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Themenschwerpunkt Anthroposophie | BERLINER DIALOG 29, Juli 2006
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Schwarz-Weiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners *
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Zum Diskussionsstand | Jana Husmann-Kastein |
Neben der aufgestellten These, Steiners anthroposophischem Denksystem sei ein antisemitisches, rassistisches und völkisches Menschenbild inhärent, wurde zudem kritisiert, dieses würde in Teilen der aktuellen Waldorfpädagogik bis heute tradiert. In den Jahren 2000/2001 erreichte die Diskussion um Steiner und die aktuelle Waldorfpädagogik durch TV-Berichte, vor allem das ARD-Magazin "Report aus Mainz" mit insgesamt drei Sendungen (vom 28.02.2000, 10.07.2000, 9.04.2001), eine größere Öffentlichkeit und Brisanz. Teil der öffentlichen Kritik waren hierbei Beschwerden von Eltern über Thesen zu 'Rassen' und 'Atlantis' in den Schulheften ihrer Kinder.2 Besonders brisant: Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, bestätigte Berichte des TV-Magazins über Vorfälle von Antisemitismus an Waldorfschulen in Deutschland.3 Zudem stellte das Bundesfamilienministerium einen Antrag bei der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften, der sich nicht auf Steiners Werk, wohl aber auf die Publikation eines seiner Schüler bezog, nämlich das Werk von Ernst Uehli: "Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst" von 1936, das WaldorflehrerInnen auf einer Literaturliste für den Geschichtsunterricht der 5. Klasse empfohlen wurde. Der Titel wurde zurückgezogen, die Diskussion insgesamt jedoch verschärft. So wendete sich die Auseinandersetzung auch ins Juristische. Es kam zu juristischen Schritten des "Bundes der Freien Waldorfschulen" u.a. gegen "Report aus Mainz" 2000/2001 und die Vereinigung "Aktion Kinder des Holocaust", die sich ebenfalls rassismuskritisch geäußert hatte.4 Erst kürzlich wurde die Rassismuskritik in den Medien erneut breiter aufgegriffen und kontrovers diskutiert.5 |
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1 Rassismus- und Antisemitismus-kritische Veröffentlichungen zur Theosophie und Anthroposophie liegen u.a. vor von: Barth, Claudia: Über alles in der Welt: Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2003; Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1999; Ditfurth, Jutta: Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1996; Ditfurth, Jutta: Feuer in die Herzen. Plädoyer für eine ökologische Linke Opposition. Carlsen Verlag, Hamburg 1992; Geden, Oliver: Rechte Ökologie. Umweltschutz zwischen Emanzipation und Faschismus. Elefanten Press. 2. Aufl. Berlin 1999; Grandt, Guido / Grandt, Michael: Schwarzbuch Anthroposophie. Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung. Ueberreuter Verlag, Wien 1997; Körner-Wellershaus, Ilas: Sozialer Heilsweg Anthroposophie. Eine Studie zur Geschichte der sozialen Dreigliederung Rudolf Steiners unter besonderer Berücksichtigung der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde. Vorgelegt der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. VDG, Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft. Bonn 1994 (1993); Let, Petrus van der: Bedenkliche Ansichten Rudolf Steiners über Rassen. In: TANGRAM. Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR, Bern, Nr.6, März 1999, S.50-56, www.infosekta.ch/is5/gruppen/anthroposophie1999.html ;
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Abwehr der Kritik in Deutschland |
Zur historische Situierung Steiners und zur Geschichte des rassentheoretischen Denkens |
In der Konstruktion Europäer versus Außereuropäer22 verweltlicht sich diese symbolische Struktur in der Inszenierung vom Kultur- versus Naturmenschen. |
