Scientology hat die Regeln US-amerikanischer Politik begriffen
Schon vor neun Monaten soll in Florida ein deutsches Mitglied von Scientology Asyl erhalten haben. Die Frau behauptet, in Deutschland ihrer religiösen Überzeugungen wegen verfolgt worden zu sein, das jedenfalls meldete am Samstag die New York Times, die bisher für diese Nachricht auch die einzige Quelle ist. Am Sonntag lehnte eine Mehrheit des US-Repräsentantenhauses eine Resolution gegen die Behandlung der Scientologen in Deutschland ab. Immerhin aber wurde sie debattiert, war vom Ausschuß für Internationale Beziehungen fast einstimmig angenommen worden, und ein Abgeordneter aus Arizona äußerte seine Besorgnis über deutsche Intoleranz religiösen Minderheiten gegenüber. Vergangene Woche waren die Scientologen auch Gegenstand der Gespräche zwischen den Außenministern Kinkel und Albright. Wie schafft es Scientology, eine derartige Aufmerksamkeit zu erreichen?
"Elementary, my dear Watson", hätte Sherlok Holmes dazu gesagt: Die Scientologen beachten die Gesetze US-amerikanischer Politik, über die ihre Kampagne mehr lehrt als über die Behandlung von Minderheiten in Deutschland. "Regel Nummer eins: Definiere den Feind", lehrte George Bush 1988, "isoliere ihn", will sagen: bleib am Thema und grenze es ein. Das Geheimnis besteht darin, den Angriff nicht zu streuen.
"Message zuspitzen und vereinfachen", lautet die nächste Grundregel. Man vergleiche die Kampagne der Scientologen mit den Wahlen der letzten Woche. In Virginia gewann ein Gouverneur, weil er so gut wie ausschließlich die Autosteuer zu seinem Wahlkampfthema machte, und in New Jersey hätte der Herausforderer mit der Kraftfahrzeugsteuer um ein Haar Erfolg gehabt. Seit Monaten bombardiert Scientology die Medien und sorgfältig ausgewählte Abgeordnete beinahe täglich mit dem einen Thema: Scientologen werden in Deutschland verfolgt. Einem Abgeordneten aus West Virginia blieb es vorbehalten, darauf hinzuweisen, daß die Scientologen auch in anderen europäischen Ländern nicht als Kirche anerkannt werden und bis 1973 selbst in den USA damit Schwierigkeiten hatten. Die Scientologen sind klug genug, über andere Länder nicht zu sprechen.
Und noch eins haben sie kapiert - im Gegensatz zur deutschen Botschaft. Eine Grundregel US-amerikanischer Politik lautet: "Nicht zurückgewiesene Behauptungen werden zur Wahrheit." In den USA gibt es für "aussitzen" nicht einmal ein Wort. Ohne Gegenwehr auf dem gleichen Niveau von PR-Professionalität, dessen sich Scientology bedient, geht dieser Spuk nicht weg.
Letztlich ist auch das ein Kampagnentrick: Auch der unsinnigste Vorwurf zwingt den Gegner, Zeit und Geld zu verschwenden. Wer aber die Zeit und das Geld nicht aufbringt, verliert.
Peter Tautfest, 54,
ist USA-Korrespondent der Tageszeitung (TAZ) in
Washington. Sein Kommentar erschien zuerst in der "Tageszeitung" (TAZ) Nr.
5379 vom 11.11.1997 auf S. 2; wir danken dem Autoren und der Zeitung für die
freundliche Abdruckerlaubnis.