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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

Zahlen-Mystik und Nummerologie

Die Welt der Zahlen hat die Menschen fast aller Kulturen seit Jahrtausenden fasziniert. Pythagoras (580-500 v. Chr.), der seinen berühmten Lehrsatz formulierte, hatte wohl nicht zu Unrecht gemeint, dass "die Zahl das Wesen aller Dinge" sei.
Naturbeobachter und Mathematiker, Esoteriker, Sektierer, Wahrsager und manch andere haben denn auch auf ihren ganz unterschiedlichen Arbeits- bzw. Interessensgebieten immer wieder versucht, das Geheimnis der Zahlen zu ergründen. Mit den jeweiligen Erkenntnissen ließen sich der Kosmos verstehen und das Leben ordnen, aber auch Phantasie und Aberglaube beflügeln sowie Scharlatanerie betreiben. Zudem ist die Zahlenmystik Bestandteil der Kultpraxis einer Reihe von Religionen.
Neben ihrer reinen Funktionalität in Mathematik, Statistik und Naturwissenschaft wurde und wird den Zahlen also auch eine esoterische Bedeutung beigemessen, die erkennbar in Zahlenmystik und Nummerologie, klarer ausgedrückt: zu Orakelzwecken, ihren Ausdruck finden.

Zahlenmystik
Mit Zahlenmystik wird im westlichen Kulturkreis der Versuch bezeichnet, in heiligen Schriften - und hier ist in erster Linie die Bibel gemeint - Hinweise auf eine geheime Weltordnung, auf zukünftige Ereignisse oder auf göttliches Planen und Handeln zu erkennen, Geheimnisse, die sich angeblich hinter bestimmten numerischen Angaben verbergen.
Da es in den Ursprachen der Bibel, Hebräisch und Griechisch, keine Zahlzeichen gibt, dienen die jeweiligen Alphabete der Wort- und auch der Zahlbildung, wobei den Buchstaben ein bestimmter Zahlwert zugeordnet wurde 47 . Auf diese Weise ließen sich, so glauben die Anhänger der Zahlenmystik, einzelne Wörter oder auch ganze Textabschnitte in Zahlenwerte verwandeln, aus denen dann die (geheimen) Botschaften herausgelesen werden könnten. Zwei Beispiele aus dem Alten Testament.
a) Der Name der Stadt Jerusalem ergibt mit seinen sechs hebräischen Buchstaben den Zahlenwert "586" (Jod=10; Resch= 200; Waw=6; Schin=200; Lamed=30; Mem=40), der als Hinweis auf das Jahr ihrer Zerstörung 586 v. Chr. gedeutet wurde.
b) Der Name des Königs Salomo entspricht dem Zahlenwert "375" (300/30/40/5). Gemäß Sprüche 10,1-22,16 werden von Salomo 375 Weisheitssätze überliefert. 1. Könige 4,32 zufolge habe er im ganzen aber 3000 Sprüche verfasst, also genau 8 mal 375, womit er eindeutig als "Autor" bestätigt sei.
Bekannter in diesem Zusammenhang sind die anhand biblischer Zahlenangaben vorgenommenen Endzeitberechnungen verschiedener christlicher Sekten und Sondergemeinschaften, z.B. diejenigen der Zeugen Jehovas und des Predigers William Miller (Wegbereiter der Siebenten-Tags-Adventisten). Der wichtigste Grund für das Scheitern aller Berechnungen dieser Art liegt darin, dass historische und symbolische Zahlen gleichberechtigt nebeneinander gestellt und vermischt werden, obwohl sie jeweils völlig Unterschiedliches aussagen wollen.
Die Kabbala, eine zwischen dem 3. und 5. Jh. entwickelte jüdische Geheimlehre, versuchte ebenfalls mit Hilfe der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets und der entsprechenden Zahlenwerte das Geheimnis der Schöpfung und das Wesen Gottes zu enträtseln und dem Mystiker einen Erkenntnisweg von der Vielfalt (der Schöpfung) zur Einheit (Gottes) zu weisen.

Ein Sonderfall: "Der Bibel-Code"
Im Sommer 1997 erregte ein Buch öffentliches Aufsehen, das vom Heyne-Verlag (hier in deutscher Übersetzung erschienen) als "das wichtigste Buch für das nächste Jahrtausend" bezeichnet wurde: Der Bibel-Code, verfasst von dem ehemaligen Polizeireporter der Washington Post Michael Drosnin. Dieser hatte während eines Aufenthaltes im Nahen Osten gehört, dass der an der Hebrew University in Jerusalem wirkende Mathematikprofessor Eliyahu Rips sich mit einem angeblich im Pentateuch (den fünf Büchern Mose) verborgenen "geheimen Code" beschäftigt und diesen entschlüsselt habe. Drosnin setzte sich mit Rips in Verbindung und schrieb dann seinen "Bestseller".
Rips hatte die 304.805 Buchstaben (nur Konsonanten) des hebräischen Textes in einen Computer eingegeben und dabei statistische und strukturelle Auffälligkeiten von Namen entdeckt. Er folgerte daraus, dass dort "Einzelheiten von Vorgängen" beschrieben seien, die erst Tausende von Jahren nach dem Abfassen der Bibel stattfanden.
Das Code-Knacken bestand darin, dass dem Computer als Stichwort ein aktueller Name oder Ort eingegeben wurde, den er suchen sollte. Zusammenhängend und als solchen fand der Computer die Vorgaben natürlich nicht, jedoch dann, wenn mehrere einzelne oder sogar viele Tausend Buchstaben übersprungen wurden. Außerdem wurde in den Textteilen, wie in einem Kreuzworträtsel, horizontal und vertikal gelesen.
Mit dieser Methode und mit Hilfe eigenwilliger Interpretationen kommt Drosnin zu Hinweisen auf die Französische Revolution, den Aufstieg und Untergang Hitlers, den Flug der Amerikaner auf den Mond, auf den Ausbruch des Golfkrieges 1991, auf die Ermordung Jitzchak Rabins und den Namen des Mörders Yigal Amir, und auf vieles andere mehr. Den Beginn eines Dritten Weltkrieges datierte er auf das Jahr 2112; einen "atomaren Holocaust" hatte er für 1996 vorausgesagt.
Nach dem Erscheinen des Buches distanzierte sich E. Rips von den phantasievollen Ausschmückungen Drosnins, blieb aber bei seiner Auffassung, dass der Text einen "geheimen Code" enthalte. Ein australischer Statistiker meint: "Gewisse Mustertypen treten zwangsläufig in großen Datenmengen auf." 48 

