Rabiate Sektenjäger?
Das Titelbild des Heftes 2-95 hat einen Leser
verärgert. Er schreibt uns:
...Hiermit möchte ich mit Ablauf des Jahres 1996 mein Abonnement kündigen. Meine Erwartungen bezüglich Interreligiösem Dialog haben sich in keinerlei Weise erfüllt. Besonders empört hat mich das Titelbild von Nr. 2/1995, wo Sie mit diffamierender Absicht den Dalai Lama mit dem japanischen Terroristen Asahara abgebildet haben. Die Zeitschrift, die ich als Kampfblatt einer kirchlich-apologetischen Sekte bezeichnen würde, hat eine Chance verspielt. Der Dialog der Religionen ist ein dringendes Anliegen, und kein Terrain für rabiate Sekten-Jäger.
Pfr. Armin Münch, 74545 Michelfeld
Diffamierende Absicht? Titel des BERLINER DIALOG 2-95 |
Eine Stellungnahme von Horst R. Brumm
Zum Leitartikel im "Berliner Dialog" 2-95 von Johannes Aagaard und dem
Artikel von Thomas Gandow zu den Hintergründen der AUM-Shinriky auf
Seite 42 der selben Ausgabe schreibt uns Leser Horst Brumm, der Leiter des
tibetisch-buddhistischen Zentrums Karma Tengya Ling (Menz/Brandenburg):
Das Titelbild mit S.H. dem Dalai Lama und dem Japaner Shoko Asahara weckte in mir ein besonderes und verständliches Interesse. Von den entsetzlichen Gerüchten um die Verbindung zwischen S.H. und dem "Monster" Asahara angeregt, war ich ganz gespannt, wie die Beweise, sprich die Dokumente aussehen würden, von denen ich soviel gehört hatte.
Die beiden Beiträge "Falsches Dharma enthüllen oder unter den Teppich kehren?" und "Aum Shinri Kyo Fortschritts-Optimismus wird zu Endzeit-Terrorismus" zeigen eine sehr emotionale Reaktion auf eine, wie Sie sehen werden, ganz normale Begebenheit.
Zum Titelbild
Zunächst einmal ist es ganz einfach, zu einem netten
Bild mit Seiner Heiligkeit zu kommen. Diese Erfahrung hat u.a. auch Dr.
Aagaard gemacht. Es beruht sicherlich darauf, daß der Dalai Lama
jedem das gleiche Mitgefühl entgegenbringt und daß es sehr leicht
ist, mit ihm in Kontakt zu kommen. Aus meinem Bekanntenkreis erfuhr ich,
daß es sogar möglich ist, ihn persönlich am Telefon zu
erreichen.
Rabiate Sektenjäger? Johannes Aagaard im Gespräch mit dem Dalai Lama (Foto: DCI, Aarhus)
Daß es im Buddhismus keine Kriterien für die "Wahre Lehre" gibt, kann man nur dann behaupten, wenn man nicht mit den vielfältigen Lehren des Buddha vertraut ist. Ein Gelehrter, ein Geshe oder Khenpo (das sind verschiedene wissenschaftliche Grade an einer tibetisch-buddhistischen Hochschule) z.B. wird in einer logischen Debatte sehr wohl fähig sein, Irrlehren zu widerlegen.
Aber das war hier bei der Kritik am Verhalten des Dalai Lama und anderer Dharmalehrer nicht die Grundlage. Hier ging es um die gegenseitige Unterstützung von altruistischen Handlungen. Es ist nicht die Grundlage des Helfens, bei allen Spenden, welche aus der ganzen Welt eingehen, zu überprüfen, ob derjenige, der spendet, eine reine Weste hat.
Die Lehre selbst schafft die Trennung
Bei meinem Besuch vor einigen Jahren in Indien hatte ich die Gelegenheit,
eine Art Zeitschrift von Asahara durchzublättern. Teile davon waren in
Englisch geschrieben. So hatte ich die Möglichkeit, etwas davon zu
verstehen. An Hand dieser Unterlagen konnte ich seine Terroraktivitäten
nicht erkennen.
Auch der Dalai Lama überprüfte nicht die Weltanschauung eines Asahara, da er sie auch nicht präsentiert bekam. Wären seine schrecklichen Taten schon bekannt gewesen, wäre ein Asahara nicht mehr bei Seiner Heiligkeit angekommen, sondern wäre dann schon in Japan im Gefängnis gelandet.
