Seite 31-33 weiter Seite 34-38 (59 KB) | BERLINER DIALOG 18-19, 3/4-1999 - Epiphanias 2000 |
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Die Rezension |
Hüttl, Horst: Die Sri-Chinmoy-Bewegung im deutschsprachigen Raum. Der Guru Sri Chinmoy: Sein Leben und Wirken. Sein Selbstverständnis und seine Lehre. Seine Bewegung und deren gesellschaftliche Akzeptanz. - Kalsdorf: Eigenverlag 1998, kart. ISBN 3-9500991-0-7.
Deskription oder Kritik Ob es sich um Psychogruppen, esoterisch-hermetische Gruppierungen oder um Reformbemühungen östlicher Religionen handelt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob das noch weithin vorherrschende Ideal einer rein philologisch-deskriptiven Ausrichtung der religionswissenschaftlichen Disziplin, die sich "ab ovo über die Edition, Übersetzung und Kommentierung altehrwürdiger Texte der Weltreligionen definiert, einfach auf die Beschäftigung mit zeitgenössischen religiösen Erscheinungen übertragen werden kann. Nur am Rande sei hier angemerkt, daß auch eine Beschäftigung mit den Weltreligionen, die sich als rein deskriptiv versteht, naiv genannt werden muß angesichts einschlägiger Einsichten der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Ideologiekritische Überlegungen zeigen, daß die Benennung des eigenen Erkenntnisinteresses, des eigenen kulturellen Vorverständnisses nicht einfach nur zum "gentleman agreement, sondern zum notwendigen Bestandteil wissenschaflichen Arbeitens gehört. |
Apologie statt Wissenschaft Damit bleibt die Arbeit allerdings hinter dem Anspruch zurück, unter dem zeitgenössische Geisteswissenschaft und selbst die oft als unwissenschaftlich geschmähte christliche Theologie inzwischen antreten: Nämlich keine Propaganda für die jeweilige Kirche oder Bewegung zu betreiben (auch nicht durch "bloß deskriptive Zitation" etwa von Enzykliken des Papstes), sondern sich vor dem Forum historischer und philosophischer Vernunft kritisch Rechenschaft über die jeweiligen Glaubenslehren zu geben.
Devote Zuarbeit Für Leser, die sich kritisch mit der Chinmoy-Bewegung beschäftigen, hält die Arbeit Hüttls allerdings eine Fülle von akribisch recherchierten Detailinformationen über Biographie, Lehre und Organisation bereit, die v.a. auf die große Anzahl von Publikationen Chinmoys selbst sowie auf Interviews mit "Disciples" und "Centre Leadern" sowie mit Chinmoy selbst fußen. Ein Wert, der durch die zwar werbend kommentierte, nicht aber kritisch reflektierte Rezitation von Primärtexten aus der Chinmoy-Bewegung allerdings wieder konterkariert wird.
So wird das Engagement Sri Chinmoys für den Frieden einfachhin in seinen Formulierungen übernommen, ohne es kritisch gegenzulesen und etwa nach praktischen Auswirkungen zu fragen. Man muß schon völlig die Distanz zur westlichen Guruszene verloren haben, um in solchem Engagement selbstlosen Einsatz für den Frieden erkennen zu können. Engagement für den Frieden impliziert Selbstlosigkeit. Während der Friede selbst jedoch konturlos bleibt, tritt bei den Werbekampagnen die Person Chinmoy's deutlich in den Mittelpunkt des Geschehens. Im Kapitel "Chinmoy im Gespräch mit bedeutenden Menschen unserer Tage (59-71) werden die Kontakte zu Politikern und "Päpsten" (!) - ebenso wie in Chinmoys Selbstdarstellungen als Erweis seiner Seriosität eingeführt, ohne den Aspekt der Eigenwerbung auch nur zu erwähnen. Unter der Überschrift "Kritische Betrachtung" wird ausgerechnet der umstrittene österreichische Altbundespräsident Kurt Waldheim als Zeuge für die Freiwilligkeit der