Religio Religio-Info

Religio-Info-Dienst, Heft 3/94

Die "Sektenfalle", sind wir reingefallen?

Als wir in den neuen Bundesländern unsere erste Bekanntschaft mit neureligiösen Gruppen, den "Sekten", Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften machten, glaubten die Fachleute, diese hätten hier ein leichtes Spiel, würden das neue Territorium im Handstreich nehmen. Wehe den unbedarften...

Nach nunmehr vier Jahren kann man eine erste Bilanz ziehen: Der Blitzkrieg der "Sekten" war ein Flop, wenngleich wir alle Gruppen der Szene, die in Deutschland aktiv sind, auch in den neuen Bundesländern finden können. Es hat spektakuläre Aktionen gegeben, wie zum Beispiel das Pilotprojekt Dargen auf Usedom, in dem Scientology fast eine ganze Region hinters Licht geführt hätte. Und es sind tragische Ereignisse ueber uns hereingebrochen, wie zum Beispiel der Mord an einem Schüler in Sondershausen. Beide Ereignisse mögen beispielhaft das Spektrum der Szene verdeutlichen: einerseits zielgerichtete Aktion einer straff organisierten Sekte, andererseits der Ausdruck eines irregeleiteten Glaubens, einer fanatischen und extremen Weltsicht. Und doch hat die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger immer wieder gesiegt, hat ebendieselbe Vernunft Fragen gestellt, oft unerbittlich, hat die Auseinandersetzung in der Oeffentlichkeit gesucht und immer wieder die Kompetenz des gesunden Menschenverstandes dargeboten. Wenn es extremen Gruppen nicht gelungen ist, Massen in ihren Bann zu ziehen, dann ist das wohl auch der Ausdruck einer gesunden Respektlosigkeit vor abstrusen Theorien. Diese Respektlosigkeit ist um so wichtiger, je häufiger sich neue Heilsbringer darin gefallen, ihre Theorien wissenschaftlich zu verbrämen und die Menschen bei ihren Aengsten und Nöten abholen. Dass Sie sich die Fähigkeit zur Respektlosigkeit der Frage immer bewahren, wünscht Ihnen von Herzen

Ihr Winfried Müller


Nostradamus.

Autor: Hans-Gerhard Stumpf

Teufelsglaube, Hexenglaube und Wundersucht beherrschten viele Jahrhunderte hindurch die Christenheit des Mittelalters; Seher und Propheten genossen grosses Ansehen, und nur wenige Menschen konnten sich ihren "Ausstrahlungen" entziehen.

Ein Name aber hielt sich vom 16. Jahrhundert an bis in unsere Zeit und gilt als Synonym für prophetische Vorausschau - Michel de Notre Dame, der sich Nostradamus nannte. Er wurde am 14. Dezember 1503 (mittags, wie es Astrologen überliefert hatten) in Remy, in der französischen Provence geboren. Vater und Grossvater mütterlicherseits Aebten die Berufe von Medizinern aus; der Opa war sogar als Leibarzt des Herzogs von Calabrien tätig gewesen und verfügte als ehemaliger Sektenschüler über grosse Kenntnisse in Mystik, Magie und Astrologie. Er war es auch gewesen, der Michels Geburt nach seinen Sternenberechnungen auf 11. 14 Uhr festgelegt hatte.

Schon im frühen Alter zeigte de Notre Dame auffallende Hinwendung und Begabung für die damaligen Wissenschaften, für die Mystik und für die Himmelskunde. In Avignon studierte er "die humanen Wissenschaften", praktizierte bereits mit 22 Jahren als Arzt und promovierte als 25jähriger zum Doktor der Medizin. Durch seine astrologische Tätigkeit soll er bekannter gewesen sein als durch die medizinische. Er heiratete, aber schon nach wenigen Jahren starben in Tolouse Ehefrau und seine beiden Kinder an der Pest. In der Folge durchwanderte er ein Jahrzehnt lang Italien und Frankreich, liess sich danach in Salon de Craux (zwischen Avignon und Marseille gelegen) nieder und heiratete dort eine vermögende Patriziertochter (nach Pakraduny). Er schrieb 10 Bücher, zumeist medizinische, ein kosmetisches Buch mit dem Titel "Des Fards et des Seintures" (Das Schminken und die Gerüche) und "Ausgewählte Rezepte der Gesundheit".

