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BERLINER DIALOG 26, 1-4 2002 - Epiphanias 2003

 EUROPA

Verlorene Seiten
Das US-amerikanische Urheberrecht bremst kritische Netzangebote / Beispiel Google
Von Konrad Lischka

Andreas Heldal-Lund, norwegischer Freigeist und Aktivist für Meinungsfreiheit im Internet, konnte am am 7. November 2002 das sechsjährige Jubiläum seines Internetangebots "Operation Clambake" feiern. Seit sechs Jahren verbreitet er über das Internet die Wahrheit über Scientology und setzt sich für Scientology-Opfer ein.
Wir gratulieren Andreas Heldal-Lund und der "Operation Clambake", http://www.xenu.net  zum Jubiläum mit dem Nachdruck eines Artikels aus der Franfurter Rundschau vom 2. April diesen Jahres.

Dass eine Kirche mit Hilfe des Urheberrechts die Verbreitung ihrer Lehren verhindert, ist ungewöhnlich. Aber es ist ja auch umstritten, ob die "Church of Scientology" sich zu Recht als solche bezeichnet - oder nicht doch ein "weltweit tätiger Wirtschaftskonzern" ist, wovon beispielsweise das Bayerische Innenministerium überzeugt ist. Solchen Kritikern liefert Scientology jetzt neue Argumente: Die Organisation hat Links zu der Seite xenu.net des norwegischen Scientology-Gegners Andreas Heldal-Lund aus der Suchmaschine Google entfernen lassen - ganz legal und doch ohne die Entscheidung eines Gerichts.

Am 8. März forderte die Anwaltskanzlei Moxon & Kobrin aus Los Angeles per Mail die US-Niederlassung von Google auf, 126 Internetseiten aus dem Suchindex zu entfernen. Ein Anhang zählte die einzelnen Seiten und die dort verwendeten, urheberrechtlich geschützten Inhalte auf. Dazu gehören 26 Fotos aus Scientology-Magazinen, viel wichtiger aber sind die 85 aufgeführten Texte.
Andreas Heldal-Lund zitiert auf seiner Seite beispielsweise aus angeblich internen Scientology-Dokumenten, die eine "dead agenting" genannte Technik beschreiben, die Kritiker gezielt diskreditieren soll. Die E-Mail an Google bestreitet den Wahrheitsge-halt von Heldal-Lunds Ausführungen nicht.
Stattdessen verweisen die Anwälte darauf, dass ihre Klienten - das "Religious Technology Center" und "Bridge Publications" - das Urheberrecht an den Unterlagen besitzen und einer Veröffentlichung nicht zugestimmt hätten. Auch würden 54 eingetragene Warenzeichen Scientologys - dazu gehören Begriffe wie Scientology, Dianetics und Hubbard - ohne Genehmigung verwendet.
Der Suchdienst Google reagierte am 20. März. In einer E-Mail erfuhr Heldal-Lund, dass alle in der Nachricht der Kanzlei angegebenen Seiten aus dem Suchindex entfernt wurden. Mit anderen Worten: Wer am 20. März bei einer der größten und renommiertesten Suchmaschinen nach kritischen Informationen zu Scientology recherchierte, erfuhr nichts von einem der umfangreichsten Angebote.
   http://www.vg.no/vg/96/11/16/scientol1.jpg
Heldal-Lund machte den Vorgang am 21. März in einem Internet-Diskussionsforum öffentlich. Ein Proteststurm brach los. Vermutlich nach der Kritik entschloss sich Google, zumindest die wichtigste der betroffenen Seiten, www.xenu.net , wieder in den Index aufzunehmen. Andere Seiten mit detaillierten Informationen bleiben ausgeschlossen.
So zeigt sich, wie schwierig es ist, zu unterscheiden zwischen legitimer Verfolgung von Urheberrechtsverstößen und mit Hilfe des Urheberrechts angestrebter Zensur. Heldal-Lund gibt selbst zu, urheberrechtlich geschütztes Material zu verwenden. Allerdings sieht er sich im Recht, weil seiner Meinung nach "Scientology mit Hilfe des Urheberrechts Informationen über die Lehren des Gründers vor der Öffentlichkeit zurückhält".
Die Rechtmäßigkeit der Argumentation ist nie vor Gericht überprüft worden. Ein Gericht war überhaupt nicht nötig, um die Seiten aus dem Suchindex von Google zu entfernen. Der Grund dafür: Ein Service-Provider wie Google haftet laut dem US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) nicht für Inhalte, die er ohne sein Wissen zur Verfügung stellt. Wenn aber jemand einen Provider darauf hinweist, dass er geschützte Inhalte verfügbar macht, steht das Unternehmen vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder sperrt es die Inhalte. Dann kann es nicht haftbar gemacht werden, wenn ein Gericht später eine Urheberrechtsverletzung feststellt. Oder der Anbieter wartet ab, bis der Rechte-Inhaber gegen jemanden wie Heldal-Lund vorgeht.
Stellt dann jedoch das Gericht eine Verletzung des Urheberrechts fest, ist auch der Service-Provider haftbar, da er zuvor schon um eine Entfernung der problematischen Inhalte ersucht wurde. Das deutsche Informations- und Kommunikationsdienstegesetz sieht ebenso wie die E-Commerce-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft ein ähnliches "notice and take down"-Verfahren vor.
Die Entscheidung liegt letztlich beim Service-Provider. Es hat sich bereits in anderen Fällen gezeigt, dass die lieber kritische Inhalte sperren als etwaige Haftungs-Risiken einzugehen. Die Folge: Für Kritiker wie Heldal-Lund wird es schwieriger, im Internet Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der Norweger wendet sich nicht an ein US-amerikanisches Gericht wegen der Sperrung, da er sich die Anwaltskosten nicht leisten kann. Die Scientology-Anwältin Helena Kobrin kommentiert ihr Vorgehen so: "Wir missbrauchen das Gesetz nicht, wir gehen sehr streng nach den Vorgaben des Urheberrechts vor." Da hat sie Recht. Über die Güte der entsprechenden Gesetze sagt das freilich nichts aus.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 2.4.2002   http://www.konradlischka.de/nhproben332.htm

Weitere Medienberichte über Andreas Heldal-Lund und "Operation Clambake"
- Heise Newsticker:    http://www.heise.de/newsticker/data/jo-21.03.02-001/
- Heute t-online:          http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/0,1367,COMP-0-180397,00.html
- ZDNet, 21. März 2002, 18:55 Uhr:       http://news.zdnet.de/story/0,,t101-s2107160,00.html
- Der Tagesspiegel, Berlin, 27.03.2002:   http://www.konradlischka.de/nhproben331.htm


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