Der Buddha, so auch der Dalai Lama, lehren Liebe und Mitgefühl gegenüber allen fühlenden Wesen. Wenn also Asahara Wesen Leid zuführt, dann hat das nichts mehr mit dem Dalai Lama zu tun. Die Lehre an sich schafft eine Trennung zu den irrealen Ideen eines Asahara, denn sobald eine Lehre von dem Prinzip: Liebe und Mitgefühl allen Wesen gegenüber, Abstand nimmt, hat sie mit der Lehre des Buddha nichts mehr zu tun. (Das trifft auch auf Scientology zu, die manchmal fälschlich behauptet, einen buddhistischen Hintergrund zu haben.)
Ausschluß nicht möglich
Dann gibt es da noch so etwas wie die Vorstellung, daß man Asahara aus
der Gemeinschaft der Buddhisten ausschließen sollte. Da niemand
aufgefordert wird, Buddhist zu werden, kann man auch niemanden
ausschließen.
Es ist nicht so, daß es im Buddhismus überhaupt keinen Ausschluß gibt, aber diese Möglichkeit bezieht sich nur darauf, jemanden aus einem Kloster, einer klosterähnlichen Gemeinschaft oder einer "Schule" auszuschließen, wenn der betreffende eine Funktion darin inne hat. Wenn z.B. in einem Kloster ein Mönch oder eine Nonne sich nicht an die Gelübde hält, kann er oder sie je nach dem, wie gravierend diese Verstöße sind, des Klosters verwiesen werden, um die Disziplin unter allen anderen zu erhalten. Das heißt aber nicht, daß er aus dem Mitgefühl ausgeschlossen wird, egal wie schlimm die Tat auch sein mag.
Wo es sinnvoll ist, entsprechend zu handeln, wird auch gehandelt. Aber überall auf der Welt zu kontrollieren, wer sich als Buddhist bezeichnet und dann noch zu versuchen, jemandem zu verbieten, sich so zu bezeichnen, das hieße Sand in die Sahara zu tragen.
Letzten Endes sind wir alle eine Gemeinschaft, egal ob wir Christen, Moslems oder Buddhisten sind. Wir sind die Menschen auf dieser Erde und jeder hat sein eigenes Denken. Wenn wir dem Egoismus verfallen, diesen zur Grundlage unseres Verhaltens machen, schließen wir uns automatisch aus der Gemeinschaft aus.
Das Bodhisattva-Ideal
An sich schließt Asahara sich durch sein Verhalten selbst aus. Dennoch
ist er aber dadurch nicht aus der Menschengemeinschaft ausgeschlossen.
Dann gibt es im Buddhismus noch eine andere besondere Sichtweise, die für einen Christen nicht so leicht zu verstehen ist:
Der Bodhisattva, das Bodhisattvaideal beinhaltet, kein Wesen aus dem Mitgefühl auszuschließen. Keinen Hitler, keinen Stalin oder wen auch immer.
Zu den abgebildeten Dokumenten
Bei genauer Betrachtung der Dokumente sehen wir die Einschränkungen,
die der Dalai Lama in bezug auf den Meister Shoko Asahara macht. Er wird an
keiner Stelle als buddhistischer Meister oder als Lama (buddh. Geistlicher,
vergleichbar mit einem Pfarrer oder Priester) bezeichnet.
Asahara gibt vor, daß er Gutes tun will. Solange nicht das Gegenteil davon offensichtlich ist, wird er, ich bitte um Verzeihung, nicht auch in einer christlichen Gemeinschaft auf Achtung und Unterstützung treffen? Er zeigte Großzügigkeit dadurch, daß er den verfolgten und heimatlosen Tibetern große finanzielle Unterstützung gab. In Japan soll er Yoga- und Meditationsunterricht gegeben haben und außerdem auch für soziale Aktivitäten eingetreten sein. Nach der Lehre des Buddha ist der erste Schritt zur Befreiung, der der Freigiebigkeit. Asahara übte die Freigiebigkeit im materiellen Bereich durch Geldspenden, und im Geistigen, indem er Yoga und Meditation lehrte. Die geistige Freigebigkeit, also seine Lehrtätigkeit, läßt sich von außen nicht überprüfen. Es kann einer zwar mit Worten fast alles richtig dahersagen, aber welche Motivation er in seinem Herzen trägt, das weiß nur er selbst. Unter diesem Dilemma leidet doch wohl auch jede christliche Gemeinschaft, egal welcher Richtung sie angehört.
