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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

I Ging - Das Buch der Wandlungen

"Die Antworten, die wir aus dem Buch der Wandlungen gewinnen können, mögen so bedeutsam sein, dass sie uns vor einer lebenslangen Torheit zu bewahren vermögen. Wir müssen es mit dem Respekt behandeln, der ihm aufgrund seines ungeheuren Alters und seines reichen Schatzes an Weisheit gebührt. Kein einziger Mensch ist der gleichen Achtung würdig, denn dieses Buch ist nicht weniger als ein göttlicher Spiegel, der die Vorgänge der unermesslichen und niemals endenden kosmischen Wandlung reflektiert. (…) Das I Ging verfügt über die Allwissenheit eines Buddha." 8 
Eine heute noch vorhandene Fassung des I Ging, das sowohl als Orakelbuch wie auch als philosophisches Werk verwendet wird, stammt aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. Das Buch beinhaltet eine große Anzahl von Zeichen, die gedeutet werden müssen. Welcher Wert dem einzelnen Zeichen beigemessen wird, liegt in der Entscheidung jeder und jedes Einzelnen.
Die Entstehungsgeschichte erstreckt sich wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum. Die Anfänge werden auf das 3. Jahrtausend v. Chr. datiert, und die acht Trigramme sollen durch einen gewissen Fou-hi (Fu Hi) entwickelt worden sein. Die Kombination der Trigramme zu den 64 Hexagrammen und das Verfassen der dazugehörigen Urteile wird auf König Wen (um 1150 v. Chr.) zurückgeführt, dessen Sohn, der Herzog von Dschou, Texte zur Bedeutung der Linien geliefert haben soll. Konfuzius und seiner Schule schließlich werden einige Kommentare ("Zehn Flügel") sowie die Zusammenfassung älterer Erläuterungen zugeschrieben.
Ende des 19. Jh. kommt es zu einigen Übersetzungen in Europa. Die erste Ausgabe in deutscher Sprache - von Richard Wilhelm - erscheint 1924.
Das I Ging basiert auf der im taoistisch-chinesischen Denken verwurzelten Vorstellung der beiden universalen Pole Yin und Yang, deren Wechselwirkung die Entstehung aller Dinge verursachen soll. Zur Darstellung werden für Yin, das dunkle, weibliche, passive Prinzip, eine unterbrochene Linie und für Yang, den hellen, männlichen, aktiven Pol, eine durchgezogene Linie verwendet.

Zu Beginn wurde das Orakel mit zwei Strichen befragt, um Ja- und Nein-Antworten zu erhalten. Zur Differenzierung wurden dann zwei weitere Linien hinzugefügt; sie erweitern die Möglichkeiten der Antwort um "Ja, aber" und "Nein, aber".
Durch die Zusammenfassung jeweils dreier dieser Striche entstanden die acht Trigramme, "die zu den grundlegenden Symbolen allen Wahrsagens mit dem I Ging" 9  werden und "als Bilder dessen, was im Himmel und auf Erden vorging, aufgefasst" 10  werden.

Trigramme
Trigramme

Durch die Kombination der Trigramme schließlich entstehen die Bilder der 64 Hexagramme.
Um das I Ging zu "befragen", werden vor allem die Methoden des Schafgarben- sowie des Münzorakels angewendet. Daneben lassen sich heute auch zeitlich weniger aufwändige Methoden durch Computerprogramme oder direkt über das Internet finden, auf die hier nicht weiter eingegangen wird.

