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BEITRÄGE | BERLINER DIALOG 14, 3-1998 - Advent |
Religion "vor Ort"
In diesem Beitrag für den BERLINER DIALOG möchte ich Zielsetzung und Durchführung des Erlanger religionstopographischen Projektes darstellen, Beobachtungen im religiösen Mikro-kosmos Erlangens schildern und abschließend auf die Bedeutung der Missions- und Religionswissenschaft für die apologetische Praxis von Theologie und Kirche eingehen.
Religiöser Pluralismus als Herausforderung für Theologie und Kirche Auch die Kirchenleitungen stellen sich auf einen "Abschied vom Monopoldenken" ein. So kommt die dritte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft mit dem Titel "Fremde Heimat Kirche" aus dem Jahr 1997 zu dem Ergebnis: "Das Christentum befindet sich heute in einer verschärften Konkurrenzsituation. Der Konstantinismus, die Staatskirchlichkeit hatte ihm bis in unser Jahrhundert hinein ein Monopol verschafft. Demgegenüber hat sich die Lage grundlegend geändert. Das Verhältnis von kirchlicher Institution und individueller Frömmigkeit hat sich auseinanderentwickelt. [...] Daneben gibt es heute eine Vielzahl religiöser und quasireligiöser Konkurrenten. Medien und Globalisierung haben andere Religionen in allen Kulturkreisen präsent gemacht. Fernöstliche Religionen oder der Islam üben nicht nur die Faszination des Exotischen aus, sondern sind auch nicht mit den Hypotheken der Christentumsgeschichte, die in der Religionskritik aufsummiert werden, belastet. Daneben stehen neue Religionen, Jugendsekten, vor allem aber auch 'verkappte Religionen' (Carl Christian Bry), die eine Art Religionsersatz bieten: Lebensreform und Wissenschaftsglaube, Psychologie und Esoterik, politische Ideologien und soziale Bewegungen, welche erhebliche Lebensenergien freisetzen können. Das ganze Leben kann um die Arbeit oder die Familie, um wirtschaftlichen Erfolg oder Popularität und Macht kreisen."(3) Die Herausforderung der Kirchen durch die Neuen Religionen wird derzeit kontrovers diskutiert. Während die einen insbesondere von religionswissenschaftlicher Seite - die angebliche "Monopolstellung kirchlicher Informationsvermittlung über nicht-christliche Religionen"(4) und "die Ausgrenzung und Diskreditierung sozial- und religionswissenschaftlicher Forschungsergebnisse"(5) durch die kirchlichen Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen beklagen, fordern andere den Dialog mit neuen Religionen ein (6) und organisieren teilweise auch einen runden Tisch mit den Bewegungen (7), ohne allerdings die dabei aufgeworfenen theologischen Probleme genügend zu reflektieren bzw. Danach zu fragen, welche Motive das Gegenüber zur Teilnahme an solchen Dialog-Veranstaltungen bewegen. Mit Blick auf die erste Richtung möchte ich von einer dezidiert anti-apologetischen Haltung sprechen, die allerdings nicht oder nur verzerrt die theologischen Beiträge zur Wiedergewinnung einer praktischen Apologetik zur Kenntnis nimmt (8). Im zweiten Fall läßt sich auch bei den Dialog-Veranstaltungen fragen, ob dabei der Dialog nicht selbst schon das Ziel ist; und es bleibt offen, was 'Dialog' ist und inwieweit christliche Identität in einen solchen Dialog überhaupt eingebracht werden kann und soll. Andere betrachten den in der evangelischen Theologie mit allerlei Hypotheken belasteten Begriff Apologetik als Möglichkeit, die denkerische Auseinandersetzung mit anderen religiösen und weltanschaulichen Entwürfen voranzutreiben. Apologetik wird dann zur Form der religiösen Aufklärung, die nicht nur als Aufgabe von bestimmten Spezialisten, sondern als grundlegende und umfassende Aufgabe der ganzen Kirche verstanden wird. Die Rechenschaftsablage christlichen Glaubens wendet sich nach außen, aber auch nach innen, vor allem wenn es um die theologische Klärung eigener Positionen angesichts weltanschaulicher Herausforderungen geht. Gefragt sind auch praktikable Vorschläge, wie die christliche Kirche ihrer apologetischen Aufgabe im religiösen Pluralismus gerecht werden kann. Hier können auch Beobachtungen "vor Ort" weiterhelfen. |
Das Projekt "Sehnsucht nach Heil" in Erlangen
Entstehungsgeschichte
Trends im religiösen Mikrokosmos
a) Sie ist dezidiert synkretistisch, d.h. in der Szene kommt es immer wieder zu einer Vermischung verschiedener Religionen und religiöser Systeme. Es werden Anleihen aus unterschiedlichen religiösen Systemen der Wissenschaft, der Philosophie und Psychologie gemacht und kosmische Bezüge hergestellt. Im Hintergrund werden die synkretistischen Elemente zu einem Weltbild eines neuen spirituellen und bewußten Menschen verklammert. Der einzelne wird ermutigt, seinen eigenen Weg in eigener Verantwortung zu gehen. Man möchte zum Höheren Selbst gelangen, kosmisches Bewußtsein erreichen, den "Guru" in sich selber finden. Darin spiegelt sich die Sehnsucht nach Unmittelbarkeit wider. |
