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BERLINER DIALOG 27, Orakel 2003

Orakel

"Durch Orakel wendet sich ein Befrager an höhere Mächte in der Absicht, von ihnen durch Zeichen Weisung für sein eigenes oder das Handeln anderer zu empfangen." 1 
Das Wort Orakel geht auf das lateinische oraculum zurück, das wiederum von ôs (lat.: der "Mund"; Genitiv: ôris) abgeleitet ist. Unter oraculum wurde in der Antike ursprünglich die örtliche "Sprechstätte" einer Gottheit verstanden, später auch das dort wirkende Medium selbst und der von ihm - durch den betreffenden Gott - gegebene Spruch oder das Zeichen.
Heute gelten fast alle Wahrsage- und Weissagetechniken als Orakel, wobei für die Gesamtheit der Praktiken auch die Bezeichnung Mantik (von griech. mantis: "der Seher") oder Divination gebraucht wird (nach dem Titel eines mit dieser Thematik befassten Buches von Cicero, "De Divinatione"; lat. divinare: "eine göttliche Sache ausführen").
Nach Struktur und Technik lassen sich die Orakeltechniken in unterschiedliche Kategorien einteilen 2 :
1) Beobachtung von Vorgängen und Zuständen in der Natur:
 a) das Verhalten von Tieren (Katzen, Kröten, Eulen, Vogelzug u. a.);
 b) Natur und Umwelt (Blätter, Bäume, Jahreszeiten, Wind, Feuer, Rauch, Wasserläufe u. a.)
2) Divination mit Hilfe von Gegenständen:  Pendel, Stäbe, Lose, Karten, Nadeln, Spiegel, Knochen, Würfel, Kristallkugeln, Hände (Chiromantie), Bibelstellen, Kaffeesatz
3) Orakel mit spiritistischem Hintergrund:  Prophetie, automatisches Schreiben, Channeling, Gläserrücken
4) "Mathematisch-geographische" Aspekte der Mantik:  Feng Shui, Geomantie, Radiästhesie
5) Weitere Systeme mit verschiedenen Techniken:  Zahlenmagie, Astrologie, I-Ging, Tarot, Traumdeutung, Runenorakel.

Archäologische Funde legen nahe, dass Menschen sich schon vor Tausenden von Jahren mit magischen Praktiken und Orakeltechniken beschäftigt haben. So wurden z. B. 1997 in der chinesischen Provinz Shan Dong (südlich von Peking) ca. 4000 Jahre alte, mit Schriftzeichen versehene Knochen ausgegraben. Diese sollten, nachdem auf ihnen Fragen an das Schicksal eingeritzt worden waren, den Herrschern im Lande Entscheidungshilfen bieten. Beim Erhitzen der Knochen ergaben sich Risse und Sprünge, die die Zeichen veränderten; daraus versuchte man dann die Antworten abzulesen.
Schamanen in Sibirien, Medizinmänner und Zauberer in Afrika, Kultpriester in Südamerika, in Tibet und im Alten Orient haben schon vor Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden in ihrem jeweiligen Bereich "geheime Kenntnisse" angesammelt und Orakelrituale entwickelt, um sich selbst und den Kosmos zu verstehen sowie Ratsuchenden Lebenshilfe zu bieten.

Jahrmarktswahrsagerinnen betreiben Zukunftsdeutung mit allen Mitteln
Foto: Studio Schmidt-Dominé

Zukunftsdeutung

Bis in die Gegenwart hinein ist vieles davon durch die Überlieferung lebendig geblieben; anderes wurde wiederbelebt, gerade auch im Kontext von Esoterik und New Age, deren Anhänger eine Rückbesinnung auf Wesen und Wissen der alten Kultur- und Natur-Völker fordern.
So ist es nicht erstaunlich, dass es keine nennenswerten Orakeltechniken gibt, die in unserer Zeit entstanden wären und somit, im Vergleich zu den traditionellen Orakeln, ein völlig neues Konzept darstellen würden. Ob I-Ging, Tarot, Palmblatt-Orakel, Astrologie, Zahlenmagie oder Chiromantik - alle bekannten Systeme haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit und sind bis heute fast unverändert geblieben.

