Seite 34-38 weiter Seite 39-40 (14 KB) | BERLINER DIALOG 18-19, 3/4-1999 - Epiphanias 2000 |
Eines der beachtlichsten Phänomene in der Szene neuer religiöser Bewegungen und Strömungen ist die "Charismatische Bewegung" im christlichen Bereich. Während New-Age-Bewegung und Esoterik auch in der religionssoziologischen Forschung eine gewisse Beachtung gefunden haben, wird die "charismatische Bewegung" mit ihren Aktivitäten, Zweigen und Strömungen oft als antiquiert oder gar als atavistisch unterschätzt und daher selten wissenschaftlich untersucht. Wir stellen das Buch mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor durch einen Auszug aus seinem 4. Kapitel, in dem Kern den Stellenwert der "Geistlichen Kriegführung" in Teilen der "Charismatischen Bewegung" untersucht, vor. - Red. |
Geistliche Kriegsführung
Gerade in der charismatischen Bewegung finden sich zahlreiche Elemente, die an den volkstümlichen Dämonenglauben anknüpfen. Damit ist nicht nur der sogenannte "Befreiungsdienst" als zeitgenössische Variante der Dämonenaustreibung gemeint, sondern auch die "geistliche Kriegführung". |
In der charismatischen Bewegung spielen geistlicher Kampf und geistliche Kriegführung (1) in recht unterschiedlichen Bereichen eine Rolle. Ihre wichtigsten Anwendungsgebiete liegen in "Befreiungsdienst" (Exorzismus) und "Evangelisation". Da der Befreiungsdienst [im hier vorgestellten Buch - Red.] im Rahmen der charismatischen Seelsorgepraxis bereits angesprochen wurde [Vgl. ausführlich dazu Kapitel 3.2 des Buches von Thomas Kern über "Kennzeichen der charismatischen Bewegung", spez. S. 78 ff. zur Seelsorge. Red.], soll jetzt die Beziehung zwischen geistlicher Kriegführung und Evangelisation näher beleuchtet werden.
Geistliche Kriegführung und Evangelisation Dahinter steht die Vorstellung, daß Engel und Dämonen innerhalb dieser Gebiete miteinander kämpfen und daß die Christen durch ihr Handeln und Beten den Engeln und damit Gott selbst zum Sieg verhelfen können. (4)
Kampfansagen gegen die Mächte der Finsternis |
Dämonischen Hauptfürsten und die niedrigrangigeren dämonischen Streitkräfte Das zweite Exempel stammt von John Dawson, einem bekannten und einflußreichen Leiter des internationalen Missionswerks "Jugend mit einer Mission" (JmeM). Er beschreibt darin seine Vorgehensweise, nachdem er bemerkt hatte, daß sich im "JmeM-Zentrum" von Los Angeles einzelne Dämonen eingeschlichen hatten:
Geist der Verwirrung
Diese beiden Beispiele zeigen, daß die Charismatiker sehr konkrete Vorstellungen über die unsichtbare Wirklichkeit und ihre Wechselwirkung mit der sichtbaren Welt haben. Diese Vorstellungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Kriegerische Rasse
In diesen Worten drückt sich ein sozialer Anspruch aus. Die Charismatiker wollen die Gesellschaft beeinflussen; durch Erweckung soll das 'wahre' (evangelikal-charismatische) Christentum zur dominierenden kulturellen Kraft werden. Bis es soweit ist, regieren in der Gesellschaft finstere Mächte, gegen die ein gezielter geistlicher 'Schlag' geführt werden muß. Die Sprache, in der John Dawson dazu auffordert, klingt militärisch: |
Offensives Gebieten
Während solcher Gebetszeiten kommen alle beschriebenen charismatischen Elemente zur Anwendung: Glossolalie, Prophetie, Lobpreis etc. Was den Einsatz der Gabe der Geisterunterscheidung betrifft, die für diesen Dienst als unverzichtbar angesehen wird, zieht John Dawson einen Vergleich zur Gabe der Prophetie (19) |
Der Name des Dämons
Geistliche Kriegführung in Hauskreis und Gemeinde
