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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003 

Kartenlegesysteme: Beispiel "Tarot"

"Die Karten lügen nicht." - Davon sind Orakel-Gläubige überzeugt. Heißt das auch, dass die Karten die "Wahrheit sagen" oder sogar die Zukunft kennen?
Spielkarten in allen Variationen dienen vielen Menschen allein zur Unterhaltung und zum geselligen Zusammensein. Für andere haben sie jedoch eine tiefere, fast esoterische Bedeutung und gelten als Quelle der Erkenntnis über sich selbst, als Instrument, etwas über die Zukunft der Fragenden in Erfahrung zu bringen, oder als Möglichkeit, Lösungen für Problemfragen zu erhalten.
Die Herkunft der Kartenspiele ist unter Historikern strittig. Spuren weisen nach Korea und China als Ursprungsort. Chinesischen Texten aus dem 11. Jh. zufolge soll es schon zur Mitte der T'ang-Zeit (7./8. Jh.) Kartenspiele gegeben haben. In Europa werden Spielkarten im März 1377 in einer Schrift der Stadtverwaltung von Florenz erwähnt. Und der Dominikanermönch Ingold Wild schreibt 1432 in seinem Buch "Das guldin Spiel", dass schon um 1300 Kartenspiele in Deutschland bekannt gewesen wären. Zunächst ging es dabei allerdings nicht um Unterhaltung, sondern um Glücksspiel, was den Magistrat von Regensburg 1378 zu einem Verbot solchen Treibens veranlasst hat.
Die Divination (das "Wahrsagen") anhand von Spielkarten soll zu Beginn der Neuzeit, um 1420, von Zigeunern nach Europa gebracht und über längere Zeit fast nur von ihnen praktiziert worden sein. In diesem Zusammenhang spielte auch der Tarot eine wichtige Rolle.

Der Tarot
Entstehung
Im Hinblick auf die Herkunft der Tarot-Karten und ihrer Symbole gibt es unterschiedliche Legenden und Meinungen. Aus Atlantis, dem alten Ägypten oder Indien sollen sie stammen oder "aus einer Zeit noch vor dem Entstehen der menschlichen Sprache" 15 .
Eine plausible Theorie besagt, dass um die Mitte des 15. Jh. ein italienischer Künstler namens Bonifacio Bempo für die Adelsfamilie Visconti in Mailand ein Kartenspiel entworfen und gezeichnet habe, das Tarocchi genannt wurde. Es bestand aus vier Sätzen á 14 Karten und 22 "Triomphi" (Trümpfe) genannten Bildern, die verschiedene Szenen des Lebens und herausragende Gestalten des Mittelalters (z.B. "Papst", "Kaiser") darstellten.
Andere Forscher führen die Karten auf eine altitalienische Bilderenzyklopädie zurück, die im 14. Jh. in Venedig mit spanischen Zahlenkarten verknüpft worden sei.
Heute ist der Tarot (die französische Bezeichnung für 'Tarocchi') in der ganzen westlichen Welt verbreitet und liegt in mehreren Hunderten, in Deutschland in mindestens 40, verschiedenen Ausgaben vor. Am bekanntesten sind wohl diejenigen, die 1910 von Arthur Edward Waite (1857-1942, Rider Tarot), seinerzeit führendes Mitglied des englischen Golden-Dawn-Ordens, und Ende der 30er Jahre von dem Okkultisten Aleister Crowley (1875-1947) gestaltet wurden. Crowley nannte seine Version nach dem altägyptischen Mondgott Thot (gleichzeitig "Gott der Weisheit") das Thot Tarot.

Struktur und Bedeutung der Karten
Das Tarot-Spiel besteht aus 78 Karten, die sich in zwei Teile gliedern, in die 22 Trumpf-Karten der so genannten Großen Arkana (Große Geheimnisse) und die 56 der Kleinen Arkana.

Kartenlegen auf einer Esoterikmesse
Foto: Studio Schmidt-Dominé

Karten legen

Die 22 "Trümpfe", mit römischen Ziffern durchnummeriert, zeigen bildhafte Darstellungen von Personentypen, menschlichen Tugenden und Dingen des Alltags, aber auch von einigen bizarren Elementen; in dieser Reihenfolge erscheinen: Magier, Hohepriesterin, Kaiserin, Kaiser, Hoherpriester, Liebende, Siegeswaage, Stärke, Eremit, Glücksrad, Gerechtigkeit, Hängender, Tod, Mäßigung, Teufel, Turm, Sterne, Mond, Sonne, Auferstehung, Welt.
Die letzte oder auch die erste Karte, je nachdem, der Narr, trägt die Nummerierung "Null".
Jedes dieser 22 Symbole wird nun in besonderer Weise gedeutet, beeinflusst vom jeweiligen Standort des Spielers, also religiös, esoterisch, psychologisch, magisch, therapeutisch oder auch von jedem etwas. Anfänger werden sich zunächst an die Vorlagen "erfahrener" Tarot-Kenner halten, ehe sie zu eigenen Einsichten kommen, was das Ziel der Beschäftigung mit dem Tarot sein soll.

