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DIALOG & APOLOGETIK | BERLINER DIALOG 15, 4-1998 - Epiphanias |
Christlicher Glaube und die Religionen
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Das Christentum war in unserem Land noch nie mit so vielen Religionen, religiösen Strömungen, Richtungen und Unternehmungen konfrontiert wie heute. In einer solchen Situation stellt sich unabweisbar die Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen hinsichtlich der Wahrheitsgewißheit und des Wahrheitsanspruchs. |
Im Rahmen einer groben Übersicht lassen sich vier Typen der Verhältnisbestimmung unterscheiden. Ich spreche von Typen, weil es davon jeweils unterschiedliche individuelle Ausprägungen gibt, deren Abweichungen voneinander sogar erheblich sein können. An die Beschreibung dieser vier Typen schließe ich jeweils gleich eine kurze kritische Würdigung an. Foto: Dialog Center Aarhus |
Typ 1: Religionen basieren gar nicht auf Wahrheit |
Typ 2: Alle Religionen enthalten nur Foto: Anders Blichfeld, DCI |
Gerne wird dabei das buddhistische Bild von den Blinden herangezogen, die alle an unterschiedlichen Stellen einen Elefanten betasten (am Kopf, Ohr, Zahn, Rüssel, Rumpf, Bein etc.) und dabei zu völlig unterschiedlichen, scheinbar unvereinbaren Aussagen über das kommen, was sie betastet haben (Kessel, Schaufel, Pflugschar, Pfeiler etc.). Dabei liefert das Bild die Erklärung für diese scheinbaren Widersprüche gleich mit: Die Gegensätze entstehen dadurch, daß partikulare oder perspektivische Erkenntnisse generalisiert oder verabsolutiert werden. Darin scheint auch schon der Therapievorschlag erhalten zu sein: Akzeptiert eure Partikularität und Perspektivität sowie die Unerkennbarkeit des Ganzen, dann könnt ihr auch die partikularen Wahrheitserkenntnisse der Religionen akzeptieren und anerkennen. |
Typ 3: Unsere Religion ist wahr, die anderen befinden sich im Irrtum Foto: DCI Archiv BERLINER DIALOG |
Die Stärke dieser Theorien besteht vor allem darin, daß sie die unbedingte Geltung und Verbindlichkeit der als wahr erkannten Religion ernst nehmen wollen. Aber sie gehen von da aus zu folgender Überlegung weiter: Da es nur einen einzigen Gott geben kann, müssen sich die Aussagen aller Religionen auf ihn beziehen und an ihm messen lassen. Wenn nun aber Gott sich in der eigenen Reli gion geoffenbart, also zu erkennen gege ben hat, dann müssen alle Aussagen über Gott, die dieser Offenbarung widersprechen, falsch sein. Und ein Anhänger dieser fundamentalistischen Auffassung wird (sich) immer fragen: Warum soll ich etwas tolerieren oder gar akzeptieren, von dem ich doch weiß, daß es falsch ist? Dabei müssen die Vertreter fundamentalistischer Theorien nicht aggressiv oder gewalttätig mit den Anhängern anderer Religionen umgehen. Aber sie werden in der Regel alles tun, um die Entfaltung und Ausbreitung solcher fremdreligiöser Auffassungen zu verhindern.