Nummerologie
Die Nummerologie (wörtlich "Lehre von den Zahlen") wird von ihren Anhängern als "eine der ältesten Geheimwissenschaften" bezeichnet, da sie schon von den Babyloniern, den Chinesen und anderen Kulturvölkern vor Jahrtausenden praktiziert wurde. Im Namen und Geburtsdatum eines jeden Menschen seien Zahlenwerte enthalten, die Rückschlüsse auf den Charakter und Lebensweg des Betreffenden zuließen. Diese Aspekte herauszufinden, sei das Anliegen der Nummerologie.
Hinter ihr soll ein "Prinzip der Schwingungen" verborgen sein, wobei die Gesamtheit der Zahlen von 1 bis 9 einen vollständigen "Schwingungszyklus" darstellten, da sich alle denkbaren Zahlen auf diese Ziffern zurückführen lassen, wenn man ihre Quersummen bildet. Nach der esoterischen Lehre von der Analogie ("wie oben, so unten") gelte weiterhin, dass die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos denjenigen auf der Erde entsprächen und hier ihre Wirksamkeit und Prägung durch die auf den Menschen ausstrahlende kosmische Schwingung entfalteten. Wer herausfinden will, welche "Lebenszahl" ihn durch die entsprechende Schwingung bestimmt, muss die Buchstaben seines Namens nach einem bestimmten Zahlenschlüssel in eine Zahl umwandeln und dann solange die Quersumme ziehen, bis sich eine einstellige Ziffer ergibt. Aus dem Addieren der Zahlen des Geburtsdatums erhält er seine "Glückszahl".

Als Zahlen-Buchstaben-Schlüssel wird am häufigsten das System des Pythagoras verwendet:
Es gibt daneben aber auch das System Cheiro,
das aus der kabbalistischen Tradition stammen soll:
1
A
J
S

 
2
B
K
T

 
3
C
L
U

 
4
D
M
V
 
 
5
E
N
W

 
6
F
O
X

 
7
G
P
Y

 
8
H
Q


 
9
I
R


 
1
A
I
J
Q
Y
2
B
K
R

 
3
C
G
L
S
 
4
D
M
T

 
5
E
H
N
X
 
6
U
V
W

 
7
O
Z


 
8
F
P


 

Mit den einzelnen "Lebenszahlen" werden folgende Eigenschaften, Fähigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen verbunden:
1 Individualität, Unabhängigkeit, Originalität, Initiative
2 Empfänglichkeit, Diplomatie, Zusammenarbeit
3 Lebensfreude, Kommunikation, Intelligenz, Optimismus
4 Ordnung, Struktur, Arbeit, Disziplin
5 Freiheit, Abenteuerlust, Beweglichkeit
6 Verantwortlichkeit, Liebe, Stabilität, Kunst
7 Wissen, Verständnis, Spiritualität, Weisheit
8 Geld, Macht, Selbstkontrolle, Entscheidungsfähigkeit
9 Dienst, Mitgefühl, Mitmenschlichkeit, Intuition

Heute lassen sich viele von den Vereinfachungen der Lebensvollzüge faszinieren, wie sie in der Nummerologie geschehen.
Im Hinblick auf die Orakeltechnik der Nummerologie bleibt eine Reihe von Fragen ungeklärt. Etwa: Nach welchem der vorliegenden "Systeme" soll man seine Zahlen ermitteln? Spielen alle Namen oder nur der Vor- und Familienname eine Rolle? Was bedeuten Künstlernamen, unter denen man bekannt ist? Wie steht es mit der Transkription fremdländischer Namen? Gibt es bei den Milliarden Menschen auf der Erde, ihre "Lebenszahl" betreffend, nicht sehr viel mehr und ganz andere Kombinationen von Fähigkeiten und Eigenschaften als diejenigen der obigen Liste?

Kritische Einschätzung
Zahlen sind in ihrer rationalen Funktion zur Erkenntnis und Entschlüsselung der Welt unverzichtbar.

Hingegen ist die Auffassung, dass bestimmte Zahlen eine verborgene Energie besäßen, die per se wirke oder die man sich für negative oder positive Ziele zunutze machen könne, als magische Vorstellung von einengender Wirkung abzulehnen.

Literatur
Jo Logan / Lindsay Hodson
, Die Kunst des Wahrsagens (Abschn. "Nummerologie": Econ Verlag, Düsseldorf 1983, 64ff.
Otto Betz, Die geheimnisvolle Welt der Zahlen - Mythologie und Symbolik, 1999

Anmerkungen
47 Dieser Zahlwert darf nicht verwechselt werden mit dem Symbolgehalt von Zahlen wie 3, 7, 12 in der Zahlensymbolik der Bibel.
 48 idea (Ev. Nachrichtenagentur), 59/97 vom 2. Juni.


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