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Lebensbaum
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Einige Beispiele traditioneller Deutung:
Die Karte "Der Magier", als Beginn der Großen Arkana, symbolisiert die Kraft des Geistes und des Willens, die Lebensenergie in ihrer schöpferischen Form.
"Der Magier" kann die Möglichkeiten des Lebens Realität werden lassen.
"Die Hohepriesterin" und "Die Kaiserin" (oder "Herrscherin") stellen in dieser Reihe weibliche Attribute dar: ihr Wissen um die menschliche Seele und ihre Naturverbundenheit machen die Hohepriesterin zum Medium und Orakel, zur Heilerin und Hexe. Die Kaiserin dagegen verkörpert Mütterlichkeit, Liebe und Sexualität, das intuitive Verstehen der Welt.
"Der Teufel" steht für Illusion, Gewalt, Materialismus, Leid und sexuelle Besessenheit sowie für die dunkle Seite des kollektiven Unbewussten.
Schließlich ist die Karte "Der Hängende" (oder "Gehenkte") zu nennen, ein mit dem Kopf nach unten hängender Mann, der das linke Bein in T-Form mit dem rechten kreuzt. Er wird interpretiert als Symbol tiefer Verbindung mit dem Leben, als Opfer, als Zeichen von Disziplin und Unterwerfung, aber auch als Hinweis auf Eingebung und Erleuchtung (yogische Position).
Die Kleinen Arkana bestehen aus vier Sätzen von je 14 Karten, wobei jeder Satz von einem bestimmten Symbol gekennzeichnet ist, das sich dann bildhaft durch alle Karten hindurchzieht. Die vier Embleme sind Stäbe, Kelche, Schwerter und Münzen (oder Scheiben), die jeweils mit den vier Elementen in Verbindung gebracht werden: Stäbe = Feuer, Kelche = Wasser, Schwerter = Luft, Münzen = Erde. Abfallend beginnt jeder Satz mit        dem "König", also König der Stäbe, König der Kelche usw. über die Augenkarten bzw. Zahlenkarten (Zehn, Neun, Acht … Zwei) bis zum "As".
Im Gegensatz zu den 22 Trümpfen, die eher Urerfahrungen oder Urbilder des Menschen (im Sinne von C. G. Jung) symbolisieren, stehen die 56 Karten der Kleinen Arkana für das Alltagsleben mit seinen Freuden und Problemen: Die Stäbe etwa für das Handeln, Abenteuer, Geschäftigkeit; die Kelche für Freundschaft, Phantasie, Nachdenken; die Schwerter für Konflikte, Ärger, Trauer und die Münzen für Geld, Arbeit, feste Beziehungen und anderes.

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Die Praxis
Beim Tarot geht es nicht darum, wie etwa beim Skat oder Schafskopf, gegen andere zu spielen. Die Karten werden vielmehr für andere oder für sich selbst gelegt und gedeutet.
Als erstes wird eine Karte, mit der man sich identifizieren will, als Signifikator ausgewählt und offen auf den Tisch gelegt, um ein positives Energiefeld zu schaffen. Die anderen Karten werden mehrmals gemischt, mit der linken Hand in drei Häufchen geteilt, wieder zusammengeschoben und dann in verschiedene Muster ausgelegt, in Fächer-, Karré- oder Kreuzform.
Zu den bekanntesten Varianten gehören das Keltische Kreuz und der Lebensbaum der Kabbala. Die Annahme, dass die Tarotkarten etwas mit der jüdischen Geheimlehre der Kabbala zu tun hätten, stammt von dem französischen Okkultisten Eliphas Levi (Alphonse-Louis Constant, 1810-1875), der die 22 Trümpfe mit den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets in Verbindung brachte.
Mit Hilfe der zahllosen möglichen Kombinationen der 78 Karten sollen die Geheimnisse des Kosmos erkannt, Gegenwart und Zukunft von Menschen gedeutet sowie Lebenshilfe gegeben werden können. Wer sich lange Zeit ernsthaft mit dem Tarot beschäftige und über den Karten "meditiere", habe zudem die Chance, seine Persönlichkeit positiv zu beeinflussen und ein "weiser Mensch" zu werden.
Neben der Astrologie und dem I­Ging gehört der Tarot zu den großen Orakel-Systemen unserer Zeit.

Kritische Einschätzung
Zu den besonderen Kennzeichen des Tarot gehört, dass er sich mit seinen kaum überschaubaren Variationen in fast ebenso viele Überlieferungen auffächert. Dadurch ist eine Pluralität vorgegeben, die zwangsläufig zur Beliebigkeit der Deutung führen muss. Dies geht auch aus den entsprechend zahlreichen Hand- und Lehrbüchern des Tarot hervor, die unterschiedliche, sogar gegensätzliche Interpretationen der Personen- und Situationskarten anbieten.
Die einzelnen Spielenden oder Ratsuchenden, die ihre jeweilige Persönlichkeit entschlüsseln oder mit Hilfe der Gegenwarts- und Zukunftsanalyse Anweisung zum Handeln bekommen möchten, können also keine verlässlichen Auskünfte erwarten. Vom kritischen Standpunkt aus gesehen, besteht jedoch die Gefahr, dass die Deutungen als objektiv missverstanden werden und zur Abhängigkeit vom Berater führen können.
An die Tarot-Gläubigen ist in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, welche (unbewusste) Kraft oder (göttliche) Energie beim Kartenlegen wirksam sein sollte und in welcher Weise, um die erwünschten Informationen hervorzubringen.
Aus christlicher Sicht wird vor der Praxis des Orakels mittels Karten gewarnt. Nach dem Zeugnis der Bibel (5. Mose 18,9-12) sind solche Dinge in den Augen Gottes ein Gräuel. Es besteht die Gefahr, dass es zu erheblichen psychischen Abhängigkeiten von der Person, die die Karten legt, oder von den Karten selbst kommt.

Literatur
Emily Peach
, Das Tarot-Werkbuch - Eine praktische Anleitung zum Gebrauch des Tarot als Orakel, München 1986
Rachel Pollack, Tarot - 78 Stufen zur Weisheit, München 1985

Tarot-Karte02
Tarot-Karte 01
Tarot-Karte15


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