Wolfgang Thielmann, Redakteur des Rheinischen Merkur, erlaubte dem Berliner Dialog, sein Interview mit Werner Rudtke, dem Vorstandssprecher der Wachtturm-Gesellschaft aus dem Rheinischen Merkur Nr. 10 vom 09.03.2006 abzudrucken. http://www.merkur.de/11052.0.html
Herzlichen Dank!
Werner Rudtke, der Sprecher des Vorstands, gibt Auskunft.
RHEINISCHER MERKUR: In Berlin können die Zeugen Jehovas Körperschaft des öffentlichen Rechts werden. Sie haben gesagt, dieser Status werde Ihre Religionsausübung vereinfachen. Was haben Sie jetzt vor?
WERNER RUDTKE: Wir werden genau überlegen: Welches der möglichen Rechte passt zu unserer Religion, die auf den Lehren der Bibel aufbaut? Deswegen brauchen wir ein bisschen Zeit, um das umzusetzen.
Es hat während der rechtlichen Auseinandersetzungen Kritik auch aus den eigenen Reihen gegeben: Sie predigten Abstand zum Staat und suchten doch seine Nähe.
Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das nicht so ist. Wir haben jetzt die rechtliche Anerkennung des Staates erlangt. Wir sind ihm nicht näher gerückt.
Wie finanzieren sich die Zeugen Jehovas?
Wir leben von Spenden. Aber wir machen den Mitgliedern überhaupt keine Vorgaben.
Unsere Statuten sagen, dass wir nicht zum Spenden auffordern. Wenn wir etwas planen, etwa eine Kongresshalle, sagen wir den Brüdern, was wir haben und was wir brauchen. Ähnlich ist es in jeder örtlichen Versammlung. Und es kommt immer genug zusammen.
Wie viel ist es denn im Jahr?
Wir geben die Einnahmen auf der jährlichen Mitgliederversammlung bekannt. Das Finanzamt kennt sie auch. Wir halten sie also nicht geheim, aber wir veröffentlichen sie auch nicht. Im Jahrbuch wird nur bekannt gegeben, mit welcher Summe Jehovas Zeugen weltweit Sonderpioniere, Missionare und reisende Aufseher unterstützen. Das belief sich 2005 auf über 104 Millionen Dollar.
Wie viel geht aus Deutschland in die Zentrale nach New York?
Unsere Einnahmen werden für die Evangeliumsverkündigung in Deutschland verwendet. Auch geben wir Schrifttum für 34 Länder, das in der deutschen Zentrale gedruckt wird, kostenlos ab. Nach New York gehen keine Gelder.
Sie sind überzeugt, als einzige Organisation die Bibel richtig zu verstehen. Wie hat nach Ihrer Vorstellung die Botschaft Jesu zwischen den ersten Christen vor 2000 Jahren und den ersten Zeugen Jehovas im späten 19. Jahrhundert überlebt?
Zeugen Jehovas gab es immer. Wir können uns deshalb auch vorstellen, dass es selbst im so genannten finsteren Mittelalter Zeugen Gottes gab. Manche haben sich intensiv für die Verbreitung des Wortes Gottes eingesetzt, etwa Jan Hus, Martin Luther oder John Wyclif. Dafür werden sie wohl bei Jehova eine ziemliche Anerkennung genießen. Bei ihrer Auferstehung werden wir sehen, ob sie Zeugen Jehovas waren oder auf dem Weg dahin. Es ist zu wenig über ihr Leben bekannt, um das jetzt schon genau zu sagen.
Warum grenzen Sie sich so scharf von den Kirchen ab? Sie bezeichnen sie als Hure Babylon.
Wir machen einen Unterschied zwischen den Menschen und den Organisationen. Wir haben nicht die Absicht, sie zu beleidigen, sondern wir geben ihnen allen Zeugnis. Vom Papst bis zum Obdachlosen unter der Brücke. Wir lieben sie alle. Wenn diese Leute aber falsche Lehren proklamieren, müssen wir das offen sagen. Wie sich die Kirchen etwa im Dritten Reich verhalten haben, das war absolut nicht in Ordnung. Auch bei den Auseinandersetzungen zwischen Hutu und Tutsi in Afrika hatte die Kirche die Hände im Spiel.
Was machen die Kirchen falsch?
Zum Beispiel mischen sich die Kirchen in die Politik ein, statt sich neutral zu verhalten; deshalb sprechen wir, wie die Bibel in der Offenbarung des Johannes, von der Hure Babylon. Selbst das Papsttum ist falsch, weil es sich biblisch nicht nachweisen lässt.
