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| BERLINER DIALOG 17, 2-1999 Johannis - Martini DIALOG & APOLOGETIK |
Von der Nähe Christi
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"Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand (Mk 13,32) - eine knappere und richtigere Antwort auf das mancherorts künstlich angeheizte Endzeitfieber zur Jahrtausendwende wird man von seiten der Kirchen kaum finden können. Wenig bekannt und beachtet ist dabei, daß es auch in dem sich herausbildenden Luthertum nach dem Tod des Wittenberger Reformators im Jahre 1546 eine starke apokalyptische Strömung gab. An ihr kann man beispielhaft sehen, wie eng Endzeiterwartung einerseits unauflöslich mit der christlichen Existenz verbunden ist - und wie fern andererseits diese christlichen Endzeiterwartungen von der Fixierung auf bloße Kalenderdaten sind. Die Schar der Auserwählten - von Albrecht Dürer |
Jahreszahlen Doch zeigt schon dieser Spruch selbst, daß man keineswegs auf die exakte Jahreszahl 1588 fixiert sein mußte, war es doch auch hiernach keineswegs sicher, daß dann der Weltuntergang erfolgen würde. So hatte dann auch der Stendaler Pfarrer Daniel Schaller keine Bedenken, gleich zu Beginn des Jahres 1589 vor der Meinung zu warnen, man sei "mit dem 88. Jahr über den Angstberg hinüber - die Nähe des Endes der Welt blieb gewiß, obwohl diese Weissagung speziell ihr Ziel nicht erreicht hatte. Die Jahreszahlen waren austauschbar, die Gewißheit des nahen Endes aber blieb.
Wissenschaftliche Absicherung
Für die Chronistik hatten die Lutheraner ein Standardwerk zur Verfügung: die von Philipp Melanchthon überarbeitete Weltchronik des Johannes Carion. Das Bemerkenswerte an diesem Buch war, daß es eine nach damaligen Maßstäben wissenschaftlich fundierte, durchgehende Zählung der Weltzeit seit der Schöpfung bot. Diese gelehrte Arbeit wurde zur Grundlage apokalyptischer Prophetie, weil Melanchthon selbst sie mit einer Stelle aus dem Talmud, einem angeblichen Spruch aus dem Hause des Elia, verbunden hatte, der lautete: Dieses Schema schien durch die Weltchronik Carions bestens bestätigt, datierte diese doch das Jahr der Geburt Christi in das Jahr 3963 nach der Schöpfung der Welt - demnach wäre der Messias in der Tat etwa 4000 Jahre nach der Schöpfung der Welt erschienen. Wenn das Schema der Elia-Weissagung aber soweit wissenschaftlich abgesichert war, konnte man auch auf die weiteren Aussagen vertrauen: Demnach würde die Welt mit Sicherheit vor dem 6000. Jahr untergehen - und es war nur noch die Frage, wieviel Zeit "an diesen Jahren ... fehlen würde, das heißt: um wie viele Jahrhunderte früher das Ende eintreten würde. Auf den verschiedensten Wegen kamen die Lutheraner nun zu der Überzeugung, daß dies doch einige Jahrhunderte sein würden, das Ende also noch zu ihrer Zeit hereinbrechen würde. Dies konnte neben der Geschichtswissenschaft auch die Astronomie belegen: Cyprian von Leowitz, Hofastronom in Pfalz-Neuburg, legte im Jahre 1564 eine Berechnung vor, in der er aufzeigte, daß im Zeitraum 1583/4 eine ganz besondere Himmelskonstellation auftreten würde: Ein Zusammentreffen der höchsten Planeten unter der Herrschaft der drei feurigen Himmelszeichen Widder, Löwe und Schütze. Die dabei vorausgesetzten astronomischen Theorien - die Einteilung des Himmels in vier Dreiecke aus jeweils drei Sternzeichen und die Lehre von den "Konjunktionen, den Zusammenkünften der Planeten - hatten eine Vorgeschichte, die bis in die Astronomie des Mittelalters zurückreichte. Entscheidend war für Leowitz, daß er hier aufgrund einer aus ganz anderen Interessen entstandenen wissenschaftlichen Lehre die Besonderheit seiner eigenen Zeit aufweisen konnte: Das von ihm beschriebene Himmelsphänomen trat, so konnte er zeigen, nur alle achthundert Jahre auf. Zuletzt also war es kurz vor dem Jahr 800 aufgetreten, in dem Karl der Große gekrönt wurde, davor vor Christi Geburt: Angesichts solcher hervorgehobener Ereignisse war nun nach Leowitz zu erwarten, daß wieder Großes geschehen würde - und da nach der Elia-Weissagung damit zu rechnen war, daß die Welt untergehen würde, ehe noch einmal - rechnerisch im Jahre 6400 - eine solche Himmelserscheinung auftreten würde, konnte die jetzt zu erwartende in den Augen des Astronomen nichts anderes bedeuten als eben das Ende der Welt.
