Sehr geehrte Damen und Herren,
wahrscheinlich haben Sie in den letzten Wochen das Wort Scientology des öfteren gelesen oder gehört. In den Medien ist viel geschrieben und gesagt worden, und ein Außenstehender könnte sich leicht fragen, was denn von dem Ganzen zu halten sei.
Meine Empfehlung ist immer das zu lesen, was die Leute zu sagen haben, die Scientology persönlich studierten. Aus dem Grund übersende ich Ihnen anbei acht Gutachten uuml;ber die Glaubensgrundsätze und Praktiken der Scientology-Religion, erstellt von namhaften Wissenschaftlern und Religionsexperten aus der ganzen Welt, die völlig unabhängig von einander Scientology einer gründlichen Untersuchung unterzogen.
Eines unserer wertvollsten Rechte ist das Recht der freien Meinungsbildung, und ich stelle Ihnen diese Studien zu genau diesem Zweck zur Verfügung. Ich lade Sie ein, sich aufgrund von diesen wissenschaftlich fundierten Schriften Ihre eigene Meinung zu bilden.
Ich würde mich freuen, Ihre Ansichten über diese Studien zu hören. Natürlich stehe ich auch zur Beantwortung jeglicher Fragen gerne bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Reverend Heber Jentzsch
Präsident
P.S. Zusätzliche Exemplare können auf Anfrage uuml;bersandt &werden.
Anm. der Redaktion: Text des Schreibens, wie er den deutschen Zusendungen beilag.
Brüssel, 16.09.1996
Sehr geehrter Herr Jentzsch,
ich danke Ihnen für die Übersendung einer Zusammenstellung von Ausarbeitungen, die mich informieren sollen über die Lehren und anderen Aktivitäten Ihrer Organisation. Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß Wissen und Verständnis sowohl in der Auseinandersetzung um religiöse Angelegenheiten wie auch in rechtlichen Fragen grundlegend sind.
Ich beabsichtige nicht, zu überprüfen, ob die Papiere, die Sie mir gesandt haben, beanspruchen können, objektiv zu sein und ob sie verläßliche Informationen liefern. Ich habe sie in dem Bewußtsein gelesen, daß Ihr Brief eine generelle Beglaubigung der Informationen darstellt, die darin gegeben werden.
Deshalb erlauben Sie mir bitte, mich auf diese Schriften als verläßliche Quellen dafür zu beziehen, worum es bei Scientology geht. Offen gesagt, nach dem ich diese Papiere gelesen habe, stelle ich fest, daß ich viel mehr gegen Scientology habe als vorher, als ich mich hauptsächlich nur auf die öffentliche Meinung in Deutschland und Erfahrungen in meinem eigenen sozialen Umfeld stützen mußte.
Hier sind meine Gründe für diese Position. Da ich mit einigen theologischen Bemerkungen beginne, möchte ich zunächst von ganzem Herzen zugeben, daß ich dabei meine persönliche Position als ein Christ protestantischer Tradition darstelle, als ehemaliger Professor für Theologie im Gebiet der Kirchengeschichte. Ich habe in Deutschland und in den USA gelehrt und ich bin tief davon überzeugt, daß es viel hilfreicher ist, seine eigene persönliche Position vorzustellen als eine völlig zweideutige "Objektivität" zu beanspruchen, wie einige der mir zugesandten Schriften es tun, in dem sie Scientology mit irreführenden und oberflächlichen Vergleichen empfehlen.
Scientology ist eindeutig atheistisch; dies im Gegensatz zu den Versicherungen von Black über "Gott oder das höchste Wesen", Seite 7 (ich beziehe mich auf die mir zugesandten Texte, in dem ich die Namen der Autoren und die Seitenzahl angebe). Die jüdisch-christliche Tradition (einschließlich des Islam) basiert ganz exklusiv auf dem fundamentalen ontologischen Unterschied zwischen Gott und den Geschöpfen. Dieser Unterschied ist die notwendige Bedingung für den Glauben, das Tun des Gerechten und das Gebet.
