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BERLINER DIALOG 22, 3-2000 Martini

 DIALOG & APOLOGETIK

Stichwort: Zeugen Jehovas
Von Rüdiger Hauth

Entstehung und Geschichte
Die heute als Jehovas Zeugen oder Zeugen Jehovas bekannte Sekte wurde gegründet von Charles Taze Russell, geboren am 16. Feb. 1852 in Allegheny/Pennsylvania. Seine Eltern gehörten der Presbyterianischen Kirche an.

Als 15jähriger beschäftigte er sich intensiv mit religiösen Fragen und schloß sich 1870 einer adventistischen Splittersekte an, den Second Adventists. Von deren Vorstellungen, z. B. der Berechenbarkeit des Zeitpunkts der Wiederkunft Christi und des Endes der Welt, wurde er stark beeinflußt. Die Zusammenarbeit mit der Splittersekte dauerte einige Jahre.
Nachdem er sich im Streit von ihr getrennt hatte, brachte Russell 1879 eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Zion's Wachtturm" heraus, um seine inzwischen gewonnenen Erkenntnisse und Lehren besser verbreiten zu können. 1881 gründete er die "WachtturmTraktat­Gesellschaft". In den folgenden Jahren entstand sein Hauptwerk, die "Schriftstudien". Gleichzeitig unternahm er zahlreiche Reisen, 1903 auch nach Deutschland, um seine Anhänger zu besuchen. Er starb am 31. Oktober 1916 während einer Vortragsreise in Texas.
Mit der Gründung dieser "Wachtturmgesellschaft" im Jahre 1881 beginnt auch die Geschichte der "Ernsten Bibelforscher", die im Sommer 1931 den Namen "Zeugen Jehovas" bekamen.

Präsidenten der Gesellschaft
Russells Nachfolger im Präsidentenamt, Joseph F. Rutherford (1869­1942), der mit Hilfe von Intrigen und brutaler Macht an die Spitze gekommen war, führte zahlreiche Neuerungen ein, die schließlich in der Errichtung einer geistig-geistlichen Diktatur mündeten. So wurde 1932 die "Leitende Körperschaft" in der Zentrale in Brooklyn/N.Y. zum "Kanal Jehovas" erklärt, dem bis heute exklusive Befugnisse der Verwaltung und alle Entscheidungen hinsichtlich der Lehre zustehen.
Sechs Jahre später hatten sich alle Zeugen Jehovas per Erklärung diesem Diktat zu unterwerfen oder die Organisation zu verlassen. Auf Rutherford geht auch das System der statistischen Berichte und das der "Königreichssäle" (Versammlungshäuser) zurück.

Der dritte Präsident Nathan H. Knorr (1905­1977), sorgte für eine weltweite Ausbreitung der Wachtturm­Ideologie und entwickelte eine Reihe von Schulungstechniken (z.B. die Theokratische Predigt-dienstschule), die jegliches kritische Denken ausschalten.

   Die Wachtturmgesellschaft versucht mit Broschüren
wie dieser, ihr Sektenimage zu überwinden.  

Jehovas Zeugen, Broschüre
"Menschen wie du und ich"?
(Archiv Berliner Dialog)

Unter seinem Nachfolger, Frederick Franz (1893­1992), erreichte die Sekte die Höchstzahl an "Verkündigern" (im Jahre 1998 waren es 5,4 Mio, davon rund 166.000 in Deutschland), durchlief aber auch einige Krisen.
Seit Dezember 1992 amtiert der fünfte ZJ­Präsident, Milton G. Henschel, geboren 1920.

Lehre und Praxis
Zu den wichtigsten Begriffen der Lehre der Wachtturm-Gesellschaft gehört "Harmagedon" (nach Offenbarung 16, 16), womit in der Wachtturm-Gesellschaft die bald stattfindende apokalyptische Endschlacht Gottes gegen das "Böse" in der Welt gemeint ist, bei der nur Jehovas Zeugen überleben werden.

Die von den christlichen Kirchen vertretene Trinitätslehre wird scharf abgelehnt, die Bibel streng wörtlich und als "Gesetzbuch Jehovas" interpretiert; unter anderem wird die besondere Lehre der Jehovas Zeugen zur "Blutfrage" (Verbot von Blutttransfusionen) mit dem biblischen Verbot des Blutverzehrs begründet. Alle kirchlichen Feiertage, insbesondere Weihnachten und Ostern, gelten als "heidnischen Ursprungs". Typisch für Jehovas Zeugen ist ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, der sogenannte "Felddienst". Dazu gehören unter anderem das "Wachtturm­Stehen" auf belebten Straßen und Plätzen und die "Mission von Tür zu Tür".

Ein dunkler Punkt im ZJ­System ist der unnachgiebige Umgang mit Kritikern in den eigenen Reihen. Diese werden ohne Rücksicht auf das soziale Umfeld (Familie, Freunde) aus der Gemeinschaft entfernt, d.h. mit "Gemeinschaftsentzug" bestraft. Nach einem Jahr erfolgt entweder die "reuevolle Rückkehr" des Betreffenden oder sein endgültiger Ausschluß.

Struktur und Zahlen
Die Struktur der Sekte ist streng hierarchisch von oben nach unten geordnet. Diese Organisationsstruktur wird als "theokratisch" bezeichnet. Für die einzelnen "Verkündiger", man spricht bislang nicht von "Mitgliedern", gibt es keine demokratische Mitsprache oder eigene Entscheidungsmöglichkeiten.

