Eine Predigt zu Michaelis
Von den Engeln steht zwar geschrieben: "Er macht seine Engel zu Winden und
seine Diener zu Feuerflammen", Zu welchem Engel aber hat Gott jemals gesagt:
"Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner
Füße mache"? Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister,
ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?
Engel - gibt's die? So hieß ein schwedischer Film in den sechziger Jahren, in dem allerdings kaum Engel im landläufigen Sinn vorkamen. Fromme Christen, die von dem Film eine Antwort auf die Titelfrage erhofften, mußten dann jedenfalls in dieser Hinsicht ziemlich unbefriedigt aus dem Kino gehen. Aber läßt sich die Frage überhaupt beantworten?
Wenn man von dem Wort Engel ausgeht, so ist das einfach ein verdeutschtes, griechisches Wort. Dies griechische Wort heißt angelos und bedeutet einfach Bote. Engel sind Wesen, die eine Botschaft zu verkünden haben. Solches Verständnis begegnet ja auch in unserer Alltagssprache, wenn wir zu einem Menschen sagen: Du bist ja ein Engel! Und meinen doch damit einen Menschen, der uns eine gute Botschaft gebracht hat oder auch sonst etwas Gutes getan hat.
Bei den Engeln, die in der Bibel begegnen, ist auffällig, daß sie - was ihre äußere Erscheinung betrifft - völlig hinter ihrem Auftrag verschwinden. Und wenn überhaupt etwas über ihr Äußeres gesagt wird, dann ist höchstens von Helligkeit, Glanz oder weißen Kleidern die Rede: Hinweis auf ihre himmlische Herkunft. Engel sind also himmlische Boten. Aber was heißt das?
Der berühmte Theologe Karl Barth hat in diesem Zusammenhang einmal die Humorlosigkeit derer beklagt, die hier zu viel wissen und behaupten. Aber ebenso schlimm sei die Humorlosigkeit derer, die hier zu viel leugnen oder doch ignorieren wollen. Und ein anderer, noch nicht ganz so berühmter Theologe schreibt in seiner Dogmatik von der "Gefahr, Engel dort nicht wahrzunehmen, sie also dort zu übersehen, wo sie tatsächlich in Erscheinung treten, auftauchen oder vorkommen." Und er schreibt weiter: "Die Gefahr, Engel nicht wahrzunehmen, ist ganz real. Engel können verkannt, ihre Botschaft kann überhört oder übersehen werden. Einer der Gründe dafür ist darin zu suchen, daß Engel ganz in ihrem Auftrag aufgehen und nicht die Aufmerksamkeit und Verehrung auf sich ziehen, sondern transparent sind für Gottes Wirken." Und noch ein anderer Theologe, ein berühmter Alttestamentler, stellt ganz lapidar fest: "Der Engel ist der Begegnende schlechthin. Er ist ganz in der Begegnung und nur in der Begegnung. - Der Engel kommt ins Sein mit seinem Auftrag, er vergeht mit der Erfüllung seines Auftrags, denn seine Existenz ist Botschaft." Das heißt (und ich zitiere noch einmal den noch nicht ganz so berühmten Dogmatiker): "Die Frage: 'Gibt es Engel?' ist zwar verständlich, führet das Denken aber in eine falsche Richtung." Es ist unsinnig zu fragen, ob es Engel gibt, "so wie es Pflanzen, Tiere, Menschen, Gestirne, Land und Meer gibt." "Es ereignet sich eben, es geschieht nun mal, daß Menschen eine Begegnung widerfährt, in denen ihnen die Wirklichkeit Gottes so nahe kommt, daß sie dessen innewerden, daß ihnen auf leibhaftige Weise das Wirken Gottes zuteil geworden ist. Der Bote, durch den das geschieht, mag im Traum begegnen, in einem Bild, einem Musikstück oder in einem Menschen aus Fleisch und Blut (der unter Umständen davon selbst nichts weiß) oder in einer Gestalt, die in die alltägliche Erfahrung überhaupt nicht einzuordnen ist. Entscheidend ist nicht die Gestalt und Erscheinungsweise des Boten, sondern sein Auftrag. Durch seinen Auftrag und solange er ihn erfüllt, wird der Bote zum Engel. (...) Dadurch wird der Engel zum Symbol, das auf Gott verweist." In der Rede von Engeln wird deutlich, daß ohne sie der Mensch für ihn Wichtiges nicht erfahren würde. Engel sind also zugleich der Ausdruck dafür, daß der Mensch auf Hilfe angewiesen ist. Am deutlichsten wird diese Erkenntnis in der Vorstellung vom Schutzengel. Daß der Mensch Schutz braucht, daß er alleine ist, es jedenfalls meint, ist einfach menschliche Erfahrung. Der Glaube geht von dieser Erfahrung aus und verheißt etwas, was so an der Erfahrung nicht abzulesen ist: daß trotz aller Einsamkeit der Mensch nicht allein ist; er trotz aller offensichtlichen Schutzlosigkeit nicht ohne Schutz ist.
Von hieraus wird auch verständlich, warum in vielen Abendliedern Engel begegnen, die als Schutz in der Nacht erfleht werden. Und warum gerade in Sterbeliedern Engel begegnen, also angesichts einer Situation, in der der Mensch nun vollständig machtlos ist.
