Seite 12-13 n_rechtsweiter Seite 14-15 (75 KB) n_links Start-Seite 1
  

BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

Runenorakel

Eine gesicherte historische Einordnung der Entstehung ist nicht möglich. Der Ursprung wird den Etruskern ebenso zugeschrieben wie den Kelten oder den Germanen. Die Zeitangaben reichen bis 1500 v. Chr. Wichtiger erscheint den heutigen Runenanwendern der Hinweis, die Runen seien "aus einer magischen Tradition heraus entstanden"32 . Angenommen wird auch ihr sakraler Gebrauch bei den alten Germanen.

Odin selbst, so die Mythologie, empfing, neun Tage an der Weltenesche Yggdrasil hängend, die Runen (runa: "Geheimnis"; raunen: "flüstern").

138)  Ich weiß, dass ich hing am windigen Baum neun lange Nächte, vom Speer verwundet, dem Odin geweiht, mir selber ich selbst, am Ast des Baums, dem man nicht ansehen kann, aus welcher Wurzel er wächst.
(139)  Sie boten mir nicht Brot noch Horn; da neigt ich mich nieder, nahm die Runen auf, nahm sie schreiend auf, fiel nieder zur Erde. (…)
(142)  Runen wirst du finden und ratbare Stäbe, sehr starke Stäbe, sehr mächtige Stäbe, die Fimbulthul [Anm.: Odin] färbte und die großen Götter schufen und der hehrste der Herrscher ritzte.
(143)  Odin den Asen, den Alfen Dáin, Dwalin den Zwergen, Alswidr den Riesen; einige schnitt ich selbst.
(144)  Weißt du zu ritzen? Weißt zu erraten? Weißt du zu finden? Weißt zu erforschen? Weißt du zu bitten?  Weißt Opfer zu bieten? Weißt du zu senden,  Weißt du zu schlachten?33 

Ebenso wie die zeitliche Bestimmung, ist die ursprüngliche Anzahl der Runen unklar. Geläufig sind Einteilungen in ein "Älteres Futhark" mit 24 Runen, ein "Jüngeres Futhark" (16 Runen) und ein "Angelsächsisches Futhark" (33 Runen). Der Begriff Futhark wird erklärt durch den Zusammenschluss der ersten sechs Runen: Fehu; Uruz, Thurisaz, Ansuz, Raidha, Kenaz 34 .

Verwendet wird i.d.R. das 24teilige "Ältere Futhark". Dieses wird unterteilt in drei Aettir (Geschlechter): Freyrs-Aett, Hels-Aett, Tyrs-Aett35 . Dem ersten Aett, auch "Aett der Bauern", werden erschaffende Kräfte zugeschrieben. Das zweite Aett, "Aett der Zauberer", wirke beschützend, wohingegen das "Aett der Krieger" zerstörerische Kräfte habe.36 

Herstellung der Runen
Ursprünglich sollen die Runenzeichen in Holzstäbe eingeritzt worden sein. Heute lassen sich Runensteine aus unterschiedlichem Material finden. Bevorzugt sollten aber eigenhändig hergestellte Runensteine verwendet werden. Hierzu würde sich nahezu jedes Material eignen, in das man Runenzeichen einritzen kann. Notfalls reichen aber auch bemalte Kieselsteine aus. Eine Energetisierung oder Aktivierung mit eigener oder auch kosmischer Energie sei für die Runen und eventuell angefertigte Runenbeutel nötig, da diese Dinge als magische Gegenstände verstanden werden. "Ein Runenset hat an sich keinerlei Macht. (…) Die Runen müssen aktiviert werden." 37 

Das Runenorakel
"Auf Vorzeichen und Losorakel achtet niemand soviel, wie sie [Anm.: die Germanen]. Das Verfahren beim Losen ist einfach. Sie schneiden von einem fruchtbaren Baum einen Zweig ab und zerteilen ihn in kleine Stücke; diese machen sie durch Zeichen kenntlich und streuen sie planlos und wie es der Zufall will auf ein weißes Laken. Dann betet bei einer öffentlichen Befragung der Stammespriester, bei einer privaten der Hausvater, zu den Göttern, hebt, gen Himmel blickend, nacheinander drei Zweigstücke auf und deutet sie nach den vorher eingeritzten Zeichen."41 
Diese Schilderung von Tacitus aus dem Jahre 98 n. Chr., gilt als die ausführlichste Darstellung eines Runenorakels der Antike. Für heute werden unterschiedliche Methoden beschrieben, die Runen zu Orakelzwecken zu gebrauchen.
Vor der Prozedur gilt hinsichtlich der Fragestellung zu beachten: "Keine Ja- oder Nein-Fragen … Keine Suggestivfragen … Keine zu vagen Fragen … Keine zu präzisen Fragen"42.