Diese Unterscheidung fehlt in Scientology völlig. Diese grundlegende Unterscheidung wird durch das Konzept von theta-Thetan und MEST (Matter Energy Space Time/Materie Energie Raum Zeit) ausgeschlossen, die nicht nur etwas anderes sind, sondern sich in absolutem Widerspruch befinden zu der biblischen Tradition von Gott als dem Schöpfer und seiner Schöpfung, die einzigartig ist und insofern ganz klar unterschieden ist von irgendeiner Art von Kreativität auf der Ebene der Geschöpfe. Das scientologische Konzept des Thetan behauptet genau das Gegenteil: "Vom Thetan wird gesagt, daß er unsterblich sei und fähig alles zu erreichen, einschließlich der Erschaffung von Materie, Energie, Raum und Zeit" (Black, Seite 6). Dasselbe wird ausgesagt durch das System der acht Dynamiken, die sich selbst steigern von der niedrigsten Ebene der Existenz zur Unendlichkeit oder zum Höchsten Wesen (ebenda).
Insofern muß ich jede Behauptung von Ähnlichkeiten zwischen Scientology und jüdisch-christlichen Traditionen zurückweisen. Dieser Punkt verursacht eine Menge Bestürzung: daß Christen mit ansehen müssen, daß Ihre Scientology-Organisation das Wort "Kirche" für eine Organisation benutzt, die ganz und gar nichts gemein hat mit Kirche im christlichen Sinne des Wortes, nach dem die Kirche nur eine ist als Leib Christi und darum heilig, katholisch (allgemein) und apostolisch, wie das Nizänische Glaubensbekenntnis darlegt.
Die selben Schwierigkeiten haben wir Christen mit Scientology, weil Scientology das christliche Symbol des Heiligen Kreuzes benutzt, das in unserer Tradition ein Zeichen der Erinnerung an Christi Tod und Auferstehung und in ethischen Begriffen gesagt ein Symbol für Selbstverleugnung und Hingabe ist; nicht für "Überleben", sondern für Demut und Versöhnung mit Gott.
Es könnte nun sinnvoll erscheinen, Scientology mehr mit indischen Traditionen verbunden zu sehen, wie es Wilson (Seite 35) vorschlägt. Ich bin zwar kein Experte für indische Religion und Philosophie, aber soweit ich weiß, gibt es eine tiefe Kluft zwischen Hinduismus und Buddhismus (einer der Gründe, warum der Buddhismus in Indien immer nur begrenzten Einfluß hatte). Es gibt eine sehr bekannte Diskussion unter Wissenschaftlern über die Frage, ob der Buddhismus eine Art von Atheismus darstellt und darum gar keine Religion ist.
Ich will nicht in diese Debatte eintreten und überlasse sie Leuten mit mehr sprachlicher und philosophischer Kompetenz auf diesem Gebiet. Aber eine Sache sehe ich sehr deutlich: Den Widerspruch zwischen der Grundtendenz des Buddhismus, Selbstbezogenheit im weitesten Sinne zu überwinden und dem ganz entgegengesetzten Ziel von Scientology, das der Linie des Überlebens auf allen Ebenen folgt, um alles zu erreichen, so daß es dann nicht länger irgendeinen Unterschied zwischen dem allmächtigen Wesen eines Schöpfers und dem allmächtigen Wesen des einzelnen "Thetan" gibt. In christlicher Sicht ist dies eine offenkundig blasphemische Behauptung!
Das führt mich zu dem Problem der Ethik. Ich fühle mich schon herausgefordert durch das Wort "Überleben", von dem erklärt wird es sei synonym mit "Rettung". Aber was bedeutet dies, Rettung durch Überleben? In meinem Verständnis und in meinen Ohren klingt diese Gleichsetzung wie: Der Scientologe ist der Gewinner des gesamten Spiels der Existenz, er überlebt und übertrifft den Rest der Welt, der in Ruinen versinkt. Und verzeihen Sie mir - wenn ich lese "Scientology sieht es als seine Aufgabe, unseren ganzen Planeten zu säubern" (Heino, Seite 4) für mich ist dies ein wirklich erschreckendes Konzept totalitärer Herrschaft durch Mentaltechnologie.
