Interview
Scientology-Aussteiger Gerry Armstrong hatte in Berlin und Hamburg eine
Reihe von Presseterminen zu absolvieren. Wir dokumentieren im Wortlaut ein
Interview, das er den Redakteuren der "tageszeitung TAZ" Bernhard Pötter und
Bernd Pickert gab. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck
des Interviews, das zuerst in der "tageszeitung" vom 7. Nov. 1997 erschien,
der Redaktion der Tageszeitung sowie Herrn Bernhard Pötter und Herrn Bernd
Pickert. - Red.
Herr Armstrong, hat Scientology Sie in Ruhe gelassen, nachdem Sie die Organisation verlassen hatten?
Natürlich nicht. Die Organisation wußte, daß ich wegen meines Wissens eine Bedrohung darstellte. Sie erklärten mich zur "Suppressive Person" [Unterdrücker = Scientology-Definition für ihre Kritiker, Anm. d. Red.]. So eine Person ist dem ausgesetzt, was Scientology seine "Fair Game Doctrin" nennt: Sie darf und soll verleumdet, bedroht, bestohlen, zerstört werden.
Was haben sie denn mit Ihnen gemacht?
Sie haben mir Privatdetektive auf den Hals gehetzt, die praktisch 24 Stunden am Tag bei mir und meiner Frau blieben. Über einen Monat lang, im August 1982, kamen diese Privatdetektive auf unser Grundstück, sahen durch unsere Fenster, bedrohten uns, kamen auf der Straße auf mich zugefahren und stiegen erst kurz vorher auf die Bremse, all solche Dinge, die einen nervös machen.
Und mit welchem Ergebnis?
Scientology legte schließlich einen Vertrag vor, den ich unterschreiben sollte. Der verbietet mir, über meine Erfahrungen mit Scientology zu reden. Wenn ich das tue, kann ich verfolgt werden und muß 50.000 Dollar Strafe zahlen. Dieses Gespräch mit Ihnen kostet 50.000 Dollar!
Warum haben Sie dann unterschrieben?
Auch mein Anwalt war ähnlichen Operationen ausgesetzt wie ich. Er hatte das Gefühl, daß sie ihn ermorden wollten, sie haben seine Familie bedroht, sie haben ihn fünfzehnmal vor Gericht gebracht. Er war es schließlich, der dringend wollte, daß die Geschichte ein Ende hat - und so bekniete er mich, zu unterschreiben. Dieser Vertrag legte also fest, daß ich nichts mehr sagen darf und Scientology dafür mit den "Fair Game" Aktionen gegen mich aufhören wurde. Der Krieg wäre zu Ende.
Und war er zu Ende?
Nein, tatsächlich attackierte Scientology mich und andere, die unterschrieben hatten, in den Medien weiter. Sie veröffentlichten eine eigene Version meiner Erfahrungen - die einfach erlogen war.
Aber hat denn dieser Vertrag irgend eine Rechtskraft?
Kein westliches Land würde so einen Vertrag für statthaft halten. Aber Scientology ist so reich, daß sie sich die allerteuersten Anwälte leisten können, um die US- Gerichte dazu zu bringen, so etwas durchzusetzen. Ich halte das für Korruption. Deshalb rede ich, auch hier in Deutschland.
Deutschland steht doch besonders unter dem Druck der USA.
Es gibt derzeit mehr Freiheit in Deutschland als in den Vereinigten Staaten. Viele in den USA, die in meiner Situation sind, sind sehr froh über die Wachsamkeit, die dieser Organisation in Deutschland entgegengebracht wird.
Ist denn Scientology tatsächlich so groß und gefährlich?
Scientology behauptet, zehn Millionen Mitglieder zu haben. Ich glaube das nicht, es sind vielleicht 150.000 weltweit. Diese 150.000 allerdings sind vollständig der Organisation ergeben. Sie machen absolut alles, befolgen jeden Befehl. Sie sind in allen gesellschaftlichen Schichten. Scientology ist wie ein Geheimdienst aufgebaut: Sie sammeln Informationen über Leute, Organisationen, Finanzen.
Aber was will Scientology damit? Die Weltherrschaft?
Das würden sie liebend gerne. Wir haben in der Organisation immer von einem "gereinigten Land" oder von einem "Scientology-Land" gesprochen. Ein Land, das von Scientology beherrscht wird.
Gibt es dafür echte Strategien oder ist das nur so eine Redensart?
Fast alle Aktivitäten von Scientology sind sehr detailliert in ausgefeilten Programmen beschrieben. Schritt für Schritt sind dort zu entwickelnde Aktivitäten aufgeschrieben - ob es um "schwarze Propaganda" geht oder Operationen gegen Personen.
Und was ist das Ziel von all diesen Aktivitäten?
Das Endziel ist Kontrolle, wohin das Auge blickt. Weltherrschaft. Natürlich sind sie davon weit entfernt, selbst von der Herrschaft über ein einziges Land. Aber um in einem Land etwas durchsetzen zu können, muß man auch nicht unbedingt die absolute Kontrolle haben. Wie Sie sehen können, haben sie in den USA schon einige Schritte geschafft.
Wollen Sie behaupten, daß Scientology die Vereinigten Staaten beherrscht?
Wenn man es in den USA erreicht, vor Gericht einen Präzedenzfall zu schaffen, dann beherrscht man einen Teil des Rechtswesens. Scientology hat viel Geld, und sie setzen dieses Geld ein, um Gerichtsentscheidungen zu ihren Gunsten zu erwirken. So schaffen sie Präzedenzfälle - und schüchtern andere ein, Opfer, Anwälte, Richter. Trotzdem ist Scientology natürlich weit davon entfernt, das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten zu kontrollieren.
