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BERLINER DIALOG 22, 3-2000 Martini

 

Gebet für Lisa McPherson
* 2. Oktober 1959 † 5. Dezember 1995

Herr,
nimm auf diese junge Frau,
Lisa McPherson,
die nun bei Dir ist,
trotz der vielen Fall-Überwacher
und der OSA-Wächter vor ihrer Tür.

Sie steht vor dir,
begleitet von Patric Vic,
Konrad Aigner
und all den anderen,
die auf der Suche nach totaler Freiheit
den Tod gefunden haben
als Opfer einer bösartigen Organisation.

Lisa McPherson
Herr,
du kennst Lisa
von Mutterleib an.
Du kennst ihre Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung,
ihre Trauer um ihren erschossenen Bruder
und den Selbstmord ihres Vaters;
ihre Freude am Gespräch mit Menschen,
am Tanzen und fröhlich sein;
ihren Ehrgeiz, gute Leistungen zu bringen,
ihre Bereitschaft,
sich ganz einzusetzen.
 

 

Herr, du weißt es:
Sie wollte von den quälenden Erinnerungen
an den Tod von Bruder und Vater
und von dem schrecklichen Warum frei werden.
Sie wollte alle ihre Probleme klären.
Sie träumte davon, clear zu sein,
selbst ihr Schicksal zu gestalten,
frei zu sein von Schatten der Vergangenheit.
Dafür hat sie viel gearbeitet,
dafür hat sie viel Geld verdient und
dafür hat sie viel Geld bezahlt.

Du weißt, wie ernst sie die Scientology-Technologie nahm; aber wir hören auch von Freunden, die sie kannten,
daß sie im unmenschlichen System menschlich blieb,
anderen zu helfen versuchte,
auch wenn ihr Freundlichkeit Nachteile brachte.

Du weißt, wie sehr sie ihre Menschenwürde verkaufen mußte, um auf der Brücke der Selbsterlösung voranzukommen:
Ihr Leben organisiert bis in die intimsten Bereiche nach den absurden Vorschriften eines Science-fiction- und Horror-Schriftstellers;

Wissensberichte mußte sie schreiben für die gierigen Augen und Akten des OSA-Geheimdienstes
über sich und ihren Freund;
über jeden Kuß und jede zärtliche Berührung:
wann;    wo;    wie oft;    wie lange?

Herr, in dieser Welt der Gewalt,
der Ratlosigkeit und der Irrwege
sprichst Du nicht die schuldig,
die sich verlaufen und verirren
auf der Suche nach dem Weg in die Freiheit,
sondern die, die Menschen ausnutzen und mißbrauchen, verführen und verderben.

Darum vergib ihr und vergib auch uns:
unsere Versuche, andere zu handhaben,
unseren Überlegenheitswahn,
unseren scientologischen
und unseren gewöhnlichen Verrat an Mitmenschen,
unsere scientologischen
und unsere gewöhnlichen Wissensberichte,
unsere Unterordnung unter Strukturen und Organisationen,
unseren Versuch, durch totale Disziplin und vorauseilenden Gehorsam einen Anteil an der totalen Kontrolle und Macht über unsere Mitmenschen zu erhalten.
Verzeih uns unseren Stolz und unsere Sünde,
Gott zu spielen.

Herr, du weißt,
wie sie vor Enttäuschung zusammenbrach,
als ihre übermenschlichen Scientology-Fähigkeiten
bei einem kleinen Verkehrsunfall
wie ein Kartenhaus zusammenstürzten,
du weißt, daß sie sich vor Verzweiflung nackt auszog,
nur um ihre Hilflosigkeit zu zeigen,
nur um endlich Hilfe zu finden.

 

 

Als sie die Hilfe einer freundlichen Samariterin gefunden hatte und sachkundige Hilfe so nahe war,
ließ Scientology nicht von ihr ab,
sondern holte sie aus der Rettungsstation hinaus.

Wie eine geschlagene Ehefrau zu ihrem Peiniger
zurückkehren muß,
so holte sich die Organisation mit falschen Versprechungen ihr Opfer zurück.

Statt Hüter und Helfer fand sie Bewacher und Folterer.
Statt Geborgenheit - Isolation.

