Weihnachten - ein Fest, das Widerspruch provoziert
Ein neues Weihnachtsbuch
gelesen von Thomas Gandow
Faber, Richard und Gajek, Esther (Hrsg.): Politische Weihnacht in Antike und
Moderne. Zur ideologischen Durchdringung des Fests der Feste. Würzburg,
1997, Verlag Königshausen und Neumann GmbH, ISBN DM 58,00
Faber und Gajek legen hiermit einen Sammelband mit interessanten, aber sehr
unterschiedlichen Beiträgen vor; Von besonderem Interesse ist die
Untersuchung des Tübinger Kulturwissenschaftlers und Nestors der
selbstkritischen Volkskunde, Hermann Bausinger, der sich anhand des
Weihnachtsfestes grundsätzlich mit dem "Germanensyndrom" in der deutschen
Volkskunde und ihrer ursprungsmythologischen Fundierung auseinandersetzt.
Er plädiert für eine Entnationalisierung des Weihnachtsfestes, was aber
offensichtlich leichter gewünscht als getan ist. Vielleicht muß die
Auseinandersetzung mit der "Deutschen Weihnacht" erst einmal geführt werden
um den in Deutschland auf dem Umgang mit dem Fest lastenden
Germanozentrismus zu überwinden. Der schöne, aber doch sperrige Festanlaß
selbst muß nicht erst "entnationalisiert" werden, heißt es doch im Lobgesang
des Simeon (Lukas 2, 30 f.) über den Festanlaß: "Meine Augen haben deinen
Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu
erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel."
Ideologisierung des Festes
Zur Aufarbeitung des zu beklagenden volkskundlichen Mißbrauchs mit dem Fest
kann der an Bausinger anschließende Aufsatz von Esther Gajek dienen. Sie
hat sich seit Jahren in immer anregender und weiterführender Weise mit
verschiedenen Aspekten des Weihnachtsfestes befaßt - mit der Geschichte
der Adventskalender, mit den Engeln, der Geschichte des Festes im Ganzen
und nicht zuletzt mit der Indienstnahme und dem Mißbrauch des
Weihnachtsfestes durch die NS-Bewegung. Die Regensburger Volkskundlerin,
zusammen mit Richard Faber Herausgeberin des Bandes, schildert, wie
deutsche Volkskundler daran beteiligt waren, u.a. im "Amt Rosenberg"
"germanisches" Brauchtum regelrecht zu konstruieren und ihre Erfindungen als
uralt auszugeben - übrigens mit bleibenden Folgen bis heute in
Schulbüchern, Illustrierten und zahlreichen populären Büchern zum
Weihnachtsfest, wo die tatsächliche "Ideologisierung eines Familienfestes
durch Volkskundler" noch heute als wissenschaftliches "Forschungsergebnis"
wahrgenommen wird.
Der Beitrag des Duisburger Politologen Klaus Kriener (mit einer instruktiven
Ergänzung von Esther Gajek) analysiert das Buch von Alain Benoist "Feter
Noel", und weist auf, daß die Triebe, die das "Germanensyndrom" in Bezug
auf Weihnachten in der Nazi-Zeit schlug, heute in der "Nouvelle Droite"
Frankreichs neuheidnisch-rechtsextreme Blüten tragen.
Aufsätze zur Entwicklung des Weihnachtsfestes in Deutschland zwischen 1870
und 1933 (Doris Foitzik) und über "Weihnachten in der DDR" (Christa Lorenz)
runden den Band ab. Weitere Beiträge stammen von Martin Leutzsch, Klaus
Wengst, Dieter Schellong, Hans- Martin Gutmann, Markus Kreuzwieser und Utz
Jeggele. Den Band beschließt ein Aufsatz von Helga Embacher über "Weihnukka.