Kontakte Chinmoy's angeführt (68ff). Nicht nur F.W. Haack mit seiner frühen Kritik der "Jugendreligionen, sondern auch die Arbeiten R. Hummels, werden mit einem apologetischen Absatz ("ohne jegliche Begründung und Beweisführung, 68) abgetan, die Arbeit Th. Gandows wird hier erst gar nicht erwähnt. Die knappe Beschreibung der Organisation der Chinmoy Bewegung (155-167) stützt sich ebenfalls fast ausschließlich auf Selbstaussagen Chinmoy's . Die Analogie der Gehorsamsforderungen zum christlichen Priester- und Ordensleben wird betont (159), kritische Fragen, etwa nach der üblichen vollständigen Lösung der Disciples aus dem normalen sozialen Rhythmus und dem Berufsleben, der Doppelmitgliedschaft (z.B. Chinmoy/katholische Kirche) oder der Finanzierung der Bewegung durch vom Guru streng eingeforderte sportliche oder werbetechnische Höchstleistungen bleiben entweder aus oder werden mit Aussagen Chinmoy's beantwortet. Im Kapitel "Meditation und Yoga als unverzichtbare Elemente" (168-190) wird die Meditation auf ein Photo Chinmoys und die daran anschließende Kritik eines Personenkults mit der Auskunft des Gurus selbst "they are not concentrating on the physical, not on me as Sri Chinmoy but on the Supreme (die transreligiöse Gottheit Anm. d. Verf.) in me (178) hingenommen. Die Fragen, wie sich eine rein geistige Entität wie der "Supreme" im Photo eines Menschen darstellen soll und wie Personenkult vermieden wird, wenn Name und Photo Chinmoy's als Mediationsmittel empfohlen werden, werden nicht gestellt. In der heiklen Frage nach familiären und sozialen Bindungen (199-205) findet sich neben zustimmender Zitation immerhin eine vage Aussage über mögliche Schwierigkeiten. Sicherlich kann ein "musikalischer Laie (218) wie der Vf. kein Urteil über das überbordende Kunstschaffen Chinmoy's abgeben; muß er deshalb aber kritische Stimmen von Musikkritikern als "nicht seriös" bezeichnen (216 ff) und stattdessen Autoritätenzitate aus den Chinmoy-Werbebroschüren ebenso unkritisch zu übernehmen wie die fragwürdige Aussage Chinmoy's "Ich habe die Bilder nicht gemalt. Es ist der höchste Schöpfer, der in mir und durch mich malt." (219)? Die mit Hilfe eines Fragebogens an die 7 "Centres" erhobenen aufschlußreichen Zahlen über Größe, interne Struktur und Geschichte der Chinmoy-Bewegung in Österreich (Erste Aktivitäten 1972, 1997 ca. 200 Disciples bei großer Fluktuation) werden interessanterweise nicht als soziologisches Zahlenmaterial und damit notwendiger Bestandteil einer religionswissenschaftlichen Untersuchung eingeführt, sondern mit der Intention, das Bild zu widerlegen, "das die österreichischen Medien durch ihre Berichterstattung vermitteln" (222). Auch bei den Darstellungen der Bewegung in Deutschland und der Schweiz, die kritisch gelesen durchaus wertvolle Informationen enthalten (245-257), überwiegt das verteidigende vor dem informierenden Interesse. Im Kapitel "Gesellschaftliche Akzeptanz" (258-287) läßt sich die Funktion des Autors schließlich nur noch in der eines Anwalts für die unbeeinträchtigte öffentliche Werbung der Chinmoy-Bewegung ausmachen, zumal, wenn er im zweiten Teil das öffentliche Echo auf das von ihm selbst 1997 veranstaltete "Indienfest und die dabei zu überwindenden Widerstände en detail (auf elf Buchseiten) schildert. |
Der Guru Sri Chinmoy |
