Spiritismus und Okkultismus

Tagung der ostelbischen Sektenbeauftragten 15. - 17. Sept. 1997

von Christoph Tanneberger

  1. "Kommen Sie mit hinein, in meine Küche!"
  2. Carpenter-Effekt
  3. Zukunftsangst - die Lücke für Geschäftemacher
  4. Ernste Konsequenzen
  5. Fortsetzung geplant

"Kommen Sie mit hinein, in meine Küche!" lud Ingolf Christiansen die Teilnehmer des Ostelbischen Seminars ein. Seit zehn Jahren beschäftigt sich der Göttinger Diakon mit dem Thema der Sekten- und Weltanschauungsfragen. "Seit sechs Jahren werde ich dafür bezahlt", erklärt Christiansen lachend, "das Feld ist zu weit, um dort nur ehrenamtlich zu schaffen". Aufgrund seines Tätigkeitsfeldes ist Christiansen Pragmatiker: Als Diakon arbeitet er an der Basis, dort, wo die Probleme entstehen. Außerdem ist er Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages.

"Was ist Spiritismus?" - Diese Frage soll der Vortrag einmal nicht nur theoretisch erklären, sie sollte auch am Beispiel authentisch gemacht werden: Der Spiritismus ist ein Feld, in dem häufig Jugendliche zu finden sind, da schon mit einfachen Praktiken viel passieren kann.

Das "Gläser-Rücken" ist inzwischen so populär, daß es eigentlich jeder kennt: Die Teenager legen meist 38 Karten mit den Buchstaben des Alphabets, den Ziffern null bis neun und ein Ja-/Nein-Feld kreisrund auf einem Tisch mit glatter Oberfläche aus. Da auch Geister immer umweltbewußter werden, empfiehlt der "Mann vom Fach": "Aus Naturmaterialien muß der Tisch sein!" Auf das in die Mitte des Kreises plazierte umgedrehte Glas legen die Teilnehmer jeweils einen Finger. Nach einigen Beschwörungen und Formeln meldet sich bei den erwartungsvollen Halbstarken fast immer Besuch. Der Geist beantwortet die Fragen, indem er das Glas an den entsprechenden Buchstabenfeldern entlang führt.

Carpenter-Effekt Das das nicht mehr als ein aufregendes Gruppenerlebnis ist, hat 1897 schon der Naturwissenschaftler J.W. Carpenter herausgefunden: Am Pendel konnte er feststellen, daß es geradezu zwangsläufig dorthin pendelt, wohin der Benutzer es wünscht. Der sog. "Carpenter-Effekt" hat unser Unterbewußtsein entlarvt: Das in Mikromilimeter-Dimensionen stattfindende Muskelzittern wird vom Gehirn so beeinflußt, daß das Pendel den gewünschten Ausschlag anzeigt. Welche Größe dieses Phänomen annehmen kann, wenn mehrere aufgeregte Jugendliche aus einem ungünstigen Winkel auf das "Geister- Glas" drücken, braucht nicht betont zu werden.

"In der technisierten Zivilisation ist das für viele das letzte Abenteuer, die einzige Herausforderung", deutet der Diakon den Drang zum scheinbar Transzendenten. Gleichzeitig stärkt das gemeinschaftliche Empfinden von Angst, Erwartung und Aufregung enorm das Gruppengefühl. "Das Abfragen von Zukunftsaussichten oder dem Inhalt der nächsten Klassenarbeit gehrt fast immer dazu."

Zukunftsangst - die Lücke für Geschäftemacher

Die Angst vor ungewisser Zukunft, vor Armut und Einsamkeit ist die Bresche, welche sich viele Esoteriker und Scharlatane zunutze machen. Der "Hellseher und Lebensberater Hannussen II." alias Willi Gerstl zockt mit seinen Angeboten desorientierte und gutgläubige Menschen ab: In Briefen verspricht er Wohlstand, Berühmtheit und viele Freunde, wenn..., ja wenn man nur sein kleines Pendel oder eins seiner Amulette kauft. Natürlich zum Hanussen-Freundschafts-Preis von DM 300.-. Das mit Gold feucht angehauchte Pendel hat vielleicht einen Materialwert von höchstens DM 5.-. "Menschen wie Hanussen treffen mit gut gemachten Angeboten den Nerv der Zeit", deutet Ingolf Christiansen das Angebot. Die zum Pendel mitgelieferte "Bedienungsanleitung" liefert sogar für ganz Unbedarfte ein paar nützliche Fragen. "Soll ich mir eine Waschmaschine kaufen?" oder "Verdient mein Mann so viel, wie er vorgibt?", sind nur einige Highlights. Ganz Glückliche dürfen für läppische DM 100.- sogar in die "Hannussen-Gemeinschaft" aufgenommen werden und erwarten einmal pro Woche über ein Hannussen-Photo telepathischen Kontakt mit dem Meister.

Das "Ostelbienseminar" tagte im Adam-von-Trott-Haus der Ev. Akademie in Berlin-Wannsee Kenner Christiansen: "Gerade einsame alte Leute fallen auf solche Scharlatane herein, weil es der einzige vertrauensvolle Kontakt im Leben zu sein scheint." Auf der gleichen Schiene fahren Scharlatane im Heilgewerbe, die dem Patienten u.a. mit mittels Pendel eine negative Verfassung attestieren. Nach der dritten Sitzung hat der Patient eine Menge Geld überwiesen und siehe da - es geht im schon "viel" besser!

Ernste Konsequenzen

Jedoch muß das Thema ernst genommen werden: Denn Menschen könne durch solche Erlebnisse und ihre "magischen" Deutungen in Verrücktheiten und Ängste getrieben werden. Menschen berichteten vom Friedhof, der im Vorbeigehen in einem schillernden Licht erscheine. Eine Dame wußte nach einer Seance den Teufel in ihrer Wohnung. "Diese Aufregungen können von verheerenden Schlafstörungen bis zu paranoiden Halluzinationen reichen", berichtet Christiansen aus seiner Praxis. "In solchen Fällen hilft manchmal nur ein guter Nervenarzt oder Psychotherapeut. Wichtig wäre es aber, z.B. durch einen guten Religionsunterricht solchen Irrwege und Verführungen von vornherein zu begegnen."

Fortsetzung geplant

Neben den geistlichen Dimensionen der Beschäftigung mit Spiritismus und Okkultismus und den Problemen, die dadurch in Beratung und Seelsorge aufgeworfen werden, waren weitere Themen des Seminars der zunehmende Friedhofsvandalismus aber auch der kritische Umgang mit christlichen Sekten und Neuoffenbarungsbewegungen und die Auseinandersetzung mit dem Dauerthema Scientology. An dem Seminar in der Ev. Akademie am Kleinen Wannsee nahmen über 40 Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter und Vertreter von Beratungsstellen teil. Eine Fortsetzung des Seminars mit dem Schwerpunkt Beratung ist schon geplant.