Was unsere Broschüre leisten kann - und was nicht:
Alte und neue Sinnanbieter neben den Kirchen "vor Ort" in den Blick nehmen
Information
Orientierung
Stärkung der apologetischen Kompetenz
- Zum einen: Christinnen und Christen sind mehr denn je darauf angewiesen, religiöse Angebote einordnen zu können. Gefragt sind Information und Orientierung, aber auch die Bereitschaft, die eigene Glaubenstradition zu befragen, neu zu entdecken und zu vertreten. Auf diese Weise kann es in der Auseinandersetzung mit den religiösen Angeboten der Zeit gelingen, den eigenen Glauben authentisch in das Gespräch einzubringen und so Rechenschaft ablegen zu können über die Hoffnung, die in uns ist (1. Petrusbrief 3,15). Was not tut, ist auch eine Vermittlung apologetischer Kompetenz in der theologischen Ausbildung. Vor kurzem hat sich der Heidelberger Religionswissenschaftler Theo Sundermeier grundlegend über "Die Bedeutung des Faches Religionsund Missionswissenschaft für das Studium der evangelischen Theologie und die kirchliche Praxis"(12) geäußert. Er spricht sich für die enge Verzahnung von Missions- und Religionswissenschaft in der theologischen Wissenschaft aus.(13) Religionswissenschaft wird innerhalb der Theologie als theologisches Fach verstanden und gelehrt. Sundermeier stellt fest: "Auf die wachsende Präsenz der Weltreligionen(14) in Nachbarschaft und Schule, in Wirtschaft und Politik werden Theologiestudierende bisher in der Regel nicht vorbereitet, weder kognitiv, seelsorgerlich und didaktisch noch missionarisch... Was Begegnung, Dialog und was Zeugnis im Verhältnis zu anderen Religionen ist, muß dringend Teil des Lehrplans für das Theologiestudium werden. Daß die Begegnung mit einer anderen Religion auch zu einem neuen und vertieften christlichen Selbstverständnis führt - die Wahrnehmung dieser Chance wird vertan." Auch die Auseinandersetzung mit religiösen Sinndeutungsentwürfen und Weltbewältigungsversuchen muß vorangetrieben werden. Es geht dabei um Leben, Heilung Ganzheit mit spirituellen Mitteln, die dem unmittelbaren Welt- und Naturerleben entstammen: "Sie ist nicht nur in den sog. neuen 'Sekten' lebendig, sondern greift über die Esoterik tief in das persönliche Glaubensleben vieler Gemeindeglieder ein. Die Bedeutung dieses Phänomens wurde bisher weder in der Religionswissenschaft noch in der Theologie angemessen wahrgenommen."(15) Die Religionswissenschaft bedarf in der theologischen Wissenschaft der Missionswissenschaft, denn in dieser Kombination erinnert sie, die Missionswissenschaft, daran, "daß die Religionswissenschaft nicht zur antiquarischen Wissenschaft verkommt, und ihre 'theologische' Grundierung nicht vergißt."(16) Dieser "theologischen Grundierung" fühlt sich auch das Erlanger Projekt verpflichtet. Die Begegnung mit dem Anderen führt auch zu Rückfragen an die eigene Identität. Solche Identität in einer Begegnung mit Neuen Religionen und weltanschaulichen Gruppen ist eine bleibende Aufgabe theologisch verantworteter Apologetik im Sinne der Rechenschaftsablage. Apologetik ist niemals reiner Selbstzweck. Sie nimmt auch ein gesellschaftsdiakonisches Mandat wahr. Als apologetisch bedeutsame und gleichermaßen gesellschaftsdiakonisch orientierte Leitlinien könnte man die Aussagen bewerten, die Richard Schröder am Ende seines Vortrags auf dem Theologenkongreß 1993 zu der Frage vortrug, welchen Beitrag die Kirche für eine pluralistische Gesellschaft leisten könne: "An dieser Stelle hat auch die Kirche eine gesellschaftliche Funktion, die zwar nicht ihre Existenzberechtigung begründet, die aber von ihr erwartet werden kann. Wenn die Kirche bei ihrer Sache bleibt, dann müßte sie zugleich ein Ort sein, an dem Fragen der Lebensorientierung gründlich besprochen werden in der Spannung von Situation und Tradition. Und sie müßte ein guter Ort sein für das Gewissen, für das betrübte Gewissen, das Trost sucht, für das irrende Gewissen, das Orientierung braucht, und für das eigensinnige Gewissen, das der Zurechtweisung bedarf."(17) |
Anmerkungen Dr. theol. Matthias Pöhlmann, 36, ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Missions- und Religionswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg; 1997 Promotion mit dem Thema "Publizistische Apologetik. Die Auseinandersetzung der 'Apologetischen Centrale' mit religiösen und weltanschaulichen Bewegungen in der Weimarer Republik und im Dritten Reich" (erschienen unter dem Titel "Kampf der Geister"). Die Publizistik der 'Apologetischen Centrale' [1921-1937], Konfession und Gesellschaft 16, Stuttgart u.a. 1998; derzeit Arbeit an einem Habilitationsprojekt. |
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