Ein Brief aus London

von Ursula MacKenzie

  1. Ende September
  2. Medienprobleme
  3. Inform
  4. Ehrenamtliche und Regierung
  5. Aufstieg und Levitation

Ende September flog ich nach Bonn, um an einer öffentlichen Anhörung im Zusammenhang mit der Sektensituation teilzunehmen. Die Einladung kam von der Enquete-Kommission für "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" des deutschen Bundestages. Ich sollte von der Lage in Britannien berichten und Fragen beantworten.

Ich wünschte, ich hätte etwas richtig Positives aufweisen können, etwas, was die Zuhörer hätte aufhorchen lassen, so daß sie hätten sagen können: "So ist es richtig. Davon sollten wir alle lernen." Statt dessen konnte ich nur erneut feststellen, daß in England nach wie vor von öffentlicher Seite - das umschreibt staatliche, städtische und kirchliche Institutionen - auf dem Sektengebiet rein gar nichts getan wird. Es wird weder informiert noch gewarnt, und die wenigen Initiativen, die zum großen Teil mit freiwilligen Helfern arbeiten und sich enorm einsetzen, bekommen keinerlei finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Quellen.

Medienprobleme

Und die Medien? Sekten sind nur von Interesse, wenn man mit Sensationen wie Massenselbstmord aufwarten kann. Solche Reportage erhöht den Umsatz und ist entsprechend erwünscht. Für Artikel über vorbeugende Warnungsmaßnahmen oder generelle Sekteninformation kann man die Presse nicht begeistern.

In letzter Zeit gab es natürlich viel anderes, was nicht nur Spalten, sondern ganze Zeitungen füllte. Unsere dramatischen Regierungswahlen, z.B., beschäftigten Armeen von Journalisten auf Monate, und z. Zt. sind Publikationen jeglicher Art völlig beansprucht durch den tragischen Tod der so sehr beliebten Prinzessin Diana und ihres ägyptischen Begleiters. Augenblicklich gibt es nichts Wichtigeres. Schiller sagte in "Die Kraniche des Ibikus": "... Ganz Griechenland erfaßt der Schmerz, verloren hat ihn jedes Herz..." Man könnte das auf Britannien und Diana umschreiben. Es ist wirklich echte Volkstrauer, nicht nur Medienüberschwang.

Wenigsten ein Fernsehprogramm zum Thema "Kulte und Sekten" lief im Juni über die Mattscheibe, in der Serie "Heart of the Matter" (Kern der Sache), unter der Leitung von Joan Bakewell, auf deren gründliche Vorbereitung man sich im allgemeinen verlassen kann. Diesmal war es leider anders. Sie zeigte großen Mangel an Vorkenntnissen, und das ganze Programm lief auf Rechtfertigung der Kulte hinaus. Die Teilnehmer kamen entsprechend unterschiedlich zu Wort. Mun-Anhänger Julian Gray erhielt den Löwenanteil, und seine Eltern Robin und Shirley bekamen auch genug Zeit, um ausführlich zu erzählen, wie harmonisch doch das Familienleben in der Vereinigigungskirche wäre, nachdem sie anfangs versucht hätten, Julian zu deprogrammieren.

Inform

Da Vater Gray für geraume Zeit sogar als Vorstandsmitglied von FAIR (Family Action Information Rescue) fungiert hatte, wurde geflissentlich nicht erwähnt. Er trat eines Tages ab und nahm plötzlich eine pro-MunHaltung ein. War es Zufall, daß seine befürwortende Einstellung gerade damals in Blüte kam, als Eileen Barker die Organisation INFORM ins Leben rief? Auf jeden Fall gehörte Robin Gray bald zum "Board of Governors". Die Botschaft der Eltern Gray für beunruhigte Angehörige war nun, sie sollten das Moonie-Hauptquartier aufsuchen. Dann würde alles gut. Canon Colin Slee von der Church of England ist ebenfalls Governor bei INFORM. Sein Beitrag zu "Heart of the Matter" bestand in der Verteidigung des Scientologen Graeme Wilson in Zusammenhang mit dem Anspruch der Organisation auf Religionsfreiheit.

Als das Thema "Mind Control" zur Sprache kam, wurde Eileen Barker eingespielt. Sie behauptete verächtlich, so etwas gäbe es gar nicht, und Canon Slee war derselben Ansicht. Dr. Elizabeth Tylden, Psychiaterin mit jahrelanger Erfahrung auf dem Sektengebiet, konnte nur wenige Sätze beitragen, bevor ihr das Wort wieder entzogen wurde. Das Resultat war enttäuschend und in keiner Weise hilfreich. Man fühlte sich wieder einmal verlassen und hintergangen. Wer bei diesem Programm der Produktionsleitung die Hand geführt hatte, ist ziemlich sicher. Umsonst war INFORM nicht dreifach vertreten.

Ehrenamtliche und Regierung

Trotz solch entmutigender Erfahrungen wünsche ich uns allen, daß die Arbeit weitergehen kann trotz der wachsenden Geldknappheit in Deutschland. Vielleicht werden Sie auch mehr und mehr auf freiwillige Helfer zurückgreifen müssen. Bei vielen Initiativen (Leipzig z.B.) gibt es da ja schon großen und erfolgreichen Einsatz. Auf jeden Fall haben Sie die Regierung auf Ihrer Seite. Nehmen Sie das nie als selbstverständlich hin! Ob wir in geraumer Zeit, wenn jeder mehr eingearbeitet ist, von unserer LabourRegierung Hilfe bekommen, läßt sich noch nicht sagen.

Aufstieg und Levitation

Übrigens ist William Hague, der neue Vorsitzende der Konservativen, langjähriger TM-Anhänger. Nach seinem Wahlsieg gratulierte ihm die "Natural Law Party", die als "Naturgesetz-Partei" auch in Deutschland tätig ist und die politische Stimme des Maharishi Mahesh Yogi darstellt, und erklärte, daß er das natürlich dem Meditieren zu verdanken hätte. Möge er nie die nötige Levitation meistern, um die Höhe von Prime Minister zu erreichen!


Ursula MacKenzie, 66, stammt aus Chemnitz und lebt seit 1955 in England. Nach über 16 Jahren Arbeit für FAIR (Family, Action, Information & Rescue), die britische Elterninitiative, die zugleich Beratungs- und Hilfsdienst für Familien und Freunde von Kult-Betroffenen ist. Sie lebt jetzt im Ruhestand in London und schreibt exklusiv für den BERLINER DIALOG ihre regelmäßige Kolumne.