Orakel im Volksaberglauben 4 
Die in der Einleitung unter der Kategorie "Beobachtung von Vorgängen und Zuständen in der Natur" aufgezählten Handlungen sowie die meisten der zur Divination nötigen Gegenstände werden gewöhnlich dem Bereich des Volksaberglaubens zugerechnet.
Abergläubische Menschen hängen einem altertümlichen, vorwissenschaftlichen Weltbild an und glauben an die Wirksamkeit von normalerweise als irrational geltenden Handlungen. Sie versuchen mit Hilfe überlieferter Rituale, bisweilen eigenartiger Volksbräuche oder auch Verhaltensweisen, Lebensängste zu überwinden, negative Gegebenheiten wie Unglück, Krankheit oder Misserfolg abzuwehren und positive Möglichkeiten wie Reichtum, Glück oder Fruchtbarkeit herbeizuzwingen. Dazu gehört auch der Wunsch, durch Orakel Erkenntnisse über die Zukunft zu erlangen.
Die bekanntesten Orakel im Volksaberglauben sind wohl das Zupfen von Gänseblümchenblättern, um zu wissen: "Sie liebt mich, sie liebt mich nicht", die Deutung der Begegnung mit einer schwarzen Katze als Unglücks- oder Glücksankündigung, das Zählen des Kuckucksrufes, um die zu erwartenden Lebensjahre zu erfahren, das Lesen im Kaffeesatz oder das Bleigießen zu Silvester.
Die beim Bleigießen entstehenden Formen sollten ursprünglich den Mädchen etwas über das Aussehen ihrer zukünftigen Ehemänner verraten. Heute werden andere Deutungen angeboten, z. B.: "Brille": man wird betrogen; "Bett": es droht Erkältung oder Krankheit; "Esel": man wird verspottet; "Hammer": es kommen Schicksalsschläge; "Katze": man wird bestohlen; "Pyramide": es steht eine Erbschaft an; "Schlüssel": es ergeben sich neue Geschäftsverbindungen; "Zwiebel": man wird im neuen Jahr ein dickes Fell brauchen u.a.m.
Das Wahrsagen aus dem Kaffeesatz stammt wahrscheinlich aus dem 18. Jh. und wird heute nur noch selten von "Hellsehern" ausgeübt. Der Kaffeesatz wird auf einem Teller ausgestrichen, der dann so lange rhythmisch bewegt wird, bis die noch vorhandene Flüssigkeit abgelaufen ist. Die so entstehenden Figuren und Linien werden nun gedeutet, wobei den in der oberen Hälfte des Tellers sichtbaren Figuren weniger Bedeutung beigemessen wird als denjenigen in der unteren Hälfte.

Volks- und Staatsorakel
Die Kultur- und Religionsgeschichte zeigt, dass die Divination nicht nur für den privaten Bereich Einzelner eine Rolle spielt(e), sondern auch von Völkern und Staaten praktiziert wurde bzw. noch wird. Dies sollen drei Beispiele mit ganz unterschiedlichem Hintergrund verdeutlichen: die Urim und Thummim im vorexilischen Israel, das Orakel von Delphi und das Staatsorakel im tibetischen Buddhismus.

Urim und Thummim
Mose
erhielt von Gott die Anweisungen zur Herstellung der Zeremonialkleidung des Hohepriesters im Volk Israel (2 Mose 28). Eine etwa 25 mal 25 cm große Leinentasche (der "Amtsschild") auf der linken Brustseite war für die Urim und Thummim vorgesehen. Diese waren zwei oder mehrere Lossteine. Der Hohepriester warf diese, um den Willen Gottes oder einen Rechtsspruch für Israel herauszufinden.
Die Bedeutung der Worte Urim und Thummim ist nicht abschließend geklärt. Luther übersetzte: "Licht und Recht". Urim kann im Hebräischen aber auch mit Begriffen wie "Schuld" oder "Fluch" und Thummim mit "Vollkommenheit" und "Glück" zusammenhängen.
Über den Ablauf des Loswerfens finden sich in den biblischen Texten keine Hinweise. Bibelausleger nehmen an, dass die Lossteine nur ein einfaches "Ja" oder "Nein" hervorbrachten, also Alternativfragen beantworteten. Im nachexilischen Israel gab es diese Orakelpraxis nicht mehr, obwohl sie noch bekannt war (Esra 2,63). Urim und Thummim gehörten zu dieser Zeit zwar weiterhin zur Amtstracht des Hohepriesters, wurden aber wahrscheinlich nur noch als Symbol für das gerechte Handeln Gottes am Volke Israel verstanden.