Zeichen der Zeit
Mit der Gleichsetzung von Papsttum und Antichrist war die mittelalterliche Antichristlegende aus dem reformatorischen Bewußtsein gestrichen, wonach dreieinhalb Jahre vor dem Ende der Zeiten eine böse, widerchristliche Figur auftreten sollte. Nun, nach Luthers Verständnis, war der Antichrist schon längst in der Welt und heimlich am Werke - die eigentliche endzeitliche Aufgabe war es, ihn aufzudecken. War aber die Reformation selbst ein Ereignis der Endzeit, so lag es nahe, daß das Selbstverständnis der Erben der Reformation durch und durch apokalyptisch geprägt war. Die Auffassung, daß der Papst der Antichrist sei, wurde geradezu zu einem lutherischen Bekenntnissatz, und das Reformationsjubiläum des Jahres 1617 war entsprechend an vielen Orten nicht nur historischer Rückblick, sondern vor allem auch Einordnung der Reformation in das apokalyptische Geschehen.
In Sachsen-Weimar etwa wurde für den 31. Oktober 1617 nicht nur die Predigt über IIThess 2 vorgeschrieben, die klassische Bibelstelle für die Antichristlehre; hinzu kam ausdrücklich auch die Forderung nach einer Predigt über Mt 24, 23-26, wo Christus im Rahmen seiner Verkündigung vom Weltende vor den falschen Christussen warnt: Gerade die Nähe des Endes macht die Notwendigkeit, sich an den wahren Christus zu halten, deutlich, der wahre Christus aber verweist auf eben dieses Ende. Und wer sich in den reformatorischen Kirchen an ihn halten wollte, konnte sich der Nähe dieses Endes gewiß sein. |
Christliche Existenz
Wenn die Bußmahnung ihr Ziel im neuen Wandel erreicht, hat Gott keinen Grund mehr zu strafen, das heißt: Gottes Strafwille gilt nur so lange, wie der Mensch bei seinem strafwürdigen Verhalten bleibt. Läßt der Mensch hiervon ab, so kann auch Gott seine Strafe wieder aufheben. Das bestätigte den Apokalyptikern des 16. Jahrhunderts nicht nur der erwähnte Ez-Vers, sondern auch die Jona-Erzählung von Ninives Buße: Die Christen können, so wird durch dieses biblische Erfolgsmodell versichert, durch Buße Gottes Wirken zu ihren Gunsten beeinflussen, sie können Gott dazu bewegen, mit seinem Strafen einzuhalten:
Damit entsteht in der apokalyptischen Botschaft eine gelegentlich an offenen Selbstwiderspruch grenzende, mindestens aber latente Spannung zwischen der Endzeitverkündigung und ihrer Relativierung: Gerade wenn die apokalyptische Botschaft ihr Ziel erreicht, daß nämlich die Menschen Buße tun, wird sie selbst unnötig, weil dann das Ende nicht mehr droht. Dieser latente Widerspruch hebt sich erst dann auf, wenn man sieht, daß auch für die Menschen dieser Zeit das Entscheidende an ihrer apokalyptischen Botschaft gerade nicht die genauen Terminberechnungen oder die Ausmalungen eines äußerlich hereinbrechenden Endes sind, sondern daß es ihnen auf etwas anderes ankommt: Ganz gelassen vermerkt etwa der Erfurter Lehrer Basilius Faber in seiner Schrift "Von den letzten Hendeln der Welt" nach einer Aufzählung von fünf Berechnungsweisen für den Termin des Weltendes: Gerade weil der Zeitpunkt des Endes letztlich unergründbar ist, ist der Kerngehalt der apokalyptischen Botschaft jederzeit zu vernehmen: Das Himmelreich ist nahe, das heißt: Christus ist nahe. |
Das Entscheidende der lutherischen Apokalyptik liegt also nicht in den Zahlen, die für das Jahr des Weltendes errechnet werden, sondern in der durch sie ausgedrückten Existenzaussage:
Dr. Volker Leppin, 32, |
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