Politische Dimensionen Viele Charismatiker sehnen sich nach vergangenen Zeiten zurück, in denen das Christentum noch eine dominierende gesellschaftliche Kraft war. Es ist eine für den Fundamentalismus typische Tendenz, die Vergangenheit als 'goldenes Zeitalter' zu verklären und vor diesem Hintergrund die Gegenwart zu kritisieren und zu verurteilen. (21) In dem betont militärischen Vokabular der geistlichen Kriegführung und dem hierarchisch-autoritären Denken der Charismatiker [vgl. Kapitel 5.2 seines Buches, in dem Kern über "Autoritäre (Bewußtseins-)Strukturen" handelt] offenbart sich eine dualistische Tendenz, die zumindest latent extremistische Züge trägt, was sich unter anderem in einer tiefsitzenden Angst und Abwehr gegen alles äußert, was fremd ist [vgl. Kapitel 5.1 über "Fundamentalistische Tendenzen"- Red.]. Wie weit das gehen kann, zeigt der folgende Bericht aus dem Rundbrief der charismatischen Initiative "Fürbitte für Deutschland" (FFD), die von allen wesentlichen Leitern der neopfingstlerischen Bewegung und zum Teil auch von fahrenden volkskirchlichen Charismatikern unterstützt wird. Darin wird von einem vermeintlich durch geistliche Kriegführung verhinderten Bau eines islamischen Gotteshauses berichtet:
"Aachen: Gebet bezüglich Errichtung eines islamischen Zentrums erfolgreich. Es scheint so, als ob die Charismatiker versuchten, auf derartige Weise ihr politisches Ohnmächtigkeitsgefühl zu kompensieren. Langfristig können solche Praktiken zu einem gefährlichen Herd für sozioreligiöse Konflikte werden. Womöglich wird die Gesellschaft dann jene 'Geister', die durch die Charismatiker herbeigerufen wurden, nicht mehr los. |
Fürbitte für Deutschland |
Jesus-Märsche |
Der äußeren Form nach ist eine gewisse Nähe zu den traditionellen (katholischen) Prozessionen nicht zu übersehen. Neben der geistlichen Kriegführung, das heißt der geistlichen und symbolischen 'Einnahme' (23) des 'feindlichen' Terrains, versucht die charismatische Bewegung, auf diese Weise in der Öffentlichkeit positiv auf sich aufmerksam zu machen.
Kampfspiritualität als christlich verbrämter Gegen-Okkultismus
Nach Ansicht von K. H. Eimuth und L. Lemhöfer handelt es sich bei der geistlichen Kriegführung um eine Art 'christlich verbrämten Gegen-Okkultismus'.(29) Das heißt, die Charismatiker versuchen, mit Hilfe von unsichtbaren und übernatürlichen Kräften die Ereignisse in der sichtbaren Wirklichkeit zu beeinflussen. Diese Form der Einflußnahme auf gesellschaftliche Prozesse dürfte gerade heute auf viele eine große Anziehungskraft ausüben. In der individualisierten Gesellschaft kann sich der einzelne angesichts der Zusammenballung von großen, komplexen und undurchschaubaren Institutionen gegenüber politischen und sozialen Entwicklungen schnell ohnmächtig, hilflos und ausgeliefert fühlen. Mit der Geistlichen Kriegführung bekommt er einen vermeintlichen Einfluß auf Vorgänge, die ihm in unerreichbare Ferne gerückt schienen. Er scheint das Weltgeschehen plötzlich wieder ganz im Griff zu haben und erlebt sich nicht nur als Lenker seines eigenen, sondern auch des Schicksals der gesamten Menschheit. Das bisher unscheinbare 'Rädchen' bekommt plötzlich eine 'kosmische' Bedeutung und findet zu einem neuen Selbstbewußtsein.
Kopfermann erwähnt nun einige Fälle für die Anwendung der geistlichen Kriegführung. Darunter ist einer, der wiederum die Initiative "Fürbitte für Deutschland" betrifft: |
Kritikvermeidung durch Kampf nach außen
Dr. rer. soc. Thomas Kern, 31, studierte Soziologie in Frankfurt/Main und Bamberg. Er arbeitete im Referat für Weltanschauungsfragen des Bistums Limburg und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bamberg im Fachbereich Religionssoziologie. (Abdruck des Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.)
Anmerkungen |
Ende Seite 34-38 |