Orakel von Delphi
Für fast ein Jahrtausend war Delphi eine der wichtigsten Orakelstätten der antiken Welt. An diesem Ort, hoch über dem Golf von Itea, am Südhang des Parnassberges, war schon im 12. Jh. v. Chr. in einer Kulthöhle die Erdmutter-Gottheit Gaia verehrt worden. Seit dem 8. Jh. v. Chr. befand sich hier nun das Heiligtum des Gottes Apollon, eine ausgedehnte Tempelanlage, in der seit dem 7. Jh. eine Pythia tätig war. Das war die Bezeichnung zunächst für unberührte Mädchen, später auch für ältere Frauen, die als Priesterinnen und Prophetinnen Apollos galten. Nach welchen Kriterien und in welchen Zeitabschnitten die jeweils neue Pythia (von griech. Python:  "Wahrsagegeist") durch die örtliche Bevölkerung ausgewählt wurde, ist nicht bekannt.
Die Orakelstätte war ein Dreivierteljahr an jedem Siebenten eines Monats für das Publikum geöffnet; die restlichen drei Monate des Jahres waren dem Gott Dionysos geweiht, der keine Orakelsprüche gab. Neben einfachen Menschen kamen auch Fürsten und Könige, Heerführer und Staatsmänner der griechischen Stadtstaaten, die für ihre jeweiligen politischen und militärischen Entscheidungen den Rat des Gottes durch die Pythia erbaten. Bisweilen erschienen auch Gesandtschaften befreundeter Völker.
Bei Sonnenaufgang des betreffenden Tages führten zwei Priester die verschleierte Pythia aus ihrem Wohnbezirk zur Quelle Kastalia, in der sie ein kultisches Reinigungsbad nahm. Anschließend wurde sie zum Tempel des Apollo gebracht, an dessen Altar eine kleine Ziege geopfert wurde, die von den Ratsuchenden mitzubringen war.
Bei der anschließenden Orakeltätigkeit saß die Pythia im Allerheiligsten des Tempels auf einem bronzenen Dreifuß mit schalenförmiger Sitzfläche. Nachdem sie sich durch das Einatmen von Räucherwerk aus Lorbeer und Hanf in Trance versetzt hatte, begann sie auf die von einem Priester durch den Vorhang an sie gerichteten Fragen mit Wortfetzen, aber auch unartikulierten Lauten zu antworten, die "übersetzt" und gedeutet wurden. Die Reihenfolge der Fragesteller, die sich zuvor ebenfalls in der Kastalia-Quelle zu reinigen hatten, wurde durch das Los bestimmt. Anfragen von Staatsmännern mussten vorher schriftlich eingereicht werden, damit dem Priesterrat genügend Zeit blieb, die Antwort zu "bedenken".
Das Orakel von Delphi beantwortete im Laufe der Jahrhunderte nicht nur Fragen des Alltags, sondern bestätigte auch Mächtige in ihrem Amt, gab Ratschläge zur Kriegsführung und zu Friedensschlüssen, segnete Gesetzgebungen ab, ermunterte zur Kolonisation und Staatengründung u.a.m. Die Sprüche waren häufig mehrdeutig und ließen alle Möglichkeiten offen; manchmal sollten sie aber auch nur zum Nachdenken anregen, etwa nach dem Motto: "Erkenne dich selbst!". Andererseits halfen mitgebrachte Gegenstände den Priestern, entsprechende Ratschläge zu erteilen. Einer der bekanntesten Sätze aus Delphi lautete: "Nichts im Übermaß!".
Im 4. Jh. n. Chr. wurde das Orakel durch Kaiser Konstantin verboten. An den Gesandten des byzantinischen Kaisers Julianus (Julian Apostata) erging 362 der letzte Orakelspruch: "Der Lorbeer verwelkt. Die Quellen schweigen für immer. Die Stimme verstummt." 36 Jahre später wurde die Tempelanlage abgerissen, nachdem einige christliche Theologen die Pythia als "mit dem Teufel im Bunde" bezeichnet hatten.