Vielleicht haben Sie die besten Absichten, aber als ein alter Mann, der schon zwei Formen von "Säuberung" erlebt hat, eine, die die Welt vom jüdischen Einfluß säubern wollte, die andere, die die Gesellschaft vom Kapitalismus säubern wollte - ist für mich das ganze Konzept der Säuberung ein tief erschreckendes, und dies noch mehr, weil ich im früheren Jugoslawien eine dritte Art von "Säuberung" beobachten mußte. Es könnte sein, daß Ihnen das als der typische Fall eines "Engramms" in meinem armen Verstand vorkommt. Ich gebe dies ohne jede Einschränkung zu, aber ich bin nicht bereit, von solchen "Engrammen" befreit zu werden, die zu den moralischen Grundlagen meines Lebens gehören.
In Ergänzung zu dieser, meiner fundamentalen Ablehnung der Ethik von Scientology, habe ich auch noch eine Menge Vorbehalte bezüglich Hubbards Behauptungen von Trillionen von Jahren und der Tatsache, daß Ihre Mitglieder Verträge über diese unglaublichen Zeiträume abschließen. Selbstverständlich sind Sie frei, solche seltsamen Behauptungen aufzustellen und zu publizieren, aber was ist mit Ihren armen Zeitgenossen, wie ich einer bin: Warum sollen wir glauben, was niemand beweisen oder falsifizieren kann? Und schließlich - diese Situation verursacht eine Menge Mißtrauen, genauso wie die geheimen Dinge, die Sie auf Ihrem Flagship in der Karibik tun!
Ich muß zu einem Endergebnis kommen. Es tut mir leid, aber es ist ein negatives. Wilson führt aus (Seite 28): "Durch die Anwendung rationaler Methoden sucht Scientology, die religiöse Suche zu disziplinieren und zu ordnen." Genau dies ist der hervorstechende Eindruck, den ich aus den Schriften habe, die Sie mir zugesandt haben. Denn das Resultat dieser Bemühung ist es, daß Religion in Technologie transformiert wird - ein Widerspruch in sich selbst, ein Widerspruch auf beiden Seiten, auf der Seite der Religion ebenso wie auf der Seite der Technologie.
Religion in jedem ernsthaften Sinne des Wortes gründet auf Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Meinung. Religion ist diese dreifältige Freiheit in Aktion. Darum ist sie unmöglich ohne Freiheit, Kreativität und Spontaneität.
Ich kann nicht sehen, wie man zu solcher Freiheit durch Auditing mit dem E-Meter kommen soll, beherrscht und geführt von Auditoren, die eine Technologie benutzen, die nur für diejenigen voll durchschaubar ist, die sie anwenden, aber nicht für diejenigen, die dieser Behandlung unterworfen werden. Können Sie mir erklären, was die intellektuelle Diktatur Hubbards zu tun hat mit der Freiheit der Meinung und des Gewissens? Ich konnte in den mir von Ihnen übersandten Papieren keinerlei Antwort finden.
Aber die Vereinigung von Religion und Technologie schlägt auch nach den Begriffen der Wissenschaft fehl. Diese E-Meter-Technologie ist altmodisch, überholt durch die modernen Entdeckungen in der Physik der Komplexität und der dissipativen Strukturen.
Das moderne Universum des wissenschaftlichen Denkens ist unvereinbar mit dem erstaunlich simplen Konzept von Hubbards MEST. Nur ein Beispiel: Wenn es schon in der Physik eindeutige Grenzen der Vorhersagbarkeit gibt (wegen des Quanten-Effekts) - wie soll es dann möglich sein, daß soteriologische Ergebnisse voraussagbar werden sollen (Wilson, Seite 28)?
Ihr Brief erwähnt die Sorge um die Freiheit und den Schutz der Freiheit. Wie Sie bemerkt haben, stimme ich in dieser Sorge mit Ihnen überein. Aber was bedeutet dies für die Freiheit der Aktivitäten von Scientology?