Die WTG nennt darum in ihren statistischen Veröffentlichungen nicht die Zahl der "Mitglieder", sondern diejenige von "Verkündigern", d.h. der aktiv im Werbedienst stehenden Menschen.
Für das Jahr 1999 werden 5.912.000 "Verkündiger" in 89.985 Versammlungen in 234 Ländern und Gebieten angegeben.
In Deutschland gab es 1999 167.497 Zeugen Jehovas in 2.114 Versammlungen. Sitz der deutschen Leitung ist Selters/Taunus.

Beurteilung
Konfessionskundlich gesehen stellen Jehovas Zeugen mit ihrer Wachtturm-Gesellschaft den Typ einer gesetzlichen Endzeitsekte dar. Lehrsystem und das von den einzelnen »Verkündigern« praktizierte Verhalten im Alltag ist auf das für die nahe Zukunft erwartete »Ende der Geschichte und der Welt« (»Harmagedon«) hin ausgerichtet. Ihr Selbstverständnis ist exklusiv: Nur die der »Theokratischen Organisation« Zugehörigen werden »Harmagedon« überleben, während andere Menschen und Strukturen dem Untergang geweiht sind. Lehrinhalte, die ein krasses Mißverstehen biblischer Texte widerspiegeln, werden vom "Kanal Jehovas" doktrinär und autoritär an die unteren Ebenen weitervermittelt: Widerspruch wird nicht geduldet und auch nicht geübt. Die Sektenführung arbeitet gegenüber den "Verkündigern" im wesentlichen mit den Instrumenten "Angst" (vor dem Ausschluß und damit vor der ewigen Verdammnis) und "Verheißung" (Leben auf einer paradiesischen Erde). Von den Verkündigern selbst wird die totale "Hingabe an Jehova" gefordert, d.h. die nach Stunden meßbare Leistung für die Wachtturm­Gesellschaft.

Probleme und Entwicklungen
Mit der Zugehörigkeit zur Sekte verändert sich das Wesen und Denken eines Menschen radikal. Die von der Sektenführung festgelegte Abgrenzung gegenüber Staat und Gesellschaft wird von den einzelnen "Zeugen" strikt beachtet und macht sie in vielen Ländern der Welt zu völligen Außenseitern (keine Geburtstagsfeiern, keine christlichen Feste, Probleme im schulischen Bereich, usw.). Dies gilt, mit Ausnahmen, auch für das soziale Umfeld von Familie, Nachbarschaft und Beruf. Besonders in Familien, in denen nur ein einzelner Zeuge Jehovas ist, bleiben negative Folgen für das Zusammenleben erfahrungsgemäß nicht aus.
Bisweilen gibt es Ausnahmen, und in letzter Zeit versuchte die WTG z.B. mit ihrer Broschüre »Jehovas Zeugen - Menschen aus der Nachbarschaft. Wer sind sie?« (1996) das Außenseiter-Image etwas zu mildern und Jehovas Zeugen als »Menschen wie du und ich« darzustellen.
In diesem Zusammenhang sind in letzter Zeit auch Image-Kampagnen der Wachtturm­Gesellschaft etwa im Hinblick auf die Problemfelder Wehrersatzdienst (Zivildienst), "Blutfrage" und Beteiligung an Wahlen zu beobachten.

Buchempfehlungen zu Jehovas Zeugen

Borchers-Schreiber, Gerd: Mein Leben als Zeuge Jehovas. Bericht eines Aussteigers.
DM 16,80; 111 S.; 1999; Gütersloher Verlagshaus; ISBN: 3579011421

Doyon, Josy: Hirten ohne Erbarmen. Zehn Jahre Zeugin Jehovas - Der Bericht eines Irrweges. DM 34,00; 332 S.; 4. Aufl. 1990; Theologischer Vlg. Zürich; ISBN: 3290114031

Franz, Raymond: Der Gewissenskonflikt. Menschen gehorchen oder Gott treu bleiben? DM 34,00; 392 S.; 3. aktualisierte und ergänzte Aufl. 1996; Claudius Vlg. München; ISBN: 353262074X

Garbe, Detlev: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im 'Dritten Reich'. DM 98,00; 605 S.; 4. Aufl. 1998; Oldenbourg Vlg. München; ISBN: 3486564048

Haack, Friedrich-Wilhelm; Gandow, Thomas: Jehovas Zeugen. DM 9,80; 108 S.; 16. aktualisierte und erweiterte Aufl. 1997; Evangelischer Presseverband München; ISBN: 3583506081

Köppl, Elmar, Die Zeugen Jehovas, Eine psychologische Analyse; Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen; 2. Aufl. München 1990; 232 S.; DM 48.-

Pape, Günther: Die Zeugen Jehovas. Ich klage an. Bilanz einer Tyrannei. DM 24,90; 304 S.; Pattloch Vlg. Augsburg 1999; ISBN: 3629008593

Pape, Klaus-Dieter: Die Angstmacher. Wer (ver)führt die Zeugen Jehovas? DM 26,80; 283 S.; St. Benno Vlg. Leipzig 1998; ISBN: 3746212685

Joseph Wilting: "Das Reich, das nicht kam. 40 Jahre hinter der prächtigen Fassade der Zeugen Jehovas, Vlg. IKS Garamond, 280 S., DM 35; ISBN 3-934601-01-4

Wunderlich, Gerd: Jehovas Zeugen. Die Paradies-Verkäufer. Erfahrungen auf einem Irrweg; DM 22,80; 231 S.; 4. Aufl. 1994; Claudius Vlg. München; ISBN: 353262009X.


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