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BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis

BÜCHER & MEDIEN

Rezension
von Gerhard Glombik

Herr, der Fliege!

Fliege, Jürgen: Es geht um Ihre Heilung Erfahrungen mit sanfter Medizin.
Kreuz Verlag, Stuttgart 19967, ISBN 3-7831-14802, 91 Seiten, DM 16,80

In einem früheren Buch gestand der bekannte Talkmaster und ehemalige Pastor Jürgen Fliege, er möchte gerne ein Heiler sein. Dieser Wunsch muß so sehr in ihm gelodert haben, daß er sich dazu hinreißen ließ, ein Buch über alternative Heilmethoden zu schreiben. Abgehandelt werden darin unter anderem Feuerläufe, Bachblüten-, Mistel- und Edelsteintherapie, Granderwasser und Homöopathie mit dem Zweck: "Es geht um Ihre Heilung".

Fliege rüttelt am Weltbild

Der erste Satz lautet noch sehr bescheiden: "Die neue, sanfte Medizin hat bis heute nur Menschen und ihre ganz unterschiedlichen Geschichten der Heilung als Vorbilder und Lehrer zur Verfügung, um auf sich aufmerksam zu machen." Leider wird im weiteren Verlauf des Buchs dieser Anspruch auf Selbstbeschränkung nicht eingehalten. Denn die neuen Erfahrungen "rütteln an unserem Weltbild überhaupt". Und nun zieht der Autor mit scheinbar medizinischen und naturwissenschaftlichen Argumenten vom Leder, als wäre nichts anderes sein Studienfach gewesen. Dabei schießt er am laufenden Band Breitseiten gegen die Schulmedizin: "Was ist Schulmedizin? Eine Medizin, die man nach Abitur, viel Latein und Studium erlernt hat." Sie führe mit der Natur einen ständigen Krieg, sei entseelte Medizin, behandele Krankheiten und nicht den Menschen, laboriere an den Symptomen und bringe trotz vieler Apparate nicht mehr Gesundheit. Kein einziger Erfolg der Schulmedizin wird genannt, stattdessen viele Erfolgsbeispiele aus der "sanften Medizin". Da ist der Fall von Antje, die elfmal über glühende Kohlen lief, um ihre Psyche zu stärken, danach aber bei einer ärztlichen Untersuchung bescheinigt bekam, daß die früher vorhandenen Gallensteine verschwunden waren. Neuerdings hilft Feuerlaufen anscheinend sogar bei Krankheiten, die man gar nicht damit bekämpfen wollte.

