Einführung
Fantasy-Spiel oder Gangster-Strategie eines Übergeschnappten? - wie
sich Ronald Hubbard die Unterwanderung christlicher Gremien durch
Scientologen vorstellte, hat er in der Anleitung: "Handbuch für den
Ehrenamtlichen Geistlichen" der Scientology-Organisation dargestellt und mit
selbstgestellten Fotos illustriert. Originalbildunterschrift: "Dank seiner
organisatorischen Fähigkeiten, die er in seinem Studium der
Management-Technologie gewonnen hat, welche unter anderem die ganz
bestimmten Punkte behandelt, die für Erfolg oder Ruin jeder Gruppe
entscheidend sind, ist ein Ehrenamtlicher Geistlicher in der Lage, auf
Konferenzen von Geistlichen den Weg zu weisen und als ein Hauptbeitragender
für wohlabgestimmte Aktionen zu wirken, die innerhalb der
religiösen Gemeinde unternommen werden." (Q: "Handbuch für den
Ehrenamtlichen Geistlichen von L. Ron Hubbard", erste deutsche Auflage 1980,
Tafel xlix oben)
Die Lage könnte nicht verwirrender sein: Den einen ist alles Religion. Selbst eine als Fantasy-Spiel aufgezäumte Machtund Marketing-Organisation wird von ihnen zur "Religiösen Minderheit" stilisiert. Sie stellen mit dieser Haltung alle möglichen Aktivitäten unterschiedslos unter den Schutz der Religionsfreiheit.
Da gibt es regelrechte Lobbyisten, aber auch Wohlmeinende, die aus Furcht vor "pauschaler Religionskritik" und um "Religionsfreiheit zu schützen" inhaltlich lieber fünfe gerade sein lassen wollen.
Andere dagegen wollen in der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Problemen, die durch das Auftreten neuer religiöser und besonders pseudoreligiöser Gruppen entstehen, die vermeintlichen Klippen der Religionsfreiheit umschiffen: Schädlich sollen nämlich grundsätzlich nicht bestimmte Ideologien und Systeme, sondern nichtreligiöse Psychotechniken sein, die ganz einfach einer methodischen, am besten psychotherapeutischen oder gar diplompsychologischen Unbedenklichkeitsprüfung unterworfen werden könnten.
Da wird die kritische Auseinandersetzung mit den Tätern eben durch "sozialtherapeutische" Beschreibungen, Maßnahmen und Konzepte bis hin zur (vom Berater kassenwirksam abrechenbaren?) Pathologisierung der Opfer ersetzt.
Fürsorge oder Gefahrenabwehr?
Die Verschiebung der Diskussion von den Tätern zu den Opfern und die
Begründung z.B. staatlichen Engagements mit Opferhilfe und
Fürsorgepflicht mag oft gut gemeint sein, zielt aber am Problem und
an der zugespitzten Lage vorbei. Wenn deutsche Politiker in den USA wissen
wollen, warum die Regierung sich nicht stärker mit Scientology
auseinandersetzt und wenn sie das Engagement der deutschen Politik in dieser
Sache naiv mit "Fürsorgepflicht für Mitbürger"
begründen, dann wird ihnen zynisch entgegengehalten, man könne
"nicht verstehen, daß es für deutsche Staatsbürger schwerer
sein soll, nein zu sagen, als für Amerikaner".Wahrheitsfrage und
Apologetik im Dialog1)
Der unaufhaltsame Aufstieg: Arturo Ui, Mun und
Hubbard
In Amerika wird eben nicht mehr "Nein" gesagt. Nicht von den
Show-Größen der Unterhaltungsindustrie, für die es
inzwischen nachgerade karriereschädlich wäre2).
Aber auch nicht mehr von der z.Zt. in den USA maßgeblichen politischen
Klasse, die sich massiv für Betätigungsfreiheit eines
totalitären Konzerns (nur im Ausland?) einsetzt3) und
deren Leitfiguren Bush, Ford, Schuller und Rosalynn Carter sich zur gleichen
Zeit und immer wieder von den Schwindelorganisationen eines anderen
größenwahnsinnigen "Herrn des Universums" als Redner einkaufen
lassen4).
Sektenbegriff
Zur Verwirrung in Deutschland trägt auch noch ein falsch
angewandter Sektenbegriff bei , der die Frage, ob Sekte oder nicht, nur noch
am Verhalten ("sektiererisch"), an der Dosis ("extrem") und an den Methoden
("unwissenschaftlich") festmachen will statt an Inhalten: Motiven, Zielen
und Beziehungen.
Von keinerlei theologischen oder soziologischen Begriffsbestimmungen getrübt, wird versucht, einen solchen inhaltsarmen Sektenbegriff aus Umgangssprache und Regenbogenpresse in die politische Diskussion und in die weltanschauliche Auseinandersetzung einzuführen. So wird dann alles, was "sektiererisches" Verhalten oder "extreme" Abhängigkeit oder "unwissenschaftliche" Methoden zeigt, wird auch alles, was pseudoreligiös daher kommt, erst einmal zur "Sekte" deklariert. Ergebnis der Verlegenheit: Auch extremistische Psychogruppen, fanatische politische Splittergruppen und pseudowissenschaftliche Heilungsbewegungen schlüpfen freudig unter den Schirm dieses vagen Sektenbegriffs - und damit, wie sie wissen, unter den Schutz der Religionsfreiheit.