Zeitalter und Kulturepochen, "Wurzel"- und "Unterrassen" - Überblick 26
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Bei Steiner ergibt sich entsprechend folgende Zuordnung: "Afrika" und die "schwarze Rasse" stünden für "Kindheitsmerkmale", "Asien" und die "gelbe" oder "bräunlichen Rassen" für "Jugendmerkmale", Europa für "reifste Merkmale" und Amerika assoziiert Steiner mit dem "Absterben der Menschheit"40. Aus Carus' 'planetarischem Modell' der "Tag-, Nacht- und Dämmerungsvölker"41 , übernimmt Steiner unter anderem auch die Identifizierung der sogenannten 'Indianer' durch das Bild der Abenddämmerung sowie Carus' Gedanken ihres vermeintlich naturgemäßen Aussterbens. Bei Steiner wird dies mit seinem karmisch spiritualistischen System verknüpft:
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Hautfarbendiskurs |
Ich möchte im Folgenden nur noch kurz auf zwei weitere Aspekte eingehen, welche die rassentheoretische Konstruktionslogik bei Steiner verdeutlichen. Das erste ist der Zusammenhang von Physikalisierung und Spiritualisierung, das zweite ein weiteres Beispiel für die Übernahme des Biologismus seiner Zeit. Die Verbindung von 'physikalischen' und spirituell geladene Phänomenen zeigt sich unter anderem anschaulich in Steiners Konstruktion 'schwarzer' Haut im Verhältnis zum 'kosmischen Licht'. So schreibt er: "Diese Schwarzen in Afrika haben die Eigentümlichkeit, dass sie alles Licht und alle Wärme vom Weltraum aufsaugen. Sie nehmen das auf."57 In der Folge konstruiert Steiner einen Zusammenhang von 'schwarzer' Haut, Sonne, Hitze und 'Triebleben' und reproduziert so sozio-kulturell tradierte Zuschreibungsmuster.58 Diese basieren der Konstruktionslogik nach auf christlich farbsymbolischen Codierungen, in denen die Farbe Schwarz als Farbe des Teufels mit Sexualität und Sünde assoziiert ist. Werden im christlichen Kontext jedoch 'Sünder' und 'Heiden' schwarz codiert, so fließen im säkularen Kontext diese Traditionen in die Konstruktionen der 'schwarzen' und 'bunten' Haut strukturell ein. Das Bild der Triebhaftigkeit des 'Anderen' dient hier der Selbstkennzeichnung der Weißen Europäer durch Rationalität und Geist. So heißt es auch bei Steiner: "Und wir Europäer, wir armen Europäer haben das Denkleben, das im Kopf sitzt."59 An anderer Stelle greift Steiner das schon bei Carus vorzufindende Bild des Kohlenstoffs auf, um die vermeintliche 'Ich-losigkeit' der 'schwarzen Rasse' und somit ein Weißes Ich zu inszenieren:
Die Typologisierung entlang der Haare entspricht der Rassensystematik des Sozialdarwinisten Ernst Haeckel, lässt sich aber etwa auch an Thesen von Carl Gustav Carus und des 'Ariosophen' Lanz von Liebenfels anbinden. Hier ist der farbsymbolische Zusammenhang von Weiß, Geist und Rationalität entlang des blonden Haars in die menschliche Natur verlagert, zur vermeintlich biologischen Wahrheit und entsprechend verweltlicht worden.
Schlussfolgerung
Jana Husmann-Kastein, M.A. Kulturwissenschaft und Gender Studies, ist assoziiertes Mitglied des Graduiertenkollegs "Geschlecht als Wissenskategorie" der Humboldt-Universität zu Berlin.
57 "Und dieses Licht und diese Wärme im Weltraum, die kann nicht durch den ganzen Körper hindurchgehen, weil ja der Mensch immer ein Mensch ist, selbst wenn er ein Schwarzer ist. Es geht nicht durch den ganzen Körper durch, sondern hält sich an die Oberfläche der Haut, und da wird die Haut dann selber schwarz." Steiner, Rudolf: Vom Leben des Menschen und der Erde, Über das Wesen des Christentums. 13 Vorträge gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 17. Februar bis 9. Mai 1923. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1993 (GA 349 / TB 723), Vortrag vom 03.03.1923, S.55. |
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