R. Hummel war in der Beurteilung des westlichen Guruismus und den damit verbundenen interkulturellen Spannungsfeldern zu einem ausgewogenen Urteil gekommen, das sich v.a. durch Einbeziehung des westlichen Menschenbildes auszeichnete. Hüttl hingegen formuliert nach einer ausführlichen Zitation von Selbstzeugnissen ("Sri Chinmoys Samadhis", 87-90), der Erörterung der Frage "Sri Chinmoy ein Avatar?" (100-102) und der Thematisierung des Guru-Disciple Verhältnisses (102-113) unverbindlich, "daß es im religiös-spirituellen Bereich durchaus üblich ist, Gehorsam zu verlangen (107) und daß "es den alten' Kirchen nicht erspart bleiben [wird], sich innovativ und konstruktiv mit neohinduistischen Strömungen auseinanderzusetzen". Kein Wort über die unverhohlenen Drohungen Chinmoy's an seine Disciples bei Gehorsamsverweigerung. Statt dessen folgt die Anwendung äußerst mißverständlicher religionsgeschichtlicher Aussagen zum Phänomen indischer Gurus auf Sri Chinmoy: "Weg zur intuitiven Erkenntnis des reinen absoluten Seins"[...], "mystische Vereinigung mit der persönlichen monotheistischen [!] Gottheit, der Ort, wo der menschgewordene Gott und der gottgewordene Mensch einander begegnen und die Grenzen zwischen Immanenz und Transzendenz bis zur Unkenntlichkeit zerfliessen." Hier schwimmen Transzendenz und Immanenz ineinander - sie voneinander zu trennen, war einmal die religionsgeschichtlich bedeutsame Leistung der jüdischen und in ihrer Nachfolge der großen monotheistischen Religionen gewesen. Ebenso fließen unter den Händen S. C.'s - eine eigene Position Hüttls ist nicht zu erkennen - die Differenzen der Weltreligionen ineinander. Eine solide Kenntnis des Christentums bei S. C. wird nicht belegt, dennoch werden seine Vorstellungen von Jesus Christus wohlwollend zitiert (126 ff): Aufgabe der Einmaligkeit seines Erlösungsgeschehens, Jesus Christus als Reinkarnation Krishnas, Prozeßchristologie, Aufenthalt in Indien. Darüber hinaus wird hier wie an anderer Stelle die Wahrung der Differenz zwischen den Religionen, die Voraussetzung jedes interreligiösen Dialogs sein muß, mit Verweis auf den individuell-meditativen Zugang eines jeden Einzelnen aufgegeben (130 ff).
Kirche und Chinmoy-Bewegung Die Arbeit endet mit der Diskussion eines Problems, das - wie der Vf. selbst zugesteht - "in der Praxis dem Seelsorger kaum begegnet" (315), der Sakramentenspendung an "Disciples". In allen Fällen kommt er - gottlob - zu einem abschlägigen Ergebnis, die ernsthafte Diskussion - etwa der Firmspendung an (erwiesenermaßen nicht existierende) jugendliche Disciples - mutet jedoch wie viele Passagen der Arbeit überflüssig und leicht ridikül an. Im "Schlußwort (323-324) nennt Hüttl die Chinmoy-Bewegung eine "gesellschaftliche Realität" mit "erstaunlicher Medienpräsenz". Er klassifiziert sie als legitime "Hindusect" mit westlicher Inkulturation und lehnt die Bezeichnung "destruktiver Kult ab. Abschließend fordert er rechtliche Anerkennung und gesellschaftliche Akzeptanz sowie Abbau der Mißverständnisse und Dialogbereitschaft von seiten der Kirchen. Insgesamt gibt die Abfassung einer 337seitigen Dissertation der Chinmoy-Bewegung eine Bedeutung, die ihr de facto weder quantitativ noch qualitativ zukommt. Die Arbeit erfüllt v.a. aufgrund der einseitigen Darstellung und Beurteilung den Tatbestand einer nicht einmal subtilen Werbung für eine verschwindend kleine neohinduistische Bewegung ohne ausgearbeitete Lehre, deren vom Autor beklagte negative Medienpräsenz in den deutschsprachigen Ländern vor allem auf die Doppelbödigkeit eigener bombastischer Werbeunternehmungen zurückzuführen ist. Dr. Joachim Valentin studierte röm.-kath. Theologie, Philosophie und Latein. 1996 promovierte er in Freiburg mit einer Arbeit zur theologischen Relevanz des französischen Philosophen und Literaturwissenschaftlers Jaques Derrida. In diesem Kontext beschäftigte er sich u.a. mit dem Talmud und seiner spezifischen Weise der Schriftauslegung. Nach einer Ausbildung zum Pastoralreferenten im Bistum Limburg arbeitet er heute als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Religionsgeschichte der Universität Freiburg. |