Natürlich können Sie sich auf die fundamentalen Freiheitsrechte des Glaubens, des Gewissens, der Meinung und der Vereinigung berufen. Die derzeitige Debatte, ob Scientology eine Religion ist, eine Kirche oder nicht, ist dafür aber m.E. absolut bedeutungslos. Die Antwort hängt gänzlich von den Definitionen ab, die entweder willkürlich, tautologisch oder doppeldeutig sind. Darum weise ich ganz entschieden jede Vorstellung von juristischer Aktivität zugunsten oder gegen Scientology, die auf solchen Definitionen basiert, zurück. Gesetzgebung und juristische Aktivitäten müssen begründet sein auf, und strukturiert sein durch juristisch klare Konzepte und Begriffe.
Für mich ist die entscheidende Frage nicht "Ist Scientology eine Religion oder nicht?", sondern vielmehr die Frage: Steht Scientology in Übereinstimmung mit den grundsätzlichen und allgemeinen Überzeugungen über menschliche Würde und Menschenrechte oder nicht? Handelt Scientology in Uuml;bereinstimmung mit dem allgemeinen Gesetz und der privaten Handlungsfreiheit und Meinungsfreiheit oder nicht?
Die zweite Frage muß auf einer "Fall zu Fall" Grundlage beantwortet werden. Wenn es Verletzungen irgend eines dieser Rechte durch Mitglieder oder Organisationen von Scientology gibt, dann ist, wie in jedem anderen Fall, Anklage, gerichtliche Verfolgung und ein entsprechendes Verfahren unvermeidbar.
Was die Grundrechte betrifft, die z.B. in der UNO-Deklaration oder der Europäischen Menschenrechts-Konvention festgelegt sind, kann Scientology selbstverständlich, wie jede andere religiöse oder ideologische Organisation, Freiheit der Religion und Meinung für den Einzelnen und die Organisation beanspruchen.
Aber: Freiheit der Meinung und Organisation werden begrenzt durch öffentliche Ordnung und die Grundprinzipien der Moral (wie z.B. körperliche und geistige Unversehrtheit, Zulässigkeit von Verträgen usw.). Das betrifft natürlich auch Scientology. Und hier sehe ich einige ernste Probleme in bezug auf mehr als eine Ihrer Aktivitäten. Was ist z.B. mit Verträgen über Zeiträume, die jegliche konkrete Verbindlichkeit und Verantwortung ausschließen? Was in bezug auf Datenschutz in Hinblick auf die Praxis des Auditing auf verschiedenen Ebenen? Was ist mit dem offensichtlichen Mangel von Transparenz, besonders auf der höchsten Ebene Ihrer Organisation?
Es ist nicht nötig in Einzelheiten zu gehen. Sie kennen viel besser als ich die Fälle ehemaliger Mitglieder von Scientology, die sich über diskriminierende Behandlung, der sie unterworfen waren, beklagen. Damit will ich folgendes betonen: Es ist keine angemessene Reaktion, wenn Scientology auf jegliche öffentliche Kritik oder Diskussion von Einzelfällen damit antwortet, daß man sich über die Unterdrückung der Religionsfreiheit beschwert. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß, wenn Scientology das oben genannte Verhalten nicht ändert, Scientology in ernste Schwierigkeiten nicht nur in Deutschland, sondern sogar in den Vereinigten Staaten und anderswo kommen wird.
Ich will nicht abstreiten, daß es eine Menge Polemik in meinem Brief gibt, darum lassen Sie mich damit schließen, daß ich Sie bitte, diese streitbaren Worte zu verstehen als den Versuch, so aufrichtig wie möglich zu sprechen, in der Hoffnung, daß diese Aufrichtigkeit für Sie nützlich sein kann, wenigstens darin, eine Möglichkeit des Verständnisses zu schaffen für eine Position, die so weit von der Ihren entfernt ist.
Mit besten Wünschen! Aufrichtig
Wolfgang Ullmann
Übersetzung des englischen Originals des Briefes, der sich auch auf den englischen Text der zugesandten Schriften bezieht. Übersetzung: Thomas Gandow