichen Deutschland tätig. Beide entfalteten rege grenzüberschreitende Aktivitäten zum Schaden der ZJ. Laut Urteil des Landgerichts Limburg vom 22. März 1996, das über eine Klage Günther Papes gegen die ZJ zu befinden hatte, besteht sogar der dringende Verdacht, daß Günther Pape Material aus dem Westen zur Veröffentlichung für die DDR-Zeitschrift 'Christliche Verantwortung' (CV) lieferte.
Den Unterlagen der 'Gauck'-Behörde zufolge wurde die CV vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) herausgegeben und sollte 'zersetzend' unter den ZJ in der DDR wirken."

Hierzu wieder Klaus-Dieter Pape:
"Herr Besier führt das Urteil des Limburger Landgerichtes vom 22. März 1996 an, um meinen Vater zu verdächtigen, er hätte doch irgend etwas mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR zu tun gehabt. Im Urteil des Limburger Landgerichtes ist aber etwas anderes zu lesen:
'Die Beklagten (Die Wachtturmgesellschaft in Selters und die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Berlin, K-D. Pape) werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 50.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu zwei Monaten, zu unterlassen, über den Kläger (Günther Pape,  K-D. Pape) zu behaupten, dieser habe mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR zusammengearbeitet.'

Will Herr Besier nun das verbreiten, was den Führern der deutschen Zeugen Jehovas gerichtlich untersagt ist? Warum?" fragt Klaus-Dieter Pape.

Wir ergänzen: Anscheinend kennt Besier nicht nur die Möglichkeiten des deutschen Presse- und Verleumdungsrechts, sondern beherzigt als Kirchenhistoriker auch den altrömischen Grundsatz semper aliquid haeret... ("Es bleibt schon immer etwas hängen...") statt sich an die ebenfalls historische Regel zu halten: Quod non licet Iovi, non licet bovi. Frei und sinngemäß übersetzt: Was dem Zeus (und den Zeugen) nicht erlaubt ist, kann auch dem Herrn Professor nicht erlaubt sein.

Weh Dir, daß Du ein Neffe bist...
Besier über den Onkel des Verfassers des von ihm besprochenen Buches:
"Verantwortlicher Mitarbeiter war Dieter Pape, vom MfS als 'Inoffizieller Mitarbeiter' (IM) mit dem Decknamen 'Wilhelm' geführt. Neben seiner Tätigkeit für die CV arbeitete Dieter Pape das Buch seines Bruders Günther Pape 'Ich war Zeuge Jehovas' für eine DDR-Ausgabe grundlegend um. In dieser DDR-Fassung rechtfertigte Pape das Verbot der ZJ in der DDR. Das Verbot sei 'auf Grund der provokatorischen Politik der Wachtturmgesellschaft, auf Grund ihrer antidemokratischen Wühlarbeit in Verbindung mit anderen ... verbotenen Aktionen' zu Recht erfolgt. (...)"

Endlich kommt Besier zum Autoren des "besprochenen" Buches:
"Günther Papes Sohn, Klaus-Dieter Pape, von Beruf katholischer Diplom-Theologe und ebenfalls im Dienst der römisch-katholischen Kirche, ist in die Fußstapfen seines Vaters und Onkels getreten. Nach dem Zusammenbruch der DDR hat das Pape-Trio Günther, Dieter und Klaus-Dieter einen Verein 'Christliche Dienste' gegründet. (...)"

Klaus-Dieter Pape entgegnet:
"Wenn Herr Besier sich Mühe gemacht hätte, hätte er erfahren können, daß mein Onkel Dieter Pape aus unserem Verein ausgetreten ist, nachdem er uns Ende 1996 seine Vergangenheit mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR geoffenbart hatte. Aber Wahrheit scheint Herrn Besier nicht zu interessieren."

Hämische Verwertung eines deutsch-deutschen Familiendramas
Vom Rezensenten eines theologisch-apologetischen oder sektenkritischen Sachbuches kann man zwar erwarten, daß er "bei der Sache" bleibt, nicht unbedingt aber Einfühlung und Takt bei der Darstellung eines Sekten- und Familiendramas im geteilten Deutschland. Jedoch ist es wohl schon lange her, daß in einer deutschen Zeitung in so offener Form intellektuelle Sippenhaftung gefordert und der ge-wünschte Maulkorb für den Neffen mit den Taten des Onkels begründet wurde.

Nicht vererbt, sondern erworben:
Sprachregelung der Kultlobby und Stasi-Methoden
Auch die bei Kultlobbyisten inzwischen wohl vorgeschriebene herabsetzend gemeinte Bezeichnung von Sektenaussteigern als "Apostaten" darf bei Besier nicht fehlen.
Als gegnerisch empfundenes Engagement kann Besier nur mit abwertenden Beiworten beschreiben. Da ist vom "Pape-Trio" die Rede, ja die drei werden sogar zu einem ganzen "Clan" perhorresziert.
Engagement, Broterwerb, Schriftstellerei? - Nein, unser WELT-bekannter Vielschreiber weiß es selbst anders: Es setzt jemand "seine ganze verbissene Energie" ein...
Interessant ist, daß Rezensent Besier neben seinen scharfen persönlichen Angriffen auf die Papes kein einziges kritisches Wort zum Inhalt des so "besprochenen" Buches verliert. Ob man deshalb soweit gehen kann wie Klaus-Dieter Pape, der aus der fehlenden inhaltlichen Auseinandersetzung ironisch folgert, da Besier "weder an dem Buch meines Vaters noch an meinem Buch inhaltlich etwas auszusetzen hat, gehe ich davon aus, daß er uns in unserer Analyse und Darstellung der Zeugen Jehovas und der Wachtturmgesellschaft zustimmt" muß wohl bezweifelt werden.

Offensichtlich werden unwissenschaftliche Arbeitsmethoden nicht vererbt, sondern erworben. Mit seiner mißratenen Buchbesprechung hat Besier gegen die von ihm selbst ins Spiel gebrachte Vererbungslehre wenigstens für einen Teilbereich und für sich selbst eine andere Deutung für Eifertum und Anwendung fragwürdiger Methoden nahegelegt. Man muß sich nämlich fragen, ob Gerhard Besier, der sich seinen Namen bei der Dokumentation von Stasi-Machenschaften und Stasi-Verstrickungen gemacht hat, von den in diesem Zusammenhang studierten, immer personenbezogenen Methoden der "Bearbeitung" von Gegnern zu sehr affiziert worden ist. Mir scheint jedenfalls, sein aktuelles publizistisches Engagement für Sekten und Psychogruppen zeigt, daß er verlernt hat, was heute zu den Regeln seriöser wissenschaftlicher Arbeit und Kritik, auch und gerade in einer Buchbesprechung, gehört:
"Go for the ball, not for the man".



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