Zwischen Assimilation und Vertreibung". Der Beitrag beschränkt sich
leider darauf, die Assimilationsproblematik in Deutschland und Österreich
am christlichen und jüdischen Lichterfest zu behandeln. Leider fehlen
Überlegungen über den inneren Zusammenhang zwischen dem jüdischen "Tag der
Weihe" (Jom Chanukka) und der christlichen "Nacht der Weihe", wie ihn etwa
Paul Cassel dargestellt hat (mehr darüber z.B. im Buch des Rezensenten
über "Glaube, Brauch und Entstehung des Christfestes"*).
Konstantinische Weihnacht nicht widerspruchsfrei
Nicht völlig zu überzeugen vermag der kenntnisreiche Aufsatz des Berliner
Religionssoziologen Richard Faber. Der Vergil-Spezialist beginnt bei der
Darstellung der "Konstantinischen Weihnacht" in der Antike, bleibt aber in
seiner Darstellung der Weihnachtsanfänge weitgehend den Findungen der heute
überholten "religionsgeschichtlichen Schule" verhaftet, leitet also das
christliche Weihnachtsfest ausschließlich aus Heidnischem ab und übersieht
die naheliegenden jüdischen Wurzeln. Fabers Hauptthese der "politischen
Generierung des Weihnachtsfestes überhaupt" vermag u.a. darum nicht zu
überzeugen, weil er z.B. die Auseinandersetzung mit dem nun einmal für das
Weihnachtsfest wichtigen, auch nicht unpolitischen jüdischen
Messiasgedanken einfach beiseite läßt.
Aus seiner absichtsvollen Darstellung ergeben sich im Übrigen schwerwiegende
Anachronismen und andere Widersprüche:
- "Noch hundert Jahre zuvor hatte Origines die Geburtsfeste der Götter und
Kaiser verspottet. Jetzt aber, spätestens seit 354" habe man geglaubt,
durch die Feier der Christgeburt und ihre Verlegung vom 6. Januar auf den
25. Dezember gegen den heidnischen Sonnengott "protestieren zu können"
(Hervorhebung von Faber). Wieso sollte man 354 eigentlich noch
protestieren, wo der Sonnenkult bereits in der Regierungszeit des Hl.
Konstantin, Kaiser von 306 - 337 (!) abgelebt war, und die Sonnensymbole
schon in seiner Regierungszeit nach und nach selbst von den Münzen
verschwanden?
- Welchen Sinn macht im Übrigen eine Protest-Verlegung und welcher Kontrast
(Christuskult gegen Sonnenkult etwa?) wird zu diesem Protest verwandt, wenn
laut Faber schon "seit dem vierten vorchristlichen Jahrhundert das Fest
der Wintersonnenwende in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar ... gefeiert
wird"? Also "Protest" gegen ein Sonnwendfest mit einem Sonnwendfest?
- Schon die Theologie des Weihnachtsevangeliums des Lukas, (und nicht etwa
erst Konstantin und seine Hoftheologen nach der Konstantinischen Wende)
stellt den Zusammenhang zwischen Augustus und Christus her, schreibt
drastisch von der Inkarnation (Windeln!) und führt im Rahmen des
Weihnachtsevangeliums neben dem Lobgesang der Engel auf dem Feld zu
Bethlehem drei psalmartige Lieder ein - mit offensichtlichem Bezug zu
einer bereits existierenden Geburtsfesttradition.
- Der "späte Lukas der Weihnachtsgeschichte" (Faber) schreibt zwischen 80
und 90. Spät? Vielleicht. Aber immerhin mindestens 200 Jahre vor jeder
"konstantinischen Weihnacht". Für Faber aber steht fest, daß "die Christen
über zweihundert Jahre lang ausschließlich den Tod und die Auferstehung
ihres Christus Jesus - nicht seine Geburt" feierten. Erst das
Auferstehungsfest habe "eine Problematik aufgeworfen, die Erstursache
dafür wurde, seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert auch Jesu
Geburtsfest zu feiern."