Lisa war traurig, weil sie "die Augen vom Objekt abwandte",
- dafür sollte sie selbst zum Beweisobjekt
 für die Unfehlbarkeit der Hubbard-Technik werden.
 Lisa wollte sich selbst finden
- statt dessen kam sie in den "Introspection Rundown".

Lisa wollte tanzen gehen
- statt dessen wurde sie an ihr Bett gefesselt.
Sie wollte mit jemandem reden
- statt dessen durfte sie nur noch Selbstgespräche führen.
Sie war hungrig nach einem freundlichen Wort
- statt dessen wurde ihr von stummen Aufsehern,
 denen zu sprechen verboten war,
 der Mund gestopft mit Beruhigungsmitteln.

Als sie nicht mehr "Clear" sein wollte
- wurde sie betäubt und benebelt mit Benadryl und Kaliumchlorat.

Herr, Lisa suchte doch nur Hilfe und Schutz.
Es waren zu wenig Samariter und Hüter im Hospital.
Und zu viel Wachpersonal im Ford Harrison Hotel,
im Zimmer 174 und vor der Tür;

Manchmal waren da mehr Bewacher als gebraucht wurden, um Lisa festzuhalten, wenn sie sich wehrte.
Da war auch eine Bewacherin, die selbst zusammenbrach und weinte.

Herr, du weißt es: Während sie bewacht und gequält wurde, bewußtlos gemacht durch Drogen, plünderten Scientology-Freunde ihr Konto.

Erst nach 17 Tagen im Ford Harrison Hotel, gequält und geschunden, mit blauen Flecken und Abschürfungen bedeckt, von Kakerlaken schon gebissen, wurde sie - tot - in ein Krankenhaus gebracht.

Als ihre Leiche auf Wunsch der Scientology-Organisation gerade verbrannt worden war,
- der Familie hatten sie erzählt,
Lisa sei an ansteckender Meningitis gestorben,
- räumten scientologische Leichenfledderer
ihre Wohnung aus,
stellten Schecks auf ihr Konto aus,
stahlen ihre Kleider, plünderten den Nachlaß. 

 


Herr, höre doch!
Jetzt verhöhnen sie ihr Opfer,
denn sie bezeichnen das Einflößen von Betäubungsmitteln als "Geistigen Beistand" und religiöse Handlung.

Herr, ihre Peiniger haben nur wenige Sätze von dem
aufgeschrieben, was Lisa sagte.
Sie haben es nicht verstanden.
Es war nicht wichtig für sie. Es kam ja aus Lisas Innerem.

Du aber weißt alles, was sie sagte.

Laß auch uns verstehen, was Lisa meinte,
als sie am 3. Tag ihrer Gefangenschaft vom Licht sprach;

- ganz gegen Hubbards Lehre, wonach Licht eine trügerische Falle ist, die nur zu einer Implantstation führt - ;

Herr, laß uns verstehen, was es bedeutet,
daß sie gegen alles, was sie 13 Jahre lang gelernt hatte, sagte:
"Man muß dem Licht folgen,
denn das Licht ist das Leben."

Herr,
Lisa wollte nur jemanden,
mit dem sie reden könnte
wie mit einem Freund.

Jetzt rede Du mit Lisa und allen,
die in der Isolation verzweifeln.

Wische Du ihre Tränen ab.
Sende du ihnen Menschen als freundliche Hüter wie Engel.

Sei Du gnädiger Hüter und Helfer,
wo Menschen versagen.

Antworte Du auf Lisas und unsere Fragen,
"denn bei dir ist die Quelle des Lebens
und in deinem Lichte sehen wir das Licht"
[Ps. 36,10].

Amen

Das Gebet entstand für den Focus-Gottesdienst "Gebet für Lisa McPherson - Sterben bei Scientology"
in der Luisen-Kirche zu Berlin-Charlottenburg am Sonntag, 17. September 2000
© Dialog Zentrum Berlin / Pfr. Thomas Gandow / frei für Presse, Schule und Gottesdienst
DZB, Heimat 27 * D-14165 Berlin * Fon: +49 (0)30-815 70 40 * Fax: +49 (0)30-84 50 96 40 * email: gandow@dialogzentrum.de


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