Zeugen Jehovas

Rüdiger Hauth, 1996

GRUENDER:

Charles Taze Russell, geb. 1852 in Pennsylvania. Seine Eltern gehörten der Presbyterianischen Kirche an. Als 15jähriger beschäftigte er sich intensiv mit religiösen Fragen und schloß sich 1870 einer adventistischen Splittersekte an (Second Adventists). Von deren Vorstellungen z.B. der Berechenbarkeit der Wiederkunft Christi und des Endes der Welt, wurde er stark beeinflußt. Die Zusammenarbeit mit der Splittergruppe dauerte einige Jahre. Nachdem er sich im Streit von ihr getrennt hatte, brachte Russell 1879 eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Zions Wachtturm" heraus, um seine inzwischen gewonnenen Erkenntnisse und Lehren besser verbreiten zu können. 1881 gründete er die "Wachtturm Traktat-Gesellschaft". In den folgenden Jahren entstand sein Hauptwerk, die "Schriftstudien". Gleichzeitig unternahm er zahlreiche Reisen, 1903 auch nach Deutschland, um seine Anhänger zu besuchen. Am 31. Okt. 1916 starb er während einer Vortragsreise in Texas.

ENTSTEHUNG & GESCHICHTE:

Mit der Gründung der "Wachtturmgesellschaft" im Jahre 1881 beginnt die Geschichte der "Ernsten Bibelforscher", die im Sommer 1931 den Namen "Zeugen Jehovas" bekamen. Russels Nachfolger im Präsidentenamt, Joseph F. Rutherford (1869 - 1942), der Verwaltung und alle Entscheidungen hinsichtlich der Lehre der mit Hilfe von Intrigen und brutaler Macht an die Spitze gekommen war, führte zahlreiche Neuerungen ein, die schließlich in der Errichtung einer geistig-geistlichen Diktatur mündeten. So wurde 1939 die "Leitende Körperschaft" in der Zentrale in Brooklyn/N.Y. zum "Kanal Jehovas" erklärt, dem bis heute exklusiv alle Befugnisse der Verwaltung und alle Entscheidungen hinsichtlich der Lehre zustehen. Sechs Jahre später hatten sich alle Zeugen Jehovas per Erklärung diesem Diktat zu unterwerfen oder die Organisation zu verlassen. Auf Rutherford geht auch das System der statistischen Berichte und das der "Königreichssäle" (Versammlungshäuser) zurück. -

Der dritte Präsident, Nathan H. Knorr (1905 - 1977), sorgte für eine weltweite Ausbreitung der Wachtturm - Ideologie und entwickelte eine Reihe von Schulungstechniken (z.B. die Theokratische Predigtdienstschule), die jegliches kritische Denken ausschalten. Unter seinem Nachfolger, Frederic Franz (1893 - 1992), erreichte die Sekte die Höchstzahl an "Verkündigern" (4,2 Mill im Jahre 1992), durchlief aber auch einige Krisen. Seit Dez. 1992 amtiert der fünfte ZJ-Präsident, Milton Henschel, geb. 1920.

LEHRE & PRAKTIKEN:

Wichtigster Begriff der Lehre ist "Harmagedon", die bald stattfindende, apokalyptische Endschlacht, bei der nur ZJ überleben werden. - Die Lehre von der Trinität wird scharf abgelehnt. Die Bibel wird streng wörtlich als "Gesetzbuch Jehovas" verstanden (vgl. die Blutfrage). Gott gilt als gnadenloser Richter im Endgericht. Typisch für die ZJ ist ihr Auftreten in der Oeffentlichkeit, der sog. "Felddienst". Dazu gehören unter anderem das 'Wachtturm-Stehen' auf belebten Straßen und Plätzen und die 'Mission von Tür zu Tür'. Ein dunkler Punkt im ZJ-System ist der unmenschliche Umgang mit Kritikern: Diese werden ohne Rücksicht aus der Gemeinschaft entfernt ("Gemeinschaftsentzug").

BEURTEILUNG:

Die Zeugen Jehovas werden in der Meinung einer breiteren Oeffentlichkeit als `die Sekte` schlechthin betrachtet. Konfessions kundlich gesehen stellen sie den Typ einer gesetzlichen, endzeitlich ausgerichteten, religiösen Gemeinschaft dar. Ihr Selbstverständnis ist exklusiv. Ihre Struktur ist streng hierarchisch von oben nach unten geordnet, bei der es für die einzelnen "Verkünder", man spricht nicht von `Mitgliedern`, keine demokratische Mitsprache oder eigene Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Lehrinhalte, die ein krasses Mißverstehen biblischer Texte widerspiegeln, werden vom "Kanal Jehovas" doktrinär und autoritär an die unteren Ebenen weitervermittelt: Widerspruch wird nicht geduldet und auch nicht geübt.

Die Sektenführung arbeitet gegenüber den "Verkündigern" im wesentlichen mit den Instrumenten "Angst"(vor dem Ausschluß und damit vor der ewigen Verdammnis) und "Verheißung"(Leben auf einer paradiesischen Erde). Von diesen selbst wird die totale "Hingabe an Jehova" gefordert, d.h. die nach Punkten meßbare Leistung für die Wachtturm-Gesellschaft. Mit der Zugehörigkeit zur Sekte verändert sich das Wesen und Denken eines Menschen derart radikal, daß das soziale Umfeld es nur mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen kann. - Die von der Sektenführung fest gelegte Abgrenzung gegenüber Staat und Gesellschaft wird von den einzelnen ZJ strikt beachtet und macht sie in jedem Land der Welt zu völligen Aussenseitern (keine Geburtstagsfeiern, keine christlichen Feste, keine Wahlbeteiligung, Probleme im schulischen Bereich, usw.).

Autor: Dr. Rüdiger Haut [Stand: 1996]

KRITISCHE LITERATUR:

Kritische URL

Netzwerk Sektenausstieg e.V.
Sehr empfehlenswerte kritische Seite mit viel Quellenliteratur
http://www.sektenausstieg.net/index.php [Stand: Mai 2007]

Totland, Kjell: Jehovas Zeugen und Kindererziehung
übersetzt von Friedrich Griess
Ich meine, daß dieser Aufsatz eine gute Anleitung ist, das Thema "psychische Schädigungen durch totalitäre Glaubensgemeinschaften" differenziert zu sehen. (Friedrich Griess)
http://sektinfo.org/totland.htm [Stand: August 2001]