Seite 21 weiter Seite 22 (7 KB) | BERLINER DIALOG 13, 2-1998 - Michaelis |
BÜCHER & MEDIEN
von Gerhard Glombik Herr, der Fliege!
Fliege, Jürgen: Es geht um Ihre Heilung Erfahrungen mit sanfter Medizin. In einem früheren Buch gestand der bekannte Talkmaster und ehemalige Pastor Jürgen Fliege, er möchte gerne ein Heiler sein. Dieser Wunsch muß so sehr in ihm gelodert haben, daß er sich dazu hinreißen ließ, ein Buch über alternative Heilmethoden zu schreiben. Abgehandelt werden darin unter anderem Feuerläufe, Bachblüten-, Mistel- und Edelsteintherapie, Granderwasser und Homöopathie mit dem Zweck: "Es geht um Ihre Heilung". Fliege rüttelt am Weltbild Der erste Satz lautet noch sehr bescheiden: "Die neue, sanfte Medizin hat bis heute nur Menschen und ihre ganz unterschiedlichen Geschichten der Heilung als Vorbilder und Lehrer zur Verfügung, um auf sich aufmerksam zu machen." Leider wird im weiteren Verlauf des Buchs dieser Anspruch auf Selbstbeschränkung nicht eingehalten. Denn die neuen Erfahrungen "rütteln an unserem Weltbild überhaupt". Und nun zieht der Autor mit scheinbar medizinischen und naturwissenschaftlichen Argumenten vom Leder, als wäre nichts anderes sein Studienfach gewesen. Dabei schießt er am laufenden Band Breitseiten gegen die Schulmedizin: "Was ist Schulmedizin? Eine Medizin, die man nach Abitur, viel Latein und Studium erlernt hat." Sie führe mit der Natur einen ständigen Krieg, sei entseelte Medizin, behandele Krankheiten und nicht den Menschen, laboriere an den Symptomen und bringe trotz vieler Apparate nicht mehr Gesundheit. Kein einziger Erfolg der Schulmedizin wird genannt, stattdessen viele Erfolgsbeispiele aus der "sanften Medizin". Da ist der Fall von Antje, die elfmal über glühende Kohlen lief, um ihre Psyche zu stärken, danach aber bei einer ärztlichen Untersuchung bescheinigt bekam, daß die früher vorhandenen Gallensteine verschwunden waren. Neuerdings hilft Feuerlaufen anscheinend sogar bei Krankheiten, die man gar nicht damit bekämpfen wollte. Auch Tumoren haben Seelen
Zu Mistelpräparaten rät Fliege, wobei er Rudolf Steiners Sichtweise übernimmt, die Mistel habe eine Seele und die Angewohnheit, auf Bäumen zu sitzen und ihnen die Kraft zu nehmen, weil sie mit ihren "Erfahrungsschwingungen so exakt an den krebskranken Menschen andocken" könne, daß dieser im Kampf gegen den Krebs gestärkt werde. Ein Tumor sei nämlich auch ein Gebilde mit einer "richtigen Seele". Fliege im Athrumwasser
Flieges Wassergläubigkeit wird ebenfalls theologisch überhöht. Der katholische Theologieprofessor Jilek habe zwar erklärt, Taufund Weihwasser wirke nur durch seine Symbolkraft. Flieges These dagegen ist, Wasser, über dem mit Inbrunst gebetet wurde, habe eine andere (heilende) Qualität als normales Wasser. Im übrigen sei es dem Wasser egal, ob ein christliches Kreuz darüber geschlagen worden sei oder hinduistische Rituale veranstaltet wurden. Hauptsache, es sei mit Inbrunst geschehen. Wer es noch nicht gemerkt hat: hier wird die moderne katholische Theologie "wasserpäpstlich" überholt. Aber damit noch nicht genug, denn der eigentliche Zweck des dünnen Büchleins findet sich im Schlußteil. Fliege empfiehlt über zwanzig Seiten hinweg Kontaktadressen, wo Hilfsbedürftige Rat und Hilfsmittel beziehen können (ein Viertel des Buchumfangs!). Wenn man bedenkt, daß für Bachblütenpräparate pro Sortiment ca. DM 400 hinzublättern sind und deshalb mit sicheren Nebenwirkungen in Form eigenen Vermögensverlusts ohne garantierte Wirkung gerechnet werden muß, ist die Schlußbemerkung des Buchs nur noch zynisch zu nennen: "Eine Haftung des Verlages oder des Autors für etwaige Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen, es sei denn im Falle grober Fahrlässigkeit". Leider ist diesem beliebten Talk-Show-Moderator der Vorwurf nicht zu ersparen, er nütze trotz seines medizinischen Laientums seine Bekanntheit und die Gutgäubigkeit seines Millionenpublikums gegenüber einem "Fernseh-Pastor" aus, um fragwürdige Ansichten zu verbreiten und mitzuhelfen, manchem zweifelhaften Heilmittelverkäufer die Taschen mit dem sauer verdienten Geld von Kranken und Leidenden zu füllen. |