Es ist natürlich naiv, wenn wir Gott bitten, seinen Engel zu senden, daß der uns beistehe, wo mit unserer Macht nichts getan ist. Aber die eigentliche Frage ist doch nicht, ob das naiv ist, sondern, ob wir uns diese Naivität leisten können. Immerhin wissen wir, daß wir in schlimmen Situationen plötzlich nicht mehr so arg um unsere vermeintliche Rationalität besorgt sind. Daß das psychologisch erklärlich ist, ist ja noch kein Argument gegen die darin möglicherweise versteckte Wahrheit. Es sei denn, wir hielten die Grenzen unserer Wahrnehmung für die Grenzen der Welt überhaupt.
Dahinter steckt natürlich die Frage, ob wir es überhaupt für möglich halten, daß Gott sich bemerkbar macht. Wenn wir diesen Gedanken nicht von vornherein verwerfen, dann dürfte uns eigentlich nicht wundern, wenn Engel manchmal sehr konkrete Gestalt bekommen können, anders als wir gedacht haben, wie Engel aussehen.Daß sie ihr Wesen nicht in ihrem Aussehen, sondern in ihrem Auftrag haben, heißt aber eben auch: wir können nicht über sie verfügen. Sie kommen, wenn sie sollen, nicht, wenn wir wollen. Und das ist der Grund, warum die Rede von den Engeln ihren eigentlichen Ort im Gebet hat, weil da viel verständlicher ist, was wir mit Engeln meinen, als wenn wir uns theologisch-abstrakt über ihre Existenz unterhalten.
Etwas Wichtiges fehlt noch. Denn im Neuen Testament begegnet außer dem Botenengel, außer dem helfenden Engel noch ein anderer Engeltyp (wenn man so sagen darf). Das ist der himmlische Sänger. Aus der Weihnachtsgeschichte kennen wir die Menge der himmlischen Heerscharen, die Gott lobten und priesen. Im großen Dankgebet in der Abendmahlsliturgie (der sogenannten Präfation) heißt es:
Durch Christus loben die Engel deine Herrlichkeit, die Himmel und aller
Himmel Kräfte preisen dich mit einhelligem Jubel.
Mit ihnen laß auch unsere Stimmen
uns vereinen und anbetend ohn Ende lobsingen ...
Dahinter steht die Vorstellung, daß im Himmel das geschieht, was uns Menschen noch nicht möglich ist: vollkommenes Geschöpf zu sein: nur für den Schöpfer da zu sein und ihn zu loben.
Da sind wir noch nicht. Und dennoch ist jeder Gottesdienst schon ein kleiner, irdischer Anteil an diesem himmlischen Konzert. Aber während wir aus dem Gottesdienst wieder in die Alltagswelt hinausgehen und dort gewöhnlich das Gotteslob vergessen, geht es dort oben weiter, ewiglich.
Eine wunderschöne Vorstellung, die trotz ihrer gefährlichen Nähe zu etwas märchenhafter Vorstellung doch gute Theologie ist, weil sie festhält, was Inhalt unseres christlichen Glaubens ist: daß unsere irdische Existenz unvollkommen ist, und zugleich: daß auch unser Leben einmal vollkommen sein kann, wenn - wie es in frommer Sprache heißt wir in den Himmel kommen. Und daran knüpft sich doch die volkstümliche, aber deshalb doch nicht unbedingt falsche Vorstellung, daß auch wir - vielleicht - einmal zu Engeln werden werden. Denn dann werden auch wir ganz sein und tun, was wir sind und wofür wir da sind: ein Lob dessen, der uns geschaffen hat.
Mein letzter Arbeitgeber an der Universität, ein sehr zerstreuter und sehr kluger und auf seine deutsch-dänisch-lutherische Art sehr frommer Professor für Kirchengeschichte hatte bestimmt, daß über die Anzeige seines Todes ein Wort des Kirchenvaters Augustin stehen solle:
Dann werden wir stille sein und schauen, schauen und lieben, lieben und
loben.
Das ist's,
was dereinst sein wird, an jenem Ende ohne Ende.
Denn welch anderes Ende
gäbe es für uns, als heimzugelangen zu dem Reich, das kein Ende
hat.
Ich fasse zusammen: Engel sind Boten, sind Werkzeuge. Überall dort, wo Gottes Wort und Tat uns Menschen zum Besten geschieht, dürfen wir Engel am Weg sehen. Häufig mögen sie anders aussehen, als wir uns Engel vorstellen. Wir können in Gottes Schöpfung, also in unserer Welt, nach ihren Spuren suchen: überall dort, wo sein Wort verkündigt wird, wo seine schützende Liebe spürbar wird, wo sein Lob gesungen wird; wo uns etwas berührt, daß wir merken: wir sind nicht allein.
Zitate:
Karl Barth: Kirchliche Dogmatik III/3 [51]
Wilfried Härle: Dogmatik [8.3.4]
Claus Westermann: "Engel"; in: Theologie für Nichttheologen I
Aurelius Augustinus: De Civitate XXII 30
Pfr. Rainer Schumann, 51, ist Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen in Oldenburg
Am 2. Mai 1997, einen Tag vor dem ersten Jahrestag des Todes ihres Mannes,
Antonios Alevisopoulos, starb nun auch Antonia Alevisopulos an einer
schweren Krankheit in Athen, Griechenland.
Wir trauern mit der Familie und unseren griechischen Freunden und trösten uns mit dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis: "Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt" |