Forschungsbedarf
Zwischen bewußtem und systematischem Etikettenschwindel (wie bei
Scientology) einerseits und dem religiösem Dissidententum der "echten"
Sekten andererseits liegt ein weites Feld unterschiedlicher neuer
religiöser Gruppen und Bewegungen. Nicht alles ist böse, aber auch
nicht alles ist nützlich und gut. Nicht Begriffsnivellierung, sondern
begriffliche Differenziertheit ist in
der Lage, die Phänomene und Probleme zu erfassen.
Über Wirksamkeit und Erfolgsaussichten neuer religiöser Gruppen in der Gesellschaft und uuml;ber die Folgen solcher Wirksamkeit für unsere Gesellschaft muß geforscht und debattiert werden. Denn es gibt eine Menge offener Fragen, wie z.B.:
Wann wachsen neue Religionen?
In diesem Heft beginnen wir darum ab S. 22 mit der Veröffentlichung
eines Aufsatzes des amerikanischen Religionssoziologen Rodney Stark zur
Frage, warum und unter welchen Umständen neue religiöse Bewegungen
erfolgreich sind oder fehlschlagen.
Wir halten diesen Beitrag für hilfreich, um das gegenwärtige Wachstum neuer religiöser Gruppen gerade in den durch Traditionsabbruch geprägten Gebieten Ostdeutschlands und Osteuropas besser zu verstehen.
Illusionen wie die, Ostdeutschland und Osteuropa seien immun gegenüber der Werbung von Sekten und neureligiösen Gruppen, weil viele dieser Gruppen angeblich einen "transzendenzoder religionsfreundlichen Boden, welcher schlicht nicht vorhanden ist" benötigten, müssen als Restbestände marxistischer Dogmen ins Reich der Fabeln verwiesen werden. Nicht Religion produziert "falsches Bewußtsein" und also wieder Religion, wie die Marxisten behaupteten. Im Gegenteil:
Nicht nur in Deutschland und Osteuropa sondern auch in manchen Metropolen des Westens gehören zu den spezifischen Wachstumsvorausetzungen für neue Religionen und Kulte gerade Entkirchlichung und Entchristlichung. Und der Mangel an elementarer religiöser Bindung und Bildung.
Wir machen uns nicht alle der anregenden Thesen Rodney Starks zu eigen. Mit der Veröffentlichung seines Beitrages wollen wir u.a. eine sachgemäße Debatte über den Unterschied zwischen Religion und Magie und über die Wirksamkeit von (christlichen) Sekten im Verhältnis zu neuen Religionen und Kulten anstoßen. Damit kommen wir dann auch zu realistischen Antworten auf die Frage, welches die Rolle und die Aufgabe der christlichen Kirche in diesem Spiel ist.
Wahrheitsfrage und Apologetik im Dialog
Wir als Christen wollen betonen: Die Frage nach den Inhalten und die
Wahrheitsfrage im Kontext unserer christlich geprägten Kultur
läßt sich weder durch fehlende Sachkenntnis noch durch
Begriffsverwirrung dispensieren oder umschiffen.
Es gibt die dringende Notwendigkeit zur Erforschung der Fakten. Das werden auch die einsehen, die nicht von christlichen Grundpositionen ausgehen.
Es stellt sich darüberhinaus die politische Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit totalitären Ideologien und Systemen, gleichviel, ob sie als politische Organisation, als Wirtschaftskonzern oder auch das mag es geben in Gestalt oder unter dem Mantel einer veritablen religiösen Organisation daherkommen. Auch hierüber wird es mit vielen, die selbst nicht von christlichen Grundpositionen ausgehen, keine Debatten geben.
Schließlich und genau deshalb gibt es auch die immer deutlicher werdende Notwendigkeit kirchlicher, christlicher Apologetik und Seelsorge. Sie hat es übrigens von Hause aus nicht nur mit echten Sekten und alten und neuen Religionen, sondern stets auch mit der Vergötzung von Menschen und Dingen, von Strukturen und Ideen zu tun.
Eine solche christliche Apologetik und Seelsorge ist ideologiekritisch und muß daher
Eine solche kirchliche, christliche Apologetik und Seelsorge ist natürlich auch religionskritisch und kann
Das ist übrigens genau das, was wir mit Dialog und Apologetik meinen.
1)Cornel Faltin, Washington: Amerika sieht die Aufregung um Scientology mit Befremden. Bonns harte Haltung von Washington gerügt. Berliner Morgenpost, 10. 8. 1996
2) Liane von Billerbeck und Frank Nordhausen: Der Scientology-Star in: Berliner Zeitung, 7. 8. 1996
3) vgl. u.a.: Helmuth Räther: Scientology: Prominente Fürsprecher in den USA, dpa 9. 8. 1996, 10.37 Uhr
4) vgl. Update des vorliegenden BERLINER DIALOG, S. 30