Anmerkungen 1 Aus der kaum mehr zu überschauenden Diskussion seien als für den deutschen Diskurs besonders wirkungsvoll genannt: Gadamer, H.-G., Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen4 1975 und Habermas, J., Erkenntnis und Interesse, Frankfurt a.M. 1968 ff. 2 Auch hier kann nur stellvertretend für eine breite Diskussion hingewiesen werden auf Verweyen, H., Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie, Düsseldorf 1991f. 3 Haack, F.-W., Europas neue Religionen. Sekten - Gurus - Satanskult, Freiburg-Basel-Wien3 1993. 4 Hummel, R., Gurus, Meister, Scharlatane, Freiburg-Basel-Wien 1996. 5 Gandow, Th., Guru Chinmoy und die Sri-Chinmoy-Bewegung. "Oneness-Home-Friedenlauf" / "Friedenskonzerte" / "UNO-Meditation", München 1993. 6 Gandow, Th., a.a.O., 45ff. 7 "Zusammenfassend kann ich sagen, daß ich aus Gesprächen heraus (sic!) bei einzelnen Disciples Entwicklungen beobachten konnte, die ein natürliches [?] Konfliktpotential in sich bergen, weil sie sich ganz auf den Kreis der Disciples zurückzogen und mit Andersdenkenden und Andersglaubenden nicht mehr verkehren wollten" (203). 8 Eine "symbolische Aktion", dem "Dialog mit indischer Spiritualität in der Steiermark gewidmet" (270), veranstaltet am 20. und 21. Juni 1997 in der Pfarrgemeinde des Autors, Kalsdorf. Elemente waren: eine Podiumsdiskussion zwischen Weltanschauungsbeauftragten und Hindutheologen, Informationsstände, ein "peace run" der Chinmoy-Bewegung, eine Ausstellung sowie eine sogenannte Versöhnungsmeditation in der Pfarrkirche. 9 "Die im Westen wirkenden indischen Gurus sind in der Regel keine authentischen Gurus im Sinne des klassischen indischen Guruideals, aber auch nicht pauschal als Schwindler abzutun". In: Gasper, Müller, Valentin, Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen. Freiburg-Basel-Wien (Herder) 1997, 422. "Man muß aber sehen, daß die Abwertung des Ego in den östlichen Religionen mehr ist als ein Herrschaftsinstrument. [...] der [mit dem Guruismus verbundene Anm.d.Verf.] Ich-Abbau als solcher [macht] nicht unfähig zu einem Leben in der heutigen Welt, obgleich er am Ende doch eher in östliche Kulturen paßt als in den Westen." Ders., Gurus, Meister, Scharlatane, a.a.O., 35. 10 Rein quantitativ und angesichts von weltweit (!) ca. 5200 Disciples und mehr als 1,5 Milliarden ChristInnen eine gewagte Forderung, die zu Hüttls Vorgabe einer rein deskriptiven Untersuchung nicht so recht passen will. 11 Sri Chinmoy: Everest-Strebsamkeit Teil 2, Rede vom 18. Juli 1977, 6.55, 14-17, zit. Gandow, a.a.O., 23ff. 12 Steinmann, R. M., Guru-Sisya-Sambandha, Das Meister-Schüler-Verhältnis im traditionellen und modernen Hinduismus. Beiträge zur Südasienforschung, Südasieninstitut, Universität Heidelberg, Bd. 109, Stuttgart 1986, 247, zit. Hüttl, 115. 13 Wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, ist nur die katholische Kirche gemeint. 14 Vgl. u.a. Schwager, R. (Hg.), Christus allein? Der Streit um die pluralistische Religionstheologie. (Questiones Disputatae 160) Freiburg-Basel-Wien 1994. |
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