Das Schafgarbenorakel
Aus 50 Schafgarbenstängeln wird einer entfernt und zur Seite gelegt. Die verbliebenen 49 Stäbchen werden in zwei Haufen geteilt. Ein Stab wird nun vom rechten Haufen gezogen und zwischen kleinen Finger und Ringfinger der linken Hand gesteckt. Mit der linken Hand soll nun der linke Haufen aufgegriffen und durch Ziehen von jeweils vier Halmen mit der rechten Hand solange reduziert werden, bis nur noch vier oder weniger Stängel übrig sind. Der Rest wird nun zwischen Ring- und Mittelfinger der linken Hand verstaut. Mit dem rechten Haufen wird jetzt ebenso verfahren, die restlichen Halme werden lediglich zwischen Mittel- und Zeigefinger verwahrt. Die bisher gezogenen Stäbchen werden beiseite gelegt und aus den übrig gebliebenen werden wieder zwei Häufchen gebildet; die Prozedur wird noch zweimal von Neuem durchgeführt.
Die aus den drei Zügen erhaltenen Schafgarbenhäufchen werden nun, jedes für sich, addiert. Das Ergebnis beläuft sich entweder auf 4, 5, 8 oder 9, dem jeweils ein Wert zugeordnet (9 und 8 = 2; 5 oder 4 = 3) ist. Durch Addition dieser jetzt vorliegenden drei Werte ergibt sich die erste (unterste) Linie des Hexagramms. Für die Summe 6 (altes Yin) zeichnet man eine bewegliche Yin-Linie (unterbrochene Linie), der Wert 7 (junges Yang) führt zu einer ruhenden Yang-Linie (durchgezogene Linie), das Ergebnis 8 (junges Yin) bedeutet eine ruhende Yin- und die Summe 9 (altes Yang) eine bewegliche Yang-Linie.
Bei Wilhelm11  wird nach dem ersten Zug der Halm zwischen kleinem und Ringfinger nicht in die Berechnung aufgenommen, so dass sich auch hier die Summen 8 oder 4 ergeben.
Um das Hexagramm zu vervollständigen, muss die Ziehung der Stäbchen noch fünf mal wiederholt werden.

Das Münzorakel
Für die, bei weitem nicht so aufwändige, Methode des Münzorakels werden drei Münzen geworfen. Werden hierzu chinesische Bronzemünzen verwendet, stellt die Schriftseite die Yin-Seite dar; ihr ist der Wert 2 zugeordnet, während die Yang-Seite den Wert 3 erhält. Durch die Addition der drei durch den Wurf erhaltenen Zahlen, ergeben sich somit wieder Summen zwischen 6 und 9. Diese führen wie beim Schafgarbenorakel nach sechsmaliger Wiederholung zu einem Hexagramm.

Interpretation der Hexagramme
Die Hexagramme werden nicht als eine Ansammlung von sechs Linien verstanden, sondern als Kombination zweier Trigramme. Diesen wohne eine eigene Bedeutung inne, die, ebenso wie das Verhältnis der beiden zueinander, betrachtet wird.
Enthält das Hexagramm lediglich ruhende Linien (Wert 7 oder 8), werden zur Interpretation das jeweilige Urteil und Bild herangezogen. Sind bewegliche Striche vorhanden, werden die zu den Linien gehörenden Ausführungen in die Betrachtung aufgenommen. Darüber hinaus werden diese Striche in ihr Gegenteil verwandelt, um ein zweites Hexagramm zu erhalten, dessen Urteil und Bild ebenso gedeutet werden. Die beweglichen Linien sollen dabei erkennen lassen, "in welcher Weise sich das im Moment gegenwärtige Tao, repräsentiert durch das ermittelte Hexagramm, in ein anderes zweites Hexagramm verwandelt" 12 .
Wilhelm verweist u. a. noch auf die Bedeutung der Kernzeichen (Linien 2 bis 5), aus denen sich wiederum zwei Trigramme (Linien 2 bis 4 sowie 3 bis 5) bilden lassen, die zusammengefasst ein weiteres Hexagramm zur Interpretation bilden.