Staatsorakel im tibetischen Buddhismus
Seit dem 17. Jh. gibt es in Tibet ein Staatsorakel, das seinerzeit von Losang Gyatso, dem 5. Dalai Lama (1617-1682), auch "Großer Fünfter" genannt, eingerichtet wurde. Dieses Orakel wird noch heute bei allen wichtigen religiösen und politischen Entscheidungen befragt, die der gegenwärtige 14. Dalai Lama (geb. 1935) und seine im nordindischen Dharamsala amtierende Exilregierung treffen. Unter anderem wird es in Anspruch genommen, wenn die neue Inkarnation eines verstorbenen Dalai Lama oder die eines anderen ranghohen Lamas "aufgefunden" werden soll.5 
Eine verheerende Fehlentscheidung des Orakels hat es während der Regentschaft des 13. Dalai Lama (1876-1933) gegeben. Aufgrund eines diesbezüglichen Ratschlages hatte der "Gottkönig" 1904 die Anweisung erlassen, sich in eine militärische Auseinandersetzung mit dem Expeditionscorps der britischen Armee unter Colonel Francis Younghusband einzulassen. Diese Aktion endete in einer Katastrophe für die tibetischen Soldaten.
Entsprechend dem aus der schamanistischen Tradition der Bön-Religion stammenden Götter-, Geister- und Dämonenglauben des tibetischen Buddhismus spielt auch bei diesem Staatsorakel eine Gottheit die wesentliche Rolle. Dabei handelt es sich um den ehemaligen mongolischen Kriegsgott Pehar, der den Berichten des tibetischen Nationalepos Gesar zufolge von dem mythischen Gesar besiegt und den Tibetern durch Treueid verpflichtet worden war. Für den Buddhismus nutzbar gemacht wurde Pehar jedoch erst durch den Inder Padmasambhava, der diese Religion im 8. Jh. nach Tibet brachte. Fast 900 Jahre lang hatte Pehar seinen "Dienstsitz" in Sam-Ye, dem ersten, 780 von Padmasambhava gegründeten tibetisch-buddhistischen Kloster, südöstlich von Lhasa. Dann verbrachte der 5. Dalai Lama die Symbole und Insignien Pehars nach Nechung, ebenfalls in der Nähe von Lhasa. Als der 14. Dalai Lama 1959 gezwungen war, ins Exil nach Dharamsala zu gehen, wurde auch das Pehar-Staatsorakel mitgenommen und später in einem extra dafür erbauten Kloster (Bezeichnung Nechung) installiert.
Zu Beginn einer Orakelbefragung versetzt sich der dazu Auserwählte und als Medium wirkende Nechung-Lama durch rituelle Gesänge und das Einatmen von Räucherwerk in Trance. Die nach einiger Zeit geschlossenen Augen des Lama, ein von erhöhtem Blutdruck dunkelrot gefärbtes Gesicht und starkes Schwitzen sollen die Anzeichen dafür sein, dass Pehar von ihm Besitz ergriffen hat. Der Lama beginnt dann, trotz einer etwa 40 Kilogramm schweren Metallkrone auf dem Kopf, wilde Tänze aufzuführen. Die dabei hervorgebrachten unverständlichen Laute sollen die "Sakralsprache" der Gottheit sein und müssen von anwesenden Lamas gedeutet werden.
Der gegenwärtige Dalai Lama begründete seinen Orakelglauben einmal so: "Einige Tibeter, die sich als 'progressiv' verstehen, stellen meinen fortwährenden Rückgriff auf diese alte Methode der Informationsermittlung infrage. Ich halte aber aus dem einfachen Grund daran fest, weil ich im Rückblick auf zahlreiche Befragungen feststellen konnte, dass das Orakel noch immer recht hatte." 6 