Halten Sie es denn für richtig, Scientology mit geheimdienstlichen Methoden überwachen zu lassen wie es der Verfassungsschutz in Deutschland tut?
Wenn Sie akzeptieren, daß es überhaupt irgendeine Rechtfertigung für die Existenz eines Geheimdienstes gibt, daß also ein Geheimdienst Informationen beschaffen soll, die zur Sicherheit eines Landes beitragen - dann würde ich ja sagen. Scientology stellt eine Bedrohung für die demokratische Verfaßtheit jedes Landes dar.
Aber was genau ist denn diese Bedrohung? Ist das nicht maßlos übertrieben?
Es ist keine Bedrohung, gegen die man sich mit Waffengewalt wehren müßte. Aber Scientology hat dieses totalitäre Endziel, ist hier in Deutschland aktiv und begeht Menschenrechtsverletzungen - das rechtfertigt doch, da ein Auge drauf zu haben. Ich fordere ja nicht die Vernichtung von Scientology oder gar von Scientologen. Aber man muß manche Dinge wissen und die Information verbreiten. Ich weiß von keiner Aktivität der deutschen Regierung, die den Rahmen sprengen würde.
In Bayern wird Scientologen der Zugang zu staatlichen Posten verweigert.
O.K., das könnte diskriminierend erscheinen. Aber man muß wissen, daß die Loyalität eines Scientologen nicht dem Staat gilt, nicht dem Job und auch nicht vorrangig dem eigenen Gewissen, sondem ausschließlich den Befehlen, die er von der Organisation empfängt. Da ist es gerechtfertigt, solche Leute nicht in Regierungsstellen einzusetzen. y
Gerald Armstrong, 51, stieß im Jahre 1969 in Vancouver zu Scientology. Ab 1975 lebte er in den VereinigtenStaaten. In der Organisation blieb er bis 1981, viele Jahre in unmittelbarer Nähe des Gründers L. Ron Hubbard. In den letzten beiden Jahren seiner Mitgliedschaft recherchierte er für eine Hubbard-Biographie und stellte dabei so viele "handfeste Lügen" fest, daß er die Organisation wenig später verließ. Seither versucht Scientology, Gerald Armstrong durch Rechtsmittel zum Schweigen zu bringen. Foto: Tilman Hausherr
Scientology hat die Regeln US-amerikanischer Politik begriffen
Schon vor neun Monaten soll in Florida ein deutsches Mitglied von Scientology Asyl erhalten haben. Die Frau behauptet, in Deutschland ihrer religiösen Überzeugungen wegen verfolgt worden zu sein, das jedenfalls meldete am Samstag die New York Times, die bisher für diese Nachricht auch die einzige Quelle ist. Am Sonntag lehnte eine Mehrheit des US-Repräsentantenhauses eine Resolution gegen die Behandlung der Scientologen in Deutschland ab. Immerhin aber wurde sie debattiert, war vom Ausschuß für Internationale Beziehungen fast einstimmig angenommen worden, und ein Abgeordneter aus Arizona äußerte seine Besorgnis über deutsche Intoleranz religiösen Minderheiten gegenüber. Vergangene Woche waren die Scientologen auch Gegenstand der Gespräche zwischen den Außenministern Kinkel und Albright. Wie schafft es Scientology, eine derartige Aufmerksamkeit zu erreichen?
"Elementary, my dear Watson", hätte Sherlok Holmes dazu gesagt: Die Scientologen beachten die Gesetze US-amerikanischer Politik, über die ihre Kampagne mehr lehrt als über die Behandlung von Minderheiten in Deutschland. "Regel Nummer eins: Definiere den Feind", lehrte George Bush 1988, "isoliere ihn", will sagen: bleib am Thema und grenze es ein. Das Geheimnis besteht darin, den Angriff nicht zu streuen.
"Message zuspitzen und vereinfachen", lautet die nächste Grundregel. Man vergleiche die Kampagne der Scientologen mit den Wahlen der letzten Woche. In Virginia gewann ein Gouverneur, weil er so gut wie ausschließlich die Autosteuer zu seinem Wahlkampfthema machte, und in New Jersey hätte der Herausforderer mit der Kraftfahrzeugsteuer um ein Haar Erfolg gehabt. Seit Monaten bombardiert Scientology die Medien und sorgfältig ausgewählte Abgeordnete beinahe täglich mit dem einen Thema: Scientologen werden in Deutschland verfolgt. Einem Abgeordneten aus West Virginia blieb es vorbehalten, darauf hinzuweisen, daß die Scientologen auch in anderen europäischen Ländern nicht als Kirche anerkannt werden und bis 1973 selbst in den USA damit Schwierigkeiten hatten. Die Scientologen sind klug genug, über andere Länder nicht zu sprechen.
Und noch eins haben sie kapiert - im Gegensatz zur deutschen Botschaft. Eine Grundregel US-amerikanischer Politik lautet: "Nicht zurückgewiesene Behauptungen werden zur Wahrheit." In den USA gibt es für "aussitzen" nicht einmal ein Wort. Ohne Gegenwehr auf dem gleichen Niveau von PR-Professionalität, dessen sich Scientology bedient, geht dieser Spuk nicht weg.
Letztlich ist auch das ein Kampagnentrick: Auch der unsinnigste Vorwurf zwingt den Gegner, Zeit und Geld zu verschwenden. Wer aber die Zeit und das Geld nicht aufbringt, verliert.
Peter Tautfest, 54, ist USA-Korrespondent der Tageszeitung (TAZ) in Washington. Sein Kommentar erschien zuerst in der "Tageszeitung" (TAZ) Nr. 5379 vom 11.11.1997 auf S. 2; wir danken dem Autoren und der Zeitung für die freundliche Abdruckerlaubnis.