Man fragt sich, was die Christen nur zwischen 90 und 300 mit den
Lobgesängen der Maria, des Zacharias und des Simeon gemacht haben? Ganz zu
schweigen von dem aus dem Tempel auf das Feld von Bethlehem übertragenen
Hymnus der Engel? Sollten ausgerechnet diese feierlichen Texte samt dem
Weihnachtsevangelium in Lukas 2 außerhalb gottesdienstlicher Feiern oder
etwa gar bei Passionsfeierlichkeiten oder in der Osternacht gelesen worden
sein?
In Wirklichkeit haben schon Lukas und die Gemeinde am Ende des ersten
Jahrhunderts, in deren Umfeld er schreibt, das Christusbekenntnis von
der Auferstehung und der Taufe zurück bis zur Krippe und sogar bis zur
Empfängnis getragen.
- Origines, Fabers Gewährsmann für angebliche Geburtsfestfeindlichkeit
früher Christen "noch hundert Jahre zuvor", also Mitte des dritten
Jahrhunderts, schreibt bereits 248, "daß jeder in Bethlehem, sogar der
Heide, die Höhle, worin Christus geboren, und darin die Krippe, worin er
in Windeln gelegen, zeigen kann."
- Auf den Hl. Konstantin werden volkserzieherische Steuerungsabsichten und
Steuerungsmöglichkeiten rückprojiziert, wie sie heutige Politiker und
Massenbeeinflußungsstrategen haben mögen oder haben möchten. Solche
Projektionen in die Vergangenheit sind freilich dann legitim, wenn
Vergangenes dem heutigen Leser mit Heutigem erklärt werden kann. Schwierig
wird es, wenn mit dem so gewonnenen Befund Heutiges erklärt und bewiesen
werden soll. Faber endet deshalb konsequent mit kalauerndem Politisieren
über Ministerin Nolte und Bundeskanzler Kohl, aus deren Weihnachtsreden
er Stützen für seine These der "politischen Generierung des
Weihnachtsfestkreises überhaupt" ableiten möchte.
Ein Fest, das Widerspruch provoziert
Im Ganzen aber haben Gajek und Faber einen empfehlenswerten, spannenden Band
interdisziplinärer Weihnachtsforschung vorgelegt, der gerade in seiner
widersprüchlichen Vielfältigkeit zeigt, daß Weihnachten selbst in
Deutschland keineswegs zum bloßen und glattgekämmten Familienfest
geworden ist. Vielmehr wird auch an diesem Buch deutlich, daß beim
Christgeburtsfest der gefeiert wird, von dem es im Weihnachtsevangelium
heißt: "Siehe, dieser wird gesetzt zum Fall und Aufstehen vieler in Israel
und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, ... auf daß vieler Herzen
Gedanken offenbar werden." (Lukas 2, 34 f.)
Exegetisches
Erhellendes und Ergänzendes zu den theologischen und exegetischen
Hintergründen der Weihnachtsevangelien bei Lukas und Matthäus findet sich
bei Raymond E. Brown: Der Messias in der Krippe. Versuche über die drei
biblischen Weihnachtsgeschichten. Würzburg, 1997, Echter Verlag, 65 S., ISBN
3-429-01943-5, DM 19,80
Der Verfasser, emeritierter Professor für Biblische Theologie am Union
Theological Seminary in New York, war Mitglied der päpstlichen
Bibelkommission und gilt als einer der wichtigsten römisch-katholischen
Bibeltheologen in den Vereinigten Staaten. Seine Veröffentlichung unter
der Leitfrage "Wie kommt ein erwachsener Messias in die Krippe" ist eine
der wenigen neueren exegetischen Arbeiten zu den Weihnachtsevangelien.
*) Thomas Gandow: Weihnachten. Glaube, Brauch und
Entstehung des Christfestes, München 1994 (2), Münchener Reihe Nr. 658,
ISBN 3-583-50658-8, DM 9,80