Können Sie sich vorstellen, daß Zeugen Jehovas ihren exklusiven Anspruch mildern und mit Kirchen zusammenarbeiten? Auch auf anderen Feldern haben sie ihre Lehren geändert. Vor zehn Jahren wurde das Nein zum Zivildienst zurückgenommen. Die Ablehnung einer Bluttransfusion gilt, wie im Rahmen der Prozesse um die Körperschaftsrechte gesagt wurde, offenbar nicht mehr als "imperatives Glaubensgebot" wie noch 1999, dessen Übertretung zum Ausschluss führt; und zur Wahl kann ein Zeuge Jehovas seit 1999 auch gehen.
Das ist nicht ganz richtig. Wir sind weiterhin politisch neutral und lehnen Bluttransfusionen ab. Jeder, der seinen Glauben ernst nimmt, sollte ihn für den wahren halten. Warum sollte man sonst dafür eintreten? Deshalb suchen wir die Gespräche auf der Grundlage der Bibel, auch mit Kirchenvertretern.
So, wie Sie sie verstehen?
Ja.
In Ihren Schriften wird ein distanziertes Verhältnis zur akademischen Ausbildung sichtbar. Warum?
Wir sind nicht gegen akademische Ausbildung. Wir raten jedoch den jungen Leuten, genau zu bedenken, warum sie eine solche Ausbildung wollen. Wenn sie damit noch besser für das Königreich Jehovas tätig sein können, dann haben wir nichts dagegen. In den derzeit laufenden Wochenendschulungen für unsere 27.000 Ältesten und Diakone heißt ein Vortrag: "Die Überlegenheit der göttlichen Bildung". Wir haben selbst gewisse Bildungsmöglichkeiten, darunter eine Missionarsschule in den USA, Schulen für junge Menschen, die sich als Diakone qualifizieren; wir haben in den Ortsversammlungen die so genannte Predigtdienstschule, wo man lernt, an den Türen mit Menschen zu sprechen. Die biblische Bildung lehrt das Leben zu meistern, ohne dass man dafür akademisch viele Jahre ausgebildet werden müsste.
In Europa verlieren Sie Mitglieder.
Es ist richtig, dass in fast ganz Europa nur eine geringe Zunahme zu verzeichnen ist. In den europäischen Ländern hat das Interesse an der Bibel nachgelassen. Wenn wir Gespräche anbieten, zum Beispiel darüber, warum Gott Leid zulässt, dann habe viele Menschen heute einfach gar kein Interesse mehr daran. Viele haben mit der Religion abgeschlossen. Unser Predigtdienst von Haus zu Haus geschieht immer noch mit einer großen Intensität, aber die Resonanz ist nicht mehr so da.
Beteiligen Sie sich selbst eigentlich auch daran?
Ja, und ich lasse mich auch rausschmeißen und abweisen. Der Predigtdienst von Haus zu Haus ist das Rückgrat unseres Gottesdienstes. Jesus hat es gemacht, die Apostel, und wir tun es auch.
Kostet Sie das Überwindung?
Es bedeutet eine Überwindung, weil es nicht unbedingt ganz natürlich ist. Aber gemäß dem Apostel Paulus befinden wir uns in einem geistlichen Krieg. In einem Krieg ist auch nichts natürlich. Und nach mehreren Türen gewöhnt man sich auch daran. Predigen ist ein Auftrag von Jesus, und daher kommen wir ihm nach.
Stehen auch genauso viele stumm mit dem "Wachtturm" in der Hand in den Fußgängerzonen wie früher?
Wir tun das vielleicht nicht mehr so intensiv, sondern geben informell Zeugnis. Wir sprechen die Leute verstärkt an. Das hat einen hohen Beliebtheitsgrad gefunden.
Eng zusammenlebende Gemeinschaften wie Ihre entwickeln einen hohen Innendruck auf die einzelnen Mitglieder. Sehen Sie darin ein Problem?
Nicht unbedingt. Ein Heranwachsender mag vielleicht am deutlichsten sehen, dass andere Menschen anders leben als seine Familie. Ob er das als Druck empfindet, hängt wahrscheinlich davon ab, ob seine Eltern es schon in jungen Jahren verstanden haben, ihn darauf vorzubereiten.
Rechnen Sie damit, dass dasTausendjährige Reich zu Ihren Lebzeiten anbricht?
Wir entnehmen der Bibel, dass wir seit 1914 in der Zeit des Endes leben. Damals begann der Abschluss dieser Weltordnung. Seither sind über 90 Jahre vergangen. Die etwa 40 Zeichen, die Jesus erwähnt hat, sind alle erfüllt. Daher sagen wir: Das Ende ist absehbar. Ob zu meinen Lebzeiten - das weiß ich nicht. Es hat in der Geschichte der Zeugen Jehovas feste Daten gegeben. Da hatten Menschen zu große Erwartungen.
Hat der Streit um die Mohammed-Karikaturen in Ihren Versammlungen eine Rolle gespielt?
Nein. Wir lesen und betrachten dort die Bibel und beschäftigen uns mit unseren Lehren.
Das Gepräch führte Wolfgang Thielmann.
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