Auch Tumoren haben Seelen

Zu Mistelpräparaten rät Fliege, wobei er Rudolf Steiners Sichtweise übernimmt, die Mistel habe eine Seele und die Angewohnheit, auf Bäumen zu sitzen und ihnen die Kraft zu nehmen, weil sie mit ihren "Erfahrungsschwingungen so exakt an den krebskranken Menschen andocken" könne, daß dieser im Kampf gegen den Krebs gestärkt werde. Ein Tumor sei nämlich auch ein Gebilde mit einer "richtigen Seele".
Das Trinken von "Grander-Wasser", benannt nach dem ehemaligen Förster Johann Grander, der ein "Wasserbelebungsgerät" erfunden haben soll, hilft laut Fliege bei Neurodermitis, Anämie und Tumoren. Wasser habe ein Gedächtnis und transportiere Information. Der Beweis: Ein Samenkorn könne jahrzehntelang gelagert werden, erst die "Information im Wasser aktiviert die Urinformation im Samenkorn". Durch Wasserleitungen und geradlinige Führung sei das Quellwasser "geschädigt und getötet" worden und habe seine ursprüngliche Energie verloren. Mit dem Gerät, das hochfrequentes, energiereiches "Grander-Wasserkonzentrat" enthalte und an jeden Wasserhahn angeschlossen werden könne, werde die heilende Schwingung des Granderwassers auf das Leitungswasser übertragen. Als wissenschaftliche Rechtfertigung wird ein Dr. Wolfgang Ludwig eines Instituts für Biophysik "im Schwäbischen" bemüht, der angeblich die Meinung vertritt, Wasser sei keine tote Materie, sondern eine Art Organismus und habe ein Gedächtnis wie ein Elefant. Der Verweis auf die heilende Wirkung der Homöopathie bietet sich dem Autor Fliege natürlich an, denn auch hier werde ja geschüttelt.
Zur Edelsteintherapie schreibt Fliege: "Das esoterische Wissen um die Heilkraft der Steine konzentriert sich auf die 'positiven Schwingungen und Strahlen'..., die noch nicht meßbar" seien, aber instinktiv gespürt werden könnten. Alles das ist für Fliege nur verständlich auf dem Hintergrund des "neuesten physikalischen Weltbildes", das die Welt als Fülle von Schwingungen, Wellen, Resonanzen und unsichtbaren Energien erkläre (Sprich: New-Age-Physik und Esoterik). Es sei nicht die Chemie, es sei vor allem die Schwingung. Die Schulmedizin nehme diese "modernen Erkenntnisse" aber nicht an, weil sie ein mittelalterliches Weltbild habe.
Was die "moderne Physik" als Pionier heute entdecke, hätten die Mystiker aller Religionen sowieso schon immer gewußt. Damit sind wir bei den "theologischen" Argumenten, mit denen der ehemalige Pastor zum entscheidenden Schlag gegen die Schulmedizin, aber auch gegen die moderne Theologie ausholt. Jesus sei ein "junger Arzt" gewesen, der allerdings so feinstofflich, psychologisch und energetisch arbeitete, daß er noch nicht einmal Medikamente verordnete, sondern mit reiner Liebe heilte ohne Nebenwirkungen versteht sich.
Fliege stellt fest, daß diese "Heilmethode" in der folgenden Zeit nicht von großen Erfolgen gekrönt wurde. Um so erstaunlicher ist seine Vermutung, der "ermordete Arzt" (Jesus) könne damit recht gehabt haben, daß die Medizin, die den Teufel mit dem Beelzebub austreibe (die Schulmedizin), wirklich mit dem Teufel im Bunde sei. Denn wie solle man sich sonst erklären, daß die "wirklich heilende Medizin" (die sanfte Medizin) tagtäglich verspottet werde.
Ist der studierte Theologe Fliege noch zu retten? Hier wird Jesus bemüht, um der esoterischen, "sanften Medizin" einen Heiligenschein aufzusetzen und die Schulmedizin in die Nähe des Höllenfürsten zu rücken.

Fliege im Athrumwasser

Flieges Wassergläubigkeit wird ebenfalls theologisch überhöht. Der katholische Theologieprofessor Jilek habe zwar erklärt, Taufund Weihwasser wirke nur durch seine Symbolkraft. Flieges These dagegen ist, Wasser, über dem mit Inbrunst gebetet wurde, habe eine andere (heilende) Qualität als normales Wasser. Im übrigen sei es dem Wasser egal, ob ein christliches Kreuz darüber geschlagen worden sei oder hinduistische Rituale veranstaltet wurden. Hauptsache, es sei mit Inbrunst geschehen. Wer es noch nicht gemerkt hat: hier wird die moderne katholische Theologie "wasserpäpstlich" überholt. Aber damit noch nicht genug, denn der eigentliche Zweck des dünnen Büchleins findet sich im Schlußteil. Fliege empfiehlt über zwanzig Seiten hinweg Kontaktadressen, wo Hilfsbedürftige Rat und Hilfsmittel beziehen können (ein Viertel des Buchumfangs!). Wenn man bedenkt, daß für Bachblütenpräparate pro Sortiment ca. DM 400 hinzublättern sind und deshalb mit sicheren Nebenwirkungen in Form eigenen Vermögensverlusts ohne garantierte Wirkung gerechnet werden muß, ist die Schlußbemerkung des Buchs nur noch zynisch zu nennen: "Eine Haftung des Verlages oder des Autors für etwaige Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen, es sei denn im Falle grober Fahrlässigkeit". Leider ist diesem beliebten Talk-Show-Moderator der Vorwurf nicht zu ersparen, er nütze trotz seines medizinischen Laientums seine Bekanntheit und die Gutgäubigkeit seines Millionenpublikums gegenüber einem "Fernseh-Pastor" aus, um fragwürdige Ansichten zu verbreiten und mitzuhelfen, manchem zweifelhaften Heilmittelverkäufer die Taschen mit dem sauer verdienten Geld von Kranken und Leidenden zu füllen.
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