Zum "Unterstützungsbrief"
Der Dalai Lama, ebenso alle anderen Mahayana- bzw. Vajrayanalehrer
unterstützen mit Belehrungen und Einweihungen alle Interessierten am
tibetischen Buddhismus. ... Ob sie in der rechten Art und Weise auch
ankommt, liegt allein an den Praktizierenden.
Wenn irgendwo in einem Land Maha- und Vajrayanainteressierte leben, bedeutet dies nicht gleich, daß sie auch alles richtig machen. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daß Anhänger die Lehre bewußt oder unbewußt falsch verstehen, auslegen oder anwenden werden. Das dürfte in jeder anderen Religion und Weltanschauung ebenso sein. Diese Erfahrung lehrt uns die Geschichte.
Dies nur zum Unterstützungsbrief, den der Dalai Lama geschrieben hat.
Bei dem Brief vom "Rat für religiöse und kulturelle Angelegenheiten seiner Heiligkeit des Dalai Lama" sieht es nicht anders aus: "...AUM strebt nach unserem besten Wissen an, die öffentliche Wohlfahrt zu fördern..."
Das heißt doch nichts anderes als: AUM möchte die Tradition des Mahayana Buddhismus erlernen, um die wahre Lehre des Dharma in Japan wieder herzustellen und weiterzugeben.
"Als grundlegende buddhistische Praxis hat AUM großzügige Spenden für unsere buddhistische Gemeinschaften im Exil gemacht"In diesem Brief ist der ganze Vorgang etwas ausführlicher beschrieben und enthält nichts, was der Dalai Lama und die Tibetische Exilregierung zu bereuen hätten.
Ich glaube, das wirkliche Problem für einen Außenstehenden ist, daß er zwei Dinge miteinander vermischen könnte:
1. Was der Buddha (oder der Dalai Lama und andere buddhistische Lehrer) lehrt und
2. Was die Praktizierenden daraus machen.
Verantwortung des Praktizierenden
Zunächst muß einfach klar sein, was der Buddha selbst gesagt hat:
Glaubt nicht was ich lehre, sondern
überprüft meine Lehre, ob sie tatsächlich so ist. Kommt ihr
zu dem Schluß, daß sie so richtig ist, dann könnt ihr
danach leben. Nach diesem Vorbild lehrt und lebt auch S.H. der Dalai Lama.
Die Lehre des Buddha ist eine Erfahrungslehre und keine Glaubenslehre. Sie
hat kein Dogma und keine Gebote.
"Alles was wir erleben ist mit Leiden verbunden. Es gibt keine Erfahrung im unerwachten Zustand, die nicht mit Leiden verbunden wäre." "Alles was wir erleben ist vergänglich, es gibt nichts beständiges."
"Das Gesetz von Ursache und Wirkung lehrt, daß leidvolle Handlungen leidvolles Erleben und nicht-leidvolle Handlungen nichtleidvolles Erleben nach sich ziehen."
"Als Mensch hat man die Möglichkeit, aus dem Leidenskreislauf zu entkommen, diesen Weg lehrt der Buddha, weil er ihn selbst gegangen ist." Diese vier Grundgedanken sind keine Gebote, sondern Aufforderungen, sie zu überprüfen. Es steht jedem frei danach zu leben. Jeder einzelne ist selbst für das verantwortlich, was er tut. Er kann, nach der Lehre des Buddha, sein Handeln nicht auf einen "Teufel" abschieben, selbst wenn es in der buddhistischen Lehre den Begriff "Mara" als Verführung gibt. "Mara" ist nicht etwas außerhalb von uns, sondern ist ein Ausdruck unserer eigenen Unwissenheit.
Horst Brumm, 16775 Menz
Horst Brumm, 42,
ist Leiter des tibetischbuddhistischen
Zentrums Karma-Tengya Ling (Menz/Brandenburg); hier im Dialog mit Johannes
Aagaard bei der KLB in Rothenburg o.T., 1996