Beispiel:  Durch das sechsmalige Werfen dreier Münzen ergibt sich das Hexagramm 36 (Ming I/Die Verfinsterung des Lichts) mit einer beweglichen Ying-Linie (Wert 6) auf dem zweiten Platz (zweite Linie von unten).
Die enthaltene und zu deutende Botschaft (ohne Kommentare) wäre demnach: 13

oben Kun, das Empfangende, die Erde
unten Li, das Haftende, das Feuer

Kun-Li

Das Urteil:  Die Verfinsterung des Lichts. Fördernd ist es, in der Not beharrlich zu sein.
Das Bild:  Das Licht ist in die Erde hineingesunken:  das Bild der Verfinsterung des Lichts.
So lebt der Edle mit der großen Menge: er verhüllt seinen Schein und bleibt doch hell.
Sechs auf zweitem Platz: Die Verfinsterung des Lichts verletzt ihn am linken Schenkel.
Er wirkt Hilfe mit der Macht des Pferdes. Heil.

Durch die bewegliche zweite Linie und deren Umwandlung ergibt sich Hexagramm 11 (Tai/der Friede)

oben Kun, das Empfangende, die Erde
unten Kein, das Schöpferische, der Himmel

Kun-Kien

Das Urteil:  Der Friede. Das Kleine geht hin, das Große kommt her. Heil! Gelingen!
Das Bild:  Himmel und Erde vereinigen sich: das Bild des Friedens.
So teilt und vollendet der Herrscher den Lauf von Himmel und Erde, fördert und ordnet
die Gaben von Himmel und Erde und steht so dem Volke bei.
Auf die Betrachtung der Kernzeichen soll hier verzichtet werden.

Kritische Einschätzung
Das Orakelsystem des I Ging ist für eine bestimmte Kultur und deren Denkweisen entwickelt worden. Auf unser abendländisches Denken wirkt es als etwas Fremdes. Es setzt ein völlig anderes Welt- und Menschenbild voraus.

Das I Ging/Das Buch der Wandlungen kann nicht als reines Orakelbuch verstanden werden, dessen Vorhersagen die Zukunft als ein unveränderbares Faktum darstellen. "Die Aufgabe des I-ching-Orakels ist es nun, die Yin- und Yang-Einflüsse zu erkennen, die für den Ratsuchenden eine Rolle spielen. Das Ziel der Kommentare besteht darin, dem Fragenden einen Weg zu weisen, damit er zur Harmonie mit den großen, zyklischen Veränderungen gelangt, denen das Universum ebenso wie alles in ihm unterliegt." 14 

Probleme werden hierbei wieder und wieder gewälzt und durchdacht. Die Deutung der Botschaft kann dann ggf. noch mit Hilfe der Kommentare weiter hinterfragt werden.

Das Bemühen, die Zukunft nicht als unausweichliches Schicksal zu sehen, sondern als veränderbar, kann dazu führen, im Glauben an solche Vorhersagen darin bestärkt zu werden, vorab sich noch gestaltend an diese Zukunft anpassen zu können. D. h.: Menschen, die an die Gültigkeit solcher Orakel glauben, werden ihr Leben danach ausrichten und sich so allerdings der eigenen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten berauben.

Quellen
Blofeld, John
(Hg.): I Ging. Das Buch der Wandlung, Otto Wilhelm Barth Verlag, 1983.
Kielce, Anton: I Ging, Wilhelm Heyne Verlag, München, 1985.
Reifler, Sam: Das I-Ging-Orakel, Verlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau, 2. Aufl. 1996.
Wilhelm, Richard: I Ging, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln, Sonderausgabe 1990.

Literatur
Hauth, Rüdiger
(Hg.): Kompaktlexikon Religionen, R. Brockhaus, Wuppertal, 1988.
Gasper, Müller, Valentin: Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, Herder, Freiburg im Breisgau, 6. Aufl. 2000.

Anmerkungen
11 Vgl., a.a.O., 336 (Anm. 10)
12 Sam Reifler: Das I-Ging-Orakel. Verlag Hermann Bauer, Freiburg im Breisgau, 1986 (2), 25.
13 nach Wilhelm, a.a.O., für Nr. 36, 140 ff.; für Nr. 11, 62 ff.
14 Time-Life-Bücher: Geheimnisse des Unbekannten - Wahrsagungen und Prophezeiungen. Amsterdam, 1988, 119.


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