1996: Vatikan und Moskau gemeinsam besorgt über Ausbreitung von Sekten
Interkonfessionelle Konferenz sollte Klärung schaffen
In einer KIPA-Meldung vom 22.12. 96 zum Thema Proselytismus hieß es:
Der Vatikan und das russisch orthodoxe Patriarchat von Moskau sind besorgt über die Ausbreitung und die Aktivitäten von Sekten und neuen religiösen Bewegungen in Rußland und Lateinamerika. Sie stellten eine "ernste Gefahr für das religiös-moralische Fundament der christlichen Gemeinschaften" dar, heißt es zum Abschluß einer Sitzung von Vertretern beider Seiten in Moskau.
Die vom römischen Kurienkardinal Edward Cassidy und Metropolit Kyrill vom Außenamt des Moskauer Patriarchat geleiteten Delegationen sprachen sich für die baldige Einberufung einer interkonfessionellen Konferenz von Theologen, Kirchengeschichtlern und Missionswissenschaftlern zu diesem Thema aus.
Ein solches Treffen wäre ein wichtiger Beitrag, um das religiöse Leben der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche "unbeschadet und vollständig" zu bewahren, heißt es in dem am 21. Dezember im Vatikan veröffentlichten Communiqué.
Verhältnis Katholiken Orthodoxe erörtert
Weiteres Thema der bilateralen Kommission, die in bestimmten Abständen Probleme zwischen dem Vatikan und der russisch-orthodoxen Kirche erörtert, war die angespannte kirchliche Situation in der West-Ukraine und in Transkarpatien. Das Verhältnis zwischen den Orthodoxen und den mit Rom unierten ukrainischen Katholiken sei weiterhin "schwierig und gelegentlich kritisch", so das Communiqué.
Die orthodoxe Seite bekundete ihre Sorge über die Expansionsversuche der unierten Ukrainer auf dem "orthodoxen Territorium der Ost-Ukraine". Tagungsteilnehmer hätten auf "Kundgebungen religiöser Intoleranz und Nationalismus" hingewiesen, die bis zu Formen der Gewalt reichten, heißt es in dem Schlußtext. Die 1993 erzielten Vereinbarungen zwischen den Kirchen, wnoach physische, verbale und moralische Gewalt zu vermeiden seien, würden nicht überall umgesetzt. Mit dem politischen Umbruch in Osteuropa und dem Wiedererstarken der unter den Kommunisten verbotenen katholischen Ostkirche wurde das ökumenische Klima vor allem in der ehemaligen Sowjetunion wie in Rumänien stark belastet. Vor allem die ukrainischen Katholiken verlangen ihr unter Stalin konfisziertes und teilweise von den Orthodoxen benutztes Kircheneigentum zurück. (Q: KIPA, Rom, 22.12.96 kipa/r/gs)
Metropolit Augoustinos: Proselytismus überholt
Udo Hahn, theologischer Redakteur der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" fragte Metropolit Augoustinos von der Griechisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland im Rahmen eines Interviews für den Rheinischen Merkur vom 27. Februar 1998.
In den Ländern Osteuropas wehren sich die orthodoxen Kirchen zu Recht gegen das Engagement von Sekten. Sie wehren sich aber auch gegen den Ausbau lutherischer oder katholischer Gemeinden, weil sie fürchten, ihnen würden Gläubige abgeworben werden. Angesichts der um sich greifenden Säkularisierung in jenen Ländern und vor dem Hintergrund, daß viele Menschen aufgrund atheistischer Propaganda keine religiösen Beziehungen entwickelt haben: Ist es nicht besser, einer, der keiner Kirche angehörte, wird Lutheraner oder Katholik, wenn er sich in die orthodoxe Tradition nicht einfinden kann, als daß er am Ende Atheist bleibt?
Bischof Augostinos antwortete: "Im ökumenischen Zeitalter ist jede Art von Proselytismus (Anm.: Abwerbung von Mitgliedern anderer Kirchen) überholt. In schwierigen Situationen sollte man den ökumenischen Partnern konkrete Hilfe gewähren, damit sie mit den Problemen der durch Atheismus und Säkularisierung entstandenen Lage fertig werden. In unserer Lage der Migration mit ihren Problemen erfuhren wir selbst solche Hilfe von den deutschen Kirchen, wofür ich dankbar bin. Übrigens bringen Proselyten nichts, sie schaffen höchstens Probleme."
Karekin I.:
Armenien ist kein Missionsgebiet
Auch das Oberhaupt der ArmenischApostolischen Kirche, seine Heiligkeit Karekin I., wurde bei seinem Besuch Ende Januar und Anfang Februar 1998 in Deutschland für den epd von Frank Kürschner-Pelkmann zum Thema "Proselytismus" befragt.
epd: Es gibt einige Kirchen und Missionsorganisationen im Westen, die der Auffassung sind, daß sie in Armenien eine Missionsaufgabe haben. Wie reagieren Sie auf solche Missionsaktivitäten?
Karekin I.: Ich kann solche Vorhaben radikaler evangelikaler Kirchen im Westen nicht gutheißen. Der Grund ist, daß das Konzept von Mission, wie es uns unser Herr Jesus Christus gelehrt hat, darin besteht, zu denen zu gehen und das Evangelium zu predigen, die keine Christen sind. Im 28. Kapitel des Matthäusevangeliums heißt es in den letzten Versen, daß die Jünger zu denen gehen sollen, die das Evangelium noch nicht gehört haben. Christus hat nie gesagt, daß wir einen Christen dazu bringen sollen, von einer Konfession zu einer anderen zu wechseln. Osteuropa im allgemeinen und besonders Armenien als Missionsfeld anzusehen, ist ein großer historischer Fehler. Es verletzt uns tief, wenn Menschen mit dem Verständnis nach Armenien kommen, sie kämen in ein Missionsgebiet. Ich habe einigen von ihnen gesagt: Wenn ihr wirklich Jesus nachfolgen wollt, dann geht in andere Länder, denn bei uns ist der christliche Glaube bereits zu Hause. Wenn ihr das christliche Leben in unserem Land stärken möchtet, dann helft der Kirche und baut nicht parallele und konkurrierende Strukturen auf.
(Quelle: Die Kirche, Berlin, 15. Februar 1998, S. 4; Karekin I. wurde im April 1995 zum Katholikos aller Armenier gewählt. Vorher stand er an der Spitze der armenischen Christenheit im Libanon. Er hat in vielen ökumenischen Gremien mitgearbeitet und war zeitweilig stellvertretender Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen. Der Armenisch-Apostolischen Kirche gehören in Armenien selbst 3,5 Millionen Mitglieder und in der weltweiten Diaspora vier Millionen Mitglieder an. In Deutschland leben etwa 40.000 Armenier, von denen die weitaus meisten Christen sind. Die Armenisch-Apostolische Kirche wurde schon im Jahre 301 zur Staatsreligion in Armenien. Sie ist eine der ältesten noch bestehenden Kirchen auf der Welt.)
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