Er soll Visionen ("geoffenbarte Inspirationen") gehabt haben und der Überzeugung gewesen sein, "dass seine Weissagungen gottgewollt" gewesen waren. Davon zeugt die Ueberschrift von zwei Centurien, die da lautet "Vom göttlichen Geist ergriffen, weissagt die Seele". Insgesamt schuf Nostradamus in späteren Jahren 942 sogenannte Quatreins (vierzeilige Verse), die in 10 sogenannte Centurien (1 Centurie zu 100 Quatreins) zusammengefasst wurden. Lediglich die 7. Centurie besteht nur aus 42 Vierzeilern, anstatt aus 100. Doch dafür hatten die eifrigen "Ausleger"der nostradamischen scheinbaren Prophezeiungen auch eine Erklärung; man nahm die mathematische Zahl Pi (3, 14) zu Hilfe und konstruierte: 3 . 3, 14 . 100 = 942; obwohl dies nicht ganz stimmen dürfte; denn 22/7 (22 : 7) = 3, 14159265....etc, etc. etc. - also hätte Michel noch einen "Teilquatrain" anhängen müssen. Als kleines Beispiel möchte ich aus der I. Centurie den 35. Vierzeiler anführen, der noch am leichtesten verständlich erscheint:

In der Uebersetzung lautet dieser Quatrein: "Der junge Löwe überwältigt auf dem Kriegsplan den alten durch einen Einzelkampf. Im goldenen Käfig spaltet er ihm die Augen, (der nächste Satzteil ist nicht verständlich - es wird übersetzt:) das eine der zwei Zerbrechen, dann sterben." (nach Bächtold-Stäubli, Band 6, S. 1126)

Durch diesen Vierzeiler soll Nostradamus' Ruhm als Prophet entstanden sein, da die 'Ausleger' diese 'Voraussage' auf den Tod des Königs Heinrich II von Frankreich bezogen hatten, der "1559 bei einem Turnier durch einen Lanzenstich verletzt" wurde; dieser drang durch das goldene Schutzgitter seines Helmes und traf sein rechtes Auge; "an dieser Wunde ist er einige Tage später gestorben."

Nahm man nun bei diesem Quatrain "das französische Wort 'classe' nicht wörtlich..., sondern als das griechische Wort "Klassis (= gewaltsamer Bruch)..., konnte man den betreffenden Vers so lauten lassen: 'Der junge Löwe wird den alten überwinden, auf kriegerischem Feld im Einzelkampf. Im goldenen Käfig die Augen wird er ihm ausstechen. Von zwei Brüchen der erste, dann sterben, grausamer Tod." Die letzte Zeile wird von seinen 'Erklärern' so interpretiert, "dass das französische Königshaus (der Valois) zwei gewaltsame Brüche erleben würde." (Leithäuser S. 380 und 381)

"Die Weissagungen sind in einem von fremden Vokabeln durchsetzten Französisch, angeblich voller Wortversetzungen und Deckworte niedergeschrieben. Nostradamus sagt, er habe sie absichtlich dunkel gehalten und durcheinander gewirrt. Doch glauben manche an eine bewusste Ordnung in der Unordnung, und man will heute sogar den Schlüssel der Anordnung gefunden haben, der freilich dunkler anmutet als Nostradami dunkle Sprüche." (A.a.O. S. 1125 - vergleiche auch dazu V.J. Hewitt und Peter Lorie)

Max Dessoir sagt dazu: "Die meisten berühmten Prophezeiungen sind Fälschungen: sie sind viel später entstanden als sie angeben, daher zutreffend bis zum wirklichen Entstehungsjahr, aber phantastisch in bezug auf das Kommende. Andere bewähren sich durch Zufall. Wiederum andere, wozu auch die des Nostradamus gehören, sind so vieldeutig abgefasst, dass sie auf mehrere Ereignisse angewendet werden können: treffen sie bei dem einen nicht zu, dann vielleicht bei dem anderen. Das Wunder des Nostradamus ist nicht sein Text, sondern die Auslegekunst seiner Erklärer..." (a.a.O. S. 127)

"Da Nostradamus' spezifischere Prophezeiungen nicht weit über das achtzehnze Jahrhundert hinausgingen, wäre es vermutlich zwecklos zu versuchen, die entsprechenden gegenwärtigen Ereignisse mit den jeweiligen Vorhersagen in Verbindung zu bringen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang jedoch, dass er das Entstehen eines arabischen Reiches prophezeite." (Welt-Almanach des Uebersinnlichen S. 285)

Bächtold-Stäubli sagt dazu: "Nostradamische Prophetien, wohl meist zurechtgestutzt, gingen in Frankreich als Volksbücher um. Bei uns erlangten sie wohl nur in Weissagungs-Anthologien zu bestimmten zeitgeschichtlichen Anlässen...weitere Verbreitung. Der Name selbst lebt wohl zumeist nur noch durch die Angabe in Göthes Faust." (Bächtold-Stäubli S. 1131)

Nun erschien 1991 das Buch von Hewitt und Lorie: Die unglaublichen Weissagungen des Nostradamus zur Jahrtausendwende - Seine Prophezeiungen endlich entschluesselt. Beide Autoren beschreiben darin einen recht komplizierten Zahlen- und Buchstabencode, mit dem man viele Vierzeiler Nostradami auf Ereignisse unserer Zeit beziehen könnte. (Die Pythia von Delphi würde hierbei etwas neidisch werden!)

