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Themenschwerpunkt Anthroposophie | BERLINER DIALOG 29, Juli 2006
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Über die Christlichkeit der heutigen Christengemeinschaft
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Anlaß zu den folgenden Bemerkungen ist der Bericht einer gemeinsamen Gesprächsgruppe "Evangelische Kirche und Christengemeinschaft" von 1993 1 . Bei diesen Gesprächen, die Vertreter der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen (Stuttgart) und des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes (Bensheim) mit Repräsentanten der Christengemeinschaft (CG) geführt haben, ging es um den Versuch, "Möglichkeiten der Annäherung auch abseits der strittigen Tauffrage zu erkunden" (Begleitbrief zum Schlußbericht vom 7.7.93) 2 . Man gelangte nach ausführlichen Erwägungen über nach wie vor kontroverse Fragen schließlich zu dem Ergebnis, die Aufnahme offizieller Gespräche zwischen der EKD und der CG zu empfehlen 3 . Dies Ergebnis soll hier theologisch überprüft werden 4 .
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Oder ist trotz der beim Kult verwendeten, weithin biblischen Sprache6 eben doch deren "geisteswissenschaftliches" Verständnis das Eigentliche, so daß alle wahre Bedeutung des Gesprochenen und Praktizierten nur esoterisch ist? 7 Ist also der "Glaube" darum unbestimmt, weil Schau und Erkenntnis viel wichtiger sind und auch der Kult nur so im Vordergrund, weil er auf sie hinführt? Für die CG ist die Anthroposophie erklärtermaßen einerseits "Erkenntnishilfe" (16), andererseits ein nicht beliebiger, sondern "wesentlicher Verstehenshorizont" (16), der auch wieder nicht ausschließlich (ebd.) oder gar als Dogma gelten soll 8 .
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Die Bibel wird hier als faktisch unentbehrliche, aber prinzipiell zu überwindende Leiter zur Erkenntnis höherer Welten aufgefaßt 16 . Dazu paßt, daß die Erkenntnisse Steiners zwar "nicht durch die Aussagen der Bibel ... gewonnen" worden sind 17 , aber zu einer "großartigen Neuentdeckung der Bibel" führen 18 ; in der Anthroposophie "wird etwas ausgesagt über die Welten, von denen auch die Bibel redet" 19 bzw. von denen auch die biblischen Schriftsteller erzählen. Das besagt, diese Geisteswissenschaft wird zum allererst zureichenden Schlüssel für Bibel und Neues Testament. Die "Offenbarungswahrheiten der Bibel" 20 sind nicht etwa Inbegriff einer definitiven Selbsterschließung Gottes, sondern sind e i n e , vielleicht die geschichtlich entscheidende, Manifestation einer sogenannten göttlichen Welt (oder geistiger Welten), zu der (denen) es auch einen anderen Zugang gibt 21 . Die strenge Korrelation der Begriffe Offenbarung und Gott ist damit ebenso preisgegeben wie die Korrelation von Glaube und Offenbarung 22 (wobei ja Offenbarung primär nicht im Mitteilen von inhaltlichen Wahrheiten (im Plural!) besteht). 23 Außerdem verrät sich in der Rede vom Nichtausreichen der Worte eine prinzipielle Herabstufung des Wortes als Heilsmittel und Offenbarungsträger, von der später noch zu reden ist 24 . Es ist demgegenüber eine christliche Basisannahme, daß Gott das Heil zureichend dem (menschlichen!) Wort anvertraut hat und daher der Glaube am Worte hängt und in ihm sein Genüge findet. Weil am Anfang "das Wort" war, darf man niemals "das Wort so hoch nicht schätzen"!
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2. Der Kultus überhaupt |
Zweierlei ist vorderhand dazu zu sagen. Einmal ist die Anerkennung anderer Kirchen durch die CG als christlich, d. h. als von Christus getragen und gespendet (12), mühelos in das bisher skizzierte Gesamtverständnis der CG von christlicher Wahrheit einzuordnen. Ob hier mehr gemeint ist, als daß in den anderen christlichen Kirchen Abschattungen und Teilwahrheitsmomente des in der CG durch besondere Offenbarung erschlossenen universalen Christus sich finden, wäre erst noch zu eruieren. Jedenfalls ließe das holistische System der Anthroposophie, das ja immer auch historische Vorformen und schon vorhandene Samenkörner der umfassenden Wahrheit namhaft macht, ein solches Verständnis zu. Ein evolutionärer Eklektizismus wie der Steiners muß tolerant sein. Zweitens erhebt sich die theologische Frage nach dem Begriff von "unsichtbarer Kirche". Sie ist gemäß unseren Bekenntnisschriften nicht das universale Geisterreich aller irgendwie am Stufensystem der Wahrheit Partizipierenden, sondern sie ist vielmehr durch zweierlei definiert: a) die sichtbare (!) Bedingung rechter Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung (CA 7) und b) durch den wahren Glauben, den Gott allein kennt 42 . Unsichtbare Kirche kann darum nicht schon identifiziert werden mit dem Inbegriff aller sich irgendwie noch christlich Verstehenden im Sinne der Christengemeinschaft. Nach Artikel 11 ihres "Bekenntnisses" gehören alle diejenigen der einen Kirche überhaupt an, die Christus "in sich fühlen" bzw. "die heilbringende Macht des Christus empfinden". So versteht die CG offenbar ihr nicht-konfessionell-Sein 43 .