Aus der Sicht des christlichen Glaubens ist eine solche fundamentalistische Theorie und Einstellung nicht akzeptabel. Dies ergibt sich nicht nur aus der Universalität des göttlichen Heilswissens, der für alle Menschen, also auch für die Anhänger anderer Religionen gilt, sondern dies gilt auch in Gestalt des Gebotes der Feindesliebe, durch das uns die Zuwendung zum anderen, zum Fremden, zu dem als bedrohlich Empfundenen und Erlebten zugemutet wird. Schließlich ist auch zu erinnern an die im Neuen Testament immer wieder enthaltene Aufforderung, alles zu prüfen, und an das Zutrauen in die Selbstdurchsetzungskraft und das befreiende Potential der Wahrheit (vgl. Johannes 8,32; Römer 12,2; 2. Korinther 13,8; Epheser 5,10; Philipper 1,10 und 1. Thessalonicher 5,21). Beides läßt sich aus der Sicht des christlichen Glaubens nicht mit der fundamentalistischen Position vereinbaren. |
Typ 4: Die eigene Wahrheitsgewißheit besitzt unbedingte Geltung; |
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Auch hierbei handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für mehrere Theorien. Den gemeinsamen Ansatzpunkt kann man gut mit einem Zitat von C.H. Ratschow markieren. In seinem Buch "Die Religionen" (Gütersloh 1979, S. 126f.) schreibt er: "Ein Gott ist als Gott der absolute Herr wie die absolute Wahrheit wie der einzig absolute Halt im Leben und im Sterben. Er besitzt diese absolute Geltung unter denen, die seine Epiphanie betraf. Alle anderen Menschen vermögen seinen absoluten Anspruch weder einzusehen noch anzuerkennen. Wem ein Gott nicht widerfuhr, der sieht seine Gottheit nicht ein! Der Absolutheitsanspruch der Religionen ist daher für die eigene Religion unabweisbar, für jede fremde Religion nicht nachvollziehbar." |
Ich bezeichne diesen Theorietyp als "positionellen Pluralismus" und gebrauche damit bewußt eine doppeldeutige Formulierung. Sie meint einerseits einen Pluralismus (also eine grundsätzlich anerkannte und als Möglichkeit gewollte Vielfalt) von religiösen Positionen, die je für sich von Wahrheitsgewißheit geprägt und bestimmt sein können. Und sie meint andererseits einen Pluralismus, der aus der Position des christlichen Glaubens gewonnen und abgeleitet ist, genauer: aus der Lehre vom heiligen Geist als dem Geist Gottes, der in einem Menschen den Glauben weckt, den der Mensch nicht von sich aus hervorbringen kann. Foto: Anders Blichfeld, DCI |
Was der christliche Glaube damit von sich selbst bekennt, muß er konsequenterweise zumindest als von Gott zugelassene Möglichkeit auch für andere Religionen gelten lassen. Vor allem aber muß er es sich verboten sein lassen, das Wirken des Heiligen Geistes in die eigene Regie nehmen zu wollen, um Anhänger anderer Religionen gegen ihre Überzeugung zu Christen zu machen. Dies schließt freilich die Bezeugung des eigenen Glaubens anderen Menschen gegenüber in keiner Weise aus. Im Gegenteil: Zum respektvollen und ernsthaften Austausch zwischen den Religionen gehört notwendigerweise die (wechselseitige) Bezeugung des eigenen Glaubens bzw. der eigenen Religion, also das, was wir mit einem herkömmlichen (und leicht mißdeutbaren) Begriff als den missionarischen Auftrag bezeichnen. Dieser Auftrag wird freilich dort nicht erfüllt, sondern geradezu verraten, wo die Bezeugung verfälscht wird zur Indoktrination oder zur Abwerbung mit unlauteren Mitteln. |
Offene Flanke |
wird von seinen europäischen Anhängern gegrüßt Foto: DCI Aarhus |
Was folgt aber daraus, wenn andere Religionen oder Weltanschauungen (auf dem selben Territorium) dem nicht zustimmen, sondern einen prinzipiellen Relativismus vertreten, der gar keine öffentlich artikulierten religiösen Wahrheitsgewißheiten duldet, oder wenn sie einen radikalen Fundamentalismus vertreten, der ebenfalls die öffentliche Kommunikation über Religion unterbindet und z.B. die Abkehr von der eigenen Religion unter Todesstrafe stellt?
Dr. Wilfried Härle ist Professor für Systematische Theologie (Ethik) in Heidelberg. |
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