In unserer Gegenwart wird Michel de Notre Dame sogar als "Einstein der PSI-Kräfte" hochgejubelt, und wir erfuhren vor kurzem, dass seine Quatreins sogar bis zum Jahre 3 798 vorausschauen sollen!

Hewitt und Lorie geben aber selbst in ihrem so euphorisch geschriebenen Buch am Ende zu: "Schlussendlich sind wir aber unserem Versuch, Nostrtadamus einigermassen richtig zu entschlüsseln, immer von einem Faktor abhängig - wir muessen ihm vertrauen, bis einige der Ereignisse Wirklichkeit zu werden beginnen." Also können Ereignisse der Weltgeschichte erst im Nachhinein mit einigen dunkel gehaltenen Vierzeilern verglichen und in solchem Sinne gedeutet werden.

Hier würde mein verstorbener väterlicher Freund und Lehrer Wilhelm Gubisch (einer der wohl grössten Okkultaufklärer deutscher Sprache) fragen und anschliessend antworten: "Was ist nun das Geheimnis an der Auslegung und oft auch Verfälschung der 942 Vierzeiler Nostradami? Das Geheimnis ist der GLAUBE, der vorgefasste Glaube an diesen Hellseher und Präkognosten Michel de Notre Dame. Dieser führt in den meisten Fällen zu einer Selbsttäuschung, die von grossen Ausmassen sein kann; denn der "Ausleger" deutet, wenn irgend möglich, die Aussagen des Zukunftsdeuters, er deutet sie und konstruiert die Treffer."

Eine Reihe von starken Kritikern bedauert auch, dass es zur damaligen Zeit noch keine psychiatrischen Untersuchungen gegeben hat, in denen man über Wahnerkrankungen, Wahnkomplexe und Schizophrenien Aufschluss erhalten konnte.

...übrigens hatten die alten Römer bereits vor über 2 000 das geflügelte Sprichwort gehabt "Stupiditas voncit ubique" (Die Torhei siegt überall.) ...und hinzufügen sollte man, "wenn schon nicht überall, was ja absolut wäre, so doch an vielen Orten".

Leider aber müssen wir nach HORAZ (Epistel I, 2, 69) sagen: "Quo semel est imbuta recens servabit odorem testa diu" (Den Geruch, mit dem der Topf neu einmal getränkt worden ist, wird er lange behalten.)

Eigentlich müsste man zum Schluss noch nach HORAZ äussern: "Risum tenatis amici!" (Wer müsste da nicht lachen, Freunde!). Doch die Sache ist wesentlich ernster! "Wir können uns wirklich nicht über frühere Generationen erhaben fühlen. Wenn es einst einen Hexenwahn gab, so hat es in unserem Jahrhundert eine Verteufelung der Juden, den Aberglauben an "Rasse" und "Blut" und die Ermordung Unzähliger gegeben. Es ist nicht viel damit getan, den alten Aberglauben zu entlarven. Der Abergläubische ist dadurch nicht zu überzeugen, und der Aberglaube wird sich anderer Personen oder anderer Formen bedienen. Es kommt darauf an, die Ursachen des Aberglaubens zu beheben, die AENGSTE und die UNSICHERHEIT (gesperrt gedruckt vom Autor dieses Artikels). Erst der Mensch, der innere Sicherheit gefunden hat, lässt sich nicht beeindrucken von den hektischen, verwirrenden, abstrusen, unwürdigen und gefährlichen Verlockungen und Drohungen des Aberglaubens." (Leithäuser S. 387 / 388). Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

Literaturangaben:

Bächtold-Stäubli, Hans:
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 6. Walter de Gruyter Berlin, New York 1986
Bärwald, Richard:
Okkultismus und Spiritismus und ihre weltanschaulichen Folgerungen. Deutsche Buchgemeinschaft GmbH Berlin 1926
Bonin, Werner F.:
Lexikon der Parapsychologie und ihrer Grenzgebiete. Orbis Verlag für Publizistik GmbH München 1986
Dessoir, Max:
Vom Jenseits der Seele - Die Geheimwissenschaften in kritischer Betrachtung. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart 1918
Gubisch, Wilhelm:
Hellseher, Scharlatane, Demagogen. Ernst Reinhard Verlag München/Basel 1961
Heuer, Hanns Manfred:
hax pax max. Wunder und Geheimnisse des Okkultismus. Merlin Verlag Hamburg 1973
Hewitt, V.J. und Lorie, Peter:
Die unglaublichen Weissagungen des Nostradamus zur Jahrtausendwende - Seine Prophezeiungen endlich entschlüsselt (1992 - 2001). Bertelsmann Club GmbH Gütersloh 1991
Leithäuser, Joachim G.:
Das neue Buch vom Aberglauben. Safari Verlag Berlin 1964
Pakraduny, T.:
Die Welt der geheimen Mächte. Vollmer Verlag Miesbach/Obb. o.J.
Prokop, O; Wimmer, W.:
Der moderne Okkultismus - Parapsychologie und Paramedizin; Magie und Wissenschaft im 20. Jahrhundert, 2. Auflage. Gustav Fischer Verlag Stuttgart, New York 1987
PSI-Journal 2/1992:
PSI Verlag Baden/CH
Seligmann, Kurt:
Das Weltreich der Magie - 5 000 Jahre geheime Kunst. R. Löwit Wiesbaden o. J.
Welt-Almanach des Uebersinnlichen:
Ein einzigartiges Kompendium aller rätselhaften Phänomene und unglaublichen Erscheinungen. Wilhelm Heyne Verlag München 1977
Dr. Hans-Gerhard Stumpf

Das ontosophische Modell von Pößneck

Im thüringischen Ranis sorgt ein Unternehmen für lokale Aufregung, daß "Ontosophisches Modell zur Förderung ganzheitlicher Lebensqualität und Gesundheit, Schloss Brandenstein, 07389 Ranis" heisst.

Das ontosophische Modell ist ein bislang in Thüringen zum ersten Mal nachgewiesenes Konzept ganzheitlicher Weltsicht. Nach dem uns vorliegenden Material handelt es sich nicht um ein wissenschaftliches Lehr- und Forschungsprojekt, sondern um ein Unternehmen mit esoterisch-synkretistischem Hintergrund. Ontosophie wird vom Begründer des ontosophischen Modells, Herrn Dr. Walter A. Frank, als "Seins-Weisheit" bezeichnet.

Beim Begriff "Ontosophie" handelt es sich im vorliegenden Falle um eine Wortneuschöpfung von Dr. Frank. Der Begriff taucht nämlich in der Philosophiegeschichte nur ein einziges Mal im 17. Jahrhundert auf, und zwar in der "Ontosophia Johann Claubergs".

Auf Grund des vorliegenden Materials von Dr. Frank ist nicht anzunehmen, dass er das Buch von Clauberg, Johann: Johannis Claubergii Ontosophia, quä vulgo metaphysica vocatur. Jiguri, 1691. gelesen hat, bzw. es zur Grundlage seines wissenschaftlichen Bemühens gemacht hat. Dr. Frank ist nach dem Literaturbefund ein ausgewiesener Ethnologe von dem aber ausser seiner 1974 vorgelegten Dissertation, die im Universitätsverlag Wagner, Innsbruck, München veröffentlicht wurde, keine weiteren Monographien nachweisbar sind. In jüngster Zeit ist Dr. Frank mit Rezensionen des Helix-Verlages aufgetreten. Von der New-Age-Bewegung wurde er laut Waschzettel des Helix-Verlages zu den Vordenkern von New-Age gerechnet.

Wie aus Ranis zu erfahren ist, hat Dr. Frank Schloss Brandenstein für sein ontosophisches Modell von der Stadt gepachtet und versucht das Unternehmen mittels eines gemeinnützigen Vereins und einer Stiftung zu finanzieren, eventuell auch förderfähig zu machen. Nach dem uns vorliegenden Material ist es aber zumindest fraglich, ob der Ansatz eines esoterisch ausgerichteten Unternehmens den Kriterien der Förderungsigkeit der öffentlichen Hand entspricht. Tatsache ist, dass das Anliegen des "Ontosophischen Modells" nicht allgemein anerkannt ist, da eine Berufung auf esoterische und parawissenschaftliche Methoden (wie sie in den in Ranis verteilten Blättern von Dr. Frank geschieht) zumindest in den Bereich der Aussenseiterwissenschaft gehört. Esoterische und astrologische Organisationskonzepte könnten höchstens privatwirtschaftlich betrieben werden, da ihnen die notwendige gesamtgesellschaftliche Akzeptanz fehlen. Oeffentliche Fördermittel sind wohl an anderer Stelle des sozialen Engangements des Staates besser aufgehoben.

Wahrscheinlich handelt es sich hier um den Versuch, einem parawissenschaftlichem Unternehmen den Anschein naturwissenschaftlicher Solidität zu verleihen.