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Der Ausdruck "e i n Gotteswesen" ist zumindest bis zur Mißverständlichkeit ungeschickt. Wahrscheinlich dürfte doch gemeint sein: ein einziges - da allmächtig -, aber warum wird es nicht gesagt? "Gotteswesen" klingt freilich selber schon nach einem höchsten Wesen an der Spitze einer Stufenleiter von das All durchwaltenden sonstigen Wesen 47 . Auch das Interpretament "Daseinsgrund" (statt eindeutig Schöpfer) 48 akzentuiert eher das Getragensein der Geschöpfe als den qualitativen, unendlichen Abstand des Schöpfers. Diese Einzelheiten gewinnen eigentlich theologisches Gewicht erst wieder durch ihren spezifischen Verständniskontext; er deutet sich in dem befremdlichen Gottesattribut "geistig-physisch" an. Dahinter steht eindeutig Steiners Sicht der Weltentstehung und -entwicklung als eines kosmischen Emanationsprozesses: einer - für unseren Planeten in 7 Stufen - evolutionären Verdichtung des anfänglichen "Rein-Geistigen" ins Stoffliche und der Rückentwicklung vom Stofflichen zum Geistigen 49 . Hier steht nicht nur die Frage persönlicher Gottesbegegnung (21) an (z B. im Gebet) 50 , sondern vielmehr daß Gottes freies Schöpferhandeln in eine kosmische Evolution transformiert wird und so Gott nicht mehr er selbst bleibt, sondern sich in den Weltprozeß - als das diesen initiierende und durchwirkende geistig-physische "Gotteswesen" - hinein auflöst. Zwar sieht Steiner das Geistige an der Schöpfung darin, daß Gott "aus sich selbst" die Welt geschaffen habe: "aus seinem geistigen Innern hat er sie ans Licht gebracht" 51 .
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Aber beispielsweise auch bei Rittelmeyer werden vermittelnde "Zwischenreiche" postuliert, um die übliche, angeblich abstrakte Trennung zwischen Natur und Geist zu umgehen: "das Irdische ... noch erdenähnlich, aber schon geistig; ... das Geistige schon erdennah, aber noch geistartig" 62 . Das ist ein Exempel für dies tiefsinnig klingende, in Wahrheit völlig begrifflose, weltanschaulich erwünschte Reden von Geist in vagen Größenbestimmungen, das diesen, verstanden als "Geist-Welt" (!), faktisch materialisiert - trotz alles rhetorischen Protestes gegen solche "oberflächlichen" Urteile. Hier qualitative Differenz und Zusammenhang im Unterschied zu begreifen, wäre nur ein scharfes dialektisches Denken fähig. Dieselbe begrifflose Ahnung drückt sich auch in der Rede vom "höheren Bewußtsein" aus 63.
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"Die Anthroposophische Bewegung wendet sich an das Erkenntnisbedürfnis und bringt Erkenntnis; die CG wendet sich an das Auferstehungsbedürfnis [?] und bringt Christus" 79, so ist diese Unterscheidung gerade praktisch unbefriedigend, weil auch die religiöse Erfahrung nach Selbstverständigung und Vergewisserung im Denken sucht. Faktisch war auch historisch beides ursprünglich kein Nebeneinander, sondern in der Person von Rudolf Steiner vermittelt: Er selber, durch den die "Kultusoffenbarung" zur Gründung der CG führte, hat ihre Theologen mehrfach in Kursen über deren Bedeutung (und wohl auch: Zusammenhänge) unterrichtet 80 . Bis heute sind anthroposophische Einflüsse für das Verständnis zentraler theologischer Themen in der CG stark "mitprägend" 81.
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... den Willen Gottes wieder einzustimmen" 91. Auch die "Erlösung geschieht nicht ohne Beteiligung des Menschen ... Die durch den Sündenfall erlangte freie Entscheidung des Menschen wird anerkannt und aufgegriffen" 92. Hierher gehört wohl auch die Rede vom "verschütteten göttlichen Geistfunken im Ich des Menschen", der durch Christi Tod wieder aktiviert wird 93 . Jedenfalls spricht Rittelmeyer unumwunden von dieser Entscheidungsfreiheit des Menschen Gott und seiner Offenbarung gegenüber 94. Von Selbsterlösung könne indes darum nicht die Rede sein, weil eben Gnade und menschliche Willensanstrengung zur Hingabe zusammenarbeiten 95. Aber selbst noch den Karma-Gedanken versucht Rittelmeyer mit der Gnade auszugleichen 96 !
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Spätestens an dieser Stelle liegt eindeutig Synkretismus (Religionsmischung) vor119. Der Charakter der Taufe als grundlegende Sündenvergebung wird so völlig relativiert. |
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