Bedeutung der Runen
Es gibt verschiedene Deutungssysteme, die sich erheblich voneinander unterscheiden. In den verschiedenen Runentraditionen ist die Zuordnung von Gottheiten und Eigenschaften nicht einheitlich.
Da an dieser Stelle nicht alle Runen in ihrer Bedeutung beschrieben werden können, folgt hier ein Beispiel für eine esoterische Deutung:

Feoh (germanisch: fehu)
Lautzuschreibung F
Als Schlüsselwörter werden u.a. genannt:
Geld, Wohlstand,
Verluste, Geiz.38 
Haegl (germanisch: hagla)
Lautzuschreibung H
Schlüsselwörter: unvermeidlicher
Aufruhr, Diktat des Schicksals, Schöpfung u.a.39 
Tyr (germanisch: tiwaz),
Lautzuschreibung T
Schlüsselwörter: Leistung, Erfolg, Ungeduld,
unmäßige Ambitionen.40 
 

Methoden 43 
Die Runen können in einem Beutel (Kiste) oder - mit dem Bild nach unten - auf einer glatten Oberfläche gemischt werden. Für die horizontale Legung sollen, nach der Fragestellung, drei Runen entnommen werden. Die erste Rune wird rechts abgelegt und soll Auskunft geben über die gegenwärtige Situation. Die links davon abzulegende zweite Rune betreffe die Handlungskraft und mögliche Initiativen. Die abschließende dritte Rune will die entstehende Situation beleuchten, nachdem schon etwas zur Problemlösung unternommen worden sei. Die horizontale Legung sei für einfache problematische Situationen zu verwenden.
Um kompliziertere Probleme anzugehen, eigne sich die vertikale Legung. Hierbei sollen fünf Runen gezogen und von unten nach oben abgelegt werden. Rune 1 beschreibe die jetzige Situation, Rune 2 mögliche Hindernisse und Herausforderungen. Rune 3 sage etwas über die zu ergreifenden Initiativen aus. Zu erbringende Opfer seien durch Rune 4 zu erfahren. Womit nach angemessenem Verhalten zu rechnen sei, offenbare schließlich Rune 5.

"Das Runenkreuz bietet sich als ausgezeichnete Legung an, wenn Sie wissen müssen, wie Sie in einer beunruhigenden Situation agieren oder reagieren sollen."44 
Bei der Kreuzlegung werden sechs Runen gezogen und in Form eines Kreuzes angelegt. Auch hier beleuchte jede Rune einen ganz bestimmten Aspekt: Rune 1 - Vergangenheit; Rune 2 - Gegenwart; Rune 3 - Zukunft; Rune 4 - Ursprünge der Situation; Rune 5 - gegenwärtige Situation; Rune 6 - Weiterentwicklung der Situation.
Für die Deutung der Rune ist zu beachten, ob die Rune richtig oder falsch herum vor einem liegt. Entsprechend sind aus den Runenkommentaren die dazugehörigen Stellen herauszufinden. Diese Einzelergebnisse sollen in einem weiteren Schritt zusammengefasst und in Bezug zur gestellten Frage gesetzt und interpretiert werden.

Kreuzlegung 45
kreuzlegung

Kritische Einschätzung
Wie bei verschiedenen anderen Orakelsystemen, soll die Zukunft nicht als unveränderbar verstanden werden. Vielmehr sollen die Probleme immer wieder durchdacht und unter Bezugnahme auf die Deutungskommentare zu den Runen ausgelegt werden. Letztlich geht es darum, für sich eine Entscheidungshilfe zu erhalten. Ziel ist es, Herr über sein Schicksal zu werden.

"Wer also sein Schicksal begreift, erhält die Möglichkeit, sich selbst zu verstehen, damit er sich zum Herrn über sein Schicksal aufschwingt, und ihm nicht mehr untertan ist." 46 
Solch ein Satz zeigt, wieweit man seine Eigenbestimmung aus der Hand geben und sich von magischen "Hilfsmitteln" abhängig machen kann, zeigt aber auch, wieweit sich Orakelgläubige vom christlichen Glauben entfernen. Nicht mehr Gott ist für sie maßgeblich, sondern nur der Mensch selbst. Er gilt als vom Schicksal abhängig, das sich im Wurf und der Deutung der Runen offenbart.
Menschen, die an die Gültigkeit solcher Prophezeiungen glauben, werden ihr Leben danach ausrichten und sich so ihrer eigenen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten berauben.