Kritische Einschätzung
Stammesgesellschaften, Naturvölker und archaische Kulturen verstehen die Welt als "verzaubert": Sie rechnen mit dem Wirken von Göttern, Geistern und Dämonen sowie mit geheimnisvollen Mächten und Kräften, die sie oft nicht verstehen oder beherrschen können und deshalb mit magischen Praktiken, Beschwörungen und Orakeln positiv zu beeinflussen versuchen. Aber auch die frühen Hochkulturen, etwa die des Mittelmeerraumes (Rom und Griechenland), des Alten Orient, in China oder Südamerika weisen ähnliche Strukturen auf.
Es gab jedoch schon sehr früh auch einen anderen Ansatz. Bereits das Alte Testament stellt dem heidnischen Umfeld Israels eine abweichende Weltsicht entgegen, nämlich die "Entzauberung" der Welt: Diese wurde nicht als dämonisch oder von Göttern und Geistern belebt verstanden, sondern als Gottes gute Schöpfung. Der Gebrauch von Magie und Orakeln zur Erlangung "geheimen Wissens" über die Natur oder zur Beherrschung der Welt galt nicht nur als nicht notwendig, sondern im Gegenteil als gegen Gott gerichtetes Handeln. In 5. Mose 18 wird vor entsprechenden Praktiken gewarnt, in Jesaja 44 der Götzen- und Orakeldienst der Wahrsager als völlig nutzlos verworfen. Sie gelten als Einbildung und Menschenwerk. Auf diesem Hintergrund ist wohl zu verstehen, dass das Orakelwesen der Urim und Thummim im nachexilischen Israel nicht mehr praktiziert wurde.
Auch im vorchristlichen, von Kelten und Germanen bevölkerten Europa waren Religion und Alltagsleben der Menschen von heidnischen Mythen und Handlungen, einschließlich der Orakel (z.B. Runen), geprägt.
Nun scheint es im "christlichen Westen" nicht wenige Menschen zu geben, die sich, trotz Aufklärung, kritischen Denkens und technischen Fortschritts (oder gerade deshalb) nach einer erneuten "Verzauberung" der Welt sehnen, wie das starke Anwachsen von Esoterik und Astrologie, "New-Age-Bewusstsein" und Neo-Paganismus zeigt.
In diesem Zusammenhang spielen die verschiedenen Orakelsysteme eine wichtige Rolle. Sie werden als Möglichkeit verstanden, sich einer hinter der sichtbar-empirischen Welt liegenden "Wirklichkeit" nähern oder sogar mit ihr in Verbindung treten zu können. Begründet wird diese Meinung mit der esoterisch-holistischen, von asiatischer Religiosität geprägten Auffassung: "Alles ist in allem; und was oben ist, ist gleich dem, was unten ist."
Westliche Anhänger der Orakelpraktiken müssen jedoch Vorleistungen erbringen und Konsequenzen in Kauf nehmen. Zunächst geht es um ihre persönliche "Disposition": Sie begeben sich in den Bereich von Fiktion und Spekulation. Sie müssen in einem bestimmten Sinne "gläubig" sein. Verbunden damit ist die Forderung, blindes Vertrauen in die Wirksamkeit der jeweiligen Medien (Wahrsager, Kartenlegerin, Orakelpriester) und die von ihnen benutzten Gegenstände zu haben.
Von Orakeln werden Hinweise auf künftige Ereignisse, aber auch Handlungsanweisungen für das Hier und Jetzt erwartet. Damit unterwerfen sich die Orakelgläubigen fremden Einflüssen und häufig dem Zwang einer "sich selbst erfüllenden Prophetie" 7  - eine Konsequenz, die zu starken psychischen Veränderungen und allgemeinen negativen Auswirkungen bei der Lebensgestaltung führen kann.

Literatur
"Orakelbuch - Die Kunst, das Schicksal zu befragen" (zusammengestellt von Rolf Jeromin); Praesentverlag Güterlsloh, 1981
Patrick Ravignant, "Orakel - geheimnisvolle Kräfte", Wilhelm Heyne Verlag München, 1983

Anmerkungen 
1 R. Thunwald; zitiert bei van der Leeuw, G.: Phänomenologie, 428.
2 Die hier vorgelegte Auflistung ist eine Auswahl.
3 Einige von ihnen werden in diesem Heft an anderer Stelle ausführlicher beschrieben. (s. S. 11ff., 32ff., 36ff.)
4 Aberglaube (mhd. abergloube, von "aber": "verkehrt", "entgegengesetzt") also eigentlich "falscher Glaube" oder "Gegenglaube". Was als Aberglaube bezeichnet wird, steht als überholte (oder noch nicht mehrheitsfähige) Ansicht im Widerspruch zu den gerade aktuellen (wissenschaftlichen) Vorstellungen von der Welt oder im Gegensatz zu den gerade vorherrschenden religiösen Glaubensvorstellungen. Die Bewertung einer Vorstellung oder Handlung als "abergläubisch" ist vom Standort des Urteilenden abhängig.
5 Vgl. die "Karmapa"-Kontroverse der 90er Jahre
6 Dalai Lama: Das Buch der Freiheit, 1993, 312.
7 Der Begriff self fulfilling prophecy (sich selbst erfüllende Prophezeiung) geht zurück auf den Soziologen Robert K. Merton. Er bezeichnet damit das Phänomen einer sich selbst bestätigenden Vorhersage, indem eine Person an den Wahrheitsgehalt sowie das Eintreffen dieser Vorhersage glaubt und durch ihr Handeln und Verhalten zum Eintritt der Prophezeiung beiträgt.


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