In neuerer Zeit spielen Runen und ihre Deutung in deutschgläubigen und neuheidnischen Gruppen eine Rolle. Die von diesen herausgegebenen Darstellungen zum Thema Runen müssen als Möglichkeiten eines Erstkontaktes zu diesen Gruppierungen bedacht werden. Darüber hinaus ist aber von einer weitaus größeren Verbreitung im esoterischen Feld auszugehen.

Quellen
Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 241-254
Götterlieder der Älteren Edda, nach der Übersetzung von Karl Simrock, Reclam, 1991.
Meadows, Kenneth: Runen. Die magische Kraft, 1996.
Schilling, Heinar: Runenkunde, 1937.
Warneck, Igor: Der Runenbrieflehrgang, 1.-4. Brief, Internetausdruck vom 16.09.02,
http//www.f-c-a.net/777/pdf/1_(2_; 3_; 4_)Runenbrief.pdf .

Literatur
Goldner, Colin:
Psycho, Patloch, Augsburg, 1997, 315 f.
Tacitus: Germania, Reclam, 1997.

Anmerkungen
15 Leuenberger, Hans-Dieter
16 von Mangoldt, Ursula: Die Zeichensprache der Hand. In: Esoterik und Wissenschaft, F 31/32, Juli 1969, 8.
17
Vgl. Ripota, Peter: Bildlexikon der Handlesekunst, Gondrom, Bindloch, 1990, 6.
18 Time-Life-Bücher: Geheimnisse des Unbekannten - Wahrsagungen und Prophezeiungen. Amsterdam, 1988, 54f.
19 Brenner-Kruckenberg, Walter: Handlesekunst - Bewährte Regeln der Chirologie und Chiromantie. Verlag Moritz Stadler, Villach, 1951, 15.
20 Ripota, a.a.O., 6; 42.
21 Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 27; für die astrologischen Bezeichnungen: tz-München, "Handlesen - Ihr Schicksal ist kein Geheimnis", 10.2.2000, 33.
22 Time-Life-Bücher, a.a.O., 55.
23 z.B.: Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 37ff.; von Mangoldt, Ursula: Schicksal in der Hand. Origo Verlag, Zürich, 1949, 58; Time-Life-Bücher, a.a.O., 56f.
24 vgl.: Ripota, a.a.O., 142.
25 vgl.: Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 39f.
26 nach Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 40ff.
27 Bezeichnungen nach Time-Life-Bücher, a.a.O., 56f.
28 Bezeichnungen in [ ] nach Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 39.
29 Brenner-Kruckenberg, a.a.O., 53.
30 Brenner-Kruckenberg unterscheidet insgesamt 17 Handlinien, a.a.O., 54.
31 Federspiel, Krista/ Lackinger Karger, Ingeborg: Kursbuch Seele. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1996, 534.
32 Warneck, Igor: Der Runenbrieflehrgang, 1. Brief, 6, Internetausdruck vom 16.09.02,
http//www.f-c-a.net/777/pdf/1_Runenbrief.pdf
.
33
 Götterlieder der Älteren Edda, nach der Übersetzung von Karl Simrock, 1991, 68 f.
34 Schreibweise nach Warneck: 1. Brief, 13 ff.; die Transkription in der Literatur ist nicht einheitlich.
35 Schreibweise nach Warneck: 1. Brief, 12.
36 vgl. Warneck: 1. Brief, 12.
37 Meadows, Kenneth: Runen. Die magische Kraft, 1996, 18; s. a. Warneck: 4. Brief, 38 ff., Internetausdruck vom 16.09.02, http//www.f-c-a.net/777/pdf/4_Runenbrief.pdf .
38
 Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 243
39 Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 245
40 Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 247
41 Tacitus: Germania, 1997, 9.
42 http://www.runenstein.de/Orakel/Orakeltechnik/hauptteil_orakeltechni.html , Internetausdruck vom 19.0.02.
43
 An dieser Stelle werden drei Formen beschrieben, die dargestellt sind in: Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, 241-254, Berlin 1999-2001.
44 Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 251
45 vgl. Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 251
46 Die geheimnisvolle Welt der Astrologie, Abschnitt: Die Kunst des Wahrsagens, Berlin 1999-2001, 242


Seite 12-13 n_rechtsweiter Seite 14-15 (75 KB)
n_oben Anfang

n_links Start-Seite 1